Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.90/2007
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2007
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2007


1B_90/2007 /fun

Urteil vom 7. Juni 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Hug,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach 1233, 8026 Zürich.

Verweigerung des vorzeitigen Strafantritts,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, Gewaltdelikte, vom 27. April 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wird vorgeworfen, er habe am 6. Dezember 2005 die schwangere
Y.________ in einem Waldstück bei Fehraltdorf ZH mit einem ca. 10 cm dicken
Rundholz erschlagen und die Leiche am 7. Dezember 2005 in der
Kehrichtverwertung Zürich Oberland (KEZO) verbrannt. Der Sachverhalt wird vom
Beschuldigten grundsätzlich nicht bestritten. Umstritten ist die rechtliche
Würdigung durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, welche das
Verhalten als Mord (Art. 112 StGB), Schwangerschaftsabbruch (Art. 118 StGB)
und Störung des Totenfriedens (Art. 262 StGB) qualifiziert.

Im Anschluss an die Schlusseinvernahme vom 26. April 2007 stellte der
Angeschuldigte den Antrag, ihm sei der vorzeitige Strafantritt zu gewähren.
Die Staatsanwaltschaft lehnte dieses Begehren mit Verfügung vom 27. April
2007 ab. Sie führte aus, das Strafverfahren stehe kurz vor dem Abschluss,
doch stehe noch nicht fest, in welchem Umfang Anklage erhoben werde. Da die
Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei, könnten sich weitere
Beweiserhebungen nach wie vor aufdrängen. Im Falle eines
Geschworenenprozesses wären wegen des Unmittelbarkeitsprinzips sämtliche
Beweise nochmals zu erheben. Zudem bestünden die bisherigen Haftgründe,
insbesondere Kollusionsgefahr, unverändert weiter.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 21. Mai 2007 beantragt
X.________ im Wesentlichen, die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27.
April 2007 sei aufzuheben und ihm sei sofort der vorzeitige Strafantritt zu
gewähren.

Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Mit Eingabe
vom 4. Juni 2007 hat sich X.________ zur Vernehmlassung der
Staatsanwaltschaft geäussert. Er hält an seinen Anträgen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Somit kann grundsätzlich jeder Entscheid, der die Verfolgung
oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf Bundesrecht oder
auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in Strafsachen angefochten
werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 4313). Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer hat vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse
an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Er ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG
zur Beschwerde befugt. Da das Bundesgericht nach Art. 107 Abs. 2 BGG bei
Gutheissung der Beschwerde in der Sache selbst entscheiden kann, ist der
Antrag auf sofortige Gewährung des vorzeitigen Strafantritts zulässig. Auf
die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist einzutreten.

2.
Bei der vorliegenden Beschwerdesache handelt es sich nicht um einen
Haftprüfungsfall im Sinne von Art. 31 Abs. 4 BV. Der Beschwerdeführer
beantragt nicht, er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft in die
Freiheit zu entlassen. Vielmehr stellt er den Antrag, der Freiheitsentzug sei
zwar faktisch weiterzuführen, die Untersuchungshaft sei jedoch aufzuheben und
es sei ihm stattdessen der vorzeitige Antritt einer Freiheitsstrafe (im
ordentlichen Strafvollzug) zu ermöglichen.

2.1 Untersuchungs- oder Sicherheitshaft kann in vorzeitigen Straf- und
Massnahmenvollzug umgewandelt werden, wenn die richterliche Anordnung einer
unbedingten Strafe oder einer sichernden Massnahme zu erwarten ist und der
Zweck des Strafverfahrens nicht gefährdet wird (§ 71a Abs. 3 der kantonalen
Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH]). Für alle strafprozessualen
Häftlinge (inklusive Gefangene im vorzeitigen Straf- und Massnahmenvollzug)
gilt die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV). Ausserdem können sie sich
auf die einschlägigen Verfahrensgarantien von Art. 31 BV berufen (BGE 126 I
172 E. 3a S. 174; 123 I 221 E. II/3f/aa S. 239, je mit Hinweisen).

Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts
Kollusionsgefahr vor, steht einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft
unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit von Art. 10 Abs. 2 BV
grundsätzlich nichts entgegen. Es ist diesfalls auch nicht verfassungswidrig,
ein Gesuch des Untersuchungsgefangenen um vorzeitigen Strafantritt und damit
um Überführung in den Strafvollzug abzuweisen, da in den Vollzugsanstalten
nicht gewährleistet werden kann, dass die Kollusionsgefahr wirkungsvoll
gebannt wird (Urteil des Bundesgerichts 1P.724/2003 vom 16. Dezember 2003).
Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr
soll verhindern, dass der Angeschuldigte die wahrheitsgetreue Abklärung des
Sachverhalts vereitelt oder gefährdet. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtes genügt indessen die theoretische Möglichkeit, dass der
Angeschuldigte kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft unter
diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die
Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 123 I 31 E. 3c S. 35; 117 Ia
257 E. 4c S. 261).

2.2 Das Vorliegen des dringenden Tatverdachts ist vorliegend unbestritten.
Der Beschwerdeführer führt aus, es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern
Kollusionsgefahr bestehe, da es gar keine Zeugen gebe, die das Tatgeschehen
hätten mitverfolgen können. Dem Beschuldigten könne nicht einmal ansatzweise
vorgeworfen werden, er habe versucht, Zeugen zu beeinflussen. Auch sei nicht
ersichtlich, welche zusätzlichen Untersuchungshandlungen sich noch aufdrängen
könnten.

Die Staatsanwaltschaft führt zur Kritik des Beschwerdeführers aus, die
Beweisführung stütze sich in der vorliegenden Angelegenheit nicht nur auf die
Angaben des Beschuldigten, sondern auch auf die Aussagen von Drittpersonen,
insbesondere auf Aussagen einer ehemaligen Freundin und deren Vater, denen
der Beschwerdeführer von der Tat berichtet habe. Er habe intensiven
brieflichen Kontakt gepflegt mit der ehemaligen Freundin und weiteren
nahestehenden Personen, die auch als Zeugen aufgetreten seien, und er sei
immer darauf bedacht gewesen, dass diese Verständnis für seine Tat und seine
Lage aufbrächten. Es bestünden somit sehr wohl konkrete Indizien für eine
grosse Beeinflussungsgefahr. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der
Angeschuldigte gerade mit dem beinahe vollständigen Verbrennen der Leiche
eine Rekonstruktion der genaueren Tatumstände verunmöglicht habe. Seine
Angaben zum Tatgeschehen überzeugten nicht durchwegs, und gewisse wesentliche
Angaben von Zeugen würden vom Beschwerdeführer bestritten. Unzutreffend sei
seine Auffassung, das Beweisergebnis könne nicht verfälscht werden, da sich
die Kontaktmöglichkeiten im vorzeitigen Strafvollzug nur sehr erschwert
einschränken und kontrollieren liessen.

2.3 Die hier wiedergegebenen Ausführungen der Staatsanwaltschaft sind nicht
zu beanstanden. Das Vorliegen und Weiterbestehen von Kollusionsgefahr wurde
im Untersuchungsverfahren im Zusammenhang mit den zahlreichen Anträgen der
Staatsanwaltschaft um Verlängerung der Untersuchungshaft wiederholt bejaht.
Die Begründung hierfür stimmt mit den von der Staatsanwaltschaft im
vorliegenden Beschwerdeverfahren angeführten Gründen überein. Nach den Akten
ist somit die Gefahr der Beeinflussung von Zeugen nicht von der Hand zu
weisen. Auch ist nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft davon
ausgeht, im vorzeitigen Strafvollzug sei nicht gewährleistet, dass die
Kollusionsgefahr wirkungsvoll gebannt werde. Zwar kann die
Strafverfolgungsbehörde nach § 20 Abs. 2 der kantonalen
Justizvollzugsverordnung vom 6. Dezember 2006 bei vorzeitigem Strafantritt
einschränkende Anordnungen treffen. Indessen kann auch mit der vom
Beschwerdeführer genannten Anordnung eines Kontaktverbots mit bestimmten
Personen nicht gewährleistet werden, dass der Beschwerdeführer im vorzeitigen
Strafvollzug Kollusionshandlungen unterlassen würde. Hinzu kommt, dass der
Beschwerdeführer offenbar wichtige Tatspuren mit der Verbrennung der Leiche
beseitigen wollte. Zur möglichst umfassenden Aufklärung der Straftat und
ihrer Hintergründe sind somit die unbeeinflussten Zeugenaussagen trotz des
Geständnisses des Angeschuldigten sehr wichtig. Der angefochtene Entscheid
erlaubt in verfassungsrechtlich haltbarer Weise, eine Gefährdung des Zwecks
des Strafverfahrens zu vermeiden. Der Vorwurf, die Verweigerung des
vorzeitigen Strafantritts sei unverhältnismässig, wird zu Unrecht erhoben.
Die vorliegende Beschwerde ist deshalb abzuweisen, ohne dass auf die
zusätzliche Kritik des Beschwerdeführers am angefochtenen Entscheid weiter
eingegangen werden müsste.

3.
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Die
Mittellosigkeit des Beschwerdeführers kann bejaht werden, und die Beschwerde
erscheint nicht als von vornherein aussichtslos. Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG wird deshalb bewilligt. Es
sind keine Gerichtskosten zu erheben und dem Vertreter des Beschwerdeführers
ist eine Entschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. Markus Hug, wird aus
der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, Gewaltdelikte, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Juni 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: