Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.52/2007
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{T 0/2}
1B_52/2007
1B_58/2007 /ggs

Urteil vom 3. Mai 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas
Fingerhuth,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach 1233,
8026 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, Anklagekammer, Hirschengraben 15, Postfach,
8023 Zürich.

Haftentlassung,

Beschwerden in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 22. März 2007 und die Verfügung des Obergerichts des Kantons
Zürich, Anklagekammer, vom 2. April 2007.
Sachverhalt:

A.
X. ________ wird vorgeworfen, A.________, dem Freund seiner Nichte, am 20.
September 2006 um ca. 14.45 Uhr am Albisriederplatz in Zürich mit einem
Messer eine Stichverletzung in den Rücken- bzw. Schulterbereich zugefügt zu
haben. Anlässlich der gleichentags erfolgten polizeilichen Einvernahme und
der untersuchungsrichterlichen Befragung vom 21. September 2006 soll der
Angeschuldigte angegeben haben, dass nicht er, sondern sein Neffe B.________
das Opfer niedergestochen habe. Dadurch habe er sich eines Vergehens gegen
die Rechtspflege schuldig gemacht. Weiter wird er des Vergehens gegen das
Waffengesetz beschuldigt, da er das zur Tat benutzte Klappmesser im Jahr
2001/2002 in die Schweiz eingeführt und danach bis am 20. September 2006 im
Auto mit sich geführt haben soll.

B.
Am 6. Februar 2007 stellte X.________ ein Haftentlassungsgesuch. Der
Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich bejahte in seiner Verfügung vom 10.
Februar 2007 sowohl den dringenden Tatverdacht in Bezug auf die vorgeworfenen
Straftaten als auch den besonderen Haftgrund der Kollusionsgefahr. Gestützt
darauf wies er das Haftentlassungsgesuch ab.

C.
Dagegen reichte X.________ beim Bundesgericht am 1. März 2007 eine Beschwerde
in Strafsachen ein. Das Bundesgericht bejahte die Kollusionsgefahr in
Übereinstimmung mit den kantonalen Behörden und wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 27. März 2007 ab.

D.
Während des am Bundesgericht hängigen Verfahrens verlängerte der Haftrichter
am 22. März 2007 die Untersuchungshaft bis zum 21. Juni 2007, nachdem das
Verfahren wegen Tötungsversuchs am 9. März 2007 eingestellt worden war. Gegen
die Haftverlängerung gelangt der Angeschuldigte am 28. März 2007 wiederum mit
einer Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht (Verfahren 1B_52/2007). Er
beantragt seine Haftentlassung und stellt ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung. In erster Linie macht er erneut geltend, es
bestehe keine Kollusionsgefahr.

E.
In der Zwischenzeit hatte die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich am 15.
März 2007 Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben, u.a. wegen versuchter
schwerer Körperverletzung. Die Anklagekammer des zürcherischen Obergerichts
ordnete daraufhin am 2. April 2007 Sicherheitshaft über den Angeklagten an.

F.
Gegen die Anordnung der Sicherheitshaft erhebt X.________ mit Eingabe vom 11.
April 2007 ebenfalls Beschwerde in Strafsachen (1B_58/2007). Er beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Entlassung aus der Haft. Zudem
ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme, während
die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich auf Abweisung der Beschwerde
schliesst.

Der Beschwerdeführer hat sich zur Frage geäussert, ob das Verfahren
1B_52/2007 gegenstandslos geworden sei. Im Übrigen hat er auf eine Replik
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid der Anklagekammer des Obergerichts vom 2. April 2007
steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130
Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur
Beschwerde befugt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt
sind, ist auf die Beschwerde 1B_58/2007 grundsätzlich einzutreten.

1.2 Mit dem Entscheid der Anklagekammer vom 2. April 2007 über die
Sicherheitshaft ist der Haftverlängerungsentscheid des Haftrichters vom 22.
März 2007 hinfällig geworden. Damit wird - entgegen der Meinung des
Beschwerdeführers - auch seine Beschwerde vom 28. März 2007 (Verfahren
1B_52/2007) gegenstandslos.

2.
2.1 Das Obergericht ist bei seiner Begründung für die Anordnung der
Sicherheitshaft den Argumenten der Staatsanwaltschaft sowie des Haftrichters
gefolgt und hat die Kollusionsgefahr bejaht. Der Beschwerdeführer stellt
diese weiterhin in Abrede. Er sei geständig, so dass nur noch die Frage nach
seiner Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat offen sei. Es sei nicht
ersichtlich, wie er das bisherige Beweisergebnis noch entscheidend zu
beeinflussen vermöchte.

2.2 In Bezug auf die Prüfung der Kollusionsgefahr kann vollumfänglich auf die
Ausführungen im Entscheid 1B_26/2007 des Bundesgerichts vom 27. März 2007
verwiesen werden. Die dortigen Erwägungen haben nach wie vor Geltung, da sich
im Wesentlichen noch immer dieselbe Ausgangslage präsentiert. Daran ändert
nichts, dass der Beschwerdeführer behauptet, es sei lediglich noch seine
Steuerungs- respektive Schuldfähigkeit zu prüfen. Die von ihm zitierten
Stellen aus dem Einvernahmeprotokoll lassen im Gegenteil darauf schliessen,
dass bis heute offen ist, ob er die Tat vorsätzlich begangen hat. Seine
diesbezüglichen Aussagen sind mitnichten so klar und unmissverständlich, wie
er darzulegen versucht. Es handelt sich dabei um kein umfassendes Geständnis.
Wenn er zu Protokoll gibt:
"Ich habe dazu nichts zu sagen, das was passiert ist, kann ich nicht
rückgängig machen. Ich möchte mich entschuldigen, es tut mir leid, wie wenn
er mein eigener Sohn wäre."
und
"Ich gebe ja zu, dass er von meiner Hand verletzt worden ist, aber weshalb
mir das passiert ist, kann ich nicht verstehen",
ist das Vorliegen des subjektiven Tatbestands damit nicht geklärt. Zudem
sagte er anlässlich der Einvernahme auch aus, er habe so etwas nie geplant,
er hätte nie gedacht, dass er so etwas machen würde (Protokoll vom 6. Februar
2007 S. 5 unten). Im Verlauf des gesamten Gesprächs schiebt er
verschiedentlich dem "Teufel" die Schuld an seinem Verhalten zu (Protokoll
vom 6. Februar 2007 S. 2 und 4). Daraus geht nicht hervor, ob er den
Messerstich wissentlich und willentlich, eventualvorsätzlich oder allenfalls
(grob)fahrlässig ausgeführt hat. Demzufolge ist den kantonalen Behörden
verfassungsrechtlich nichts vorzuwerfen, wenn sie die konkrete Möglichkeit
einer direkten Einflussnahme des Beschwerdeführers auf Zeugen und
Familienmitglieder nach wie vor bejahen. Dass diese Annahme aufgrund der
konkreten Situation und des Verhaltens des Täters berechtigt ist, hat das
Bundesgericht bereits im Entscheid 1B_26/2007 bestätigt (vgl. die dortige E.
2.3). Zu Recht hat der Untersuchungsrichter im Rahmen der Haftverlängerung
auch darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seine Tat in einem
beschönigenden Licht darzustellen versucht, indem er etwa gesagt hat
(Protokoll vom 6. Februar 2007, S. 2):
"Das ist einfach unsere Mentalität, wenn ein Kind von uns etwas hat, dann
müssen wir uns einfach einmischen. Wir versuchen einfach, dass zwischen uns
gute Verhältnisse bestehen. Es ist halt einfach unsere Mentalität, wie sie es
hier in der Schweiz wahrscheinlich nicht gibt."
Dieses Aussageverhalten kann durchaus als Indiz dafür gewertet werden, dass
der Beschwerdeführer auch Zeugen und Auskunftspersonen in dieser Hinsicht zu
beeinflussen versuchen könnte. Hinzu kommt, dass noch nicht feststeht, ob
allenfalls das Geschworenengericht über die Angelegenheit zu befinden haben
wird, was die Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips zur Folge hätte und
zusätzlich die Gefahr von Kollusionshandlungen mit sich bringt.

3.
Daraus ergibt sich, dass die Beschwerde 1B_52/2007 gegenstandslos wird und
die Beschwerde 1B_58/2007 abzuweisen ist. Der Beschwerdeführer ersucht um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Er hat jedoch
trotz unveränderter Ausgangslage seit dem Entscheid 1B_26/2007 des
Bundesgerichts vom 27. März 2007 an seinen Rügen festgehalten. Die
Beschwerdeführung war demzufolge von vornherein aussichtslos, weshalb das
Gesuch abzuweisen ist (Art. 64 Abs. 1 BGG). Indes kann von einer
Kostenerhebung abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde 1B_58/2007 wird abgewiesen.

2.
Die Beschwerde 1B_52/2007 wird als gegenstandslos geworden vom
Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, und dem Obergericht
des Kantons Zürich, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Mai 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: