Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.147/2007
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1B_147/2007 /ggs

Urteil vom 31. Juli 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas
Fingerhuth,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht,
1. Kammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Haftentlassung,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Beschluss
des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,

1. Kammer, vom 26. Juni 2007.
Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Baden sprach X.________ mit Urteil vom 24. Juni 2005 der
eventualvorsätzlichen versuchten Tötung, der Freiheitsberaubung und
Entführung unter erschwerenden Umständen, der versuchten Freiheitsberaubung
und Entführung, des qualifizierten Raubs, der einfachen Körperverletzung, der
mehrfachen räuberischen Erpressung, der Hehlerei sowie der mehrfachen
Widerhandlung gegen das Waffengesetz für schuldig und verurteilte ihn zu acht
Jahren Zuchthaus, abzüglich 613 Tage Untersuchungshaft. Zusätzlich versetzte
es ihn zur Sicherung des Strafvollzugs in Sicherheitshaft (im Sinne
vorzeitigen Strafantritts in der Strafanstalt Lenzburg).

B.
Am 31. März 2006 ersuchte X.________ um Entlassung aus der Haft. Die
kantonalen Instanzen wiesen das Gesuch ab. Das hierauf angerufene
Bundesgericht bejahte mit Urteil 1P.270/2006 vom 6. Juni 2006 das Vorliegen
von Fortsetzungsgefahr und wies die Beschwerde von X.________ ab.

C.
Gegen das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 24. Juni 2005 erhob der
Angeschuldigte am 21. September 2006 Berufung mit dem Antrag, er sei
vollumfänglich freizusprechen. Sein Gesuch um Versetzung in eine offene
Anstalt wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Beschluss vom 19.
Dezember 2006 ab.

Die Berufungsverhandlung mit Befragung des Angeschuldigten setzte das
Obergericht am 6. Juni 2007 auf den 18. Oktober 2007 an.

D.
Am 22. Juni 2007 stellte der Angeschuldigte erneut ein Gesuch um
Haftentlassung. Dazu führte er im Wesentlichen aus, er befinde sich seit über
1'200 Tagen in Haft. Nachdem ihm bereits am 30. September 2004 der vorzeitige
Strafvollzug bewilligt worden sei und anlässlich der Hauptverhandlung
sämtliche Zeugen befragt worden seien, sei kein Grund für eine
Aufrechterhaltung der Haft ersichtlich. Er habe sich trotz seiner schwierigen
Situation im Vollzug stets wohl verhalten und es sei davon auszugehen, dass
er dies auch in Freiheit tun werde.

Das Obergericht das Kantons Aargau wies das Gesuch mit Beschluss vom 26. Juni
2007 wegen anhaltender Fortsetzungsgefahr ab.

E.
Mit Eingabe vom 12. Juli 2007 erhebt X.________ Beschwerde in Strafsachen
beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen
Beschlusses und seine Entlassung aus der Haft, dies allenfalls unter
Anordnung von Ersatzmassnahmen. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, während das Obergericht unter Hinweis auf seine Ausführungen im
angefochtenen Beschluss auf Gegenbemerkungen verzichtet.

In seiner Replik vom 30. Juli 2007 hält der Beschwerdeführer sinngemäss an
seinen Ausführungen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.
Der Beschwerdeführer stellt in erster Linie das Vorliegen von
Fortsetzungsgefahr in Abrede. Er befinde sich seit nunmehr 1'345 Tagen in
Haft. Sein Wohlverhalten im Strafvollzug während dieser Zeit könne nicht
vollständig negiert werden. Es sei davon auszugehen, dass die
resozialisierende Wirkung des Vollzugs auch an ihm nicht spurlos
vorbeigegangen sei. Er sei Schweizer Bürger und verfüge am Wohnort seiner
Frau und seiner vier Kinder über einen festen Wohnsitz. Mit Hilfe seiner
Familie sei es ihm gelungen, eine Arbeitsstelle zu finden, welche er sofort
nach seiner Entlassung antreten könne. Indem sich die Vorinstanz mit keinem
Wort zu diesem Umstand geäussert habe, habe sie zudem den Anspruch auf
rechtliches Gehör des Beschwerdeführers verletzt.

2.1 Nach § 67 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau vom 11.
November 1958 (StPO/AG; SAR 251.100) kann ein Beschuldigter in Haft genommen
werden, wenn er einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Handlung dringend
verdächtigt wird und Flucht- oder Kollusionsgefahr vorliegt. Ferner kann
gemäss § 67 Abs. 2 Haft angeordnet werden, wenn die Freiheit des
Beschuldigten mit Gefahr für andere verbunden ist, namentlich wenn eine
Fortsetzung der strafbaren Tätigkeit zu befürchten ist, sowie zur Sicherung
des Strafvollzuges nach der Beurteilung.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Anordnung oder
Aufrechterhaltung von Haft wegen Fortsetzungsgefahr verhältnismässig, wenn
einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig und andererseits die zu
befürchtenden Delikte schwerer Natur sind. Dagegen reicht die rein
hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte oder die
Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, für die
Anordnung oder Aufrechterhaltung von Präventivhaft nicht aus (BGE 125 I 60 E.
3a S. 62, mit Hinweis).

2.2 Das Obergericht weist im angefochtenen Entscheid darauf hin, dass das
Bezirksgericht den Beschwerdeführer wegen schwerster Straftaten zum Nachteil
unterschiedlicher Opfer für schuldig befunden hat. Ferner hält es sinngemäss
fest, aus den Strafregisterauszügen gehe hervor, dass die Delinquenz des
Beschwerdeführers mit schwerer Gewalttätigkeit gegenüber diversen Opfern bis
zurück ins Jahr 2000 reicht. Die wiederholte, sich in ihrer Schwere
steigernde Delinquenz zeugt nach Auffassung des Obergerichts von der hohen
Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers. Drei der fünf
gegen ihn rechtskräftig ausgefällten Urteile beträfen Delikte gegen Leib und
Leben, eines davon zudem mehrere schwerwiegende Delikte gegen die Freiheit.
Die ihm im vorliegenden Verfahren vorgeworfenen Taten würden klare Parallelen
zu diesen früheren Delikten aufwerfen, wobei nun erstmals auch eine versuchte
Tötung zu beurteilen sei. Vor diesem Hintergrund, insbesondere auch in
Berücksichtigung des Umstands, dass sich die Taten des Beschwerdeführers
gegen unterschiedliche Opfer gerichtet hätten, sei die Fortsetzungsgefahr zu
bejahen. Es bestünden genügend Hinweise, die befürchten liessen, der
Beschwerdeführer werde nach der Haftentlassung in gleicher oder ähnlicher
Weise schwere Straftaten begehen. Daran ändere ein allfälliges Wohlverhalten
im strukturierten Rahmen des Strafvollzugs nichts, da in diesem Umfeld die
ständige Überwachung gewährleistet sei. Zudem sei das Motiv verschiedener dem
Beschwerdeführer vorgeworfener Taten die Ausschaltung unliebsamer
geschäftlicher Konkurrenz gewesen. Dies falle im Strafvollzug weg. Mit Blick
auf die Ausführungen des Beschwerdeführers sei darauf hinzuweisen, dass ihn
bisher weder seine Familie noch geregelte Wohnverhältnisse oder eine
Arbeitsstelle daran gehindert hätten, straffällig zu werden.

2.3 Vorab kann vollumfänglich auf die den Beschwerdeführer betreffenden
Urteile 1P.628/2004 vom 18. November 2004 und 1P.270/2006 vom 6. Juni 2006
des Bundesgerichts verwiesen werden. Insbesondere im ersten der zitierten
Entscheide wurde in E. 2.2 aufgezeigt, welche Delikte sich der
Beschwerdeführer bis anhin hat zuschulden kommen lassen. Was der
Beschwerdeführer im anhängigen Verfahren vorbringt, ändert nichts an der auch
heute unverändert geltenden Einschätzung. Das Obergericht legt zudem treffend
dar, dass sich im Verlaufe der Jahre eine Steigerung in der Schwere der
Straffälligkeit abgezeichnet hat. Wenn es nach wie vor auf Fortsetzungsgefahr
schliesst, ist dem Obergericht kein Vorwurf einer Verfassungsverletzung zu
machen. Auch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers wurde nicht verletzt,
hat sich doch das Obergericht ausdrücklich mit der Argumentation befasst,
wonach sich der Beschwerdeführer in der Haft wohl verhalten habe und eine
Arbeitsstelle in Aussicht habe. Zu Recht hat es dem Beschwerdeführer
entgegengehalten, bisher hätten ihn weder Familie, noch geregelte
Wohnverhältnisse oder eine Arbeitsstelle vom Delinquieren abgehalten.

Die Beschwerde ist demnach in diesem Punkt als unbegründet abzuweisen.

3.
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend
macht, ist die Beschwerde ebenfalls abzuweisen. Zwar befindet er sich bereits
seit knapp 1'400 Tagen in Haft. Er macht aber zu Recht keine Überhaft
geltend. Die Berufungsverhandlung wurde inzwischen auf den 18. Oktober 2007
angesetzt. Dies zeigt, dass das Verfahren seinen gesetzlich vorgesehenen Lauf
nimmt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die kantonalen Behörden
das Verfahren ungebührlich verschleppen würden. Der Beschwerdeführer belegt
seine Vorwürfe denn auch nicht aufgrund konkreter Beanstandungen. Das
Obergericht wird das Berufungsverfahren beförderlich vorantreiben.

4.

Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersucht. Diesem Antrag
kann entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 31. Juli 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Die Gerichtsschreiberin: