Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.155/2007
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1C_155/2007 /fun

Urteil vom 13. September 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard
Oberholzer,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau,
Moosweg 7a, Postfach, 8501 Frauenfeld,
Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau, Löwenstrasse
12, 8280 Kreuzlingen.

Sicherungsentzug; aufschiebende Wirkung,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Entscheid der
Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau
vom 4. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 2. März 2007 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons
Thurgau X.________ den Führerausweis mit Wirkung ab dem 9. Juni 2006 auf
unbestimmte Zeit. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, Abklärungen
beim Institut für Rechtsmedizin in St. Gallen hätten ergeben, dass die
Fahreignung von X.________ wegen eines verkehrsrelevanten schädlichen
Gebrauchs von Alkohol mit Suchtgefährdung nicht positiv beurteilt werden
könne. Eine Wiedererteilung des Führerausweises könne nur mit dem Nachweis
einer mindestens 6-monatigen, ärztlich kontrollierten und fachtherapeutisch
begleiteten Alkoholabstinenz mit einer verkehrsmedizinischen
Kontrolluntersuchung geprüft werden. Im Interesse der übrigen
Verkehrsteilnehmer werde einem allfälligen Rekurs gegen diese Verfügung die
aufschiebende Wirkung entzogen.

Am 30. März 2007 erhob X.________ dagegen Rekurs bei der Rekurskommission für
Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau. Er beantragte, die Verfügung des
Strassenverkehrsamtes sei aufzuheben; dem Rekurrenten sei der Führerausweis
unverzüglich zurückzuerstatten; ebenso die Kosten des verkehrsmedizinischen
Gutachtens; dem Rekurs sei aufschiebende Wirkung zu gewähren.

Mit Zwischenentscheid vom 4. Mai 2007 wies die Rekurskommission das Gesuch um
Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab.

B.
X.________ führt beim Bundesgericht "Beschwerde" mit dem Antrag, der
Zwischenentscheid der Rekurskommission sei aufzuheben; dem Rekurs an die
Rekurskommission sei aufschiebende Wirkung zu erteilen; eventualiter sei die
Rekurskommission anzuweisen, dem Rekurs aufschiebende Wirkung zu erteilen;
das Strassenverkehrsamt sei anzuweisen, dem Beschwerdeführer den
Führerausweis unverzüglich zurückzuerstatten.

C.
Die Rekurskommission hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde
abzuweisen.

Das Strassenverkehrsamt hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat eine Vernehmlassung eingereicht. Es
beantragt, dem Rekurs an die Rekurskommission sei die aufschiebende Wirkung
unter Auflagen zu gewähren. Der Führerausweis sei dem Beschwerdeführer unter
der Auflage einer ärztlich kontrollierten Alkoholabstinenz gestützt auf Art.
56 VwVG bis zum Entscheid in der Hauptsache wiederzuerteilen.

D.
Das Strassenverkehrsamt hat zur Vernehmlassung des ASTRA Stellung genommen.
Es legt dar, das ASTRA habe in seiner Interpretation des
verkehrsmedizinischen Gutachtens vom 29. November 2006 wichtige Punkte ausser
Acht gelassen. Die Gewährung der aufschiebenden Wirkung mit Auflagen sei in
sich widersprüchlich, werde doch damit eine Alkoholproblematik zumindest
nicht ausgeschlossen. Das Strassenverkehrsamt legte seinen Bemerkungen eine
neue verkehrsmedizinische Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin des
Kantonsspitals St. Gallen vom 10. August 2007 zum vorliegenden Fall bei.

X. ________ hat zur Vernehmlassung des ASTRA ebenfalls Stellung genommen. Er
hält dafür, die aufschiebende Wirkung des Rekurses sei ohne Auflage zu
gewähren.

E.
Die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit, zur Stellungnahme des
Strassenverkehrsamtes und zur neuen verkehrsmedizinischen Stellungnahme vom
10. August 2007 Bemerkungen einzureichen.

Die Rekurskommission hat auf weitere Bemerkungen verzichtet.

Das ASTRA hat zur Stellungnahme des Strassenverkehrsamtes Bemerkungen
eingereicht. Es hält an seinem in der Vernehmlassung gestellten Antrag und
der dazugehörigen Begründung fest.

X. ________ hat zur Stellungnahme des Strassenverkehrsamtes ebenfalls
Bemerkungen eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen
Rechts. Dagegen ist nach Art. 82 lit. a BGG die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (vgl. Urteil 1C_50/2007 vom
30. Mai 2007 E. 3).
Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren betreffend den
Führerausweisentzug nicht ab. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid. Die
Beschwerde ist gemäss Art. 93 BGG somit nur zulässig, wenn der angefochtene
Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1
lit. a).

Dem Beschwerdeführer ist der Führerausweis seit dem 9. Juni 2006 entzogen. Er
macht geltend, er sei aus beruflichen Gründen auf den Führerausweis
angewiesen. Er wohne in der Nähe von Frauenfeld und arbeite in Y.________ bei
St. Gallen. Da er dort um 06.00 Uhr zur Arbeit erscheinen müsse, könne er den
Arbeitsplatz mit dem öffentlichen Verkehrsmittel nicht rechtzeitig erreichen.
Er sei daher seit dem Führerausweisentzug gezwungen, ein Zimmer in St. Gallen
zu mieten.

Vieles spricht dafür, dass unter den gegebenen Umständen ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bejahen
ist. Die Frage kann jedoch offen bleiben. Wäre die Beschwerde zu behandeln,
wäre sie aus folgenden Erwägungen jedenfalls unbehelflich.

1.2 Gemäss Art. 98 BGG kann mit der Beschwerde gegen Entscheide über
vorsorgliche Massnahmen nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt
werden.

Entscheide über die aufschiebende Wirkung stellen solche über vorsorgliche
Massnahmen nach Art. 98 BGG dar (Urteil 9C_191/2007 vom 8. Mai 2007;
Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl
2001, S. 4336; Hansjörg Seiler/Nicolas von Werdt/Andreas Güngerich,
Handkommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, Art. 98 N. 7; vgl. auch
Art. 46 Abs. 2 BGG: "... aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche
Massnahmen ..."). Der Beschwerdeführer kann somit nur die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte rügen.

Nach Art. 106 Abs. 2 BGG prüft das Bundesgericht die Verletzung von
Grundrechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist. Der Beschwerdeführer muss - entsprechend den
altrechtlichen Begründungsanforderungen bei der staatsrechtlichen Beschwerde
nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG - klar und detailliert anhand der Erwägungen
des angefochtenen Entscheids darlegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte
verletzt worden sein sollen (BGE 133 III 393 E. 6 S. 397, mit Hinweisen).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer beruft sich nur an einer einzigen Stelle in der
Beschwerde (S. 9 f. Ziff. 2.1 f.) auf eine Verletzung seiner
verfassungsmässigen Rechte. Er bringt vor, Art. 16 SVG, welcher neu den
Entzug des Führerausweises regle, kenne die Unterteilung in Sicherungs- und
Warnungsentzüge nicht mehr. Entsprechend gehe es nicht an, wenn die
Vorinstanz zur Begründung, weshalb sie dem Rekurs die aufschiebende Wirkung
verweigere, auf den für das alte Strassenverkehrsrecht aufgestellten
Grundsatz "Warnung = Suspensivwirkung, Sicherung = keine Suspensivwirkung"
abstelle. Wenn die Vorinstanz gestützt auf die unter der Ägide des alten
Strassenverkehrsrechts entwickelten Grundsätze ausführe, dem Rekurs könne nur
dann aufschiebende Wirkung erteilt werden, wenn die Voraussetzung für einen
Sicherungsentzug mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht gegeben sei, statt dass
sie prüfe, ob im vorliegenden Fall unter Geltung des neuen
Strassenverkehrsrechts konkret die Voraussetzungen für den Entzug der
aufschiebenden Wirkung durch das Strassenverkehrsamt gegeben seien, verfalle
sie in Willkür und verletze Art. 9 BV.

2.2 Es kann offen bleiben, ob die Rüge den Begründungsanforderungen von Art.
106 Abs. 2 BGG genügt. Sie ist jedenfalls unbegründet.

Nach der Rechtsprechung wird einer Beschwerde gegen einen Warnungsentzug die
aufschiebende Wirkung in der Regel erteilt. Der Beschwerde gegen einen
Sicherungsentzug ist die aufschiebende Wirkung dagegen, vorbehältlich
besonderer Umstände, zu verweigern (BGE 122 II 359 E. 3a S. 364; 106 Ib 115
E. 2b S. 117; René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen
Strassenverkehrsrechts, Bd. III, Die Administrativmassnahmen, Bern 1995, S.
484 f. N. 2758).

Die Bestimmungen über den Führerausweisentzug (Art. 16 ff. SVG) sind mit
Bundesgesetz vom 14. Dezember 2001, in Kraft seit 1. Januar 2005, geändert
worden. Zwar sind die Begriffe "Warnungsentzug" und "Sicherungsentzug" in
Art. 16 ff. SVG nicht ausdrücklich enthalten. In der Sache ist die
Unterscheidung jedoch beibehalten worden. Art. 16d SVG bildet die Grundlage
für den Sicherungsentzug wegen fehlender Fahreignung und wiederspiegelt den
neu formulierten Art. 14 Abs. 2 SVG. Die Art. 16a-c SVG regeln den
Warnungsentzug (Botschaft vom 31. März 1999 zur Änderung des
Strassenverkehrsgesetzes, BBl 1999 IV, S. 4491; René Schaffhauser, Die neuen
Administrativmassnahmen des Strassenverkehrsgesetzes, Jahrbuch zum
Strassenverkehrsrecht 2003, S. 175 N. 29).

Besteht der Unterschied zwischen Warnungs- und Sicherungsentzug weiterhin,
ist die dargelegte Rechtsprechung, welche im Zusammenhang mit der
aufschiebenden Wirkung zwischen den beiden Arten unterscheidet, nach wie vor
massgeblich. Damit ist es offensichtlich nicht willkürlich, wenn sich die
Vorinstanz auf die genannte Rechtsprechung gestützt hat.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt und der
Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau sowie dem
Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 13. September 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: