Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.266/2007
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1B_266/2007

Urteil vom 13. Dezember 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Noser,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Betäubungsmitteldelikte und
Organisierte Kriminalität, Neue Börse Selnau, Postfach, 8027 Zürich.

Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 20. November 2007 des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung
gegen X.________ wegen Handels mit Kokain. Der Angeschuldigte befindet sich
seit 31. Mai 2007 in Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 20. November 2007
verlängerte der Haftrichter des Bezirks Zürich die Untersuchungshaft bis zum
29. Februar 2008.

B.
Mit Eingabe vom 26. November 2007 erhebt X.________ gegen die
haftrichterliche Verfügung vom 20. November 2007 Beschwerde in Strafsachen
beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids
und die unverzügliche Haftentlassung; eventualiter sei die Haft bis 15.
Dezember 2007 zu befristen. Ausserdem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren.

Die Staatsanwaltschaft ersucht um Abweisung der Beschwerde. Der Haftrichter
hat sich nicht vernehmen lassen. In der Replik hält der Beschwerdeführer an
seinen Begehren fest.

Erwägungen:

1.
Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110) anwendbar (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG). Der
angefochtene Entscheid stützt sich auf kantonales Strafprozessrecht und kann
mit der Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG angefochten
werden. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf
die Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Die Untersuchungshaft darf nach Zürcher Strafverfahrensrecht nur
angeordnet bzw. fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens
oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ein besonderer
Haftgrund vorliegt (§ 58 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich
vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH; LS 321]). Kollusionsgefahr als besonderer Haftgrund
liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden
muss, der Angeschuldigte werde Spuren oder Beweismittel beseitigen, Dritte zu
falschen Aussagen zu verleiten suchen oder die Abklärung des Sachverhaltes
auf andere Weise gefährden (§ 58 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH).
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er wendet
sich aber gegen die Annahme von Kollusionsgefahr.

2.2 Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr
soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbraucht, die
wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden.
Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren
könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel
zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von
Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23; 128 I 149 E. 2.1 S.
151, je mit Hinweisen).

Konkrete Anhaltspunkte für Kollusion können sich nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des
Angeschuldigten im Strafprozess (Aussageverhalten, Kooperationsbereitschaft,
Neigung zu Kollusion usw.), aus seinen persönlichen Merkmalen (Leumund,
allfällige Vorstrafen usw.), aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im
Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie aus den persönlichen Beziehungen
zwischen ihm und den ihn belastenden Personen (Art der beruflichen,
freundschaftlichen, familiären oder sozialen Kontakte). Bei der Frage, ob im
konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen
Verdunkelungsgefahr droht, ist auch der Art und Bedeutung der von
Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der
untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen
(vgl. BGE 132 I 21 E. 3.2.1 S. 23; Urteil 1P.90/2005 vom 23. Februar 2005, E.
3.3, in: Pra 2006 Nr. 1 S. 1).

2.3 Nach dem Haftrichter besteht die Gefahr, dass der Beschwerdeführer mit
den mitbeschuldigten Beteiligten (Lieferanten, Abnehmer) in Kontakt treten
und seine Aussagen mit diesen abstimmen werde. Bisher habe der
Beschwerdeführer lediglich den Handel mit rund 1,5 Kilogramm Kokain
zugegeben; aufgrund der Aussagen von Mitbeteiligten stehe jedoch gegen ihn
ein Anklagevorwurf im Umfang von zwischen 5 und 10 Kilogramm Kokain im Raum.
Aus den Akten gehe hervor, dass durch die Mitangeschuldigten
Kollusionshandlungen getätigt und Aussagen abgesprochen worden seien, mittels
Kassibern und mittels anderer Mitgefangener, weshalb auch bisherige
Konfrontationseinvernahmen wiederholt werden müssten. Diese Erwägungen
erfolgten vor dem Hintergrund, dass A.________ und B.________, die als
Lieferanten des Beschwerdeführers beschuldigt werden, ihrerseits in
Untersuchungshaft sind, während sich der angebliche Abnehmer C.________ im
Strafvollzug befindet.

2.4 Die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer ist zwar bereits
fortgeschritten, aber bei weitem noch nicht abgeschlossen. Er räumt ein, dass
er im Vergleich zu den Tatvorwürfen der Staatsanwaltschaft kein
vollumfängliches Geständnis abgelegt hat. Es vermag ihm nicht zu helfen, wenn
er den Umfang der Sachverhaltselemente, bezüglich derer Kollusionshandlungen
möglich sind, zu bagatellisieren versucht. Entgegen seiner Meinung handelt es
sich bei den noch ungeklärten Punkten, wie viele Male unter seiner
Beteiligung Kokain übergeben wurde und wie gross die dabei gehandelte
Kokainmenge war, um wesentliche Aspekte der Strafuntersuchung.

2.5 Die Erwägungen der Vorinstanz zur Kollusionsgefahr nehmen Bezug auf
Versuche der mitangeschuldigten A.________ und C.________, ihre Aussagen mit
denen des Beschwerdeführers abzusprechen. Dem Beschwerdeführer selbst hat die
Vorinstanz keine aktiven Verdunkelungshandlungen vorgehalten. Dieser macht
geltend, die Versuche der Mitangeschuldigten seien nicht erfolgreich gewesen
und dürften ihm nicht zur Last gelegt werden. Vielmehr gehe es darum, ob
Kollusionshandlungen von ihm selbst vorliegen würden.

In der Vernehmlassung führt die Staatsanwaltschaft aus, der Beschwerdeführer
habe seine Aussagen an denen der Mitangeschuldigten A.________ und C.________
ausgerichtet. Die Staatsanwaltschaft werde zu gegebener Zeit nachweisen, dass
der Beschwerdeführer über eine weitere Drittperson in Verbindung mit
C.________ getreten sei, um zu kolludieren. Wie es sich damit verhält, mag
dahingestellt bleiben. Der Beschwerdeführer scheint zu verkennen, dass
Kollusionsgefahr im Lichte der bei E. 2.2 dargelegten Rechtsprechung auch
dann angenommen werden darf, wenn ein Beschuldigter nicht bereits
nachweislich Kollusionshandlungen begangen hat.

2.6 Die bisherigen Belastungen der drei Mitangeschuldigten stimmen
untereinander, was den Beschwerdeführer betrifft, nicht überein. Dabei haben
deren Aussagen einen hohen Stellenwert im Verfahren gegen den
Beschwerdeführer. Weiter gilt es die besondere Position des Beschwerdeführers
als angeblicher Zwischenhändler zu bedenken. Die Aussagen der
Mitangeschuldigten betreffen jeweils nur einen Ausschnitt der gegen den
Beschwerdeführer gerichteten Untersuchung.

Diesem ist bekannt, dass sowohl A.________ als auch C.________ Versuche zu
Kollusionshandlungen unternommen haben, obwohl sie in Untersuchungshaft bzw.
im Strafvollzug sind. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Kenntnis von
diesen Machenschaften erhalten hat, schliesst es nicht aus, dass von Seiten
des Beschwerdeführers Kollusionsversuche erfolgen könnten. Insbesondere hat
die Konfrontationseinvernahme mit A.________ noch nicht stattgefunden, und
diejenige vom 13. November 2007 mit C.________ soll wegen der von diesem
zugegebenen Kollusionshandlungen wiederholt werden. Der Beschwerdeführer hat
nach wie vor ein konkretes Interesse daran, die Aussagen der beiden
Mitangeschuldigten zur Häufigkeit und zur Menge des Kokainhandels zu
beeinflussen, und diese mit seinen eigenen Angaben in Einklang zu bringen. Ob
ein solches Unterfangen aussichtsreich erscheint, ist nicht entscheidend, da
auch eine Gefährdung der Wahrheitsfindung genügt.

Hinzu kommt, dass beim Beschwerdeführer gerade im Verhältnis zum
Mitangeschuldigten A.________ eine besondere Beziehung vorliegt. Der
Beschwerdeführer hat in der laufenden Strafuntersuchung zugegeben, dass er in
einem früheren Strafprozess betreffend Betäubungsmitteldelikten bewusst
unrichtige Angaben zu seinem damaligen Lieferanten gemacht habe, um den hier
mitangeschuldigten A.________ zu decken.

Insgesamt durfte der Haftrichter unter den gegebenen Umständen davon
ausgehen, dass Kollusionsgefahr bestehe.

2.7 Zu prüfen bleibt, ob die Fortsetzung der Untersuchungshaft, wie der
Beschwerdeführer vermutet, im Sinne einer Beugehaft angeordnet worden ist und
dazu dient, ihn zu einem weitergehenden Geständnis zu bewegen.

Die bei E. 2.2 hiervor dargelegte Rechtsprechung enthält die Passage, wonach
sich Hinweise auf Kollusionsgefahr unter anderem aus dem Aussageverhalten und
der Kooperationsbereitschaft des Angeschuldigten ergeben könnten. Indessen
stellen das blosse Verweigern der Aussage, aber auch das Leugnen der Tat und
das wahrheitswidrige Bestreiten von Indizien, keine Kollusionshandlungen dar
und können keine Kollusionsgefahr begründen (Urteil 1P.219/2006 vom 4. Mai
2006, E. 3.5.1, in: Pra 2007 Nr. 1 S. 1).
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Untersuchungshaft im
vorliegenden Fall dazu missbraucht würde, den Beschwerdeführer zu Aussagen zu
bewegen. Die Haft wurde zur Sicherung konkret bevorstehender
Ermittlungsmassnahmen, namentlich der angesprochenen
Konfrontationseinvernahmen, verlängert. Die Untersuchung muss hinreichend
rasch geführt werden, um die Inhaftierung wegen Kollusionsgefahr in engen
Grenzen zu halten. Im Folgenden ist der Frage nachzugehen, ob das
Strafverfahren mit der gebotenen Beschleunigung geführt wird. Unter diesem
Vorbehalt ist dem Haftrichter beizupflichten, dass keine mildere Massnahme
als die Aufrechterhaltung der Haft ersichtlich ist, um der
Verdunkelungsgefahr hinreichend entgegenzuwirken.

3.
3.1 Überhaft macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Er behauptet jedoch,
wie bereits angesprochen, die Untersuchung werde nicht genügend rasch
vorangetrieben. Seit 1. September 2007 habe die Staatsanwaltschaft nur ganz
wenige Untersuchungshandlungen getätigt. Die seit langem in Aussicht
genommene Konfrontationseinvernahme mit A.________ habe ohne plausiblen Grund
nicht stattgefunden. Eine Erstreckung der Haftdauer bis Ende Februar 2008 sei
nicht gerechtfertigt, weil die noch ausstehenden Einvernahmen an sich
kurzfristig, d.h. vor den Weihnachtsfeiertagen, angesetzt werden könnten.

3.2 In einem Nebenpunkt rügt der Beschwerdeführer, der angefochtene Entscheid
äussere sich nicht zu seinen Vorbringen betreffend die noch nicht
durchgeführte Konfrontationseinvernahme mit A.________. Soweit der
Beschwerdeführer damit sinngemäss eine Gehörsrüge erhebt, geht diese fehl.
Die Vorinstanz war nicht gehalten, sich in der Entscheidbegründung mit jedem
Einwand des Beschwerdeführers auseinander zu setzen (vgl. BGE 126 I 97 E. 2b
S. 102 f. mit Hinweisen). Der angefochtene Entscheid verneint eine Verletzung
des Beschleunigungsgebots, weil es sich um eine aufwändige und umfangreiche
Strafuntersuchung mit einer Vielzahl von Einzeldelikten und mehreren
Angeschuldigten handle. Die Strafuntersuchung sei durch regelmässige und
zielgerichtete Untersuchungshandlungen gefördert worden. Ob diese Beurteilung
zutrifft, ist nicht eine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der
materiellen Beurteilung.

3.3 Eine strafprozessuale Haft kann die zulässige Dauer überschreiten, wenn
das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird, wobei sowohl das
Verhalten der Justizbehörden als auch dasjenige des Inhaftierten in Betracht
gezogen werden müssen (BGE 132 I 21 E. 4.1 S. 28 mit Hinweisen). Hier sind
keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, dass die kantonalen Behörden das
Verfahren ungebührlich verschleppen würden. Aus den Akten ergibt sich, dass
die Untersuchung betreffend den Beschwerdeführer in dem von ihm beanstandeten
Zeitraum zwischen September und November 2007 ausreichend vorangetrieben
worden ist. Von einer ins Gewicht fallenden Verfahrensverzögerung ist bis
anhin nicht auszugehen.

Wohl hat die Untersuchungsbehörde dafür zu sorgen, dass die ausstehenden
Konfrontationseinvernahmen beförderlich durchgeführt werden. Es erscheint
allerdings als haltbar, wenn die Vorinstanz dafür keinen besonderen Zeitraum
vorgegeben hat. Es lässt sich erwarten, dass diese Einvernahmen innerhalb der
von der Vorinstanz festgelegten Haftverlängerung vorgenommen werden können.
Eine allfällige weitere Verlängerung der Haftdauer bedürfte jedenfalls einer
sorgfältigen Begründung. Demgegenüber stellt der Beschwerdeführer überspannte
Anforderungen, wenn er eine Ansetzung der gesamten erforderlichen
Einvernahmen noch vor den Weihnachtsfeiertagen verlangt.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang wird der
Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat
freilich ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gestellt. Dieses ist gutzuheissen, weil seine Bedürftigkeit ausgewiesen
erscheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 64
Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Kaspar Noser wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt
und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr.
1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II des
Kantons Zürich, Betäubungsmitteldelikte und Organisierte Kriminalität, und
dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Dezember 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Kessler Coendet