Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.26/2007
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{T 0/2}
1B_26/2007 /ggs

Urteil vom 27. März 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas
Fingerhuth,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich,
Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Haftentlassung,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 10. Februar 2007.
Sachverhalt:

A.
X. ________ wird vorgeworfen, A.________, dem Freund seiner Nichte, am 20.
September 2006 um ca. 14.45 Uhr am Albisriederplatz in Zürich mit einem
Messer eine Stichverletzung in den Rücken- bzw. Schulterbereich zugefügt zu
haben. Anlässlich der gleichentags erfolgten polizeilichen Einvernahme und
der untersuchungsrichterlichen Befragung vom 21. September 2006 soll der
Angeschuldigte angegeben haben, dass nicht er, sondern sein Neffe B.________
das Opfer niedergestochen habe. Dadurch habe er sich eines Vergehens gegen
die Rechtspflege schuldig gemacht. Weiter wird er des Vergehens gegen das
Waffengesetz beschuldigt, da er das zur Tat benutzte Klappmesser im Jahr
2001/2002 in die Schweiz eingeführt und danach bis am 20. September 2006 im
Auto mit sich geführt haben soll.

Der Angeschuldigte ist bezüglich all dieser Vorwürfe mehrheitlich geständig.

B.
Am 6. Februar 2007 stellte X.________ ein Haftentlassungsgesuch. Der
Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich bejahte in seiner Verfügung vom 10.
Februar 2007 sowohl den dringenden Tatverdacht in Bezug auf die vorgeworfenen
Straftaten als auch den besonderen Haftgrund der Kollusionsgefahr. Gestützt
darauf wies er das Haftentlassungsgesuch ab.

C.
Mit Eingabe vom 1. März 2007 erhebt X.________ Beschwerde in Strafsachen. Er
beantragt die Aufhebung der haftrichterlichen Verfügung vom 10. Februar 2007
und seine Haftentlassung. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich verzichtet auf eine
Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich schliesst auf
Abweisung der Beschwerde.

In seiner Replik hält der Beschwerdeführer sinngemäss an seinen Anträgen
fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist nach
Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Untersuchungshaft darf nach Zürcher Strafprozessrecht nur angeordnet werden,
wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt
wird und ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt (§ 58 Abs. 1 des
Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919/StPO/ZH [LS 321]). Der
besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr ist gegeben, wenn "aufgrund
bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss", der
Angeschuldigte werde "Spuren oder Beweismittel beseitigen, Dritte zu falschen
Aussagen zu verleiten suchen oder die Abklärung des Sachverhalts auf andere
Weise gefährden" (§ 58 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH).

2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen des dringenden Tatverdachts
nicht. Er macht jedoch geltend, es seien keine Indizien ersichtlich, mit
welchen die vom Haftrichter behauptete Kollusionsgefahr begründet werden
könnte. Indem der angefochtene Entscheid vom Gegenteil ausgegangen sei, sei
die in Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV sowie in Art. 5 Ziff. 1 EMRK garantierte
persönliche Freiheit des Beschwerdeführers verletzt worden. Demzufolge sei er
in Gutheissung der Beschwerde aus der Haft zu entlassen, allenfalls unter der
Auflage eines Kontaktverbots zur Familie des Geschädigten.

2.2 Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr
soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit oder einen Urlaub dazu
missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu
vereiteln oder zu gefährden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes
genügt indessen die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in
Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die
Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen
vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen.
Das Vorliegen des Haftgrundes ist nach Massgabe der Umstände des Einzelfalles
zu prüfen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23; 123 I 31 E. 3c S. 35; 117 Ia 257 E. 4b
S. 261, je mit Hinweisen).

2.3 Der Haftrichter kommt im angefochtenen Entscheid unter Verweis auf den
Antrag des Staatsanwaltes vom 6. Februar 2007 zum Schluss, der Angeschuldigte
könnte - in Freiheit versetzt - versucht sein, die beteiligten
Familienangehörigen, namentlich aber den Zeugen C.________, zu falschen
Aussagen zu bewegen, zumal Letzterer offenbar grosse Angst gehabt habe, zur
Zeugeneinvernahme bei den Untersuchungsbehörden zu erscheinen. Deshalb sei
bis zum baldigen Abschluss der Untersuchung der Haftgrund der
Kollusionsgefahr nach wie vor gegeben. Der Beschwerdeführer erachtet diese
Begründung als zu allgemein und rein hypothetisch formuliert. Ob der Zeuge
C.________ tatsächlich grosse Angst gehabt habe, sei nicht belegt. In seiner
Vernehmlassung hat der Staatsanwalt indes dargelegt, dass der Zeuge
anlässlich der Einvernahme vom 20. September 2006 (act. 15/6 S. 4)
ausdrücklich folgende Befürchtungen geäussert hat:
"Ich muss Ihnen wirklich sagen, dass ich nun Angst habe, weil ich bei Ihnen
Aussagen gemacht habe. Ich fürchte um die Gesundheit meiner Kinder. Man weiss
ja bei diesen Leuten nie, was sie noch tun können."
Weiter hat der Staatsanwalt bereits in seinem Antrag vom 6. Februar 2007
darauf hingewiesen, dass der betreffende Zeuge grosse Angst vor dem
Angeschuldigten gezeigt habe und nicht zur Einvernahme habe erscheinen
wollen. Wenn der Haftrichter gestützt darauf von konkreter Kollusionsgefahr
ausgeht, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Vorbringen
des Beschwerdeführers, der Ausdruck "bei diesen Leuten" beziehe sich nicht
konkret auf ihn, überzeugt nicht. Dem Staatsanwalt ist darin zu folgen, dass
die Aussagen des Zeugen im Gesamtkontext der familiären Auseinandersetzung zu
sehen sind und durchaus auf konkrete Kollusionsgefahr durch den
Beschwerdeführer schliessen lassen. Zudem zeigt auch der Umstand, dass er
anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 20. September 2006 und der
untersuchungsrichterlichen Hafteinvernahme tags darauf im Einvernehmen mit
seinem Neffen wahrheitswidrig behauptet hat, Letzterer habe das Opfer
niedergestochen, konkret die Bereitschaft des Beschwerdeführers zu
Kollusionshandlungen.

3.
Die Verhältnismässigkeit der Haft wird vom Beschwerdeführer zu Recht nicht
bestritten. Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.
Diesem Antrag kann entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 27. März 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: