Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.89/2007
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1B_89/2007 /ggs

Urteil vom 11. Juni 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Gerber.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Nicolas De Cet,

gegen

a.o. Untersuchungsrichterin 3 des Untersuchungsrichteramtes IV Berner
Oberland, Allmendstrasse 34, 3601 Thun,
Haftgericht IV Berner Oberland, Haftrichter 2, Schloss, Schlossberg 1, 3601
Thun,
Staatsanwaltschaft IV Berner Oberland,
Schlossberg 1, 3601 Thun,
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17,
Postfach 7475, 3001 Bern.

Haftentlassung,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Beschluss der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern
vom 13. April 2007.
Sachverhalt:

A.
Am 13. Oktober 2006 wurde die gegen die Angeschuldigten A.________,
B.________, C.________, D.________, E.________ und unbekannte Täterschaft
hängige Voruntersuchung wegen gewerbs- evtl. bandenmässigen Diebstahls auf
X.________ ausgedehnt. Dieser wurde am 21. November 2006 polizeilich
angehalten und anschliessend wegen dringenden Tatverdachts und
Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft versetzt.

B.
Am 1. März 2007 stellte X.________ ein Haftentlassungsgesuch, welches der
Haftrichter 2 des Haftgerichts IV Berner Oberland am 12. März 2007 abwies.

C.
Dagegen erhob X.________ am 21. März 2007 Rekurs an die Anklagekammer der
Berner Obergerichts. Diese wies den Rekurs am 13. April 2007 ab, weil nach
wie vor ein dringender Tatverdacht und Kollusionsgefahr vorliege.

D.
Dagegen hat X.________ am 18. Mai 2007 Beschwerde ans Bundesgericht erhoben.
Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sei
unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zu neuem
Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen. Zudem ersucht er um die
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

E.
Das Obergericht beantragt Abweisung der Beschwerde. Die
Untersuchungsrichterin verweist im Sinne einer Stellungnahme auf ihren Antrag
vom 6. März 2007 sowie auf die Entscheide des Haftgerichts und der
Anklagekammer. Der Haftrichter und der Prokurator der Staatsanwaltschaft IV
Berner Oberland haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

F.
In seiner Replik vom 7. Juni 2007 hält der Beschwerdeführer an seinen
Anträgen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging nach dem 1. Januar 2007. Gemäss Art. 132 Abs. 1
BGG ist deshalb das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Dazu gehören insbesondere auch Haftentscheide.

Da alle Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde in
Strafsachen einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer rügt, die angefochtene Verfügung verletze sein
verfassungsmässiges Recht auf persönliche Freiheit.

Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art.
10 Abs. 2, Art. 31 BV) gegen eine Haftverfügung oder gegen die Ablehnung
eines Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht im
Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des
entsprechenden kantonalen Rechtes frei (BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit
Hinweisen).

Gemäss Art. 176 des Berner Gesetzes über das Strafverfahren vom 15. März 1995
(StrV) bleibt die angeschuldigte Person in der Regel in Freiheit (Abs. 1).
Sie kann in Untersuchungshaft versetzt werden, wenn sie eines Verbrechens
oder Vergehens dringend verdächtigt ist und einer der in Abs. 2 genannten
besonderen Haftgründe vorliegt. Dazu zählt u.a. die Kollusionsgefahr, d.h. es
müssen ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen, die angeschuldigte Person
werde durch Beeinflussung von Personen oder durch Einwirkung auf Spuren oder
Beweismittel die Abklärung des Sachverhalts vereiteln oder gefährden (Ziff.
2). Von einer Versetzung in Untersuchungshaft ist abzusehen, sofern sich
deren Zweck durch mildere Massnahmen erreichen lässt (Art. 177 Abs. 1 StrV).
Das Obergericht ging davon aus, es bestünden hinlängliche konkrete Indizien
für die Beteiligung des Beschwerdeführers an einer Serie von
Einbruchdiebstählen von Anfang Mai 2006 bis August 2006; zudem bejahte es den
besonderen Haftgrund der Kollusionsgefahr.

3.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht den dringenden Tatverdacht, wendet sich
aber gegen die Annahme von Kollusionsgefahr.

3.1 Das Obergericht nahm an, dem Beschwerdeführer würden Delikte vorgeworfen,
welche aus einer Gruppe mehr oder weniger gleichgesinnter Personen heraus
begangen wurden, und bei welchen die Kollusionsgefahr in der Regel besonders
ausgeprägt sei. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer die ihm zur Last
gelegten Taten grösstenteils bestreite und die Anschuldigungen angesichts der
ihm drohenden Freiheitsstrafe schwer wögen. Bei dieser Sachlage habe der
Beschwerdeführer zweifelsohne ein starkes Interesse an der Vornahme von
Verdunkelungshandlungen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers seien
wesentliche Untersuchungshandlungen noch nicht abgeschlossen, weil die
Ermittlungsergebnisse für die durchzuführenden Detailbefragungen nicht
vollständig vorlägen. Es sei durchaus möglich und nicht ungewöhnlich, dass
sich im Verlauf der noch vorzunehmenden Befragungen neue Erkenntnisse
ergeben, deren Vereitelung es zu verhindern gelte. Kollusionsgefahr könne im
Übrigen selbst dann noch vorliegen, wenn die Voruntersuchung vor dem
Abschluss stehe und die notwendigen Beweismittel sichergestellt seien, da im
Hauptverfahren das Prinzip der (eingeschränkten) Unmittelbarkeit zur
Anwendung gelange.

In erster Linie sei eine Absprache des Beschwerdeführers mit den Mittätern zu
befürchten. Zwar befänden sich C.________, D.________ und E.________
ebenfalls in Untersuchungshaft, so dass Kollusionshandlungen mit ihnen nicht
möglich seien. Kollusionsgefahr bestehe hingegen mit dem nicht
identifizierten Mittäter sowie mit B.________, welcher aus gesundheitlichen
Gründen nicht verhaftet worden sei, und mit dem im vorzeitigen Strafantritt
weilenden A.________. Zudem sei denkbar, dass der Beschwerdeführer versuchen
könnte, bei Dritten ein falsches Alibi zu erwirken, um seine Behauptung zu
stützen, wonach er an den verschiedenen Tatorten nicht zugegen gewesen sei.

3.2 Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr
soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbraucht, die
wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes genügt indessen die theoretische
Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht,
um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlauben unter diesem
Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme
von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23 mit Hinweisen).

3.3 Die von der Anklagekammer einleitend genannten Umstände (Art und Schwere
des Delikts; Leugnen der Tat durch den Beschwerdeführer) sind allgemeiner
Natur und können, für sich allein, Kollusionsgefahr nicht begründen.

Im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids war die Voruntersuchung schon weit
vorangeschritten; alle Angeschuldigten waren schon mehrfach einlässlich
befragt worden. Zwar kann Kollusionsgefahr, wie das Obergericht dargelegt
hat, noch in einem fortgeschrittenen Stadium oder sogar noch nach Abschluss
der Voruntersuchung bestehen. Je weiter das Strafverfahren vorangeschritten
ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden konnte, desto
höhere Anforderungen sind jedoch grundsätzlich an den Nachweis von
Verdunkelungsgefahr zu stellen (BGE 132 I 21 E. 3.2.2 S. 24 mit Hinweisen).

Im vorliegenden Fall sind die meisten Mitangeschuldigten wegen Fluchtgefahr
in Untersuchungshaft; mit ihnen kann der Beschwerdeführer daher keinen
Kontakt aufnehmen. Eine Kollusionsmöglichkeit bestünde zwar mit dem aus
gesundheitlichen Gründen nicht verhafteten B.________ und dem im vorzeitigen
Strafantritt befindlichen A.________. Allerdings scheint keiner der
Mitangeschuldigten den Beschwerdeführer belastet zu haben; dieser wurde
vielmehr aufgrund der technischen Daten seines Mobilfunkanschlusses sowie
abgehörter Telefongespräche mit den Einbrüchen in Verbindung gebracht.
Insofern hat der Beschwerdeführer gegenwärtig keinen Anlass, auf das
Aussageverhalten der Mitangeschuldigten einzuwirken. Ob der noch unbekannte
Mittäter je identifiziert und befragt werden kann, ist noch ungewiss.

Die Anklagekammer nennt keine konkreten Anhaltspunkte, die für eine Neigung
des Beschwerdeführers zur Kollusion sprechen; dies ist auch nicht
ersichtlich: Der Beschwerdeführer ist erst zwei Monate nach den übrigen
Mitangeschuldigten verhaftet worden. Es gibt keine Hinweise, dass er in
dieser Zeit versucht hätte, Mittäter oder Dritte zu kontaktieren, um sich mit
ihnen ins Einvernehmen zu setzen oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen zu
bewegen; dies obwohl er von der Verhaftung der Mitangeschuldigten Kenntnis
haben musste (der Mitangeschuldigte A.________ ist der Bruder seiner
Lebensgefährtin F.________).

3.4 Gestützt auf die Sachverhaltsfeststellungen der Anklagekammer liegen
somit keine konkreten Anhaltspunkte für Verdunkelungs- bzw.
Beeinflussungsgefahr vor. Aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums des
Voruntersuchungsverfahrens und der bisherigen Aussagen der Mitangeschuldigten
erscheint die Gefahr einer Vereitelung der wahrheitsgetreuen Abklärung des
Sachverhaltes durch Kollusionshandlungen eher gering. Insgesamt ist daher der
besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr zu verneinen.

3.5 Andere besondere Haftgründe wurden von den kantonalen Behörden nicht
geprüft; insbesondere finden sich in den Entscheiden der Anklagekammer und
des Haftrichters keine Ausführungen zur Fluchtgefahr. Ob Fluchtgefahr
vorliegt oder nicht, kann vom Bundesgericht auf der Grundlage der ihm
vorliegenden Akten nicht beurteilt werden, zumal sich der Beschwerdeführer
dazu noch nicht hat äussern können.

4.
Der angefochtene Entscheid ist nach dem Gesagten aufzuheben und die
Streitsache an die kantonalen Behörden zur Prüfung von allfälligen
alternativen besonderen Haftgründen, namentlich von Fluchtgefahr,
zurückzuweisen. Bei dieser Sachlage rechtfertigt sich eine sofortige
Haftentlassung des Beschwerdeführers nicht.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben und der
Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 66 Abs. 4
und Art. 68 Abs. 2 BGG). Der Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde in Strafsachen wird der angefochtene
Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 13. April
2007 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Anklagekammer
zurückgewiesen. Der Haftentlassungsantrag wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der a.o. Untersuchungsrichterin 3
des Untersuchungsrichteramtes IV Berner Oberland, dem Haftgericht IV Berner
Oberland, Haftrichter 2, der Staatsanwaltschaft IV Berner Oberland und der
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Juni 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Die Gerichtsschreiberin: