Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.8/2007
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{T 0/2}
1B_8/2007 /ggs

Urteil vom 28. Februar 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Roman Weber,

gegen

Verhöramt des Kantons Schwyz, Sicherheitsstützpunkt Biberbrugg, Postfach 74,
8836 Bennau,
Kantonsgerichtspräsident des Kantons Schwyz, Kollegiumstrasse 28, Postfach
2265, 6431 Schwyz.

Untersuchungshaft,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten
des Kantons Schwyz vom

5. Januar 2007.
Sachverhalt:

A.
Die Kantonspolizei Schwyz verhaftete X.________ am 2. Januar 2007 wegen des
Verdachts, Einbruchdiebstähle begangen zu haben. In der
untersuchungsrichterlichen Einvernahme vom 3. Januar 2007 gab er zu, zusammen
mit einem Komplizen einen Einbruchdiebstahl in ein Jeans-Geschäft in Brunnen
ausgeführt zu haben. Daraufhin eröffnete ihm der Untersuchungsrichter
mündlich, er nehme ihn wegen Kollusions- und Fortsetzungsgefahr in
Untersuchungshaft. X.________ verzichtete auf eine schriftliche und
begründete Verfügung, wünschte hingegen eine Überprüfung der
Untersuchungshaft durch den Kantonsgerichtspräsidenten.

Am 4. Januar 2007 überwies der Untersuchungsrichter die Akten dem
Kantonsgerichtspräsidenten mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen und die
Untersuchungshaft aufrechtzuerhalten. X.________ beantragte, die
Untersuchungshaft aufzuheben und ihn unverzüglich in die Freiheit zu
entlassen. Eventuell sei er unter Auflagen oder Bedingungen zu entlassen.

In seiner Verfügung vom 5. Januar 2007 erwog der Kantonsgerichtspräsident,
der dringende Tatverdacht sei in Bezug auf den zugestandenen Einbruch in das
Jeans-Geschäft und weitere, bereits während einer früheren Inhaftierung
gestandene Einbrüche gegeben. Kollusionsgefahr sei nicht anzunehmen, hingegen
sei die Rückfallprognose äusserst ungünstig, weshalb Fortsetzungsgefahr
bestehe. Damit sei dem Antrag des Untersuchungsrichters - dieser sei nach den
Weisungen vom 23. Mai 2006 (GG 2006 2; www.kgsz.ch) nicht befugt gewesen,
selber Untersuchungshaft anzuordnen - stattzugeben und die Untersuchungshaft
zu bestätigen.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 5. Februar 2007 beantragt X.________:
"1.Es sei festzustellen, dass die Verfügung GP 2007 3 des
Kantonsgerichtspräsidenten des Kantons Schwyz vom 5. Januar 2007 nichtig ist
und der Beschwerdeführer sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

2. Eventualiter sei die Verfügung GP 2007 3 des Kantonsgerichtspräsidenten
des Kantons Schwyz vom 5. Januar 2007 aufzuheben und der Beschwerdeführer sei
unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

3. Subeventualiter sei der Beschwerdeführer aufgrund der Verletzung des
kantonalen schwyzerischen Rechts durch Weisungen des Kantonsgerichts Schwyz
vom 23. Mai 2006 umgehend aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

4. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der
Beschwerdegegnerin."

C.
Der Untersuchungsrichter beantragt in seiner Vernehmlassung, "es sei
festzustellen, dass die Untersuchungshaft durch die Untersuchungsbehörde
rechtskonform angeordnet und die dagegen erhobene Beschwerde durch die
Rechtsmittelinstanz mit der Gutheissung des Haftantrages und Bestätigung der
Untersuchungshaft (Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten vom 5.1.2007) zu
Recht abgewiesen worden ist". Soweit X.________ seine unverzügliche
Haftentlassung verlange, sei die Beschwerde abzuweisen. Der
Kantonsgerichtspräsident beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

X. ________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verteidigung und hält
in seiner Replik an der Beschwerde vollumfänglich fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid ist nach dem 1. Januar 2007 und damit nach dem
Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ergangen, womit sich seine Anfechtung nach dessen Bestimmungen richtet (Art.
132 Abs. 1 BGG). Es handelt sich um einen Entscheid in Strafsachen im Sinne
von Art. 78 Abs. 1 BGG, gegen den die Beschwerde ans Bundesgericht zulässig
ist (vgl. die Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001, S. 4313). Der angefochtene Entscheid ist
kantonal letztinstanzlich (Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG). Mit dem
angefochtenen Entscheid wurde die Untersuchungshaft gegen den
Beschwerdeführer verfügt bzw. aufrechterhalten. Er ist damit befugt, ihn
anzufechten (Art. 81 Abs. 1 BGG). Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde
allerdings insoweit, als der Beschwerdeführer die Verletzung von kantonalem
Gesetzesrecht geltend macht, was nicht zulässig ist (Art. 95 BGG e
contrario). Da nach Art. 107 Abs. 2 BGG das Bundesgericht bei Gutheissung der
Beschwerde in der Sache selbst entscheiden kann, ist der Antrag auf
Haftentlassung zulässig.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, die angefochtene Verfügung des
Kantonsgerichtspräsidenten sei nichtig. Dazu ist er befugt. Die Nichtigkeit
eines Entscheids ist jederzeit und von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden
von Amtes wegen zu beachten; sie kann auch im Rechtsmittelverfahren geltend
gemacht werden (BGE 129 I 361 E. 2; 127 II 32 E. 3g S. 48).

2.2 Fehlerhafte Entscheide sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung
nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er
offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die
Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet
wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur
Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche
Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in
Betracht (BGE 129 I 361 E. 2.1 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

2.3 Nach § 27 Abs. 1 der Schwyzer Strafprozessordnung vom 28. August 1974
(StPO) ist vor der Anklageerhebung der Untersuchungsrichter zuständig für die
Anordnung von Untersuchungshaft. Der Kantonsgerichtspräsident hat nach § 28
Abs. 1 StPO über Haftbeschwerden gegen die untersuchungsrichterliche
Haftanordnung zu befinden.

In seinen Weisungen vom 23. Mai 2006 hat das Kantonsgericht indessen erwogen,
der schwyzerische Untersuchungsrichter übe auch Anklagefunktionen aus,
weshalb er nach der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 31 Abs.
3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK für die Anordnung von Untersuchungshaft
grundsätzlich ausser Betracht falle. Es hat die Weisung erteilt, dass die
Untersuchungsrichter Haftentscheide nur noch mit schriftlicher Einwilligung
der inhaftierten Partei erlassen dürfen. Verzichte die inhaftierte Partei
nicht auf eine unverzügliche Vorführung vor eine richterliche Behörde, so sei
diese Erklärung als direkte Haftbeschwerde nach § 28 StPO entgegenzunehmen.
Der Untersuchungsrichter habe diesfalls nicht selber über die Haft zu
entscheiden, sondern einen Antrag auf deren Aufrechthaltung an den
Kantonsgerichtspräsidenten zu stellen.

Nach der Auffassung des Beschwerdeführers ist das Kantonsgericht indessen
nicht befugt, mit dem Erlass derartiger Weisungen die gesetzliche
Zuständigkeitsordnung abzuändern. Der angefochtene Entscheid, mit welchem der
Kantonsgerichtspräsident gestützt auf diese Weisungen, aber entgegen den
klaren Bestimmungen der StPO, erst- und kantonal letztinstanzlich
Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet habe, sei damit nichtig.

2.4 Der Untersuchungsrichter hat in Anwendung von § 27 Abs. 1 StPO und
entgegen den kantonsgerichtlichen Weisungen die Untersuchungshaft gegen den
Beschwerdeführer verfügt, und der Beschwerdeführer hat dementsprechend in
seiner Eingabe an den Kantonsgerichtspräsidenten beantragt, sie aufzuheben.
Ausgehend von der den Weisungen zu Grunde liegenden Rechtsauffassung, wonach
die schwyzerischen Untersuchungsrichter nicht mehr befugt seien, ohne
schriftliches Einverständnis des Angeschuldigten Untersuchungshaft
anzuordnen, hat der Kantonsgerichtspräsident im angefochtenen Entscheid die
untersuchungsrichterliche Haftanordnung vom 3. Januar 2007 in einen blossen
"Haftantrag" umgedeutet, ihn gutgeheissen und mithin die Untersuchungshaft
bestätigt. Dies vermag indessen nichts daran zu ändern, dass der
Untersuchungsrichter Untersuchungshaft anordnete und der
Kantonsgerichtspräsident faktisch als Rechtsmittelinstanz entschied, wie dies
in der Strafprozessordnung vorgesehen ist. Sein Entscheid ist bei dieser
Ausgangslage von vornherein nicht nichtig, gleichgültig darum, ob die darin
vertretene Rechtsauffassung zutrifft oder nicht. Die Frage nach der
Rechtmässigkeit der Weisungen stellt sich somit im vorliegenden Verfahren
nicht, da sie einzig im Zusammenhang mit der geltend gemachten Nichtigkeit
aufgeworfen wird.

3.
Nach § 26 Abs. 1 StPO kann ein Angeschuldigter in Untersuchungshaft genommen
werden, wenn er eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und
Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht. Liegt ausser dem
allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts einer dieser besonderen
Haftgründe vor, steht einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auch
unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit von Art. 10 Abs. 2 BV
grundsätzlich nichts entgegen.

3.1 Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer dringend verdächtig ist,
mehrere Einbruchdiebstähle begangen zu haben und deswegen seit Juni 2006
mehrfach polizeilich verhaftet und dreimal in Untersuchungshaft genommen
wurde. Den Einbruch in ein Jeans-Geschäft in Brunnen, der Anlass zur hier
interessierenden Untersuchungshaft bildet, hat er gestanden.

3.2 Die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Fortsetzungsgefahr soll den
Angeschuldigten daran hindern, weitere Straftaten zu begehen, dient somit in
erster Linie der Spezialprävention. Sie stellt einen schwerwiegenden Eingriff
in die persönliche Freiheit dar, weshalb bei der Annahme, der Angeschuldigte
könnte weitere Straftaten begehen, Zurückhaltung geboten ist. Eine solche
Anordnung ist verhältnismässig, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr
ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte schwerer Natur sind.
Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die
Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen
dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen. Schliesslich gilt auch
bei der Präventivhaft, wie bei den übrigen Haftarten, dass sie nur als ultima
ratio angeordnet oder aufrechterhalten werden darf. Wo sie durch mildere
Massnahmen (wie z.B. ärztliche Betreuung, regelmässige Meldung bei einer
Amtsstelle, Anordnung von anderen evtl. stationären Betreuungsmassnahmen
etc.) ersetzt werden kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft
abgesehen und an ihrer Stelle eine dieser Ersatzmassnahmen angeordnet werden
(BGE 123 I 268 E. 2c mit Hinweisen).

3.3 Der Kantonsgerichtspräsident hat dazu im angefochtenen Entscheid
ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich bisher durch vier Verhaftungen und
zwei Versetzungen in Untersuchungshaft nicht von weiterer Delinquenz abhalten
lassen. Vor der letzten Entlassung aus der Untersuchungshaft am 25. Oktober
2006 habe er dem Untersuchungsrichter zudem ausdrücklich zugesichert,
mindestens bis zum Abschluss des Strafverfahrens keine Diebstähle mehr zu
begehen und keine Drogen mehr zu konsumieren: trotzdem sei er umgehend wieder
rückfällig geworden. Die Rückfallprognose sei daher für den persönlich und
beruflich wenig gefestigten Beschwerdeführer extrem ungünstig.
Einbruchdiebstähle könnten nicht als geringfügige Straftaten angesehen
werden, weshalb die Anordnung von Präventivhaft im jetzigen Zeitpunkt
gerechtfertigt sei.

Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Der Einwand des
Beschwerdeführers, es sei nicht zu befürchten, dass er weitere
Einbruchdiebstähle begehen würde, weil sein Komplize in Haft sei, vermag
nicht zu überzeugen. Er bietet keine Gewähr, dass er nicht auch allein oder
mit anderen Komplizen weiter delinquieren würde. Die Rüge ist unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66
Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da seine Bedürftigkeit
ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Der Vertreter des Beschwerdeführers hat eine Honorarnote eingereicht. Der
geltend gemachte Aufwand erscheint indessen zu hoch. In Fällen ohne
Vermögensinteresse beträgt das Anwaltshonorar, je nach Wichtigkeit und
Schwierigkeit der Sache sowie nach Arbeitsaufwand, 600 bis 18'000 Franken
(Art. 6 des Reglements über die Parteientschädigung und die Entschädigung für
die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht; SR
173.110.210.3). Das Honorar der vom Bundesgericht amtlich bestellten Anwälte
kann bis zu einem Drittel gekürzt werden (Art. 10 des Reglements). Mit Blick
auf den nach der Aktenlage gebotenen Aufwand erweist sich eine pauschale
Anwaltsentschädigung von 2'500 Franken als angemessen und der
bundesgerichtlichen Praxis entsprechend.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Fürsprecher Roman Weber wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 2'500.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Verhöramt und dem
Kantonsgerichtspräsidenten des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Februar 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: