Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.170/2007
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1C_170/2007

Urteil vom 20. Februar 2008

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Gerber.

A. X.________,
B.X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Orange Communications SA, Beschwerdegegnerin,
Stadt Zürich, Bausektion des Stadtrates,
c/o Amt für Baubewilligungen, Lindenhofstrasse 19, Postfach, 8021 Zürich.

Baubewilligung für eine Mobilfunkanlage,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 14. März 2007 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich,

1. Abteilung, 1. Kammer.
Sachverhalt:

A.
Am 14. September 2005 bewilligte die Bausektion der Stadt Zürich der Orange
Communications SA eine Änderung der vertikalen Senderichtung der bestehenden
Mobilfunkanlage an der Albisriederstrasse 315 in Zürich-Albisrieden
(Grundstück Kat.-Nr. AR5431).

Gegen diese Bewilligung rekurrierten A.X.________ und B.X.________ gemeinsam
an die Baurekurskommission I des Kantons Zürich. Diese wies den Rekurs am 5.
Oktober 2006 ab.

B.
Gegen den Rekursentscheid erhoben A.X.________ und B.X.________ Beschwerde an
das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess die Beschwerde am 14.
März 2007 im Kostenpunkt teilweise gut und wies sie im Übrigen ab.

C.
Am 15. Juni 2007 erhoben A.X.________ und B.X.________ Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag,
der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Baubewilligung
für die Änderung der vertikalen Senderichtungen, die Erhöhung der
Sendeleistung der bestehenden GSM-Antennen und die Erweiterung auf UMTS sei
nicht zu erteilen.

D.
Die Bausektion der Stadt Zürich beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen,
soweit auf die vorgebrachten Rügen einzutreten sei. Die Orange Communications
SA hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

E.
In einer nachträglichen Eingabe (datiert vom 3. Juli 2007, Postaufgabe am 5.
August 2007) berufen sich die Beschwerdeführer auf einen Entscheid des
Verwaltungsgerichts Zürich, wonach die Orange Communications SA nicht
nachgewiesen habe, dass ihr Qualitätssicherungssystem den Anforderungen des
Bundes genüge, weshalb ihr vorerst keine Baubewilligungen mehr erteilt werden
könnten. Auch aus diesem Grund sei der angefochtene Entscheid aufzuheben.

F.
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) weist in seiner Vernehmlassung darauf hin,
dass die Angaben zum mechanischen und elektrischen Neigungswinkel der
Antennen im Standortdatenblatt nicht den Anforderungen der Vollzugsempfehlung
und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entsprechen. Auf der Basis des
vorliegenden Standortdatenblatts könne die Anlage deshalb nicht bewilligt
werden.

Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, sich zur Vernehmlassung des BAFU
zu äussern.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Liegenschaften in der näheren
Umgebung der streitigen Mobilfunkanlage. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten vorliegen, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.

Nicht einzutreten ist dagegen auf die Beschwerdeanträge, die über den
Streitgegenstand hinausgehen. Gegenstand des kantonalen Verfahrens war die
Baubewilligung vom 14. September 2005, mit der eine Änderung der vertikalen
Senderichtung der bestehenden Mobilfunk-Antennenanlage bewilligt wurde. Nur
diese Änderung ist daher auch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Alle
übrigen, bereits mit Bausektionsbeschluss vom 24. Juli 2002 bewilligten,
Parameter der Anlage können im vorliegenden Verfahren nicht mehr überprüft
werden.

2.
Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, die mögliche schädigende Einwirkung
von Mobilfunkstrahlung, und insbesondere von UMTS-Strahlung, auf Entwicklung
und Gesundheit des Menschen sei noch völlig unbekannt. Bis zum Abschluss des
Nationalen Forschungsprogramms NFP 57 "Nichtionisierende Strahlung - Umwelt
und Gesundheit" dürften keine weiteren Mobilfunkantennen mehr bewilligt
werden, damit das Gefährdungspotenzial nicht noch weiter ansteige. Hierfür
bestehe auch kein Bedarf, da bereits das gesamte Gebiet der Schweiz abgedeckt
sei und es überdies andere, weniger gefährliche Technologien gebe.

Die Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor nichtionisierender
Strahlung (NISV; SR 814.710) legt Immissionsgrenzwerte sowie Anlagegrenzwerte
als vorsorgliche Emissionsbegrenzung für Mobilfunksendeanlagen fest. Diese
Regelung ist abschliessend (BGE 126 II 399 E. 3c S. 403 f.), weshalb die
kantonalen Behörden nicht berechtigt sind, strengere Anforderungen zu stellen
oder gar den weiteren Ausbau von Mobilfunknetzen vorsorglich zu verbieten.

Die Anlage- und Immissionsgrenzwerte der NISV hat das Bundesgericht bisher
stets als gesetzes- und verfassungskonform beurteilt (vgl. dazu den -
ebenfalls die Beschwerdeführer betreffenden - Entscheid 1A.116/2005 vom 31.
Mai 2006 E. 6 mit Hinweisen). Auch neuere Forschungen haben keine Evidenz für
gesundheitliche Wirkungen von Hochfrequenzstrahlung im Niedrigdosisbereich
durch Mobilfunkbasisstationen ergeben (vgl. BAFU [Hrsg.], Hochfrequente
Strahlung und Gesundheit; Bewertung von wissenschaftlichen Studien im
Niedrigdosisbereich; 2. aktualisierte Aufl. 2007, S. 10 ff.). Zwar ist die
wissenschaftliche Datenlage für die Beurteilung der Gesundheitsgefährdung der
Bevölkerung durch hochfrequente Strahlung im Niedrigdosisbereich, namentlich
durch Mobilfunkbasisstationen, noch immer sehr lückenhaft, weshalb
Forschungsprogramme wie das NPF 57 besonders wichtig sind. Dagegen
rechtfertigen es die bestehenden Wissenslücken nicht, die Grenzwerte der NISV
als rechtswidrig zu beurteilen und den weiteren Bau von Mobilfunkantennen zu
verbieten.

3.
Zu prüfen sind noch die vom BAFU aufgeworfenen Rechtsfragen.

3.1 Das Bundesgericht wendet das Bundesverwaltungsrecht von Amtes wegen an
(Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden: Es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder
eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen.

In der Regel beschränkt sich das Bundesgericht allerdings auf die Prüfung der
geltend gemachten Rüge. Es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche
Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese
vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.1
S. 254 mit Hinweisen). Es kann jedoch, im Interesse der einheitlichen und
richtigen Anwendung des Bundesverwaltungsrechts, eine Rechtsfrage von Amtes
wegen überprüfen (vgl. BGE 133 II 331 E. 3.3 S. 335). Anlass hierzu besteht
regelmässig, wenn das kantonale Gericht von der Rechtsprechung des
Bundesgerichts abgewichen ist, oder wenn eine beschwerdeberechtigte
Bundesbehörde in ihrer Vernehmlassung die Verletzung von Bundesrecht geltend
macht (zur vergleichbaren Rechtslage nach Art. 114 Abs. 1 OG vgl. Urteile
1A.118/2005 vom 12. Dezember 2005 E. 3, publ. in URP 2006 S. 180; 1A.116/2005
vom 31. Mai 2006 E. 3; 1A.120/2005 vom 31. Mai 2006 E. 3).

3.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der im
Standortdatenblatt beantragte gesamte Neigungswinkelbereich, wie in der
Vollzugsempfehlung des BAFU (Ziff. 3.4 S. 36) vorgesehen, verbindlich in
einen mechanischen und einen elektrischen Teil aufgeschlüsselt werden. Die
frühere Praxis der Bausektion Zürich, einen Gesamtwinkelbereich zu
bewilligen, innerhalb dessen die Anlagebetreiberin elektrische und
mechanische Neigung beliebig kombinieren kann, hielt das Bundesgericht für
bundesrechtswidrig, weil sie die nach Art. 12 NISV verlangte Kontrolle der
Emissionsbegrenzungen durch die Vollzugsbehörde erschwere (vgl. Urteile
1A.116/2005 und 1A.120/2005 vom 31. Mai 2006 E. 4.3; 1A.57/2006 vom 6.
September 2006 E. 3).

3.3 Die Bausektion der Stadt Zürich wie auch das Verwaltungsgericht gehen
davon aus, diese Rechtsprechung sei durch die Inbetriebnahme der
Qualitätssicherungssysteme der Mobilfunkbetreiber überholt: In der Datenbank
des Qualitätssicherungssystems, in welche die Vollzugsbehörden
uneingeschränkte Einsicht haben, müssten stets sowohl die mechanischen als
auch die ferngesteuerten Einstellungen enthalten sein. Die Betreiber der
Anlage müssten daher die eingestellten mechanischen und ferngesteuerten
Winkelbereiche in ihre Qualitätssicherungs-Datenbank eintragen, aus der auch
der bewilligte gesamte Winkelbereich hervorgehen müsse. Damit sei die vom
Bundesgericht geforderte Kontrollmöglichkeit gewährleistet, und zusätzliche
Auflagen in der Baubewilligung seien nicht erforderlich.

3.4 Diese Auffassung überrascht insofern, als das Bundesgericht in den
erwähnten Entscheiden die - damals kurz bevorstehende - Inbetriebnahme der
Qualitätssicherungssysteme durchaus berücksichtigt hatte. Das BAFU hatte
damals ausgeführt, dass auf die unabhängige Festlegung des elektrischen und
des mechanischen Winkelbereichs auch nach Implementierung der
Qualitätssicherungssysteme nicht verzichtet werden könne: Auch unter diesem
Kontrollregime seien unabhängige Kontrollen durch die Vollzugsbehörde
notwendig. Der mechanische Neigungswinkel sei einer der wenigen Parameter,
den die Vollzugsbehörde ohne Kenntnis des Netzbetreibers kontrollieren könne.
Damit sie diese Kontrollmöglichkeit nicht verliere, sei sie darauf
angewiesen, dass der Bereich für den mechanischen Neigungswinkel ausdrücklich
in der Bewilligung fixiert sei.

Es erscheint sinnvoll, diese Kontrollmöglichkeit neben derjenigen durch die
Qualitätssicherungssysteme der Betreiber beizubehalten, jedenfalls solange
sich diese noch in der Erprobungsphase befinden. Es dient überdies der
Rechtssicherheit und der Vertrauensbildung, wenn technische Daten, die für
die Immissionen der Anlage wichtig sind, nicht erst nachträglich in einer
Datenbank des Mobilfunkbetreibers festgelegt, sondern bereits im
Standortdatenblatt ausgewiesen werden, das der Baubewilligung zugrunde liegt
und von den betroffenen Anwohnern eingesehen werden kann. Die
Beschwerdegegnerin hat denn auch nicht dargelegt, welche praktischen
Nachteile die bundesgerichtliche Praxis für sie habe bzw. weshalb es ihr
nicht zuzumuten sei, die Aufteilung zwischen mechanisch und elektrisch
verstellbaren Neigungswinkel verbindlich im Standortdatenblatt anzugeben.

3.5 Nach dem Gesagten besteht kein Grund, auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung zurückzukommen, wonach bereits in der Baubewilligung eine
verbindliche Aufteilung des gesamten bewilligten Winkelbereichs in einen
mechanisch und einen elektrisch verstellbaren Teil vorgenommen werden muss.
Insofern rechtfertigt es sich, die Sache zur Ergänzung der Baubewilligung an
die Bausektion der Stadt Zürich zurückzuweisen.

4.
Die Beschwerdeführer machen erstmals vor Bundesgericht geltend, der
Beschwerdegegnerin dürfe keine Baubewilligung erteilt werden, weil diese
nicht nachgewiesen habe, dass ihr Qualitätssicherungssystem den
bundesrechtlichen Anforderungen genüge. Diese Rüge wurde allerdings nach
Ablauf der Beschwerdefrist und damit verspätet erhoben. Wie im Folgenden
darzulegen sein wird, besteht auch keine Veranlassung, diese Frage von Amtes
wegen zu überprüfen.

Die Beschwerdeführer beziehen sich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts
Zürich vom 20. Juni 2007. Darin wurde das Qualitätssicherungssystem der
Beschwerdegegnerin nicht inhaltlich überprüft; vielmehr bemängelte das
Verwaltungsgericht, dass der eingereichte Auditierungsbericht nicht von einer
akkreditierten Prüfstelle verfasst und nicht als ISO-Zertifizierung
ausgestaltet worden sei. Gegen diesen Entscheid ist eine Beschwerde vor
Bundesgericht hängig.
Bereits am 30. August 2007 wurde das Qualitätssicherungssystem der
Beschwerdegegnerin erneut auditiert und von der hierfür akkreditierten
Société Générale de Surveillance SA (SGS) gemäss ISO 9001:2000 zertifiziert
(das Zertifikat ist auf der Internetseite des BAFU einsehbar). Die SGS hatte
zuvor bereits die Qualitätssicherungssysteme der Swisscom und der TDC
Switzerland AG (Sunrise) zertifiziert. Allfällige Mängel der ersten
Auditierung sind somit behoben und können zum heutigen Zeitpunkt keine
Aufhebung der Baubewilligung mehr rechtfertigen.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde in einem Nebenpunkt gutzuheissen. Die
Sache ist zur Ergänzung der Baubewilligung im Sinne der Erwägungen an die
Bausektion zurückzuweisen; insoweit ist der angefochtene Entscheid
aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.

Da die Beschwerdeführer im Wesentlichen unterliegen, tragen sie die
Gerichtskosten (Art. 65 f. BGG); es besteht auch kein Grund, die kantonale
Kostenverlegung abzuändern. Die Beschwerdegegnerin hat sich nicht vernehmen
lassen und hat schon aus diesem Grund keinen Anspruch auf eine
Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Sache zur Ergänzung der
Baubewilligung im Sinne der Erwägungen an die Bausektion der Stadt Zürich
zurückgewiesen; insoweit wird der angefochtene Entscheid aufgehoben. Im
Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden
kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Stadt Zürich, Bausektion des Stadtrates,
dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, und dem
Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Februar 2008

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Aemisegger Gerber