Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.149/2007
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1B_149/2007 /daa

Urteil vom 6. August 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________ Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth

gegen

Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026
Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, Stellvertreter der Präsidentin der
Anklagekammer, Hirschengraben 15, Postfach, 8023 Zürich.

Haftentlassung,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Stellvertreters der
Präsidentin der Anklagekammer des  Obergerichts des Kantons Zürich vom
17. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1979 geborene X.________ befindet sich seit dem 12. Dezember 2003 in
strafprozessualer Haft.

Er wurde mit Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 21.
Januar 2006 der vorsätzlichen Tötung, der mehrfachen Gefährdung des Lebens,
des Vergehens gegen das Waffengesetz sowie der groben Verletzung der
Verkehrsregeln schuldig gesprochen und mit 16 Jahren Zuchthaus bestraft.

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob das Urteil des
Geschworenengerichts mit Sitzungsbeschluss vom 18. Juni 2007 auf und wies die
Sache zur Neubeurteilung an das Geschworenengericht zurück.

B.
Mit Eingabe vom 5. Juli 2007 stellte X.________ beim Geschworenengericht des
Kantons Zürich ein Haftentlassungsgesuch. Der Präsident des
Geschworenengerichts überwies dieses mit Verfügung vom 6. Juli 2007 an die
Präsidentin der Anklagekammer.

Der Stellvertreter der Präsidentin der Anklagekammer des Obergerichts des
Kantons Zürich (im Folgenden: das Obergericht) wies das Haftentlassungsgesuch
mit Verfügung vom 17. Juli 2007 ab.

C.
Mit Eingabe vom 19. Juli 2007 führt X.________ Beschwerde an das
Bundesgericht. Er beantragt, die angefochtene Verfügung des Obergerichts vom
17. Juli 2007 sei aufzuheben und er sei aus der Haft zu entlassen.

Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis beantragt in der Vernehmlassung, das
Haftentlassungsgesuch sei abzuweisen. Das Obergericht hat auf eine
Stellungnahme verzichtet.

X. ________ hat am 30. Juli 2007 eine Replik eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG, SR 173.110) anwendbar (siehe Art.
132 Abs. 1 BGG). Der angefochtene Entscheid stützt sich auf kantonales
Strafprozessrecht und kann mit der Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78
Abs. 1 BGG angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001, S. 4313).

2.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 12. Dezember 2003 in
strafprozessualer Haft (§§ 67 und 58 StPO/ZH).

2.1 Gemäss der angefochtenen Verfügung besteht weiterhin der dringende
Tatverdacht, dass er am 11. Dezember 2003 in Winterthur einen Mann erschossen
hat. Es liege zudem Fluchtgefahr vor, da der Beschwerdeführer
Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro sei, offenbar über gute
Beziehungen zu seinem Heimatland und über verwandtschaftliche Kontakte
verfüge und eine enge Verwurzelung zur Schweiz fehle. Es bestehe zudem die
Gefahr, dass er versuche, angesichts der drohenden - empfindlichen -
Freiheitsstrafe unterzutauchen oder sich durch Flucht ins Ausland dem
Strafvollzug zu entziehen. Er verfüge in der Schweiz über keinen eigenen
Wohnort sondern habe vor seiner Verhaftung mit seiner ausländischen Ehefrau
und seinen beiden Kindern bei seinen Eltern gewohnt. Die Haftdauer sei unter
Berücksichtigung der Strafdrohung für vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) von
mindestens fünf Jahren nach wie vor verhältnismässig.

2.2 Der Beschwerdeführer rügt u.a., er habe sich nicht zur Vernehmlassung der
Staatsanwaltschaft vom 12. Juli 2007 äussern können und in der angefochtenen
Verfügung werde die Fluchtgefahr ungenügend begründet. Er lebe seit 1990 mit
seiner Familie in der Schweiz und sei in Winterthur angemeldet gewesen.

3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, indem er
sich im kantonalen Verfahren nicht zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft
vom 12. Juli 2007 habe äussern können.

3.1 Nach der Rechtsprechung zu Art. 5 Ziff. 4 EMRK muss das
Haftprüfungsverfahren kontradiktorisch ausgestaltet sein. Der Angeschuldigte
hat das Recht, zu jeder Vernehmlassung der Strafverfolgungsbehörde zu
replizieren, unbekümmert darum, ob die Behörde neue Argumente vorbringt oder
nicht (BGE 114 Ia 84 E. 3 S. 87 f.; 125 I 113 E. 2a S. 115; Urteil
1P.464/1995 vom 29. September 1995 E. 2a, publiziert in EuGRZ 1996, S. 468;
Urteil des EGMR vom 21. Oktober 1986 i.S. Sanchez-Reisse, Serie A, Band 107,
Ziff. 51, publiziert in EuGRZ 1988, S. 526).

Für Zustellungen von Vernehmlassungen der Strafverfolgungsbehörden im
Haftprüfungsverfahren ist darauf hinzuweisen, dass dem Angeschuldigten eine
Frist zur Stellungnahme anzusetzen ist; eine Zustellung solcher
Vernehmlassungen (bloss) zur Orientierung genügt nicht (Urteil 1P.541/2002
vom 8. November 2002, E. 2.1, publiziert in Praxis 2003 Nr. 64 S. 317).

3.2 Ein Anspruch auf vorgängige Äusserung zu Vernehmlassungen ergibt sich
auch für andere Gerichtsverfahren aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 2
BV (vgl. BGE 133 I 98 E. 2; 100 E. 4; 132 I 42 E. 3.3; Urteil des EGMR i.S.
Kessler vom 26. Juli 2007).

3.3 Das Obergericht hat bei der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis eine
Vernehmlassung zum Haftentlassungsgesuch eingeholt, welche die
Staatsanwaltschaft mit Eingabe vom 12. Juli 2007 erstattete. Sie wurde dem
Beschwerdeführer - nach dessen unbestrittenen Angaben - erst zusammen mit der
angefochtenen Verfügung vom 17. Juli 2007 zugestellt. Es ist daher davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer keine Gelegenheit hatte, sich zur
Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft zu äussern, bevor das Obergericht
entschied. Die Rüge ist begründet.

Das Obergericht wird dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu gewähren
und danach erneut über das Haftentlassungsgesuch vom 5. Juli 2007 zu
entscheiden haben.

3.4 Eine Heilung der Gehörsverletzung wird in der zitierten Gerichtspraxis
zum Replikrecht im Haftprüfungsverfahren (hiervor E. 3.1) nicht vorgenommen;
sie ist auch im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Die Beschwerde ist wegen
einer Verletzung der Verfahrensgarantie gutzuheissen, ohne dass sie weiter zu
prüfen ist.

3.5 Der Beschwerdeführer hat vor Bundesgericht einen Antrag auf
Haftentlassung gestellt. Da die Sache ohne materiellrechtliche Prüfung an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird, kann dem Antrag nicht stattgegeben werden
(BGE 125 I 113 E. 3).

4.
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und
die angefochtene Verfügung ist aufzuheben. Die Sache ist zur Gewährung des
rechtlichen Gehörs und zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen
(Art. 107 Abs. 2 BGG). Der vor Bundesgericht gestellte Antrag auf
Haftentlassung ist abzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. Es sind keine Gerichtskosten
zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem anwaltlich
vertretenen Beschwerdeführer jedoch eine angemessene Parteientschädigung zu
entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung des
Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 17. Juli 2007 aufgehoben, und die Sache wird an die
Anklagekammer zurückgewiesen.

2.
Der vor Bundesgericht gestellte Antrag auf Haftentlassung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft
Limmattal/Albis und dem Obergericht des Kantons Zürich, Stellvertreter der
Präsidentin der Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. August 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: