Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.305/2007
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1B_305/2007

Urteil vom 22. Januar 2008

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, zzt. Psychiatriezentrum Rheinau, Beschwerdeführerin, vertreten
durch Rechtsanwältin Heike E. Canonica,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Sonderdienst, p.A.
Justizvollzug Kanton Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090 Zürich.

Stationärer Massnahmenvollzug; Versetzung in die geschlossene
Massnahmestation des Psychiatriezentrums Rheinau; aufschiebende Wirkung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 12. Dezember 2007 der Direktion der Justiz
und des Innern
des Kantons Zürich.
Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde am 18. April 2001 vom Bezirksgericht Zürich wegen
mehrfacher Brandstiftung und weiteren Delikten zu zwei Jahren Gefängnis
verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zugunsten einer stationären
Massnahme (nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB) aufgeschoben. Auf 5. Juni 2001
wurde die Verurteilte zum Vollzug der stationären Massnahme in die Klinik
Oberwil eingewiesen. Am 25. Februar 2002 wurde sie in die Psychiatrische
Klinik Rheinau versetzt und am 1. Juni 2004 aus dem stationären
Massnahmenvollzug probeweise entlassen.

B.
Am 25. Oktober 2005 wurde die probeweise Entlassung widerrufen und die
Verurteilte (gestützt auf Art. 45 Ziff. 3 Abs. 3 aStGB) in den stationären
Massnahmenvollzug zurückversetzt. Am 25. August 2005 bzw. 24. März 2006 wurde
sie erneut strafrechtlich schuldig gesprochen (wegen Gewalt und Drohung gegen
Beamte, Widerhandlung gegen das Waffengesetz und weiteren Straftaten). Am 17.
November 2005 wurde die Verurteilte aus der Klinik Schlosstal/Winterthur ein
weiteres Mal in die Klinik Rheinau eingewiesen. Am 19. September 2006 wurde
sie aus einer sozialtherapeutischen Wohngruppe in Andelfingen (nach wie vor
im Rahmen des stationären Massnahmenvollzuges) ins Psychiatriezentrum
Hard/Embrach versetzt, nachdem sie zum wiederholten Mal gegen
Vollzugsvorschriften verstossen hatte (eigenmächtiges Absetzen der
Medikamente, Entweichen aus dem Massnahmenvollzug, Fremd- und
Autoaggressionen etc.). Am 1. Januar 2007 erfolgte erneut eine notfallmässige
Einweisung ins Psychiatriezentrum Hard, am 15. Januar 2007 eine weitere
Verlegung in die geschlossene Abteilung der Klinik Rheinau.

C.
Gemäss Vollzugsakten wurde die Verurteilte letztmals am 20. Juni 2007 ins
Psychiatriezentrum Hard zurückverlegt. Am 21. November 2007 verfügte das Amt
für Justizvollzug des Kantons Zürich ihre erneute Versetzung von der
Rehabilitationsabteilung des Psychiatriezentrums Hard in die geschlossene
Massnahmestation (Abteilung 59a) des Psychiatriezentrums Rheinau. Die
sofortige Verlegung dränge sich angesichts des nach wie vor äusserst
schwierigen Massnahmenvollzuges (Tablettenschmuggel, Drogenmissbrauch,
Aufbrechen von Behältnissen, Zertrümmern von Einrichtungsgegenständen,
unerlaubte Entfernungen, akute Suizidalität, massive Auto- und
Fremdaggressionen, Persönlichkeitsstörung vom sog. Borderline-Typus,
Dissozialität, fehlende Therapiebereitschaft, akute Gefahr weiterer
Straftaten etc.) als Notfallmassnahme auf. Am 22. November 2007 wurde die
Verurteilte durch die Kantonspolizei Zürich in die geschlossene Abteilung 59a
der Klinik Rheinau eingeliefert.

D.
Gegen die Einweisungsverfügung vom 21. November 2007 rekurrierte die
Verurteilte am 3. Dezember 2007 bei der Direktion der Justiz und des Innern
des Kantons Zürich (JD). Sie beantragte die Aufhebung der erfolgten
Einweisung in die geschlossene Abteilung 59a der Klinik Rheinau, die
sofortige Rückversetzung ins Psychiatriezentrum Hard sowie die Erteilung bzw.
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rekurses.

E.
Mit prozessleitender Verfügung vom 12. Dezember 2007 wies die JD den Antrag
der Rekurrentin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestützt auf
§ 25 Abs. 1 VRP/ZH ab.

F.
Gegen die Verfügung der JD vom 12. Dezember 2007 gelangte X.________ mit
Beschwerde in Strafsachen vom 19. Dezember 2007 an das Bundesgericht. Sie
beantragt zur Hauptsache die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres kantonalen Rekurses sowie
die sofortige Rückversetzung ins Psychiatriezentrum Hard

Die JD beantragt mit Vernehmlassung vom 28. Dezember 2007 die Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Das kantonale Amt für
Justizvollzug liess sich unter gleichem Datum ebenfalls im abschlägigen Sinne
vernehmen. Die Beschwerdeführerin replizierte am 15. Januar 2008.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann nur die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG). In der
Beschwerdebegründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der
angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 43 Abs. 2 Satz 1 BGG). Das
Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als eine
solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106
Abs. 2 BGG). Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse
an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides hat (Art. 81 Abs. 1 lit. a-b
BGG).

2.
Im angefochtenen Zwischenentscheid wird (gestützt auf § 25 Abs. 1 VRP/ZH) die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des hängigen kantonalen Rekurses
verweigert. Damit hat die JD vorab entschieden, dass als akute
Krisenintervention bis zum Rekursentscheid die sofortige vorläufige
Versetzung der Beschwerdeführerin von der Rehabilitationsabteilung des
Psychiatriezentrums Hard in die geschlossene Massnahmestation (Abteilung 59a)
des Psychiatriezentrums Rheinau zu erfolgen hat. Hingegen wird im
angefochtenen verfahrensleitenden Entscheid der hängige Rekurs noch nicht
materiell beurteilt. Die JD hat weder über Einzelheiten noch über die Dauer
des Massnahmenvollzugsregimes entschieden.

Was die streitige Nichtwiederherstellung der aufschiebenden Wirkung betrifft,
setzt sich die Beschwerdeführerin nur teilweise mit den Erwägungen des
angefochtenen Entscheides auseinander. Sie legt nicht im Einzelnen dar,
inwiefern die Anwendung des kantonalen Verfahrensrechtes geradezu willkürlich
wäre oder sonst wie gegen ihre einschlägigen verfassungsmässigen
Individualrechte verstiesse. Ihre Rügen richten sich primär gegen die von ihr
befürchteten Vollzugsmodalitäten im Rahmen des geschlossenen stationären
Massnahmenvollzuges bzw. gegen mögliche Anordnungen im Einzelfall
(insbesondere allfällige Fesselungen oder konkrete Modalitäten der
Einzelunterbringung, Medikamentierung und medizinischen Betreuung). Wie sich
aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, sind die erhobenen Rügen
unbegründet, soweit auf sie überhaupt eingetreten werden kann.

3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Verweigerung der aufschiebenden
Wirkung bzw. die damit verbundene sofortige Einweisung in die geschlossene
Massnahmestation des Psychiatriezentrums Rheinau führe zu unzulässigen
unverhältnismässigen Eingriffen in ihre verfassungsmässig geschützten
Freiheitsrechte (insbesondere Art. 10 Abs. 2 BV).

3.1 Die Beschwerdeführerin befindet sich aufgrund eines rechtskräftigen
gerichtlichen Strafurteils im stationären Massnahmenvollzug. Die Eingriffe in
die Freiheitsrechte von rechtskräftig Verurteilten, welche der
gesetzeskonforme Sanktionenvollzug sowie dessen Disziplinar- und
Sicherheitsvorschriften zwangsläufig nach sich ziehen, sind grundsätzlich
verfassungskonform. Zu prüfen bleibt, ob die im Sinne einer akuten
Krisenintervention verfügte sofortige Einweisung der Beschwerdeführerin in
eine (besonders gesicherte und spezialisierte) geschlossene
Massnahmeeinrichtung hier zu einem unverhältnismässigen Eingriff in ihre
Grundrechte führt (vgl. Art. 36 Abs. 3 BV).

3.2 Im angefochtenen Entscheid (Seite 2 f., Ziff. 3) und in der
Einweisungsverfügung des kantonalen Amtes für Justizvollzug vom 21. November
2007 werden die Gründe für die sofortige Verlegung aus der
Rehabilitationsabteilung des Psychiatriezentrums Hard in den geschlossenen
stationären Massnahmenvollzug in der Klinik Rheinau ausführlich dargelegt
(Tablettenschmuggel, Drogenmissbrauch, Aufbrechen von Behältnissen,
Zertrümmern von Einrichtungsgegenständen, Flucht aus dem stationären
Massnahmenvollzug, akute Suizidalität, massive Auto- und Fremdaggressionen,
Persönlichkeitsstörung vom sog. Borderline-Typus, Dissozialität, fehlende
Therapiebereitschaft, Gefahr weiterer Straftaten etc.).
3.3 Nach Zürcher Verwaltungsverfahrensrecht kommt dem Lauf der Rekursfrist
und der Einreichung des Rekurses aufschiebende Wirkung zu, wenn mit der
angefochtenen Anordnung nicht etwas anderes bestimmt wurde (§ 25 Abs. 1
VRP/ZH). Die Rekursinstanz kann eine gegenteilige Verfügung treffen. Bei
Kollegialbehörden ist in dringlichen Fällen der oder die Vorsitzende hiezu
ermächtigt (§ 25 Abs. 1 VRP/ZH).

3.4 Bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung durch verurteilte Personen im
stationären Massnahmenvollzug sind angemessene Vorkehren der Vollzugsbehörden
zum Schutz wichtiger Rechtsgüter der verurteilten Person sowie von dritten
Personen in der Regel sofort zu treffen, das heisst ohne Gewährung der
aufschiebenden Wirkung von Rekursen gegen die angeordnete Schutzmassnahme.
Andernfalls erwiesen sich akute Notfallinterventionen als wirkungslos bzw.
verspätet. Zwar macht die Beschwerdeführerin geltend, es gehe von ihr keine
schwere Bedrohung bedeutender Rechtsgüter aus. Aus den vorliegenden Akten
ergibt sich jedoch eine auffällige Neigung der Beschwerdeführerin zu
Impulsdurchbrüchen, die zu häufigen schweren Verstössen gegen Sicherheits-
und Disziplinarvorschriften verschiedener Massnahmenanstalten (Flucht,
Medikamenten- und Drogenmissbrauch etc.) sowie zu wiederholten Auto- und
Fremdaggressionen bzw. strafbaren Handlungen geführt haben. Die Ansicht der
kantonalen Behörden, im gegenwärtigen Zeitpunkt sei daher der
gesetzeskonforme Vollzug der stationären Massnahme in der nicht ausreichend
spezialisierten und gesicherten Rehabilitationsabteilung des
Psychiatriezentrums Hard nicht gewährleistet, erscheint sachlich vertretbar
und verfassungskonform. Die sofortige vorläufige Einweisung der Verurteilten
in die geschlossene Massnahmestation (Abteilung 59a) des Psychiatriezentrums
Rheinau bis zum Entscheid über den hängigen Rekurs stellt keine zum
Vornherein unverhältnismässige Massnahme dar. Entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin besteht auch ein ausreichendes öffentliches Interesse an
einem gesetzeskonformen stationären Massnahmenvollzug. Insofern erweist sich
die Beschwerde als unbegründet. Die Frage, wie lange die als Notfallmassnahme
angeordnete Unterbringung in der geschlossenen Abteilung dauern kann, bildet
nicht Gegenstand der angefochtenen Verfügung. Diese Frage wird im noch
ausstehenden Rekursentscheid der JD zu prüfen sein.

3.5 Soweit die Beschwerdeführerin in erster Linie vorbringt, einzelne
konkrete Anordnungen im geschlossenen Massnahmenvollzug (Fesselungen bzw.
Fixierungen in Notfällen, Modalitäten der Einzelunterbringung oder der
medizinischen Betreuung usw.) könnten allenfalls grundrechtswidrig bzw.
unverhältnismässig ausfallen, erweist sich die Beschwerde als verfrüht. Im
angefochtenen Entscheid wird der hängige Rekurs gegen die Verfügung des
kantonalen Amtes für Justizvollzug noch nicht materiell behandelt. Dies gilt
sowohl für die Frage der Dauer der Unterbringung in der geschlossenen
Abteilung als auch für die konkrete Ausgestaltung des stationären
Massnahmenvollzuges.

Die Beschwerde richtet sich nicht gegen spezifische Anordnungen bzw. im
Einzelfall verfügte Vollzugsbedingungen im Rahmen des geschlossenen
stationären Massnahmenvollzuges. Diesbezüglich mangelt es den erhobenen Rügen
an einem konkreten Anfechtungsobjekt sowie am aktuellen und praktischen
Rechtsschutzinteresse (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Wie dargelegt, erscheint
hier die vorläufige Verlegung in den geschlossenen stationären
Massnahmenvollzug im Rahmen einer akuten Krisenintervention als
grundrechtskonform. Es ist nicht Sache der Vollzugsbehörde, das dem
Massnahmenvollzug zugrunde liegende Strafurteil bzw. die vom Sachrichter
angeordnete stationäre Massnahme zu überprüfen bzw. zu revidieren. Die Frage
der zulässigen Dauer der Sanktion bzw. einer allfälligen (erneuten)
probeweisen Entlassung aus dem Massnahmenvollzug bildet nicht Gegenstand des
hängigen Rekursverfahrens. Zwar beantragt die Beschwerdeführerin ihre
Rückversetzung ins Psychiatriezentrum Hard, weil sie befürchtet, die
Vollzugsbedingungen in der geschlossenen Abteilung der Klinik Rheinau könnten
sich in bestimmten Konstellationen (etwa nach Verstössen gegen die
Sicherheits- und Disziplinarordnung) als grundrechtswidrig herausstellen.
Diesbezüglich stünde es ihr jedoch frei, gegen konkrete Anordnungen bzw.
Verschärfungen von Vollzugsmodalitäten nötigenfalls und im Einzelfall den
Rechtsweg zu beschreiten.

4.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Die Beschwerdeführerin stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (und sich insbesondere die
finanzielle Bedürftigkeit der Antragstellerin aus den Akten ergibt), kann dem
Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).

Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache wird das Gesuch der
Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung hinfällig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin, Rechtsanwältin Heike E.
Canonica, wird für das Verfahren vor Bundesgericht aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin sowie dem Amt für Justizvollzug und
der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2008

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster