Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.24/2007
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{T 0/2}
1B_24/2007 /ggs

Urteil vom 13. März 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Tanja Knodel,
und diese substituiert durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Glarner,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026
Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Sicherheitshaft,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 16. Februar 2007.
Sachverhalt:

A.
Der 1972 geborene nigerianische Staatsangehörige X.________ befindet sich
seit dem 24. August 2006 in Haft (zunächst Untersuchungshaft, heute
Sicherheitshaft).

Der Haftrichter (Einzelrichter) am Bezirksgericht Zürich ordnete mit
Verfügung vom 16. Februar 2007 an:
1.Der Angeklagte bleibt in Haft.

2. Der Entscheid über die Zulassung der Anklage bzw. über die Vorladung zur
Hauptverhandlung erfolgt demnächst durch den zuständigen Strafrichter.

3. Der Angeklagte kann jederzeit beim zuständigen Staatsanwalt ein Gesuch um
Aufhebung der Sicherheitshaft stellen.

B.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen vom 20. Februar 2007, er
sei unverzüglich aus der Sicherheitshaft zu entlassen; eventualiter sei "der
Entscheid" aufzuheben und die Sache dem Bezirksgericht Zürich zur
Neubeurteilung zurückzuweisen.

C.
In der Vernehmlassung beantragt die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, die
Beschwerde sei abzuweisen. Der Haftrichter hat sich nicht vernehmen lassen.

X. ________ hat am 7. März 2007 eine Replik eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die angefochtene Verfügung erging nach dem 1. Januar 2007. Gemäss Art.
132 Abs. 1 BGG ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG, SR 173.110) anwendbar.

1.2 Die angefochtene Verfügung ist ein Entscheid in Strafsachen im Sinne von
Art. 78 Abs. 1 BGG (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001, S. 4313). Sie ist kantonal letztinstanzlich
(Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81
Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da das Bundesgericht bei Gutheissung der
Beschwerde in der Sache selbst entscheiden kann (Art. 107 Abs. 2 BGG), ist
der Antrag auf Haftentlassung zulässig.

1.3 Der Eventualantrag des Beschwerdeführers, wonach ein nicht näher
bezeichneter "Entscheid" aufzuheben sei, ist auf die angefochtene Verfügung
vom 16. Februar 2007 zu beziehen und wird in diesem Sinne entgegengenommen.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10
Abs. 2 BV, Art. 5 Ziff. 1 EMRK), der Verfahrensgarantien bei Freiheitsentzug
(Art. 31 BV) und des Willkürverbots (Art. 9 BV). Das Bestehen eines
Tatverdachts werde nicht bestritten, hingegen fehle der Haftgrund der
Fluchtgefahr. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keinen Wohnsitz in
der Schweiz besitze, könne nicht auf Fluchtgefahr geschlossen werden. Der
einzige Anhaltspunkt für Fluchtgefahr sei die nigerianische
Staatsangehörigkeit bzw. die aus diesem Umstand folgende geschäftliche und
persönliche Beziehung des Beschwerdeführers zu Nigeria. Dies reiche für die
Annahme von Fluchtgefahr nicht aus und stelle eine Benachteiligung von
Ausländern gegenüber Schweizern dar. Der Beschwerdeführer lebe seit 10 Jahren
in der Schweiz, sei seit 1999 mit einer Schweizerin verheiratet, lebe zwar
von ihr getrennt, unterhalte zu ihr aber einen äusserst engen und
regelmässigen Kontakt. Zu seiner heutigen Partnerin in Zürich und zu seiner
dreijährigen Tochter aus dieser Verbindung lebe er eine enge und intensive
Beziehung. Dies drücke sich darin aus, dass er seine Familie finanziell
unterstütze. Angesichts dieser starken familiären Bindung in der Schweiz sei
eine Fluchtgefahr unwahrscheinlich. Da die Haft schon 6 Monate dauere und die
allfällig zu verbüssende Freiheitsstrafe entsprechend geringer werde, könne
eine Flucht praktisch ausgeschlossen werden.

3.
3.1 Sicherheitshaft gemäss Zürcher Recht darf nur angeordnet werden, wenn der
Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und
ausserdem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss,
er werde sich namentlich der Strafverfolgung oder der zu erwartenden Strafe
durch Flucht entziehen (§ 67 i.V.m. § 58 Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZH).

3.2 Nach der Rechtsprechung darf Fluchtgefahr nicht schon angenommen werden,
wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen
konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich,
sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der drohenden
Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden
Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a mit Hinweisen). Es müssen
die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten
Lebensverhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (117 Ia 69
E. 4a mit Hinweisen). So ist es zulässig, die familiären und sozialen
Bindungen des Häftlings, dessen berufliche Situation und Schulden sowie
Kontakte ins Ausland und Ähnliches mitzuberücksichtigen (Urteil 1P.464/1996
vom 12. September 1996, E. 2c/aa, publiziert in: EuGRZ 1997, S. 15 ff.).

4.
Gemäss der angefochtenen Verfügung hat der Haftrichter Einsicht in die
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 12. Februar 2007 und in die
Untersuchungsakten genommen. Er führt aus, "dass bezüglich des Vorliegens des
dringenden Tatverdachts sowie des Haftgrundes der Fluchtgefahr vollumfänglich
auf die bisher ergangenen haftrichterlichen Verfügungen bzw. die
entsprechenden Anträge der Untersuchungsbehörden verwiesen werden kann
(Untersuchungsakten, HD act. 35/1-20)" und dass die Untersuchungshaft im
Hinblick auf den Strafantrag der Staatsanwaltschaft (Freiheitsstrafe von 3
Jahren) ohne Weiteres als verhältnismässig erscheine.

4.1 Gemäss Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist der Beschwerdeführer der
mehrfachen, teilweise versuchten Veruntreuung und der Urkundenfälschung
angeklagt. Es wird ihm vorgeworfen, er habe zusammen mit einem Mittäter einem
Dritten einen Geldvermehrungstrick vorgeführt und diesen zur Herausgabe von
Banknoten bewogen (Fr. 60'000.--, Vorfall in Winterthur vom 20. März 2004)
bzw. zu bewegen versucht (Fr. 200'000.--, Vorfall in Zürich vom 24. August
2006). Ferner soll er ein gefälschtes Flugbillett verwendet haben, um sich
ein Alibi für den zweitgenannten Vorfall zu verschaffen.

4.2 Der Beschwerdeführer hat eine frühere Haftrichterverfügung vom
8. Februar 2007 eingereicht. Damals erwog der Haftrichter, "dass der
Angeschuldigte in der Schweiz keinen festen Wohnsitz hat und lediglich die
Staatsangehörigkeit von Nigeria besitzt, dass der Angeschuldigte zwar über
verwandtschaftliche Beziehungen zur Schweiz verfügt, da seine Tochter und
seine Freundin hier leben, dass der Angeschuldigte jedoch angesichts der ihm
im Falle einer Verurteilung drohenden Bestrafung versucht sein könnte, diese
Beziehung einstweilen für geringer zu schätzen und sich in sein Heimatland
Nigeria abzusetzen, womit er den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr zur
Verfügung stünde, [...] dass sich der Angeschuldigte vor seiner Verhaftung
immer wieder in Nigeria aufhielt, er somit einen regelmässigen Kontakt mit
seinem Herkunftsland aufrecht erhält, dass der Angeschuldigte durch seine
Tätigkeit im Autohandel über gute geschäftliche Kontakte zu Nigeria verfügt,
dass seine Freundin in Begleitung der gemeinsamen Tochter den Angeschuldigten
in Nigeria besuchen könnte". Aufgrund dieser Umstände bestehe nach wie vor
Fluchtgefahr.

4.3 Gemäss der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft wohnt der
Beschwerdeführer nicht mit seiner Partnerin und seiner Tochter zusammen und
hat sich letztmals während rund sieben Monaten in Afrika aufgehalten. Dies
hat die Staatsanwaltschaft bereits vor dem Haftrichter geltend gemacht
(Antrag auf Fortsetzung von Untersuchungshaft vom 5. Februar 2007).

Der Beschwerdeführer wendet in der Replik ein, sein Lebensmittelpunkt befinde
sich seit seiner Einreise vor über 10 Jahren in der Schweiz und die
Abwesenheit in Afrika 2005/2006 sei in erster Linie auf eine Erkrankung
zurückzuführen.

4.4 Der Haftrichter hat die Fluchtgefahr mit wiederholten Aufenthalten und
geschäftlichen Kontakten des Beschwerdeführers in Nigeria gerechtfertigt und
damit konkrete Gründe genannt. Es trifft nicht zu, dass die Befürchtung, der
Beschwerdeführer könnte flüchten, bloss auf abstrakten Gründen, auf seiner
Staatsbürgerschaft oder auf der drohenden Strafhöhe beruht. Der
Beschwerdeführer bestreitet den Aufenthalt in Nigeria und das Getrenntleben
von Partnerin und Tochter nicht. Bei diesen äusseren Umständen ist es
verfassungsrechtlich haltbar, dass der Haftrichter Fluchtgefahr annahm. Das
Vorbringen ist unbegründet.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen.

Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung. Von seiner Mittellosigkeit ist auszugehen. Da die Haft einen
schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur
Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 64
BGG wird daher bewilligt. Es ist keine Gerichtsgebühr zu erheben und dem
Vertreter des Beschwerdeführers ist eine Entschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen.

2.1 Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Dr. Andreas Glarner wird für das bundesgerichtliche
Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'800.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. März 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: