Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.49/2007
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{T 0/2}
1B_49/2007 /fun

Urteil vom 11. April 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Tomas Kempf,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Selnaustrasse 28, Postfach, 8039
Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28,
Postfach, 8026 Zürich.

Haftentlassungsgesuch, Fortsetzung Untersuchungshaft,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 3. März 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ befindet sich seit dem 9. August 2005 in Untersuchungshaft. Er
wird dringend verdächtigt, sich der qualifizierten Geldwäscherei (Art. 305bis
Ziff. 2 StGB) schuldig gemacht sowie am Handel mit grossen Mengen Kokain
unterstützend mitgewirkt zu haben. Der zuständige Staatsanwalt der
Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich stellte letztmals am 1. März 2007
ein Gesuch um Fortdauer der Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 3. März 2007
verlängerte der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich die Haft bis zum 9. Juni
2007 und wies das Haftentlassungsgesuch des Angeschuldigten wegen
Fluchtgefahr ab.

B.
X.________ hat gegen die Verfügung des Haftrichters Beschwerde in Strafsachen
erhoben. Er beantragt, der angefochtene Haftentscheid sei aufzuheben, der
Antrag der Staatsanwaltschaft vom 1. März 2007 auf Fortsetzung der
Untersuchungshaft abzuweisen und sein Haftentlassungsgesuch vom 1. März 2007
gutzuheissen, und er sei umgehend aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Eventuell sei er aus der Untersuchungshaft zu entlassen, und es sei ihm
gleichzeitig eine Pass- und Schriftensperre sowie die Pflicht zur täglichen
Meldung durch höchstpersönliches Erscheinen bei einer Behörde aufzuerlegen.
Subeventuell sei die Verfügung des Haftrichters vom 3. März 2007 aufzuheben
und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner
ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren
vor Bundesgericht.

C.
Der Staatsanwalt beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Der Haftrichter hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der
Beschwerdeführer hat am 3. April 2007 repliziert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging später. Gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG ist daher
das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

1.2 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist nach
Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche
Freiheit. Er macht geltend, es würden nicht genügend Anhaltspunkte zur
Annahme von Fluchtgefahr vorliegen. Zudem könne der Zweck der
Untersuchungshaft mit milderen Massnahmen, d.h. mit einer Pass- und
Schriftensperre verbunden mit einer persönlichen Meldepflicht, erreicht
werden. Die Fortsetzung der Untersuchungshaft sei daher unverhältnismässig.

2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes des Kantons Zürich betreffend den
Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) ist die Anordnung und Fortdauer der
Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder
Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ernsthaft befürchtet werden
muss, er werde sich der Strafverfolgung oder der zu erwartenden Strafe durch
Flucht entziehen. Die Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu
ersetzen, sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§
58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO/ZH). Unter den genannten Voraussetzungen steht
der Fortsetzung der Untersuchungshaft unter dem Blickwinkel der persönlichen
Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK)
nichts entgegen.

2.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte,
wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe
durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein
Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein
nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände
des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse des
Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia
69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen).

2.4 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das
verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines
Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick
auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden
kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit
Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur
ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich
sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186, mit Hinweisen).

2.5 Zur Begründung des Vorliegens von Fluchtgefahr verwies der Haftrichter im
angefochtenen Entscheid auf die haftrichterliche Verfügung vom 6. Dezember
2006. Darin wurde der Haftgrund der Fluchtgefahr damit begründet, dass dem
Beschwerdeführer im Falle einer Verurteilung eine mehrjährige unbedingte
Freiheitsstrafe drohe, dieser erst seit dem Jahr 1999 in der Schweiz lebe und
zu seinem Heimatland Brasilien nach wie vor enge Beziehungen habe. Die
genannten Umstände deuten in ihrer Gesamtheit zweifelsohne auf Fluchtgefahr
hin. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er befinde sich bereits rund
eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft und müsse nur mit einer kurzen
Reststrafe rechnen, die keinen Anlass zur Flucht ins Ausland gebe, trifft in
Anbetracht der Schwere der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten -
qualifizierte Geldwäscherei sowie Teilnahme an schweren Drogendelikten -
nicht zu. In seiner Vernehmlassung wies der Staatsanwalt überdies auf eine
Aktennotiz vom 29. März 2007, woraus sich ergibt, dass das Verhältnis des
Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau gestört ist. Dieser Umstand - gemäss
Replik vom 3. April 2007 ist ein Eheschutzverfahren hängig - spricht gegen
die Behauptung des Beschwerdeführers, er lebe mit seiner Ehefrau in guten
Verhältnissen, und deutet ebenfalls auf die Möglichkeit, dass sich der
Beschwerdeführer bei einer Haftentlassung durch Flucht ins Ausland absetzen
könnte. Daran ändert auch der Einwand des Beschwerdeführers nichts, er
besitze eine Niederlassungsbewilligung C und nicht eine
Aufenthaltsbewilligung B, wie die Staatsanwaltschaft behaupte. Unbehelflich
ist sodann das Vorbringen des Beschwerdeführers, er fürchte sich vor
Repressalien und werde deshalb nicht nach Brasilien fliehen. Die Angst vor
Repressalien in seinem Heimatstaat schliesst eine Flucht in einen Drittstaat
jedenfalls nicht aus. In Anbetracht der zu erwartenden Freiheitsstrafe und
der dargestellten Lebensverhältnisse ist der Haftgrund der Fluchtgefahr damit
gegeben.

2.6 Anstelle der Anordnung von Untersuchungshaft kann einer bestehenden
Fluchtgefahr durch die Anordnung einer Pass- und Schriftensperre begegnet
werden, sofern sich der Zweck der Untersuchungshaft damit ebenfalls erreichen
lässt. Im vorliegenden Fall hat der Haftrichter die Geeignetheit einer
solchen Ersatzmassnahme verneint, weil der Beschwerdeführer, der nicht
Schweizer Bürger sei, Ersatzpapiere beschaffen und so die Pass- und
Schriftensperre jederzeit unterlaufen könne. Dieser Standpunkt des
Haftrichters ist zutreffend. Der Beschwerdeführer könnte auf dem
konsularischen Weg zu neuen Ausweisschriften gelangen. Das Argument des
Beschwerdeführers, die Fluchtgefahr könne durch die in § 72 StPO/ZH
vorgesehene Meldepflicht bei einer kantonalen Behörde wirksam herabgesetzt
werden, ist unbehelflich; der Beschwerdeführer könnte sich über eine
entsprechende Anordnung ohne weiteres hinwegsetzen. Auch dürfte der
Beschwerdeführer - dies im Gegensatz zum in der Beschwerdeschrift zitierten
BGE 133 I 27 - kaum in der Lage sein, eine Kaution zu bezahlen, um die
Wirksamkeit einer Pass- und Schriftensperre zu garantieren. Der Einwand des
Beschwerdeführers, der Standpunkt des Haftrichters führe dazu, dass
inhaftierte Ausländer generell von der Pass- und Schriftensperre
ausgeschlossen seien, da jeder Ausländer diese Ersatzmassnahme umgehen könne,
trifft ebenfalls nicht zu. Massgebend für die Frage, ob die Pass- und
Schriftensperre bei einem inhaftierten Ausländer eine ausreichende Anordnung
darstellt, sind die gesamten Umstände, d.h. die zu erwartende Freiheitsstrafe
und die konkreten Lebensumstände, welche Fluchtgefahr indizieren. Dass bei
einem Ausländer, anders als bei einem Schweizer, die Möglichkeit der
Beschaffung von Ersatzpapieren auf dem konsularischen Weg in Betracht gezogen
wird, ist sachlich begründet. Verfassungsrechtlich ist es unter den
vorliegenden Gegebenheiten (vgl. E. 2.5 hiervor) jedenfalls nicht zu
beanstanden, dass der Haftrichter die Geeignetheit der Anordnung einer Pass-
und Schriftensperre als nicht genügend erachtete, um die Fluchtgefahr wirksam
zu bannen. Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist daher
verhältnismässig.

3.
3.1 Des Weitern rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des
Beschleunigungsgebots. Dabei weist er auf die haftrichterlichen Verfügungen
vom 11. April und 7. September 2006, in denen die Strafverfolgungsbehörden
zur zügigen Erstellung des polizeilichen Schlussberichts über die finanzielle
Seite des Betäubungsmittelhandels aufgefordert worden seien, was
Voraussetzung für die Schlusseinvernahme durch den Staatsanwalt sei. Eine
Verlängerung der Untersuchungshaft um drei Monate sei nicht vertretbar.

3.2 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in
strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer
angemessenen Frist richterlich beurteilt oder während des Strafverfahrens aus
der Haft entlassen zu werden. Nach der Rechtsprechung ist im
Haftprüfungsverfahren die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der
verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt,
indessen nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet
ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu
einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders
schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine
schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden
Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht
in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs-
und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum
Abschluss zu bringen.

Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen
bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegt. Es genügt
diesfalls, die zuständige Behörde zur besonders beförderlichen Weiterführung
des Verfahrens anzuhalten und die Haft gegebenenfalls allein unter der
Bedingung der Einhaltung bestimmter Fristen zu bestätigen. Ob eine Verletzung
des Beschleunigungsgebots gegeben ist, kann in der Regel denn auch erst der
Sachrichter unter der gebotenen Gesamtwürdigung beurteilen, der auch darüber
zu befinden hat, in welcher Weise - z.B. durch eine Strafreduktion - eine
allfällige Verletzung des Beschleunigungsgebotes wiedergutzumachen ist (BGE
128 I 149 E. 2.2 S. 151 f.).
3.3 Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, dass der Haftrichter die
Staatsanwaltschaft am 7. September 2006 anhielt, auf die beförderliche
Erstellung des nach wie vor ausstehenden polizeilichen Schlussberichts
betreffend die finanzielle Seite des Betäubungsmittelhandels zu drängen oder
aber die Auswertung selber vorzunehmen. Wie sich der haftrichterlichen
Verfügung vom 6. Dezember 2006 aber entnehmen lässt, wurde die Untersuchung
entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers seit dem 7. September 2006
vorangetrieben. So wurden zwei staatsanwaltliche Einvernahmen mit dem
Angeschuldigten durchgeführt, und es fanden zwei Konfrontationseinvernahmen
statt. Von einer ins Gewicht fallenden Verfahrensverzögerung ist daher bis
anhin nicht auszugehen. Auch ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Staatsanwaltschaft nicht bereit oder nicht in der Lage wäre, die angekündigte
Schlusseinvernahme durchzuführen. Wie der Haftrichter in der Verfügung vom 7.
September 2006 denn auch zutreffend erwähnte, braucht die Staatsanwaltschaft
den ausstehenden Polizeibericht nicht abzuwarten, sondern kann die Akten
selber auswerten.

4.
Somit ergibt sich, dass die Beschwerde unbegründet und demzufolge abzuweisen
ist. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann entsprochen werden
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege erteilt:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Tomas Kempf wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt
und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit
einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 11. April 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: