Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.199/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_199/2007

Urteil vom 16.April 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Pfäffli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Ulrich,

gegen

Y.________ AG, handelnd durch ihre, statutarischen Organe, vertreten durch
Fürsprecher Andreas Danzeisen,
Z.________ AG, handelnd durch ihre statutarischen Organe, vertreten durch
Fürsprecher
Andreas Maeschi,
Beschwerdegegner,
Einwohnergemeinde Roggwil, vertreten
durch die Baupolizeibehörde, Bahnhofstrasse 8, Postfach, 4914 Roggwil,
Regierungsstatthalteramt Aarwangen, Jurastrasse 22, 4901 Langenthal,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse
11, 3011 Bern.

Gegenstand
Bauabschlag und Wiederherstellung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 6. Juni 2007.

Erwägungen:

1.
Die A.________ AG ist Eigentümerin der Parzelle Roggwil Gbbl. Nr. 2527. Die
Parzelle liegt gemäss der baurechtlichen Grundordnung der Einwohnergemeinde
Roggwil in der Industriezone. Am 14. Juli 2000 erteilte der
Regierungsstatthalter von Aarwangen dem damaligen Eigentümer des Grundstücks,
B.________, die Bewilligung für den Bau eines neuen Industriegebäudes (Mange
2), nachdem die Vorgängerbaute im Jahr 1999 weitgehend abgebrannt war. In der
Folge sah sich die Baupolizeibehörde der Einwohnergemeinde Roggwil veranlasst,
mehrere baupolizeiliche Verfahren durchzuführen.

In deren Gefolge reichte X.________ (Verwaltungsrat der A.________ AG mit
Einzelunterschrift) am 16. März 2004 beim Regierungsstatthalter von Aarwangen
ein nachträgliches Baugesuch ein für einen Aufenthaltsraum (Personal), einen
Ausstellungsraum und ein Büro im Industriegebäude Mange 2 sowie für das
Erstellen eines provisorischen Hochregallagers für 12 Jahre. Am 24. Mai bzw.
16. Juli 2004 reichte er eine Projektänderung ein, welche im Obergeschoss des
Industriegebäudes zusätzlich ein Lager für Autopneus und ein Archiv sowie in
der nordöstlichen Ecke der Parzelle das Aufstellen eines Containers für
brennbare Materialien beinhaltete. Gegen das Bauvorhaben erhoben die Y.________
AG und die Z.________ AG Einsprache. Mit Gesamtbauentscheid vom 31. März 2005
erteilte der Regierungsstatthalter von Aarwangen X.________ die Baubewilligung
für "das Aufstellen eines Containers (Lagerung für brennbare Materialien)" und
"den Umbau des Industriegebäudes Mange 2 (Gebäudeinneres: Garagebetrieb; die
Nutzung als Aufenthaltsraum/ Personal; Ausstellungsraum; Büro; Archiv)". Für
das Erstellen eines provisorischen Hochregallagers und eines Pneulagers
erteilte er den Bauabschlag und ordnete die Wiederherstellung des rechtmässigen
Zustandes an. Die Baubewilligung enthielt im Weiteren namentlich folgende
Auflagen:
"Auflagen der Baubewilligungsbehörde zur Nutzung des Gebäudeinnern als
"Wohnung":
1. Die Nutzung des "Gebäudeinnern" als "Wohnung" wird untersagt. Innert 30
Tagen sind alle widerrechtlichen Utensilien im Obergeschoss/Galerie, die auf
eine "Wohnung/Wohnnutzung" hindeuten (z.Bsp. Bett, Matratzen, Sofa/ Couches,
Wohnmobiliar/Schrank, Kleider) zu entfernen. Die Gemeindebaubehörde Roggwil hat
dies zu kontrollieren und nötigenfalls mittels Ersatzmassnahmen durchzusetzen.
....
Auflagen zum "Zaun" der Baubewilligungsbehörde:

Der Gesamtbauentscheid der unterzeichnenden Amtsstelle vom 14.7.2000 wird
vollumfänglich bestätigt:

"Entlang der Parzellengrenze im südöstlichen Bereich des Grundstückes ist ein
durchgehender Zaun und im Bereich der Zufahrt zum Baugrundstück ein Tor bzw.
ein Zaun durch die Bauherrschaft zu erstellen. Beides ist vor der Realisierung
in den Umgebungsgestaltungsplan zu integrieren und mit den Einsprechern und der
Gemeinde abzusprechen. Allfällige privatrechtliche Vereinbarungen bleiben
vorbehalten. Der Grenzverlauf ist nötigenfalls unter Beizug des Geometers
festzulegen". Die Baupolizeibehörde wird beauftragt, die Realisierung des Zauns
nötigenfalls innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Bauentscheides
durchzusetzen."
Gegen diesen Entscheid reichte X.________ am 1. Mai 2005 Beschwerde bei der
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern ein. Diese hiess die
Beschwerde mit Entscheid vom 28. März 2006 teilweise gut und änderte den
Gesamtbauentscheid des Regierungsstatthalters von Aarwangen teilweise ab. Im
Übrigen wies sie die Beschwerde ab. Dagegen erhob X.________ am 3. Mai 2006
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Urteil vom 6. Juni 2007 abwies.

2.
X.________ führt mit Eingabe vom 9. Juli 2007 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts. Mit Eingaben vom 29. August und 5. Oktober 2007 ersuchte
er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion und die Einwohnergemeinde Roggwil
verzichteten auf die Stellung eines Antrages. Das Verwaltungsgericht, die
Z.________ AG und die Y.________ AG stellten in ihren Vernehmlassungen den
Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Am 16. Juli 2007 hat das Bundesgericht der Beschwerde superprovisorisch
aufschiebende Wirkung zuerkannt.

3.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass ihm die Baubewilligung für das
Hochregallager verweigert wurde.

3.1 Die Industriegebäude Mange 2 auf der Parzelle Nr. 2527 und Mange 1 auf der
Parzelle Nr. 2623 der Y.________ AG waren ursprünglich zusammengebaut. Am 29.
Mai 1996 hat die vormalige Eigentümerin der Parzelle Nr. 2527, die D.________
AG , der Y.________ AG die Parzelle Nr. 2623 verkauft. Die Parteien haben im
Kaufvertrag eine Näherbaurecht zugunsten der Parzelle Nr. 2527 vereinbart und
sich ein gegenseitiges Grenzbaurecht eingeräumt. Nach dem Brand im Jahre 1999
wurden die Gebäude Mange 1 an der Parzellengrenze und Mange 2 in einem Abstand
von 2,20 m wieder aufgebaut. In diesem Zwischenraum hat der Beschwerdeführer
ein Hochregallager erstellt.

3.2 Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts wurden das Näherbaurecht zu Gunsten
der Parzelle Nr. 2527 und das gegenseitige Grenzbaurecht zur Klärung der
Rechtslage und zur Regelung von Unterhalt und Erneuerung der zusammengebauten
Industriegebäude errichtet. Mit dem Abbrennen und dem Wiederaufbau der
Industriegebäude Mange 1 und 2 habe sich die Situation - insbesondere im
Grenzbereich der beiden Parzellen - massgeblich verändert; aus den vereinbarten
Dienstbarkeiten im Kaufvertrag lasse sich schon deshalb für die heutigen, nach
dem Brand errichteten Gebäude nichts (mehr) ableiten. Dazu komme, dass das
Näher- und Grenzbaurecht gemäss Wortlaut im Kaufvertrag vom 29. Mai 1996 dazu
berechtigen, die "bestehenden Bauten auf ihren Fundamenten jederzeit zu
unterhalten, zu erneuern oder im Rahmen der baurechtlichen Grundordnung der
Einwohnergemeinde Roggwil weiter auszubauen" bzw. "im heutigen Zustand auf der
gemeinsamen March zu belassen, zu unterhalten und zu erneuern". Das Recht auf
einen Wiederaufbau oder einen Neubau sei jedoch nicht Inhalt der Abmachung.
Auch handle es sich beim strittigen Hochregallager um eine selbständige Anlage
und entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht um einen Ausbau des
Industriegebäudes Mange 2. Das Bauvorhaben halte die Grenz- und Gebäudeabstände
gemäss Art. 51 des Gemeindebaureglements der Einwohnergemeinde Roggwil nicht
ein. Da eine Zustimmung der Nachbarn für eine Unterschreitung der Grenzabstände
nicht vorliege, sei es nicht zu beanstanden, dass die Bau-, Verkehrs- und
Energiedirektion und vor ihr der Regierungsstatthalter von Aarwangen die
nachgesuchte Baubewilligung für das provisorische Hochregallager verweigert
haben.

3.3 Dem hält der Beschwerdeführer in einer den Begründungsanforderungen von
Art. 42 Abs. 2 BGG genügenden Weise einzig entgegen, dass der Bauabschlag gegen
das Prinzip des öffentlichen Glaubens des Grundbuches verstosse. Aufgrund des
Grundbucheintrages habe er darauf vertrauen dürfen, dass er ein Näher-/
Grenzbaurecht besitze. Diese Rüge erweist sich als unbegründet. Im vorliegenden
Fall enthält der Grundbuchauszug lediglich die Stichworte "Näherbaurecht" bzw.
"Grenzbaurecht". Für die Bestimmung der Dienstbarkeiten musste deshalb - wie es
vorliegend die kantonalen Behörden getan haben - auf den Kaufvertrag
zurückgegriffen werden (vgl. dazu BGE 128 III 169 E. 3).

4.
Als unbegründet - soweit überhaupt den Begründungsanforderungen von Art. 42
Abs. 2 BGG genügend - erweist sich die Beschwerde, soweit sie sich gegen die
bereits im Gesamtbauentscheid vom 14. Juli 2000 verfügte Auflage richtet,
wonach entlang der Grenze zur Parzelle Nr. 1135 ein Zaun und ein Tor zu
erstellen sei. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, können
Baubewilligungen mit Auflagen verbunden werden, wenn die zu bewilligenden
Bauvorhaben je nach ihrer näheren Gestaltung oder Einrichtung oder je nach Art
der Nutzung oder Betriebsführung sowohl gesetzeskonform als auch gesetzwidrig
sein können. Auflagen dienen als Mittel u.a. dazu, gesetzwidrige Auswirkungen
auf ein Nachbargrundstück zu verhindern. Da der Beschwerdeführer nicht
bestreitet, dass seine Kundschaft und Lieferanten zuweilen unkontrolliert auf
der Parzelle Nr. 1135 parkierten, erweist sich die umstrittene Auflage als
zweckmässig, um Störungen des Betriebes auf der benachbarten Parzelle zu
verhindern.

5.
Das Verwaltungsgericht erachtete es als nicht unverhältnismässig, die nicht
zulässige Wohnnutzung mittels der Auflage zu vehindern, wonach der
Beschwerdeführer im Obergeschoss des Industriegebäudes Mange 2
Einrichtungsgegenstände, die auf eine Wohnnutzung hindeuten - namentlich Bett,
Matratzen und grosse Schränke -, zu entfernen habe. Der Beschwerdeführer vermag
nicht darzulegen, inwiefern die entsprechenden Erwägungen des
Verwaltungsgerichts verfassungswidrig sein sollten.

6.
Der Beschwerdeführer bringt vor, das Verwaltungsgericht habe sich bei der
Frage, ob er das Obergerschoss des Industriegebäudes Mange zu Wohnzwecken
nutze, u.a. auf eine Auskunft der Einwohnerkontrolle abgestützt. Diese
Auskunft, von der er keine Kenntnis gehabt habe, sei ihm nicht zur
Vernehmlassung zugestellt worden, was seinen Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt habe.

Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren wies die Y.________ AG in ihrer
Beschwerdeantwort vom 11. Juli 2006 darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer
gemäss Auskunft der Einwohnerkontrolle an das Betreibungsamt nach Roggwil
abgemeldet habe. Das entsprechende Schreiben des Betreibungsamtes vom 14. Juni
2006 war der Beschwerdeantwort als Beilage beigelegt und ging gemäss Verteiler
auch an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers. Mit Verfügung vom 28. Juli
2006 liess ausserdem das Verwaltungsgericht die eingegangenen Vernehmlassungen
- darunter die Beschwerdeantwort der Y.________ AG vom 11. Juli 2006 - dem
Beschwerdeführer zur Kenntnisnahme zugehen. Der Beschwerdeführer hatte somit
Kenntnis davon, dass er gemäss Auskunft der Einwohnerkontrolle nach Roggwil
abgemeldet galt. Er hätte auch genügend Zeit gehabt, sich dazu vor
Verwaltungsgericht zu äussern. Die Rüge erweist sich somit als mutwillig und
ist abzuweisen.

7.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der vorliegenden Beschwerde
kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht entsprochen werden (Art.
64 Abs. 1 BGG). Entsprechend dem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer
die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 GG). Er hat den Beschwerdegegnern eine
angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Der Beschwerdeführer hat die privaten Beschwerdegegner für das
bundesgerichtliche Verfahren mit je Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Roggwil, dem
Regierungsstatthalteramt Aarwangen sowie der Bau-, Verkehrs- und
Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. April 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Pfäffli