Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.316/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_316/2007 /bru

Urteil vom 30. April 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Thönen.

Parteien
X._______,
Beschwerdeführerin,

gegen

Swisscom Mobile AG, Network Rollout Central,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Rey,
Bauinspektorat Basel-Stadt,
Baurekurskommission des Kantons Basel-Stadt.

Gegenstand
Neubau einer Antennenanlage für Mobilkommunikation auf dem Dach der
Liegenschaft Greifengasse 22, Basel,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht vom 20. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 29. März 2006 wies die Baurekurskommission des Kantons
Basel-Stadt einen Rekurs von X._______ und einer weiteren Person gegen einen
Einspracheentscheid des Bauinspektorates des Kantons Basel-Stadt ab und
bewilligte das Baugesuch der Swisscom Mobile AG für eine Kommunikationsanlage
auf dem Dach der Liegenschaft Greifengasse 22 in Basel mit folgenden Auflagen:
"Die Anlage ist vor Inbetriebnahme in ein QS-System [Qualitätssicherungssystem]
gemäss Rundschreiben des BAFU vom 16. Januar 2006, das die Einhaltung der
bewilligten Sendeleistungen und Senderichtungen sicherstellt, einzubinden. Die
Vollzugsbehörde hat die von den Betreibern mitgeteilten Überschreitungen der
bewilligten Werte mit Adressangaben pro Quartal in geeigneter Form bekannt zu
geben. Die Rekurrentin 1 [Beschwerdeführerin] und der Rekurrent 2 sind durch
die Bewilligungsbehörde in geeigneter Form über Abnahme- und Kontrollmessungen
zu informieren, sei es durch Zustellen der Ergebnisse oder durch Publikation."
Die Baurekurskommission hatte einen Augenschein durchgeführt.

B.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht wies den
Rekurs von X._______ mit Urteil vom 20. Juni 2007 ab. Vor Appellationsgericht
wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

C.
X._______ führt mit Eingabe vom 28. September 2007 Beschwerde an das
Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Appellationsgerichts vom 20. Juni
2007 und die Entscheide der Baurekurskommission vom 29. März 2006 und des
Bauinspektorats vom 11. Oktober 2005 seien aufzuheben. Das Baubegehren sei
abzuweisen. Eventuell sei die Streitsache an das Verwaltungsgericht
zurückzuweisen. Ferner sei Dr. med. Z._______ als medizinischer Gutachter zum
aktuellen Stand der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Mobilfunkanlagen zu
befragen.

Mit Präsidialverfügung vom 25. Oktober 2007 hat das Bundesgericht das Gesuch
von X._______ um Gewährung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.

D.
Die Swisscom Mobile AG und das Bauinspektorat beantragen Abweisung der
Beschwerde. Die Baurekurskommission hat erklärt, sie schliesse sich der
Stellungnahme des Bauinspektorats an. Das Appellationsgericht hat auf eine
Vernehmlassung verzichtet.

Das als Bundesfachbehörde zur Stellungnahme eingeladene Bundesamt für Umwelt
BAFU ist der Ansicht, die Vorschriften zum Schutz vor nichtionisierender
Strahlung seien im angefochtenen Entscheid korrekt angewandt worden
(Stellungnahme vom 14. Dezember 2007).

X._______ hat sich zu den Vernehmlassungen mit Eingaben vom 17. Januar 2008 und
20. Januar 2008 geäussert.

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid unterliegt der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG. Die
Beschwerdeführerin wohnt zwar nicht in Basel, ist aber Eigentümerin zweier
Liegenschaften, die sich im massgeblichen Umkreis der geplanten Antennenanlage
befinden. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen
Anlass, so dass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.

1.2 Das Bundesgericht prüft eine Beschwerde auf Rechtsverletzungen hin (Art. 95
BGG). Dabei prüft es insbesondere Verletzungen von Bundesrecht und - sofern
dies genügend gerügt und begründet wird (Art. 106 Abs. 2 BGG) -
Grundrechtsverletzungen. Soweit die Vorbringen in der Beschwerde nicht auf
Bundesrechtsverletzungen bezogen werden können bzw. entsprechende
Verfassungsrügen fehlen, ist darauf nicht einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführerin äussert vor Bundesgericht grundsätzliche Bedenken, und
zwar hinsichtlich der Wirkungen von UMTS-Strahlung auf die Gesundheit sowie der
Ungenauigkeit von Strahlungsmessungen. Sie kritisiert ferner das angeordnete
Qualitätssicherungssystem, da es nicht "personenunabhängig" und "redundant"
sei, und behauptet, an einem Standort (OMEN Nr. 30, Utengasse 6) würden die
Anlagegrenzwerte überschritten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt sie, das
Appellationsgericht habe zu Unrecht Beweisanträge abgelehnt.

3.
Das Appellationsgericht führt im angefochtenen Urteil unter anderem aus, die
Anlage sei in ein Qualitätssicherungssystem eingebunden worden, das den
Anforderungen an eine wirksame Kontrolle der Emissionsbegrenzungen genüge. Die
vorsorgliche Emissionsbegrenzung gemäss Art. 4 NISV reiche grundsätzlich aus,
es könne nicht in jedem Fall mit Gutachten und Gegengutachten versucht werden,
die Wirkungen zu ermitteln. Solange die NISV nicht angepasst werde, hätten sich
die Gerichte daran zu halten. Die Einwände betreffend die Messung der
UMTS-Strahlung rechtfertige es nicht, Bewilligungen für UMTS-Mobilfunkanlagen
zu verweigern.

4.
Nach Ansicht der Fachbehörde BAFU sind im vorliegenden Fall die Vorschriften
zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung eingehalten. Zur Beurteilung des
zweistufigen Schutzkonzepts (Grenzwerte) und zu den Messunsicherheiten verweist
das BAFU auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Zur behaupteten
Grenzwertüberschreitung am OMEN Nr. 30 führt das BAFU aus, es habe die
Berechnung überprüft, sie sei in sich konsistent und der Anlagegrenzwert werde
eingehalten. Zum Qualitätssicherungssystem erklärt das BAFU, die für den
Vollzug der NISV zuständigen Behörden würden sich im Vorfeld einer Stichprobe
in der Regel vorgängig beim entsprechenden Mobilfunkanbieter anmelden, da auch
die Fachkundigen des Betreibers vor Ort sein sollten. Die Behörde gebe jedoch
nicht zum Voraus bekannt, welche Mobilfunkbasisstationen überprüft werden
sollen. So sei es dem Betreiber nicht möglich, vorgängig gezielte Änderungen an
den Daten in der Datenbank des Qualitätssicherungssystems vorzunehmen.

5.
5.1 Zu den grundsätzlichen Bedenken der Beschwerdeführerin ist auszuführen,
dass das Bundesgericht die Anlage- und Immissionsgrenzwerte der NISV bisher
stets als gesetzes- und verfassungskonform beurteilt hat. Zwar ist die
wissenschaftliche Datenlage für die Beurteilung der Gesundheitsgefährdung der
Bevölkerung durch hochfrequente Strahlung im Niedrigdosisbereich, namentlich
durch Mobilfunkbasisstationen, noch immer lückenhaft, weshalb
Forschungsprogramme besonders wichtig sind. Dagegen rechtfertigen es die
bestehenden Wissenslücken nicht, die Grenzwerte der NISV als rechtswidrig zu
beurteilen und den weiteren Bau von Mobilfunkantennen zu verbieten (Urteil
1C_170/2007 vom 20. Februar 2008 E. 2, mit Hinweisen). Es ist in erster Linie
Sache der zuständigen Fachbehörden (und nicht des Bundesgerichts), die
internationale Forschung sowie die technische Entwicklung zu verfolgen und
gegebenenfalls eine Anpassung der Grenzwerte der NISV zu beantragen (Urteil
1A.62/2001 vom 24. Oktober 2001 E. 3a/bb u. 3b/aa, nicht publizierte Erwägungen
von BGE 128 I 59).

5.2 Bei diesem Stand der Rechtsprechung ist es nicht Sache der Gerichte, eine
Fachperson über mögliche Gesundheitsgefährdungen durch Mobilfunkanlagen zu
befragen. Die Rüge, das Appellationsgericht habe den Antrag auf Befragung von
Dr. med. Z._______ zu Unrecht abgewiesen, ist unbegründet. Aus dem gleichen
Motiv ist der vor Bundesgericht erneuerte Antrag abzuweisen.

6.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Überprüfung der Berechnungen durch
einen Privatgutachter habe am OMEN Nr. 30 (Utengasse 6) einen höheren Wert
ergeben als im Standortdatenblatt angegeben (mindestens 6,22 statt 5,57 V/m),
so dass der massgebende Anlagegrenzwert überschritten sei.

Bei diesem Standort handelt es sich um einen sog. Ort mit empfindlicher
Nutzung, an dem ein Anlagegrenzwert von 6 V/m einzuhalten ist. Die Fachbehörde
BAFU hat gemäss Stellungnahme vom 14. Dezember 2007 die bemängelte Berechnung
gemäss Standortdatenblatt überprüft und für richtig befunden. Der
Anlagegrenzwert wird gemäss BAFU eingehalten. Es sei auf den elektrischen
Neigungswinkelbereich gemäss Standortdatenblatt, nicht auf den gesamten
technisch möglichen Bereich abzustellen.
Da es sich um eine technische Frage handelt und diese durch die Fachbehörde
nachgeprüft wurde, besteht für das Bundesgericht kein Anlass, von der
Auffassung der Fachbehörde abzuweichen. Das Vorbringen ist unbegründet.

7.
Die Beschwerdeführerin bemängelt das Qualitätssicherungssystem. Es beruhe
weitgehend auf Selbstkontrolle der Netzbetreiber, die Statistiken über die
festgestellten Grenzwertüberschreitungen würden nicht publiziert und es würden
keine unabhängigen Stichprobenkontrollen vorgenommen. Eine quartalsweise
Mitteilung der Grenzwertüberschreitungen, wie sie die Rekurskommission
angeordnet hat, reiche nicht aus. Solange es keine unabhängigen behördlichen
Kontrollen gebe, dürften keine neuen Bewilligungen erteilt werden.

7.1 Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das Urteil 1A.160/2004 vom 10. März
2005 (E. 3.3, in URP 2005 S. 576) wonach die im Standortdatenblatt deklarierte
äquivalente Strahlungsleistung (ERP) der Mobilfunkanlage grundsätzlich schon im
Baubewilligungs- bzw. Rechtsmittelverfahren überprüft werden müsse, sofern
Zweifel an der Richtigkeit der Angabe bestehen. Ergibt die Berechnung im
Standortdatenblatt eine Überschreitung der Grenzwerte der NISV, muss gemäss
diesem Urteil grundsätzlich die maximale ERP reduziert werden, beispielsweise
durch die Veränderung eines Hardwareelementes (Senderendstufe). Wird von diesem
Grundsatz abgewichen, so dass der bewilligte Wert unter der maximalen ERP
liegt, so müsse im Bewilligungsentscheid begründet und dargelegt werden, wie
die Einhaltung des bewilligten Wertes gewährleistet werden könne.

In seiner weiteren Rechtsprechung hat das Bundesgericht entschieden, das
Qualitätssicherungssystem gemäss Rundschreiben des BAFU sei grundsätzlich
zulässig. Es stelle eine alternative Kontrollmöglichkeit dar, um die Einhaltung
der bewilligten Parameter sicher zu stellen. Allerdings sei es Aufgabe des BAFU
und der kantonalen Vollzugsbehörden, zu prüfen, ob die Kontrollsysteme ihre
Aufgabe effektiv erfüllen, ob sie zu verbessern oder zu ergänzen sind oder ob
zu baulichen Vorkehrungen zurückgekommen werden müsse (zuletzt Urteil 1C_172/
2007 vom 17. März 2008 E. 2 sowie Urteil 1A.57/2006 vom 6. September 2006 E.
5.2, in ZBl 108/2007 S. 453).

7.2 Im vorliegenden Fall ist die Einbindung in ein Qualitätssicherungssystem
ausdrücklich vorgesehen. Gemäss Anordnung der Baurekurskommission (Entscheid
vom 29. März 2006, Dispositiv-Ziffer 2) ist der Bauentscheid mit der Auflage zu
ergänzen, dass die Anlage vor Inbetriebnahme in ein Qualitätssicherungssystem
gemäss Rundschreiben des BAFU vom 16. Januar 2006 einzubinden ist, welches die
Einhaltung der bewilligten Sendeleistungen und Senderichtungen sicherstellt.
Das Vorgehen der kantonalen Behörden entspricht somit der Rechtsprechung des
Bundesgerichts, welche das Qualitätssicherungssystem - unter prüfender
Begleitung der Behörden - als zulässig erachtet. Die Rüge der mangelhaften
Qualitätssicherung ist unbegründet.

8.
Die Beschwerdeführerin rügt ferner eine Verletzung des
Rechtsverweigerungsverbots, indem das Appellationsgericht den Antrag auf
Offenlegung der Statistiken betreffend Grenzwertüberschreitungen nicht
behandelt habe. Der Antrag stehe im Zusammenhang mit dem
Qualitätssicherungssystem, welches die Beschwerdeführerin von Anfang an
beanstandet habe.

Das Appellationsgericht ist auf den Antrag nicht eingetreten, weil er über den
Streitgegenstand hinausgehe. Die Beschwerdeführerin begründet die verspätete
Antragstellung mit ihrer Kritik am Qualitätssicherungssystem. Da sich dieses
jedoch als rechtmässig erweist (hiervor E. 7) und keine weitergehenden
Informationsansprüche ersichtlich sind, verletzt es kein Verfassungsrecht, wenn
das Appellationsgericht auf den Antrag nicht eingetreten ist. Die Rüge ist
unbegründet.

9.
Die Beschwerdeführerin bezweifelt, dass die Strahlungsbelastung mit der
notwendigen Zuverlässigkeit gemessen werden könne. Wegen der Messungenauigkeit
(Faktoren zwischen 4,3 und 1,7) sollten nach ihrer Ansicht erhöhte
Anforderungen an die Qualitätssicherung gestellt werden.

9.1 Das Bauinspektorat hat eine Stellungnahme des Lufthygieneamts beider Basel
vom 18. Oktober 2007 eingereicht. Darin wird ausgeführt, die Anforderungen des
METAS (Bundesamt für Metrologie) an das UMTS-Messverfahren würden von allen
entsprechend akkreditierten Messlabors erfüllt. Es gebe keinen Grund,
Abnahmemessungen von UMTS-Anlagen aufzuschieben.

9.2 Das Bundesgericht hat die heute vorliegenden Messverfahren und -geräte
sowie den Entwurf einer Messempfehlung für UMTS-Strahlung des BUWAL und METAS
vom 17. September 2003 genügen lassen (Urteil 1A.57/2006 vom 6. September 2006
E. 6, in ZBl 108/2007 S. 453). Es hat einen Gerichtsentscheid bestätigt, wonach
es unverhältnismässig sei, die Inbetriebnahme von UMTS-Anlagen wegen
Unsicherheiten bei der Messung von UMTS-Strahlung zu verhindern (Urteil 1A.129/
2006 vom 10. Januar 2007 E. 4, nicht publizierte Erwägung von BGE 133 II 64).
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung bietet keine Grundlage, um daraus erhöhte
Anforderungen an die Qualitätssicherung abzuleiten. Das Vorbringen ist
unbegründet.
10.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Überdies hat sie die private
Beschwerdegegnerin angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die private Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt als Verwaltungsgericht und dem Bundesamt für Umwelt schriftlich
mitgeteilt.
Lausanne, 30. April 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Thönen