Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.242/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_242/2007

Urteil vom 28. April 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann, Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner,

gegen

Rolf Naef, Obergericht des Kantons Zürich,
Hirschengraben 15, Postfach, 8023 Zürich,
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Ablehnung, Art. 30 Abs. 1 BV,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 10. Oktober 2007 des Obergerichts des
Kantons Zürich, II. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.
A.________ wurde mit Urteil des Einzelrichters am Bezirksgericht Zürich vom 30.
Januar 2007 des mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19
Ziff. 1 Abs. 4) für schuldig befunden und mit einer Geldstrafe von 21
Tagessätzen zu Fr. 30.-- unter Aufschub des Vollzuges bestraft. Er legte gegen
das Urteil des Einzelrichters Berufung ein.

Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich führte am 20. August
2007 die Berufungsverhandlung durch. Eingangs stellte A.________ gegen
Oberrichter Rolf Naef wegen Befangenheit resp. Anscheins der Befangenheit ein
Ausstandsgesuch. Hintergrund des Ersuchens bildete der Umstand, dass
Oberrichter Naef als Referent in der Berufungssache mit dem Rechtsvertreter des
Beschuldigten anfangs Juli 2007 Kontakt aufgenommen und ihm mitgeteilt hatte,
dass er gestützt auf die Akten wohl einen Antrag auf Abweisung der Berufung
stellen werde. Durch dieses Vorgehen habe Oberrichter Naef den Anschein der
Voreingenommenheit erweckt. Oberrichter Naef gab die gewissenhafte Erklärung im
Sinne von § 100 Abs. 1 GVG ab, in der Sache nicht befangen zu sein.

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2007 wies die II. Strafkammer des Obergerichts
das Ausstandsbegehren ab. Zur Begründung führt die Strafkammer aus, der
Referent mache sich allein aufgrund der Akten ein vorläufiges Bild und dürfe
diese Meinung kundtun. Der Ausgang des Verfahrens erscheine im Hinblick auf die
spätere Berufungsverhandlung (mit der Anhörung des Beschuldigten und den
Vorbringen des Rechtsvertreters) trotz der Meinungsäusserung noch als offen. Im
vorliegenden Fall habe der Referent weder auf den Rechtsvertreter noch auf den
Beschuldigten Druck ausgeübt.

B.
Gegen diesen Beschluss des Obergerichts hat A.________ beim Bundesgericht am
29. Oktober 2007 Beschwerde in Strafsachen erhoben und die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides beantragt. Überdies ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege. Er rügt namentlich eine Verletzung von Art. 30
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Zur Begründung macht er im Wesentlichen
geltend, mit der Kontaktnahme und der entsprechenden Mitteilung habe
Oberrichter Naef eine Haltung zum Ausdruck gebracht, die den Beschuldigten
verunsichert, ihm den Rückzug der Berufung nahelegt und damit den Eindruck der
Voreingenommenheit hinterlassen habe.
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Oberrichter Naef
beantragt mit ausführlicher Stellungnahme die Abweisung der Beschwerde und
bestätigt seine gewissenhafte Erklärung. Der Beschwerdeführer hält in seiner
Replik an Antrag und Begründung fest.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in Strafsachen und die gestellten Anträge sind zulässig (Art.
78, Art. 80, Art. 81 Abs. 1, Art. 92 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 2 BGG).

Der Beschwerdeführer beruft sich vorab auf Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK und begründet vor dem Hintergrund der tatsächlichen Vorkommnisse, weshalb
seiner Ansicht nach der Anspruch auf einen unvoreingenommenen Richter verletzt
sei. Er nimmt keinen Bezug auf das kantonale Verfahrensrecht, weshalb die
Beschwerde ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel der genannten Garantien zu
prüfen ist. Im Übrigen legt der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern die
Garantien von Art. 29 BV betroffen und verletzt sein sollen; insoweit ist auf
die Beschwerde nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch
darauf, dass ihre Strafsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und
unparteiischen Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine
sachfremden Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger
Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil
einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess
erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein
gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters
wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den
Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen
vermögen (BGE 114 Ia 50 E. 3b und 3c S. 53 ff., 134 I 20 E. 4.2 S. 21, 131 I 24
E. 1.1 S. 25, 131 I 113 E. 3.4 S. 116, mit Hinweisen).
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der
Rechtsprechung angenommen, wenn sich im Einzelfall anhand aller tatsächlichen
und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten ergeben, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Diese können
namentlich in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters begründet
sein. Bei dessen Beurteilung ist nicht auf das subjektive Empfinden einer
Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in
objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die
bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit
erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich
befangen ist (BGE 128 V 80 E. 2a S. 84, 127 I 196 E. 2b S. 198, 126 I 68 E. 3a
S. 73, 125 I 119 E. 3a S. 122, 124 I 255 E. 4a S. 261, mit Hinweisen).

Der Anschein der Befangenheit kann durch unterschiedlichste Umstände und
Gegebenheiten erweckt werden. Dazu können nach der Rechtsprechung insbesondere
vor oder während eines Prozesses abgegebene Äusserungen eines Richters zählen,
die den Schluss zulassen, dass sich dieser bereits eine feste Meinung über den
Ausgang des Verfahrens gebildet hat (BGE 125 I 119 E. 3a S. 122, Urteil 1P.687/
2005 vom 9. Januar 2006, E. 7).

2.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der genannten
Verfahrensgrundrechte. Er macht geltend, Oberrichter Naef habe durch die
Kontaktaufnahme mit dem Rechtsvertreter und die Mitteilung, er werde wegen der
Aussichtslosigkeit der Berufung wohl einen Abweisungsantrag stellen, eine
Haltung zum Ausdruck gebracht, die Befangenheit zeige oder zumindest den
Anschein der Voreingenommenheit erwecke. Im Einzelnen bringt der
Beschwerdeführer vor, bei der umstrittenen Mitteilung könne er nicht wissen, in
wessen Namen der Referent spreche, und er habe annehmen müssen, dass dieser die
Auffassung des Spruchkörpers wiedergebe. Damit werde der Eindruck erweckt, dass
ihn das Gericht nicht sehen und nicht hören wolle. Bei dieser Sachlage werde es
dem Gericht schwerfallen, von der geäusserten Auffassung abzurücken und, wie in
der Berufung beantragt, auf einen Freispruch zu erkennen. Es erscheine
unverantwortlich, eine derartige Äusserung vor Durchführung der
Berufungsverhandlung zu machen; die Vorbringen anlässlich der Verhandlung seien
noch nicht bekannt und die Verteidigungsstrategien im Übrigen unwägbar. Die
Mitteilung eines "Boten des Gerichts" könne gerade bei einer nicht
rechtsgewohnten Partei eine tiefgreifende Verunsicherung hervorrufen. Im
vorliegenden Fall komme hinzu, dass es der Referent unterlassen habe, dem
Dossier eine entsprechende Aktennotiz beizufügen. Zudem habe die Berufung
aufgrund einer Vielzahl von formellen und von Amtes wegen zu beachtenden
Formfehlern durchaus Erfolgschancen. Schliesslich könne ein strafrechtliches
Berufungsverfahren nicht mit einem Zivilprozess verglichen werden, in dem der
Referent Vergleichsverhandlungen führt.

2.3 Das Berufungsverfahren vor Obergericht beruht auf dem sog.
Referentensystem. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Richter der zum
Entscheid berufenen Kammer als Referent bezeichnet wird. In dieser Funktion
sichtet und studiert dieser die vollständigen Akten und macht sich gestützt
darauf eine vorläufige Meinung über alle sich stellenden Fragen formeller wie
auch materieller Natur. Diese vorläufige Meinungsbildung stellt eine Etappe im
Erkenntnisprozess dar, ist gekennzeichnet durch das Abwägen von Pro und Contra
der einander entgegenstehenden Positionen und bezieht gleichermassen
Sachverhalts- wie formelle und materielle Rechtsfragen mit ein. Die sich daraus
ergebende Auffassung beruht einzig auf den Akten und ist insoweit durch
keinerlei sachfremde Elemente bestimmt. Sie behält ebenso die
Berufungsverhandlung (mit der persönlichen Anhörung der Parteien und dem
Plädoyer des Rechtsvertreters) wie auch die Diskussion und die Meinungsbildung
im Richterkollegium vor. Diese vorläufige Auffassung mit einem entsprechenden
Antrag an die Kammer bildet insoweit Ausgangspunkt für die Fortführung des
Erkenntnisprozesses. Der Ausgang des Verfahrens bleibt damit offen und kann
nicht als ausschlaggebend vorbestimmt betrachtet werden. Die vorläufige
Meinungsbildung und der darauf beruhende Antrag an die urteilende Kammer
bringen für sich genommen keinerlei Voreingenommenheit zum Ausdruck und sind
mit der Richtergarantie nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
vereinbar. So wird das in der Schweiz weitverbreitete Referentensystem denn
auch als verfassungsrechtlich zulässig beurteilt (vgl. Urteil 1P.687/2005 vom
9. Januar 2006, E. 7.1, mit Hinweisen). Im Übrigen wird eine vorläufige
Einschätzung der Prozesslage auch die Instruktion beeinflussen und im Hinblick
auf die Frage der Durchführung eines Schriftenwechsels (vgl. Art. 102 Abs. 1
BGG), der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (vgl. BGE 131 I 113) und
der aufschiebenden Wirkung (BGE 131 I 24; 131 I 113 E. 3.5 S. 119) von
Bedeutung sein.

2.4 Über eine derartige vorläufige Meinungsbildung des Referenten hinaus stellt
sich die weitere Frage, ob und unter welchen Umständen eine solche Einschätzung
unter dem Gesichtswinkel von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nach
aussen mitgeteilt werden darf. Die Äusserung als solche kann in
unterschiedlichem Licht erscheinen und je nach den konkreten Umständen mehr
oder weniger den Eindruck erwecken, der Referent habe sich abschliessend
festgelegt und sei für neue Gesichtspunkte nicht mehr offen. In dieser Hinsicht
sind unterschiedlichste Konstellationen denkbar.

Die Beurteilung einer entsprechenden Äusserung über die Erfolgschancen kann je
nach dem Stadium des Verfahrens variieren. Sie mag problematisch erscheinen,
wenn sie allein gestützt auf das angefochtene Urteil und ohne vertiefte
Auseinandersetzung mit den Akten und den darin befindlichen Einwendungen
erfolgt; dies umso mehr, wenn das Rechtsmittelverfahren ohne eigentliche
Beschwerdeschrift durch blosse Anmeldung der Berufung und eine lediglich kurze
Beanstandung eingeleitet wird. Nach gründlichem Studium aller Akten gibt eine
Äusserung lediglich eine Etappe im Erkenntnisprozess wieder, wie sie dem
Referentensystem eigen ist. Zudem wird sich der Referent von vornherein und zur
Wahrung seiner Glaubwürdigkeit im Richterkollegium nur äussern, wenn er nach
der Prüfung des Dossiers zu einem klaren Schluss gelangt. Dies bedeutet indes
nicht, dass im Ablehnungsverfahren über die Erfolgschancen oder die
Aussichtslosigkeit eines Verfahrens zu befinden wäre. - Von entscheidendem
Gewicht ist der Umstand, wem gegenüber eine Äusserung über den zu beantragenden
Ausgang gemacht wird. Dem Referentensystem inhärent ist, dass der Referent
seine Auffassung mit seinem Antrag den mitwirkenden Richtern bekannt gibt.
Fragwürdig wäre, die Einschätzung der Partei selber mitzuteilen, da es dieser
im Normalfall und ohne nähere Kenntnis über den Ablauf des gerichtlichen
Verfahrens schwer fallen wird, die Bedeutung der Mitteilung richtig
einzuordnen. Mit einer Mitteilung an Drittpersonen oder gar an die Presse würde
sich der Referent aus objektiver Sicht vermehrt dem Anschein aussetzen, bereits
eine vorgefasste Meinung gebildet zu haben und für neue Gesichtspunkte nicht
mehr offen zu sein (vgl. Urteil 1P.687/2005 vom 9. Januar 2006, E. 7.1). Nicht
gleich verhält es sich indes, wenn die vorläufige Einschätzung dem
Rechtsvertreter mitgeteilt wird. Dieser hat vor Einlegung des Rechtsmittels
seinerseits das Pro und Contra bereits abgeschätzt, kann eine entsprechende
Mitteilung vor dem Hintergrund seiner eigenen Dossierkenntnisse nachvollziehen
und einordnen und ist mit dem gerichtlichen Ablauf der Meinungsbildung im
Richterkollegium vertraut. Insoweit nimmt ein entsprechendes Gespräch eher den
Charakter einer fachlichen Diskussion an. - Weiter ist von Bedeutung, dass klar
zum Ausdruck kommt, es handle sich um eine vorläufige Einschätzung der
Prozesslage und sowohl die Hauptverhandlung mit der Anhörung der Parteien und
dem Plädoyer des Rechtsvertreters als auch die Meinungsbildung im Spruchkörper
seien vorbehalten. Der vorläufige Charakter der Meinungsäusserung wird gerade
von einem Rechtsvertreter besser verstanden werden als von einer mit dem
Gerichtsverfahren unvertrauten Partei, einer Drittperson oder der Presse (vgl.
Urteil 1P.687/2005 vom 9. Januar 2006, E. 7; Regina Kiener, Richterliche
Unabhängigkeit, Bern 2001, S. 218 f.; Franz Zeller, Medien und
Hauptverhandlung, in: Justice-Justiz-Giustizia 2006/1, Ziff. 52 und 83). - Das
Ziel einer Mitteilung der Erfolgschancen kann einzig darin bestehen, auf die
vorläufige Sicht des Referenten hinzuweisen und der Partei mit der Eventualität
eines allfälligen Rückzuges möglicherweise weitere Kosten und ein aufwendiges
Verfahren zu ersparen oder sie im Falle einer Anschlussberufung auf die Gefahr
einer Verschlechterung aufmerksam zu machen (vgl. zur richterlichen
Fürsorgepflicht BGE 131 I 350 E. 4.1 S. 360, mit Hinweisen). Denkbar ist, dass
unmittelbar nach Eingang einer Rechtsschrift auf offensichtliche formelle
Mängel hingewiesen und gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht wird, diese
könnten während der noch laufenden Beschwerdefrist behoben werden. Nicht
zulässig wäre es, im eigentlichen Sinne zum Rückzug des Rechtsmittels
aufzufordern und dabei offen oder verdeckt Druck auszuüben. Ebenso wenig darf
der Eindruck entstehen, dass sich der Richter mit der Sache nicht urteilsmässig
befassen wolle. - Insoweit mag es auch darauf ankommen, von wem die Initiative
zu einer entsprechenden Mitteilung ausgeht, d.h. ob sich der Rechtsvertreter
beim Referenten über die Prozessaussichten erkundigt oder aber der Referent von
sich aus mit dem Rechtsvertreter Kontakt aufnimmt und ihm seine vorläufige
Einschätzung kundtut. - Schliesslich kann die Natur des gerichtlichen
Verfahrens von Bedeutung sein. In einer zivilrechtlichen Angelegenheit kann der
Referent im Einverständnis mit den Parteien Vergleichsverhandlungen einleiten
und er wird diese vor dem Hintergrund seiner provisorischen Einschätzung führen
und eine vorläufige Auffassung mit Zurückhaltung und unter dem Vorbehalt der
förmlichen Streitentscheidung auch zum Ausdruck bringen (vgl. BGE 131 I 113 E.
3.6 S. 119; Kiener, a.a.O., S. 169 f.; Jean-François Egli/Olivier Kurz, La
garantie du juge indépendant et impartial dans la jurisprudence récente, RJN
1990 S. 9/22). Auch wenn damit ein Strafverfahren nicht in allen Teilen
vergleichbar ist, können Hinweise auf eine nichtgerichtliche Streiterledigung
nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Daraus ergibt sich bei abstrakter Betrachtung, dass nicht jegliche Mitteilung
einer vorläufigen Einschätzung des Referenten mit den Garantien von Art. 30
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK im Widerspruch steht, eine entsprechend
geartete Mitteilung aber umgekehrt tatsächlich den Anschein der
Voreingenommenheit erwecken und zur Ablehnung des Referenten führen kann. Der
Anspruch auf einen unbefangenen Richter gebietet daher für Vorgehensweisen der
hier interessierenden Art grosse Zurückhaltung. Es kann denn auch nicht gesagt
werden, dass die beim Obergericht offenbar geübte Praxis allgemein verbreitet
ist. Zudem trägt die im angefochtenen Entscheid festgehaltene Forderung, dass
im Falle einer Mitteilung dem Dossier eine entsprechende Aktennotiz beizufügen
ist, zur Transparenz bei und verhindert den Eindruck, dass das Vorgehen
vertuscht werden soll.

2.5 Im vorliegenden Fall ist der abgelehnte Oberrichter als Referent in der
Berufungssache des Beschwerdeführers bestimmt worden. Zur Vorbereitung seines
Referates und der Berufungsverhandlung hat er die vollständigen Akten gesichtet
und studiert. Zu diesen Akten zählen namentlich die Untersuchungsakten (u.a.
mit den Befragungen des Beschuldigten und einer Zeugin), die Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft, die Akten des gerichtlichen Verfahrens erster Instanz (u.a.
mit dem Protokoll der Verhandlung vom 25. Januar 2007 und den Plädoyer-Notizen
des Rechtsvertreters des Beschuldigten), das Urteil der ersten Instanz sowie
die Berufungsanmeldung und das kurze Schreiben des Rechtsvertreters
(Beanstandung im Sinne von § 414 Abs. 4 der Strafprozessordnung des Kantons
Zürich, StPO/ZH), wonach die gerichtliche Feststellung des Sachverhalts und die
vorgenommene Aussageanalyse willkürlich seien und der Grundsatz "in dubio pro
reo" verletzt sei. Gestützt auf diese Unterlagen kam der Referent zur
vorläufigen Auffassung, dass die Berufung wenig Erfolgschancen habe und er wohl
einen Antrag auf Abweisung stellen werde. Vorbehalten bleibt die
Berufungsverhandlung. Wie dargetan, hält diese Meinungsbildung für sich
genommen vor der Verfassung stand.

2.6 Zu prüfen bleibt, ob es im vorliegenden Fall unter dem Gesichtswinkel von
Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK zulässig ist, dass der Referent mit
dem Rechtsvertreter Kontakt aufnahm und diesem seine vorläufige Einschätzung
kundtat.

Der Referent hält in seiner Vernehmlassung fest, deutlich zum Ausdruck gebracht
zu haben, dass es sich um eine vorläufige Einschätzung handle und dass die
Berufungsverhandlung mit der Anhörung des Beschuldigten und dem Plädoyer des
Rechtsvertreters vorbehalten sei. Auch wenn dieser aus dem Verfahrensablauf
fliessende Umstand in dieser ausdrücklichen Weise am Telefon nicht in allen
Teilen gesagt worden sein sollte, musste er dem Rechtsvertreter als erfahrenem
Rechtsanwalt und langjährigem Richter von vornherein bewusst gewesen sein.
Schon im Voraus war es Sache des Rechtsvertreters, die Erfolgschancen
abzuschätzen und diese mit seinem Mandanten zu besprechen; die Mitteilung des
Referenten hatte lediglich zur Folge, das Vorgehen allenfalls nochmals zu
überdenken. Wie oben dargetan, kann es in der vorliegenden Konstellation nicht
darauf ankommen, ob die Berufung letztlich erfolgversprechend sei, wie der
Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter annehmen, oder ob ihr wenig
Erfolgschancen zukomme, wie der Referent damals zum Ausdruck gebracht hatte.

Gemäss dem angefochtenen Entscheid und der Berufungsverhandlung (vgl. Protokoll
der Berufungsverhandlung vom 20. August 2007, S. 6 f.) hat der Referent
lediglich seine persönliche Auffassung geäussert und sich vorgängig in keiner
Weise mit dem Präsidenten der Kammer oder einem weitern Gerichtsmitglied
abgesprochen. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass diese
Sachverhaltsannahme offensichtlich falsch sei (Art. 105 BGG). Es kann daher
nicht davon ausgegangen werden, der Referent habe gewissermassen als Bote des
Gerichts die Auffassung der ganzen Kammer übermittelt. Der Rechtsvertreter als
Kenner des gerichtlichen Verfahrens musste wissen, dass der Referent
ausschliesslich seine eigene Einschätzung wiedergab; andernfalls hätte er im
Namen des Beschwerdeführers nicht nur den Referenten, sondern konsequenterweise
die ganze Kammer ablehnen müssen.

Der Referent weist auch darauf hin, dass er lediglich seine vorläufige
Auffassung mitteilte, den Rechtsvertreter indes nicht zum Rückzug der Berufung
aufforderte. Wie es sich damit im Einzelnen verhält, kann offen bleiben. Denn
die Mitteilung der vorläufigen Auffassung, dass die Berufung wenig
Erfolgschancen habe, bringt die Frage eines allfälligen Rückzuges der Berufung
von selbst mit sich. Unbestrittenermassen wies der Referent darauf hin, dass
sich die Lage des Beschuldigten mangels Anschlussberufung von Seiten der
Staatsanwaltschaft auch im Falle der Abweisung der Berufung weder im Schuld-
noch im Strafpunkt verschlechtern könne.

Entscheidendes Gewicht kommt dem Umstand zu, dass die Initiative zur
entsprechenden Mitteilung vom Referenten ausgegangen ist; es war dieser, der
mit dem Rechtsvertreter telefonisch Kontakt aufnahm und ihm seine vorläufige
Einschätzung zum Ausdruck brachte. Die Kontaktaufnahme von Seiten des Gerichts
ist geeignet, Missverständnisse hervorzurufen. Wie dargetan, wird die
betroffene Partei selber die vorläufige Einschätzung kaum richtig einordnen
können. Auch wenn der Rechtsvertreter angesichts seiner Kenntnisse des
gerichtlichen Verfahrens die verfahrensrechtliche Bedeutung der Mitteilung des
Referenten an sich richtig einzuschätzen weiss, erweckt dessen Vorgehen für die
Partei den Eindruck, dass das Gericht sie nicht hören, ihre Berufungssache gar
nicht prüfen wolle, und hinterlässt ein Gefühl der Verunsicherung, ob die
Berufung nun zurückzuziehen sei oder an ihr festgehalten werden könne und die
Berufungsverhandlung durchgeführt werden solle. Das Vertrauen in das
Justizverfahren kann beeinträchtigt werden, wenn im Vorfeld der Verhandlung
seitens des Gerichts in provisorischer Weise die Aussichtslosigkeit
signalisiert wird. Mit dem Einlegen der Berufung erwartet die Partei, dass das
Gericht in seiner ordentlichen Besetzung und im ordentlichen Verfahren ihre
Sache urteilsmässig neu beurteilt. Das Zürcher Berufungsverfahren in
Strafsachen zeichnet sich darüber hinaus durch ein besonderes Gewicht der
Berufungsverhandlung aus; die Berufung wird im Wesentlichen nur angemeldet und
es wurde ihr im vorliegenden Fall eine sehr kurz gehaltene Beanstandung
beigegeben (vgl. § 414 StPO/ZH). Mit der aktiven Mitteilung der vorläufigen
Einschätzung von Seiten des Referenten schon im Voraus wird der Eindruck
erweckt, dass sich dieser - trotz der genannten Vorbehalte - bereits eine
abschliessende Meinung gebildet habe und das Verfahren - auch unter Beachtung
der noch bevorstehenden Berufungsverhandlung - nicht mehr offen, der Prozess
somit bereits verloren sei. Der Betroffene wird nicht ohne weiteres verstehen,
dass die Mitteilung des Referenten - nach durchgeführtem Verfahren vor erster
Instanz - möglicherweise auf eine Ersparnis an Aufwand und Kosten im
Rechtsmittelverfahren abzielt. Vielmehr bekommt er den Eindruck, dass die
Berufungssache in rascher Weise erledigt werden soll, "kurzer Prozess" gemacht
wird. Bei dieser Sachlage erweckt der den Kontakt mit dem Rechtsvertreter
aufnehmende Referent den Anschein, in der Sache nicht mehr offen und daher
voreingenommen zu sein. Die Partei kann mit Grund befürchten, der Referent
unterziehe seine geäusserte Auffassung anlässlich der Verhandlung und Beratung
nicht mehr einer unvoreingenommenen Prüfung. Daran vermag der Einwand, es solle
tatsächlich vorkommen, dass der Referent - soweit trotz entsprechender
Mitteilung an der Berufung festgehalten wird - nach durchgeführter Verhandlung
auf seine vorläufige Einschätzung zurückkommt, unter dem Gesichtswinkel des
blossen Anscheins der Voreingenommenheit nichts zu ändern. Ausschlaggebend ist
vielmehr, dass der Referent mit seiner Kontaktaufnahme und der Mitteilung
tatsächlich den Anschein der Voreingenommenheit erweckt hat. Dieser Eindruck
beruht nicht nur auf einem individuellen Empfinden des Betroffenen. Vielmehr
erscheint das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Richters aus
objektiver Sicht als begründet.

Bei dieser Sachlage vermag Oberrichter Naef angesichts seiner Kontaktaufnahme
mit dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im bevorstehenden
Berufungsverfahren den Anforderungen von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK nicht zu genügen. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet.

3.
Demnach ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann,
und der angefochtene Beschluss der II. Strafkammer des Obergerichts aufzuheben.
Überdies ist das zugrunde liegende Ausstandsbegehren gestützt auf Art. 107 Abs.
2 BGG antragsgemäss gutzuheissen (vgl. Urteil 1B_221/2007 vom 16. Januar 2008,
E. 5.2).

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 BGG).
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
zu entschädigen (Art. 68 BGG). Damit wird das beim Bundesgericht gestellte
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Die II. Strafkammer wird
überdies über
die Kosten und die Parteientschädigung im Ablehnungsverfahren neu zu befinden
haben (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der
Beschuss der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 10.
Oktober 2007 aufgehoben.

2.
Das Ausstandsgesuch gegen Oberrichter Rolf Naef wird gutgeheissen.

3.
Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten und Parteientschädigung für das
Ablehnungsverfahren an die Vorinstanz zurückgewiesen.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

6.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, Oberrichter Rolf Naef sowie der
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. und
II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 28. April 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann