Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.263/2007
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1C_263/2007

Urteil vom 18. Januar 2008

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Tim Walker,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Graubünden, Kalchbühlstrasse 18, 7000 Chur,
Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden, Hofgraben 5,
7001 Chur.

Führerausweisentzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 18. April 2007
des Kantonsgerichts von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss.
Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 5. April 2006 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons
Graubünden dem 1956 geborenen X.________ den Führerausweis auf unbestimmte
Zeit. Die Wiedererteilung des Führerausweises wurde von einer mindestens
12-monatigen kontrollierten Psychosefreiheit und einem
verkehrspsychologischen Gutachten abhängig gemacht.

Dieser Verfügung ging die Mitteilung des damaligen Arztes von X.________
voraus, wonach dieser aus gesundheitlichen Gründen die gesetzlichen
Mindestanforderungen zum Lenken eines Motorfahrzeuges nicht mehr erfülle
(Schreiben an das Strassenverkehrsamt vom 13. September 2005). Im Auftrag des
Strassenverkehrsamtes hielten die Psychiatrischen Dienste Graubünden, Klinik
Beverin, Forensischer Dienst, mit Gutachten vom 6. März 2006 fest, die
Fahreignung von X.________ sei aus neuropsychologischer Sicht derzeit nicht
gegeben. Die Leistungstests hätten vor allem im Bereich der Aufmerksamkeit
mittelgradig beeinträchtigte Resultate gezeitigt, und die charakterliche
Fahreignung erscheine ebenfalls fraglich.

B.
Mit Verfügung vom 22. Januar 2007 wies das Departement für Justiz, Sicherheit
und Gesundheit des Kantons Graubünden die Beschwerde von X.________ ab.

Mit Urteil vom 18. April 2007 wies das Kantonsgericht von Graubünden,
Kantonsgerichtsausschuss, die Berufung von X.________ ab.

C.
Mit Eingabe vom 10. September 2007 führt X.________ Beschwerde an das
Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts vom 18. April
2007 sowie die mitangefochtenen Verfügungen der Vorinstanzen seien
aufzuheben. Ferner beantragt er Beschwerdeergänzung nach Zustellung der Akten
der Vorinstanzen, Zusprechung einer angemessenen Parteientschädigung für die
vorinstanzlichen Verfahren sowie unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

Das Kantonsgericht und das Strassenverkehrsamt haben auf eine Vernehmlassung
verzichtet. Das kantonale Departement und das - ebenfalls zur Stellungnahme
eingeladene - Bundesamt für Strassen beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
Alle Stellungnahmen wurden X.________ am 23. Oktober 2007 zur Kenntnisnahme
zugestellt. Auf Gesuch von X.________ wurden ihm am 31. Oktober 2007 die vom
Kantonsgericht Graubünden eingereichten Akten zur Einsicht überlassen. Er hat
die Akten am 12. Dezember 2007 ohne weitere Stellungnahme zur Sache
zurückgesandt.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen
Führerausweisentzug gemäss Strassenverkehrsgesetz (SVG, SR 741.01). Dagegen
steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82
ff., Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG); ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83
BGG). Für die Behandlung von Beschwerden betreffend den Strassenverkehr ist
die I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts zuständig (Art. 29
Abs. 1 lit. e Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006,
SR 173.110.131). Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt (Art. 100 Abs. 1
BGG). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind grundsätzlich erfüllt.

1.2 Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerde vom 10. September 2007 einen
Antrag auf Beschwerdeergänzung nach Zustellung der Akten der
"Berufungsbeklagten" und der Vorinstanzen gestellt. Der Antrag auf
Beschwerdeergänzung wurde jedoch nicht begründet. Auf ein späteres Ersuchen
um Zustellung der vorinstanzlichen Akten vom 24. Oktober 2007 wurden ihm am
31. Oktober 2007 die kantonalen Akten zur Einsicht zugesandt. Der
Beschwerdeführer hat die Akten am 12. Dezember 2007 zurückgesandt, ohne eine
weitere Stellungnahme abzugeben. Bei dieser Sachlage ist anzunehmen, der
Beschwerdeführer habe auf eine Beschwerdeergänzung verzichtet.

2.
In einem Grossteil der Beschwerdebegründung wiederholt der Beschwerdeführer -
zumeist wortwörtlich - die bereits vor Kantonsgericht vorgetragenen
Argumente, ohne auf das angefochtene Urteil Bezug zu nehmen.
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Beschwerde an das
Bundesgericht darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt.
Angefochtener Akt ist das Urteil des Kantonsgerichts vom 18. April 2007. Nach
Vorschrift des Bundesgerichtsgesetzes sind die geltend gemachten
Beschwerdegründe auf dieses Urteil zu beziehen. Es reicht nicht aus, die
Vorbringen der kantonalen Beschwerde wörtlich zu wiederholen, denn das
Kantonsgericht hat diese im angefochtenen Urteil behandelt. Der
Beschwerdeführer ist gehalten, sich diesbezüglich mit dem angefochtenen
Urteil auseinander zu setzen.

In diesem Sinne unbegründet sind namentlich die Rügen der mehrfachen
Verletzung des rechtlichen Gehörs (verweigerte Stellungnahme zum Bericht der
Klinik Beverin, Umfang der Begründung der Verfügung des Strassenverkehrsamts,
unvollständige Zustellung der Verfahrensakten), des unrechtmässigen und
unverhältnismässigen Führerausweisentzuges gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG,
der Verletzung der Ausstandspflicht durch die Klinik Beverin und des
fehlenden Einverständnisses für die Weitergabe und Verwendung höchstsensibler
Daten. Das Wiederholen der vorinstanzlichen Einwendungen, ohne Bezugnahme auf
den inzwischen ergangenen Entscheid des Kantonsgerichts, ist keine
rechtsgenügliche Darlegung im Sinne von Art. 42 Abs. 2 BGG. Insoweit ist auf
die Beschwerde nicht einzutreten.

Zu den übrigen Vorbringen ist auszuführen, was folgt.

3.
3.1 Im Falle des Beschwerdeführers stützt sich der Führerausweisentzug auf
Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG. Diese Bestimmung ist überschrieben mit
"Führerausweisentzug wegen fehlender Fahreignung" und lautet: "Der Lernfahr-
oder Führerausweis wird einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn ihre
körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr ausreicht,
ein Motorfahrzeug sicher zu führen."
3.2 Der Entzug des Führerausweises wegen fehlender Fahreignung ist ein Entzug
zu Sicherungszwecken (sog. Sicherungsentzug). Bei Streitigkeiten über einen
Sicherungsentzug besteht nach der Rechtsprechung - anders als beim Entzug zu
Warnzwecken (sog. Warnungsentzug; BGE 121 II 22 und 219 E. 2a S. 221) -
grundsätzlich kein Anspruch auf eine öffentliche mündliche Verhandlung im
Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Dies gilt jedenfalls soweit der Führerausweis
nicht - wie bei Berufschauffeuren - unbedingt zur Berufsausübung notwendig
ist und das Gericht somit nicht über zivilrechtliche Ansprüche und
Verpflichtungen zu entscheiden hat. Wer sein Fahrzeug beispielsweise
lediglich benutzt, um sich an seinen Arbeitsort zu begeben, kann sich somit
nicht auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK berufen (BGE 122 II 464 E. 3b und c S. 466 f.;
129 II 82 [6A.48/2002] unpublizierte E. 7.4.2; Urteil 6A.30/2005 vom
3. November 2005 E. 2.3). Der Sicherungsentzug wegen fehlender Fahreignung
wird angeordnet, um die zu befürchtende Gefährdung der Verkehrssicherheit
durch einen ungeeigneten Fahrzeugführer in der Zukunft zu verhindern, nicht
um den Betroffenen wegen einer begangenen Verkehrsregelverletzung zu
bestrafen. Er setzt keine schuldhafte Widerhandlung im Strassenverkehr voraus
(BGE 133 II 331 E. 9.1 S. 351).

3.3 Der Beschwerdeführer hat im kantonalen Verfahren nicht vorgebracht, dass
er für eine Berufsausübung auf einen Führerausweis angewiesen ist. Wie das
Kantonsgericht gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zutreffend
ausführt, ist vorliegend nicht über einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinne
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu entscheiden. Der Führerausweis wurde dem
Beschwerdeführer nicht wegen eines Strassenverkehrsdelikts entzogen, sondern
aufgrund mangelnder Fahreignung. Dies kann nicht als strafrechtliche Anklage
im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betrachtet werden. Die Rügen, es handle beim
vorliegenden Sicherungsentzug des Führerausweises um eine Präventivstrafe und
um eine Verletzung der Unschuldsvermutung, gehen fehl.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung
eines angeblich psychisch Behinderten (Art. 8 BV und Art. 14 EMRK) und eine
Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes. Die Vorinstanzen hätten
seinen Fall nicht individuell und als Einzelfall behandelt, sondern zu
unrecht starre Richtlinien angewandt. Er sei im Strassenverkehr während 30
Jahren praktisch nicht auffällig geworden und er besitze nachweislich einen
guten automobilistischen Leumund. Mit Verweis auf Literaturstellen macht er
geltend, von einem schizophrenen Patienten gehe keine erhöhte Gefährdung des
Strassenverkehrs aus. Autofahrer ohne psychiatrische Diagnose mit dem gleich
guten automobilistischen Leumund wie der Beschwerdeführer hätten keinen
sofortigen Sicherungsentzug zu gewärtigen.

4.2 Gemäss dem psychologischen Gutachten der Psychiatrischen Dienste
Graubünden vom 6. März 2006 ist die Fahreignung des Beschwerdeführers aus
Gründen der Aufmerksamkeit und des Charakters zu verneinen. Es handelt sich
demnach um einen Entzug wegen ungenügender Leistungsfähigkeit im Sinne von
Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG. Dieser Entzug beruht auf einer gesetzlichen
Grundlage. Mit dem psychologischen Gutachten wurde die Fahreignung im
Einzelfall abgeklärt. Der Beschwerdeführer hat sich gemäss Angabe im
Gutachten am 5. Januar 2006 einer testpsychologischen Begutachtung von
2 ½ Stunden Dauer unterzogen. Demgegenüber sind die vom Beschwerdeführer
zitierten Literaturmeinungen allgemeiner Natur und nehmen nicht auf den
Einzelfall Bezug. Der Vorwurf, der Beschwerdeführer werde nicht als
Einzelfall behandelt und zu Unrecht als behindert betrachtet bzw. aufgrund
einer angeblichen Behinderung diskriminiert, ist unbegründet.

5.
5.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6
Ziff. 1 EMRK, indem die Vorinstanzen ihm die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung verweigert hätten. Seine Beschwerde sei nicht aussichtslos, da
die Rechtslage unklar sei und amtlich publizierte Entscheide zum
Sicherungsentzug bei angeblich psychotischen Personen fehlten. Zudem hätte
der gemäss den Akten psychisch kranke Beschwerdeführer nicht selbst handeln
können.

5.2 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn
ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer
Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen
Rechtsbeistand. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten
beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S.
135 f.). Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist nicht einschlägig, da die vorliegende
Beschwerde keine zivilrechtliche Streitigkeit oder strafrechtliche Anklage
betrifft (hiervor E. 3).

5.3 Das Kantonsgericht hat einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung im Verfahren vor dem Departement und dem Kantonsgericht wegen
Aussichtslosigkeit verneint. Die Aussichtslosigkeit des Verfahrens gründe auf
dem fundierten und schlüssigen Gutachten vom 6. März 2006. Im
Kantonsgerichtsverfahren wurde der ablehnende Entscheid zusätzlich damit
begründet, dass der Beschwerdeführer seine Einkommens- und
Vermögensverhältnisse nicht dargelegt habe. Nach Ansicht des Kantonsgerichts
hätte der Beschwerdeführer wegen des Gutachtens erkennen müssen, dass das
Verfahren aussichtslos war. Der Befund der fehlenden Fahreignung ist dem
Gutachten deutlich zu entnehmen. Das Kantonsgericht hält die Einwände, die
der Beschwerdeführer gegen das Gutachten vorbringt, für unbegründet. Dieser
legt vor Bundesgericht nicht dar, dass das angefochtene Urteil diesbezüglich
Recht verletzt. Ausgehend von der Zulässigkeit des Gutachtens mit der darin
festgestellten fehlenden Fahreignung ist der Schluss der fehlenden
Erfolgsaussichten verfassungsrechtlich haltbar. Es ist nicht zu beanstanden,
wenn das Kantonsgericht die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
für das kantonale Verfahren ablehnte. Die Rüge ist unbegründet und der Antrag
auf Zusprechung einer Parteientschädigung für die vorinstanzlichen Verfahren
ist abzuweisen.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung kann nicht bewilligt werden, da die Voraussetzungen gemäss
Art. 64 Abs. 1 BGG nicht erfüllt sind. Zum einen erscheint die Beschwerde
aussichtslos. Zum anderen unterbleibt der Nachweis, dass der Beschwerdeführer
nicht über die erforderlichen Mittel zur Prozessführung verfügt. Es ist Sache
des Beschwerdeführers, über sein Vermögen und Einkommen Auskunft zu geben.
Die Behauptung, die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung sei in
einem anderen Verfahren 2006/2005 vom Bezirksgerichtspräsidium Prättigau/
Davos bewilligt worden, reicht nicht aus, da Angaben über die aktuelle
Einkommens- und Vermögenslage fehlen (vgl. BGE 125 IV 161 E. 4a S. 164 f.;
120 Ia 179 E. 3a S. 181 f.). Der Beschwerdeführer hat demnach die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG), und es sind keine
Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons
Graubünden, dem Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden,
dem Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, und dem
Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 18. Januar 2008

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Thönen