Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.260/2007
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1B_260/2007

Urteil vom 18. Dezember 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Guido Seitz,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach 1233, 8026 Zürich.

Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 16. Oktober 2007 des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichterin.
Sachverhalt:

A.
X. ________ befindet sich seit dem 15. Januar 2007 in Untersuchungshaft. Es
wird ihm vorgeworfen, Raubüberfälle auf mehrere Bankfilialen in den Kantonen
Zürich und Bern begangen zu haben.

Am 11. Oktober 2007 beantragte der zuständige Staatsanwalt der
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich die Verlängerung der
Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 16. Oktober 2007 verlängerte die
Haftrichterin am Bezirksgericht Zürich die Untersuchungshaft wegen Flucht-
und Kollusionsgefahr bis zum 15. Januar 2008.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ beim Bundesgericht die
Aufhebung der Verfügung der Haftrichterin und seine sofortige Entlassung aus
der Untersuchungshaft. Ferner ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche
Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren.

C.
Der Staatsanwalt beantragt Beschwerdeabweisung. Die Haftrichterin hat auf
Vernehmlassung verzichtet. Der Beschwerdeführer hat repliziert.

Erwägungen:

1.
Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) anwendbar (Art. 132
Abs. 1 BGG). Die angefochtene Verfügung vom 16. Oktober 2007 stützt sich auf
kantonales Strafprozessrecht und kann mit der Beschwerde in Strafsachen
gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001
zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313).

2.
2.1 Gemäss § 58 Abs. 1 und 2 des Gesetzes des Kantons Zürich betreffend den
Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) ist die Anordnung und Fortdauer der
Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder
Vergehens dringend verdächtigt wird und aufgrund bestimmter Anhaltspunkte
Flucht-, Kollusions-, Wiederholungs- oder Ausführungsgefahr ernsthaft zu
befürchten ist. Vorliegend bestreitet der Beschwerdeführer den dringenden
Tatverdacht. Er rügt eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen
Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK).

2.2 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender
Beweisergebnisse vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich
ohne ausreichenden Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist allein zu
prüfen, ob genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer
eine Straftat begangen hat und die kantonalen Behörden somit das Bestehen
eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften (BGE
116 Ia 143 E. 3c S. 146). Mit fortschreitendem Untersuchungsverfahren muss
ein immer strengerer Massstab an die Erheblichkeit und Korrektheit des
Tatverdachts gestellt werden. Dabei dürfen jedoch die Schwierigkeiten der
konkreten Strafuntersuchung berücksichtigt werden (vgl. das Urteil des
Bundesgerichts 1P.496/2000 vom 8. September 2000, E. 4a).

2.3 Dem Beschwerdeführer wird konkret vorgeworfen, sich an je einem
Raubüberfall auf die Filiale Y.________ der Bank A.________ und auf die
Filiale Z.________ der Bank B.________ beteiligt zu haben. Die Haftrichterin
verweist zur Begründung des dringenden Tatverdachts auf den
Haftverlängerungsantrag der Staatsanwaltschaft vom 11. Oktober 2007. Daraus
ergibt sich Folgendes:

Der Beschwerdeführer sei wenige Stunden nach dem Raubüberfall auf die Filiale
Y.________ der Bank A.________  am 12. Januar 2007 zusammen mit den weiteren
mutmasslichen Tätern verhaftet worden. Bei den Verhafteten hätten Geld,
Vermummungsmaterial und Waffen sichergestellt werden können. Der beim
Beschwerdeführer sichergestellte Geldbetrag (in Euro) habe ungefähr einem
Viertel des erbeuteten Geldbetrages (in Euro) entsprochen. Der
Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft erklären können, woher das Geld stamme.
Weiter habe die Observierung der Mitangeschuldigten zur Vermutung geführt,
dass der Beschwerdeführer am 10. Januar 2007, zwei Tage vor dem Überfall, die
Filiale der Bank A.________ ausgekundschaftet habe. An einem am Tatort
sichergestellten Teppichmesser und am Klebeband zur Fesselung der Opfer sowie
an einer sich im Fluchtauto befindenden Sturmhaube habe DNA von zwei
Mitangeschuldigten nachgewiesen werden können. An einer in der Wohnung eines
weiteren Mitangeschuldigten sichergestellten Sturmhaube habe DNA des
Beschwerdeführers festgestellt werden können. Es bestehe damit der dringende
Tatverdacht, dass sich der Beschwerdeführer am Raubüberfall auf die Filiale
der Bank A.________ beteiligt habe. Der Beschwerdeführer habe diesen Verdacht
durch seine zögerlichen Aussagen nicht entkräften können, sondern sich auf
kriegsbedingte Erinnerungslücken berufen.

Nach dem Raubüberfall auf die Filiale Z.________ der Bank B.________ am 28.
Dezember 2006 habe ebenfalls DNA des Beschwerdeführers sowie eines
Mitangeschuldigten nachgewiesen werden können. Des Weitern habe auf dem
sichergestellten Mobiltelefon des Beschwerdeführers ein Verbindungsaufbau in
der Nähe des Tatorts rund 40 Minuten vor dem Überfall registriert werden
können.

Die Haftrichterin schliesst aufgrund dieser Sachlage, dass der dringende
Tatverdacht der Beteiligung des Beschwerdeführers an den Raubüberfällen zu
bejahen sei. Der Umstand, dass nicht alle DNA-Spuren dem Beschwerdeführer im
jetzigen Zeitpunkt eindeutig zuzuordnen seien, ändere daran nichts. Die
Zuordnung sei aufgrund der vorläufigen Ergebnisse des Rechtsmedizinischen
Instituts der Universität Bern jedenfalls nicht auszuschliessen und das
definitive DNA-Gutachten stehe noch aus.

2.4 Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe einleuchtende Erklärungen dafür
abgegeben, weshalb auf der sichergestellten Sturmhaube seine DNA-Spur
gefunden und weshalb das Mobiltelefon in der Nähe des Tatorts in Z.________
benutzt wurde. Er legt aber vor Bundesgericht nicht dar, welchen Inhalt diese
Erklärungen überhaupt gehabt haben sollen. Mit diesem Vorbringen ist er daher
nicht zu hören.

Der Beschwerdeführer wendet ein, die Observierung der Mitangeschuldigten habe
lediglich die Vermutung entstehen lassen, dass er sich am Raubüberfall in
Y.________ beteiligt habe. Er verkennt, dass sich der Tatverdacht bei weitem
nicht auf diese eine Observierung, sondern auf zahlreiche weitere Indizien
und Beweise stützt (zögerliche Aussagen, Sicherstellung von Geld, Waffen und
Vermummungsmaterial, DNA-Spuren, Verhaftung zusammen mit den
Mitangeschuldigten).

Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, die DNA-Spuren könnten ihm nicht
mit Sicherheit zugeordnet werden. Dabei lässt er ausser Acht, dass es nicht
Sache der Haftrichterin ist, die Beweise und Indizien abschliessend zu
beurteilen. Dass die vorgefundenen DNA-Spuren ihm möglicherweise zugeordnet
werden können, stellt auch er nicht in Abrede.
Schliesslich beanstandet der Beschwerdeführer, seit seiner Verhaftung am 12.
Januar 2007 hätten sich die Verdachtsmomente gegen ihn nicht erhärten lassen.
Dagegen ist einzuwenden, dass bereits zu Beginn der Strafuntersuchung
gewichtige Anhaltspunkte für eine Tatbegehung vorgelegen haben, die bisher
nicht widerlegt werden konnten und die mit Blick auf die Komplexität der
Untersuchung eine Inhaftierung nach wie vor rechtfertigen. Ob das Verfahren
verschleppt wurde, ist im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung des
Beschleunigungsgebots zu prüfen.

Nach dem Gesagten sind die Argumente des Beschwerdeführers nicht geeignet,
den dringenden Tatverdacht der Beteiligung an den Raubüberfällen in
Y.________ und Z.________ zu widerlegen, und hat die Haftrichterin den
dringenden Tatverdacht bezüglich dieser beiden Straftaten bejahen dürfen.
Eine Verletzung der persönlichen Freiheit liegt nicht vor.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Strafuntersuchung sei nicht mit der
gebotenen Eile geführt worden. Insbesondere sei nicht erklärlich, weshalb die
Untersuchungsbehörden das DNA-Gutachten erst sieben Monate nach der
Inhaftierung in Auftrag gegeben hatten.

3.2 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in
strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer
angemessenen Frist richterlich beurteilt oder während des Strafverfahrens aus
der Haft entlassen zu werden. Nach der Rechtsprechung ist im
Haftprüfungsverfahren die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der
verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt,
indessen nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet
ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu
einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders
schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine
schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden
Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht
in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs-
und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum
Abschluss zu bringen.

Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen
bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegt. Es genügt
diesfalls, die zuständige Behörde zur besonders beförderlichen Weiterführung
des Verfahrens anzuhalten und die Haft gegebenenfalls allein unter der
Bedingung der Einhaltung bestimmter Fristen zu bestätigen (BGE 128 I 149 E.
2.2 S. 151 f.).
3.3 Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass das Verfahren nicht mit der
gebotenen Beschleunigung geführt worden wäre. Wie sich aus dem
Haftverlängerungsantrag ergibt, steht eine bandenmässige Tatbegehung zur
Diskussion. Die Behörden müssen einen komplexen Straffall mit internationalen
Bezügen abklären. Dabei haben sie in keiner Weise erkennen lassen, dass sie
nicht fähig oder unwillig wären, das Verfahren rasch zum Abschluss zu bringen
(vgl. den Haftverlängerungsantrag S. 4). Dass das definitive DNA-Gutachten
erst sieben Monate nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers in Auftrag
gegeben wurde, hat auf die Gesamtdauer des Untersuchungsverfahrens keinen
Einfluss. In Anbetracht der Schwere der vorgeworfenen Straftaten ist im
jetzigen Zeitpunkt nicht mit einer Überhaft zu rechnen, so dass die
Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft nicht in Frage gestellt ist. Eine
Verletzung des Beschleunigungsgebots liegt ebenfalls nicht vor.

4.
Somit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist demzufolge
abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann entsprochen werden
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege erteilt:
2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Guido Seitz wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt
und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit
einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, Gewaltdelikte, und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Dezember 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder