Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.184/2007
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1B_184/2007 /daa

Urteil vom 20. September 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Adrian Blättler,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Betäubungsmitteldelikte und
Organisierte Kriminalität, Neue Börse Selnau, Postfach, 8027 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Haftentlassung,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 30. August 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde am 1. Dezember 2006 verhaftet. In der Anklageschrift des
zuständigen Staatsanwalts der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich vom
28. Juni 2007 wird ihr mehrfache Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen und die Aussprechung einer Freiheitsstrafe
von 30 Monaten beantragt. X.________ ist vollumfänglich geständig. Zurzeit
befindet sie sich im vorzeitigen Strafvollzug.

Am 23. August 2007 ersuchte X.________ um Entlassung aus dem vorzeitigen
Strafvollzug. Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich wies das Gesuch
wegen Fluchtgefahr mit Verfügung vom 30. August 2007 ab, wobei er auf die
Verfügung vom 27. Juli 2007 verwies, mit welcher dem Gesuch um Entlassung aus
der Sicherheitshaft nicht stattgegeben wurde.

B.
X.________ hat gegen die haftrichterliche Verfügung vom 30. August 2007 beim
Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen erhoben. Sie beantragt die Aufhebung
der angefochtenen Verfügung und die Entlassung aus dem vorzeitigen
Strafvollzug. Ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege im
bundesgerichtlichen Verfahren.

C.
Der Haftrichter hat auf Stellungnahme verzichtet. Der Staatsanwalt beantragt
Beschwerdeabweisung. Die Beschwerdeführerin hat zur Vernehmlassung des
Staatsanwalts Stellung genommen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging später. Gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG ist daher
das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

1.2 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin ist nach
Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt sinngemäss eine Verletzung des Grundrechts der
persönlichen Freiheit. Sie macht geltend, es würden nicht genügend
Anhaltspunkte zur Annahme von Fluchtgefahr vorliegen, weshalb die
Aufrechterhaltung der Haft unverhältnismässig sei.

2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes des Kantons Zürich betreffend den
Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) ist die Anordnung und Fortdauer der
Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder
Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ernsthaft befürchtet werden
muss, er werde sich der Strafverfolgung oder der zu erwartenden Strafe durch
Flucht entziehen. Die Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu
ersetzen, sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§
58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO/ZH). Unter gleichen Voraussetzungen ist die
Anordnung und Aufrechterhaltung der hier zur Diskussion stehenden
Sicherheitshaft zulässig (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StPO/ZH).

2.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Grundrecht der
persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit.
c EMRK) braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse
Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre,
der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde.
Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet
werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen.
Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere
die gesamten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen
werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen).

2.4 In der angefochtenen Verfügung vom 30. August 2007 verwies der
Haftrichter zur Begründung der seiner Auffassung nach fortbestehenden
Fluchtgefahr auf die Haftverfügung vom 27. Juli 2007. Darin wurde die
Fluchtgefahr mit der Dauer der zu verbüssenden Reststrafe, den intakten
Beziehungen der Beschwerdeführerin zur Dominikanischen Republik und dem
zerrütteten Verhältnis zu ihrem Ehemann begründet.

Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin deuten die genannten Umstände
in ihrer Gesamtheit zweifellos auf Fluchtgefahr hin. Ausschlaggebend ist,
dass die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten beantragt hat
und die Beschwerdeführerin daher mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe
rechnen muss, von der sie bis zum Beginn der Hauptverhandlung am 23. Oktober
2007 erst rund 11 Monate verbüsst haben wird. Ins Gewicht fällt des Weitern,
dass die Beschwerdeführerin Staatsangehörige der Dominikanischen Republik ist
und zu ihrem Heimtstaat nach wie vor soziale Kontakte pflegt. Bei einer
Freilassung könnte sie sich daher ohne weiteres in ihr Heimatland abzusetzen
versuchen und ihr eineinhalbjähriges Kind dabei mit sich nehmen. Zu
berücksichtigen ist auch, dass die Beschwerdeführerin in der Schweiz nicht
über ein starkes soziales Netz verfügt. Vor ihrer Verhaftung war sie als
Hausfrau tätig, hatte ihren Ehemann aber gemäss eigenen Aussagen schon
monatelang nicht mehr gesehen. Bei einer Freilassung wäre sie arbeitslos, und
es wäre nicht gesichert, dass sie Rückhalt im Ehe- und Familienleben finden
könnte. Daran ändert auch die am 14. Juli 2007 schriftlich verfasste
Erklärung des Ehemannes nichts, dass die Beschwerdeführerin bei einer
Haftentlassung jederzeit in die eheliche Wohnung zurückkehren könne.

In Anbetracht der zu erwartenden empfindlichen Freiheitsstrafe und der
dargestellten Lebensverhältnisse ist der Haftgrund der Fluchtgefahr somit
gegeben. Mildere Massnahmen anstelle der Sicherheitshaft, wie Schriftensperre
und Kaution, kommen zurzeit nicht in Betracht. Eine Verletzung des
Grundrechts der persönlichen Freiheit liegt insoweit nicht vor.

3.
3.1 Des Weitern bringt die Beschwerdeführerin vor, das
Verhältnismässigkeitsprinzip sei auch deshalb verletzt, weil die Dauer der
Sicherheitshaft in grosse zeitliche Nähe der konkret zu erwartenden
Freiheitsstrafe rücke.

3.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt eine Überschreitung der
zulässigen Haftdauer dann vor, wenn diese die mutmassliche Dauer der zu
erwartenden Freiheitsstrafe übersteigt. Der Haftrichter darf die
strafprozessuale Haft deshalb nur so lange erstrecken, als ihre Dauer nicht
in grosse Nähe der zu erwartenden Strafe rückt (BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170,
mit Hinweisen). Die Frage, ob eine Haft als übermässig bezeichnet werden
muss, ist aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles zu
beurteilen. Die Möglichkeit der Ausfällung einer lediglich bedingt
vollziehbaren Freiheitsstrafe wird dabei grundsätzlich nicht berücksichtigt
(BGE 124 I 208 E. 6 S. 215).

3.3 Die Staatsanwaltschaft hat eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten beantragt.
Die Hauptverhandlung ist auf den 23. Oktober 2007 angesetzt. Zu diesem
Zeitpunkt wird die Beschwerdeführerin erst rund 11 Monate der beantragten
Strafe verbüsst haben. Die Gefahr der Überhaft ist damit offensichtlich nicht
gegeben, zumal die Frage, ob die Strafe bedingt oder teilbedingt ausfallen
wird, nach dem oben Gesagten im Zusammenhang mit der Frage der Überhaft nicht
berücksichtigt wird. Die Beschwerdeführerin beruft sich daher zu Unrecht auf
BGE 133 I 168, welches Urteil die in der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätze zur Frage der Überhaft bestätigt. Die Fortsetzung der
Sicherheitshaft resp. des vorzeitigen Strafvollzugs ist nach wie vor
verhältnismässig und eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen
Freiheit auch insoweit nicht gegeben.

4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
demzufolge abzuweisen. Die Beschwerdeführerin hat um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann
entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege erteilt:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Fürsprecher Adrian Blättler wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft II,
Betäubungsmitteldelikte und Organisierte Kriminalität, des Kantons Zürich und
dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. September 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: