Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.225/2007
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2007
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2007


1B_225/2007 /fun

Urteil vom 23. Oktober 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Greiner,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach 1233,
8026 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Fortsetzung der Untersuchungshaft,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 21. September 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (geb. 1965) befindet sich seit 30. März 2007 in
Untersuchungshaft. Er wird verdächtigt, von März 2000 bis Oktober 2006 seine
Tochter (geb. 1991) mehrfach und teilweise in gravierender Weise körperlich
und sexuell misshandelt, ihr mit dem Tod gedroht und pornografische
Erzeugnisse gezeigt zu haben. Nachdem die Tochter in der Schule
zusammenbrach, wurde sie in das Spital eingewiesen, und es folgte ein
Obhutsentzug und eine Fremdplatzierung durch die Vormundschaftsbehörde.

Die Vorwürfe gegen X.________ beruhen auf Aussagen der Tochter, auf dem
ärztlichen Bericht des Spitals vom 3. November 2006, dem Bericht einer
Psychologin vom 24. April 2007, auf Angaben des Schulpersonals, von
Freundinnen und des Ex-Freunds der Tochter sowie dem Ergebnis der
Hausdurchsuchung vom 29. März 2007 (Sachverhaltsangaben gemäss Antrag der
Staatsanwaltschaft an den Haftrichter vom 18. September 2007).

B.
Mit Verfügung vom 21. September 2007 bewilligte der Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis zum 30.
Dezember 2007 wegen Fluchtgefahr.

C.
Mit Eingabe vom 9. Oktober 2007 führt X.________ Beschwerde an das
Bundesgericht. Er beantragt, die angefochtene Verfügung vom 21. September
2007 sei aufzuheben und der Beschwerdeführer sei unverzüglich aus der Haft zu
entlassen. Im Wesentlichen macht er geltend, es gebe nicht genügend
Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr.

Das Bezirksgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die
Staatsanwaltschaft beantragt, die angefochtene Verfügung sei zu bestätigen.
X.________ hat sich dazu mit Replik vom 18. Oktober 2007 geäussert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG, SR 173.110) anwendbar (siehe Art.
132 Abs. 1 BGG). Die angefochtene Verfügung vom 21. September 2007 stützt
sich auf kantonales Strafprozessrecht und kann mit der Beschwerde in
Strafsachen gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG angefochten werden (Botschaft vom 28.
Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001, S. 4313).

2.
Der Haftrichter erwog, der Tatverdacht schwerer körperlicher und sexueller
Übergriffe habe sich aufgrund der Videozweitbefragung der Tochter vom 21.
August 2007 weiter verstärkt, wogegen die Entlastungsaussagen des Sohnes und
der Ehefrau/Stiefmutter von undifferenzierter Parteinahme und der Tendenz zur
Verneinung geprägt seien. Zudem lägen weitere Belastungen vor
(ärztliche/psychologische Seite, Schule, Schulkolleginnen, Ex-Freund).
Bezüglich der Frage der Fluchtgefahr hätten sich in der Zwischenzeit keine
wesentlich neuen Gesichtspunkte ergeben, weshalb auf die früheren
Haftrichterentscheide verwiesen werden könne. Der Beschwerdeführer verfüge
neben seinen - auch kulturell und mentalitätsmässig - engen Bindungen an das
Milieu seines Herkunftslandes (Türkei) derzeit auch über einen sehr fragilen
fremdenpolizeilichen Status. Sein Bleiberecht hänge offenbar vom Ausgang
eines Rekurses ab. Zudem drohe eine empfindliche Freiheitsstrafe. Bei den
gegebenen Umständen bestehe eine konkrete Fluchtgefahr.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit gemäss
Art. 10 Abs. 2, 31 BV und Art. 5 Ziff. 1 EMRK. Die Einschränkung dieses
Rechts durch Anordnung bzw. Fortsetzung von Untersuchungshaft ist gemäss § 58
Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZH zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens
oder Vergehens dringend verdächtigt wird und wenn ausserdem auf Grund
bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, er werde sich
(namentlich) der Strafverfolgung oder der zu erwartenden Strafe durch Flucht
entziehen.

3.2 Der Tatverdacht wird in der Beschwerde nicht substanziiert bestritten und
wurde mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft im kantonalen Verfahren
hinreichend begründet.

3.3 Fluchtgefahr darf nach der Rechtsprechung nicht schon angenommen werden,
wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen
konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich,
sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der drohenden
Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden
Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweisen).

Die Lage des Beschwerdeführers ist prekär. Die Fortdauer seines
Aufenthaltsrechts in der Schweiz ist ungewiss, es droht im eine empfindliche
Freiheitsstrafe, er ist türkischer Nationalität und verfügt in der Türkei
über familiäre Bindungen. Dies alles sind konkrete Anhaltspunkte für eine
Fluchtgefahr.

3.4 Der Beschwerdeführer bestreitet diese Umstände nicht, er will sie bloss
in einem anderen Licht betrachtet wissen: Er lebe seit April 1998 in der
Schweiz, habe sieben Jahre in der gleichen Firma gearbeitet, und habe zu der
in der Türkei lebenden geschiedenen Ehefrau und seinem leiblichen zweiten
Sohn keinen Kontakt mehr. Er habe inzwischen wieder eine Schweizerbürgerin
geheiratet. Gegen die Ablehnung seines Aufenthaltsgesuches laufe beim
Regierungsrat des Kantons Zürich ein Rekursverfahren.

Diese Einwände stehen der Annahme von Fluchtgefahr nicht entgegen: Es darf
heute von einer prekären fremdenpolizeilichen Lage ausgegangen werden,
nachdem die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers widerrufen wurde
(bestätigt durch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich) und ein neues
Gesuch um Aufenthaltsbewilligung in erster Instanz abgewiesen wurde. Das
derzeit prekäre Bleiberecht ist ein konkretes Indiz für Fluchtgefahr. Zudem
bestehen gemäss dem Haftrichter enge Bindungen an das Milieu der Türkei und
die Staatsanwaltschaft nennt Familienangehörige in der Türkei, zu denen der
Kontakt im Falle einer Flucht wieder belebt werden könnte. Schliesslich
werden dem Beschwerdeführer schwerwiegende Straftaten vorgeworfen, so dass -
in Verbindung mit den anderen Hinweisen - auch befürchtet werden darf, er
könnte sich durch Flucht den schweren Vorwürfen im Strafverfahren oder der
drohenden Strafe entziehen.

3.5 Die Annahme von Fluchtgefahr ist demnach nicht verfassungswidrig. Da die
Untersuchungshaft bereits bei Vorliegen eines Haftgrundes (Fluchtgefahr)
zulässig ist, ist auf weitere allfällige Haftgründe nicht einzugehen. Es
erübrigt sich daher, die Vorbringen der Parteien zur Wiederholungsgefahr zu
behandeln.

4.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen. Bei diesem Ausgang wird der
Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 BGG). Da jedoch sein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das Verfahren
vor Bundesgericht bewilligt wird, sind keine Gerichtskosten zu erheben.
Ferner ist dem Rechtsvertreter eine angemessene Entschädigung auszurichten
(Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Werner Greiner, wird
aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 23. Oktober 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: