Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.272/2007
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1B_272/2007

Urteil vom 19. Dezember 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander
Prechtl,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach,
8026 Zürich.

Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 16. November 2007 des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung
gegen X.________ wegen des Verdachtes der mehrfachen Vergewaltigung, begangen
am 25. August 1999 in Zürich (Rössligasse/Niederdorf). Am 27. Juli 2007
verfügte der Haftrichter des Bezirksgerichtes Zürich auf Antrag der
Staatsanwaltschaft die Anordnung von Untersuchungshaft gegen den
Angeschuldigten. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit
Urteil vom 21. August 2007 ab (Verfahren 1B_166/2007).

B.
Am 2. November 2006 wurde X.________ vom Bezirksgericht Zürich, 4. Abteilung,
wegen einer weiteren Vergewaltigung (vom 9. September 1999) zum Nachteil
einer anderen Frau sowie Drogendelikten schuldig gesprochen und zu 2½ Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Entscheid vom 11. Oktober 2007 hat das
Obergericht des Kantons Zürich die Verurteilung bestätigt.

C.
Am 12. November 2007 stellte X.________ im hängigen
Strafuntersuchungsverfahren (Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung vom 25.
August 1999) ein Haftentlassungsgesuch, welches vom Haftrichter des
Bezirksgerichtes Zürich mit Verfügung vom 16. November 2007 abgewiesen wurde.
Dagegen gelangte X.________ mit Beschwerde vom 29. November 2007 an das
Bundesgericht. Er beantragt seine sofortige Haftentlassung. Die
Staatsanwaltschaft nahm in abschlägigem Sinne zur Beschwerde Stellung,
während vom kantonalen Haftrichter keine Vernehmlassung einging. Der
Beschwerdeführer replizierte am 11. Dezember 2007.

Erwägungen:

1.
Die Eintretensvoraussetzungen des BGG sind erfüllt.

2.
Nach Zürcher Strafverfahrensrecht darf Untersuchungshaft nur angeordnet bzw.
fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens
dringend verdächtig ist und ausserdem ein besonderer Haftgrund (z.B.
Fluchtgefahr) vorliegt (§ 58 Abs. 1 StPO/ZH).

3.
Der Beschwerdeführer bestreitet das Bestehen eines besonderen Haftgrundes
nicht. Er rügt jedoch, die Bejahung des dringenden Tatverdachtes durch den
kantonalen Haftrichter sei willkürlich und verletze das Grundrecht der
persönlichen Freiheit. Es bestehe keine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er, der
Beschwerdeführer, als Täter oder Teilnehmer eines Verbrechens oder Vergehens
in Frage komme. Die untersuchte Tat sei nicht mehr aufklärbar. Die
Geschädigte sei am 5. Juli 2000 verstorben. Die Staatsanwaltschaft habe
diesen Umstand bisher verheimlicht und damit gegen das rechtliche Gehör bzw.
den Grundsatz des fairen Verfahrens verstossen. Die Geschädigte sei nur
einmal, am 25. August 1999, zur Sache befragt worden. Da sie damals in einem
sehr betrunkenen und übernächtigten Zustand gewesen sei, bestünden grosse
Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussagen. Sie habe den Beschwerdeführer
ausserdem nicht konkret als Täter belastet, und ihre Aussagen könnten nicht
als Beweismittel gegen ihn verwertet werden, da er mit der Geschädigten nie
konfrontiert worden sei. Auch aus den übrigen Beweismitteln ergebe sich kein
Nachweis eines durch den Beschwerdeführer erzwungenen Geschlechtsverkehrs.
Die Wahrscheinlichkeit seiner Verurteilung erscheine daher aus Beweisgründen
äusserst gering.

3.1 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachtes keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender
Beweisergebnisse vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich
ohne ausreichenden Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist vielmehr zu
prüfen, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete
Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers an
dieser Tat vorliegen, die Justizbehörden somit das Bestehen eines dringenden
Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im
Haftprüfungsverfahren genügt dabei der Nachweis von konkreten
Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (vgl.
BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146). Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen lässt
dabei nur wenig Raum für ausgedehnte Beweismassnahmen. Zur Frage des
dringenden Tatverdachtes bzw. zur Schuldfrage hat der Haftrichter weder ein
eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, noch dem erkennenden Strafrichter
vorzugreifen. Vorbehalten bleibt allenfalls die Abnahme eines liquiden
Alibibeweises (vgl. BGE 124 I 208 E. 3 S. 210 mit Hinweisen).

Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art.
10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches
erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des
Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes
frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der
Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn
die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Haftrichters willkürlich sind
(vgl. BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit Hinweisen).

3.2 Wie sich aus den Akten ergibt, hat die mutmassliche Geschädigte bei der
polizeilichen Befragung vom 25. August 1999 ausführlich beschrieben, dass sie
wenige Stunden zuvor von einem ihr unbekannten Mann brutal vergewaltigt
worden sei. Dabei machte sie relativ präzise Angaben zum Signalement des
Täters, welche mit demjenigen des Beschwerdeführers grundsätzlich
übereinstimmen. Die diversen Verletzungen der Geschädigten (zahlreiche
Prellungen und Schürfungen an Gesicht und Körper, starke Würgemale am Hals
etc.) wurden photographisch dokumentiert. Gemäss dem Bericht des
Universitätsspitals Zürich vom 10. November 1999 über die (ebenfalls am 25.
August 1999 vorgenommene) gynäkologische Untersuchung weist das Spurenbild
deutlich auf eine Vergewaltigung hin. Aus dem bei der Geschädigten
unmittelbar nach der Tat ärztlich entnommenen Vaginalabstrich wurde ein
Sperma-Asservat medizinisch sichergestellt. Gemäss dem DNA-Analysegutachten
des Institutes für Rechtsmedizin an der Universität Zürich vom 23. Oktober
2007 stammt die Spermaspur von einer einzigen Person, und zwar mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Beschwerdeführer.

3.3 Der Beschwerdeführer versucht zwar, diese Untersuchungsergebnisse damit
zu erklären, dass es "am Tattag auch noch zu einem freiwilligen sexuellen
Kontakt" zwischen ihm und der Geschädigten "gekommen sein könnte" und dass
die bei ihr festgestellten Verletzungen von einem Dritten verursacht worden
sein könnten. Diese vagen Vermutungen lassen die konkreten Verdachtsgründe
gegen den Beschwerdeführer jedoch nicht dahinfallen. Im Falle einer
Anklageerhebung wird dem erkennenden Strafrichter die Prüfung obliegen, wie
sich die Einwände des Beschwerdeführers mit dessen bisherigen Aussagen und
den übrigen Beweisergebnissen in Einklang bringen lassen. Auch die Frage, ob
und inwieweit die Aussagen der Geschädigten vom 25. August 1999 als
belastendes Beweismittel verwertbar sind, wird vom Sachrichter zu beurteilen
sein. Das Vorbringen, eine Konfrontation der Geschädigten mit dem
Angeschuldigten sei nicht mehr möglich, lässt den dargelegten konkreten und
dringenden Tatverdacht jedenfalls nicht dahinfallen.

3.4 Über das Gesagte hinaus hat der Haftrichter weder eine umfassende
Beweiswürdigung vorzunehmen, noch der Beurteilung des Strafrichters
vorzugreifen. Die Annahme eines dringenden Tatverdachtes durch die kantonalen
Justizbehörden hält im vorliegenden Fall vor der Verfassung stand.

3.5 Der Beschwerdeführer macht schliesslich noch geltend, die
Staatsanwaltschaft habe den Grundsatz des "fair trial" und sein rechtliches
Gehör verletzt, weil sie ihm (zwischen seiner Verhaftung im Juli 2007 und
seinem letzten Haftentlassungsgesuch vom 12. November 2007) die Information
vorenthalten habe, dass die Geschädigte bereits im Juli 2000 verstorben war.
Die Staatsanwaltschaft räumt in ihrer Stellungnahme ein, dass sie den
Beschwerdeführer "aus untersuchungstaktischen Gründen nicht von Anfang an
über das Ableben" des Opfers aktiv informiert habe. Sie habe jedoch nie
fälschlich vorgegeben, die Geschädigte lebe noch. Der Beschwerdeführer
bestreitet dies in seiner Replik nicht. Ebenso wenig behauptet er, die
Staatsanwaltschaft habe Gesuche um Akteneinsicht zu Unrecht abgelehnt, oder
er habe sich bei behördlichen Stellen nach dem Verbleib und Wohl des
mutmasslichen Opfers erkundigt und keine oder falsche Informationen erhalten.

Gestützt auf Art. 31 Abs. 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 BV muss der Inhaftierte
über alle wesentlichen Informationen verfügen, die ihm eine wirksame Prüfung
der Haftgründe ermöglichen. Im hier streitigen und rechtshängigen
Haftbeschwerdeverfahren (gestützt auf das Haftentlassungsgesuch vom 12.
November 2007) war der Beschwerdeführer über das Ableben des Opfers
informiert. Wie bereits gezeigt, führt der Tod der Geschädigten hier nicht
zum Dahinfallen von Haftgründen. Die früheren (rechtskräftig abgeschlossenen)
Haftprüfungen bilden nicht mehr Gegenstand des vorliegenden
Beschwerdeverfahrens. Selbst wenn der Beschwerdeführer schon bei seiner
Verhaftung Ende Juli 2007 von der Staatsanwaltschaft über das Ableben des
Opfers aktiv informiert worden wäre, hätte daraus, wie aus den obigen
Erwägungen hervorgeht, kein Haftentlassungsgrund resultiert. Insofern kann
auch dem Vorbringen nicht gefolgt werden, die früheren Haftrichterentscheide
(oder das Urteil des Bundesgerichtes 1B_166/2007 vom 21. August 2007) hätten
auf einer falschen tatsächlichen Grundlage beruht. Die dem Beschwerdeführer
(angeblich zu Unrecht) vorenthaltene Information hat sich auf die hier
streitige Frage der Rechtmässigkeit der Haft gar nicht ausgewirkt.

Nach dem Gesagten liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs im
Haftprüfungsverfahren vor (Art. 31 Abs. 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 5
Ziff. 4 EMRK). Die Frage, ob darüber hinaus die Verfahrens- und Gehörsrechte
des Angeschuldigten im Strafuntersuchungsverfahren (auch im Lichte des
Grundsatzes des "fair trial", Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6
Ziff. 1 EMRK) ausreichend gewahrt wurden, bildet nicht Gegenstand des
vorliegenden Haftbeschwerdeverfahrens und ist gegebenenfalls vom erkennenden
Strafrichter zu beurteilen.

4.
Es ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 64 BGG
erfüllt sind (und sich insbesondere die finanzielle Bedürftigkeit des
Gesuchstellers aus den Akten ergibt), ist dem Begehren stattzugeben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Dem Rechtsbeistand des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Alex-ander
Prechtl, wird für das Verfahren vor Bundesgericht aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, Gewaltdelikte, und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Dezember 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster