Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.229/2007
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1B_229/2007 /daa

Urteil vom 30. Oktober 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach,
8026 Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, Präsidentin der Anklagekammer, Hirschengraben
15, Postfach 2401, 8021 Zürich.

Aufhebung Sicherheitshaft,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons
Zürich, Präsidentin der Anklagekammer, vom 7. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich erhob am 11. Juli 2007 gegen den
marokkanischen Staatsangehörigen X.________ Anklage, unter anderem wegen
versuchter schwerer Körperverletzung. Dabei wurde ihm vorgeworfen, am 6.
Dezember 2006 mit einem Messer auf Y.________ eingestochen zu haben. Die
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich hat die Anklage mit
Beschluss vom 7. August 2007 zugelassen und die Sache an das
Geschworenengericht des Kantons Zürich zur Beurteilung überwiesen.

B.
Der Angeschuldigte wurde am 11. Dezember 2006 verhaftet und am 14. Dezember
2006 in Untersuchungshaft versetzt. Mit Verfügung vom 17. Juli 2007 ordnete
der Stellvertreter der Präsidentin der Anklagekammer des Obergerichts die
Sicherheitshaft an. Der Angeklagte stellte am 29. August 2007 ein Gesuch um
Haftentlassung. Die Präsidentin der Anklagekammer lehnte das Begehren am 7.
September 2007 ab.

C.
X.________ reicht mit Eingabe vom 12. Oktober 2007 beim Bundesgericht
Beschwerde gegen den Entscheid vom 7. September 2007 ein. Er beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Haftentlassung; eventualiter
sei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Ausserdem
ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im
bundesgerichtlichen Verfahren.

Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Präsidium
der Anklagekammer verzichtet ausdrücklich auf eine Stellungnahme. In der
Replik vom 25. Oktober 2007 äussert sich der Beschwerdeführer ausführlich zur
Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft und hält sinngemäss an seinen Anträgen
fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) anwendbar (vgl. Art.
132 Abs. 1 BGG). Der angefochtene Entscheid stützt sich auf kantonales
Strafprozessrecht und kann mit der Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78
Abs. 1 BGG angefochten werden. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen
erfüllt sind, ist auf die Beschwerde - unter dem Vorbehalt rechtsgenüglich
begründeter Rügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. dazu BGE 133
II 249 E. 1.4 S. 254 f.) - einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze sein
verfassungsmässiges Recht auf persönliche Freiheit.

2.2 Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit
(Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs
erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des
Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes
frei (vgl. BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit Hinweisen).

2.3 Sicherheitshaft darf nach Zürcher Strafprozessrecht nur angeordnet bzw.
verlängert werden, wenn der Angeklagte eines Verbrechens oder Vergehens
dringend verdächtigt wird und ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt,
namentlich Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr (§ 67 Abs. 2 Satz 1
i.V.m. § 58 Abs. 1 der Zürcher Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH;
LS 321]). Die Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu ersetzen,
sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§ 67 Abs. 2
i.V.m. § 58 Abs. 4 und § 72 f. StPO/ZH).

2.4 Nach dem Beschwerdeführer ist im vorliegenden Fall kein hinreichender
Tatverdacht gegeben. Er macht sinngemäss geltend, die Vorinstanz habe für
ihre gegenteilige Annahme einen zu wenig strengen Massstab angelegt. Im
angefochtenen Entscheid werde erwogen, ein Schuldspruch bezüglich der
angeklagten, versuchten schweren Körperverletzung sei denkbar. Stattdessen
müsse richtigerweise eine Verurteilung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
zu erwarten sein, damit der dringende Tatverdacht als Haftvoraussetzung
bejaht werden dürfe. Dies sei hier aber nicht der Fall. Ein Freispruch oder
eine allfällige Verurteilung wegen eines weniger schweren Delikts wie
einfacher Körperverletzung seien mindestens so wahrscheinlich oder gar noch
wahrscheinlicher als ein Schuldspruch im Sinne der Anklage.

2.5 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender
Beweisergebnisse vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich
ohne ausreichenden Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist vielmehr zu
prüfen, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete
Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers an
dieser Tat vorliegen, die Justizbehörden somit das Bestehen eines dringenden
Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im
Haftprüfungsverfahren genügt dabei der Nachweis von konkreten
Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (vgl.
BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146; Urteil 1P.90/2005 vom 23. Februar 2005, E. 2.2,
in: Pra 95/2006 Nr. 1 S. 1). Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen lässt
dabei nur wenig Raum für ausgedehnte Beweismassnahmen. Zur Frage des
dringenden Tatverdachts bzw. zur Schuldfrage hat der Haftrichter weder ein
eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, noch dem erkennenden Strafrichter
vorzugreifen. Vorbehalten bleibt allenfalls die Abnahme eines liquiden
Alibibeweises (vgl. BGE 124 I 208 E. 3 S. 210 mit Hinweisen).

2.6 Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die im Hinblick auf den Tatverdacht
verlangte Wahrscheinlichkeit müsse eine überwiegende sein. Ein solcher
Grundsatz lässt sich der soeben angeführten Rechtsprechung nicht entnehmen.
Es besteht jedoch kein Anlass, diese Rechtsprechungsgrundsätze hier zu
präzisieren. Die Vorinstanz hat nicht nur erwogen, ein Schuldspruch wegen
versuchter schwerer Körperverletzung sei denkbar. Vielmehr hat sie dargelegt,
ein solcher komme aufgrund der von ihr angeführten Indizien ernsthaft in
Frage. Der Beschwerdeführer räumt ein, am 6. Dezember 2006 eine tätliche
Auseinandersetzung mit Y.________ gehabt zu haben, in deren Verlauf es zu den
festgestellten Stichverletzungen am Letztgenannten kam. Auch bestreitet der
Beschwerdeführer nicht, dass er bei jener Auseinandersetzung ein Messer mit
sich führte. Stattdessen trägt er in appellatorischer Weise seine eigene
strafrechtliche Würdigung der angesprochenen Verdachtselemente vor. Bei
diesen Vorbringen verkennt er die Aufgabe des Bundesgerichts im vorliegenden
Zusammenhang. Die Vorinstanz hat einen dringenden Tatverdacht mit
vertretbaren Gründen bejaht, so dass die Beschwerde in diesem Punkt
unbehelflich ist.

2.7 Nicht anders verhält es sich, soweit der Beschwerdeführer einwendet, die
Vorinstanz habe zu Unrecht Flucht- und Kollusionsgefahr angenommen. Die
entsprechenden Erwägungen des angefochtenen Entscheids bewegen sich im Rahmen
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Fluchtgefahr (vgl. BGE 125 I 60 E.
3a S. 62 mit Hinweisen) wie auch zur Kollusionsgefahr, insbesondere nach
Abschluss der Strafuntersuchung (vgl. BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23 f.; Urteil
1P.625/2006 vom 12. Oktober 2006, E. 4.2, in: Pra 96/2007 Nr. 39 S. 241). Die
Vorinstanz hat die konkreten Anhaltspunkte, die sie für die Annahme der
beiden besonderen Haftgründe als massgeblich erachtete, einlässlich und
nachvollziehbar dargelegt. Auf diese Erwägungen kann verwiesen werden (Art.
109 Abs. 3 BGG). Ebenso ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
dass die Vorinstanz mildere Massnahmen anstelle der Sicherheitshaft abgelehnt
hat. Mit dem letztgenannten Punkt befasst sich die Beschwerdeschrift ohnehin
nicht ausdrücklich, so dass es insoweit an rechtsgenüglichen Rügen fehlt
(vgl. E. 1, hiervor).

2.8 Die Frage der Überhaft wirft der Beschwerdeführer nur in der Perspektive
auf, dass auch eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung in Betracht
zu ziehen sei. Dieser Einwand geht an der Sache vorbei, weil die Vorinstanz
ihrem Entscheid den als verfassungsrechtlich haltbar eingestuften Tatverdacht
einer versuchten schweren Körperverletzung zugrunde gelegt hat (vgl. E. 2.6,
hiervor). Im Übrigen setzt sich der Beschwerdeführer mit den differenzierten
Erwägungen im angefochtenen Entscheid zur Verhältnismässigkeit der Haftdauer
nicht auseinander; auch insoweit liegen keine rechtsgenüglichen Rügen vor
(vgl. E. 1, hiervor).

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer an sich
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er ersucht indessen um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG. In Haftfällen nimmt das
Bundesgericht nicht leichthin die Aussichtslosigkeit der Beschwerde an, weil
die Haft einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt und
sich der Betroffene deshalb in der Regel zur Beschwerde veranlasst sehen
kann. Auch im Lichte dieser Praxis muss die vorliegende Beschwerde aber als
aussichtslos bezeichnet werden. Das angefochtene Urteil ist überzeugend
begründet. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einwände sind
offensichtlich ungeeignet, eine Bundesrechtsverletzung darzutun. Das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann demzufolge nicht
bewilligt werden.

Von der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist allerdings auszugehen. Auf
die Erhebung von Kosten wird daher verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 109 BGG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV und dem
Obergericht des Kantons Zürich, Präsidentin der Anklagekammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 30. Oktober 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: