Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.137/2007
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1B_137/2007 /fun

Urteil vom 18. Juli 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Stefan Läubli,

gegen

Staatsanwaltschaft I Berner Jura-Seeland,
Prokurator 2, Neuengasse 8, 2502 Biel,
Gerichtskreis II Biel-Nidau, Haftrichter 5,  Spitalstrasse 14, 2501 Biel.

Haftentlassungsgesuch,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid
des Gerichtskreis II Biel-Nidau, Haftrichter 5,
vom 26. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 7. Juli 2006 erstattete die Ehefrau von X.________ Anzeige gegen diesen
wegen einfacher Körperverletzung, Tätlichkeiten, Drohung und
Freiheitsberaubung. Sie sei seit ca. Januar 2006 mehrmals von ihrem Ehemann
geschlagen worden. Zudem habe er sie bereits mit einem Messer bedroht und
auch mit einem Lampenkabel gewürgt. Mitunter habe er sie ins Ess- oder
Schlafzimmer eingeschlossen. Vorgängig war aufgrund solcher Vorfälle durch
den Regierungsstatthalter von Büren an der Aare über den Angeschuldigten ein
fürsorgerischer Freiheitsentzug (FFE) angeordnet worden. X.________ wurde
daraufhin in die UPD Waldau (psychiatrische Klinik) eingewiesen. Nach seiner
Entlassung soll er sowohl die Ehefrau als auch deren Familie weiter bedroht
haben. Der Schwiegervater erstattete darum am 23. August 2006 Anzeige wegen
Drohung und Sachbeschädigung. Am 26. März 2007 stellte die Polizei am neuen
Wohnort der Ehefrau einen Einbruchsversuch und Brandstiftung fest.

B.
X.________ wurde in der Folge am 3. April 2007 von der Kantonspolizei
Basel-Stadt verhaftet. Mit Antrag vom 4. April 2007 ersuchte die
Staatsanwaltschaft Basel-Stadt das Haftgericht um Erlass einer Haftverfügung
für die vorläufige Dauer von 4 Wochen, also bis am 3. Mai 2007. Der
Haftrichter entsprach dem Begehren und ordnete am 5. April 2007 die
Untersuchungshaft an. Nach Feststellung der örtlichen Zuständigkeit des
Kantons Bern durch den Generalprokurator wurde der Angeschuldigte ins
Regionalgefängnis Bern überführt. Die befristete Haftverfügung des
Basel-Städtischen Haftrichters verfiel mit dem Kantonswechsel und wurde zu
einem unbefristeten Haftentscheid gemäss Art. 185 des Gesetzes über das
Strafverfahren vom 15. März 1995 (StrV/BE; BSG 321.1).

Am 13. April 2007 beantragte der Untersuchungsrichter 4 des
Untersuchungsrichteramtes I Berner Jura-Seeland die Überweisung verschiedener
Sachverhalte an den Einzelrichter des Gerichtskreises III
Aarberg-Büren-Erlach. Gleichentags stimmte der Prokurator 2 der
Staatsanwaltschaft I Berner Jura-Seeland dem Ersuchen zu.

C.
Am 1. Mai 2007 reichte X.________ ein erstes Haftentlassungsgesuch ein,
welches mit Entscheid vom 10. Mai 2007 vom zuständigen Haftrichter abgelehnt
wurde. Mit Schreiben vom 18. Juni 2007 stellte der Angeschuldigte einen
weiteren Haftentlassungsantrag.
Am 20. Juni 2007 ersuchte der zuständige ausserordentliche Gerichtspräsident
des Gerichtskreises III Aarberg-Büren-Erlach bei der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern um Fristerstreckung gemäss Art. 278 StrV/BE.

Mit Entscheid vom 26. Juni 2007 wies der Haftrichter 5 des Gerichtskreises II
Biel-Nidau das Haftentlassungsgesuch ab.

Das Fristverlängerungsgesuch für die Durchführung der Hauptverhandlung hiess
die Anklagekammer mit Beschluss vom 4. Juli 2007 gut.

D.
Mit Eingabe vom 4. Juli 2007 erhebt X.________ Beschwerde in Strafsachen beim
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des haftrichterlichen Entscheids
vom 26. Juni 2007 und die sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft.
Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung. In seiner Beschwerde rügt er eine Verletzung des
verfassungsmässigen Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 31 BV).

Der Haftrichter verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Die Staatsanwaltschaft I Berner Jura-Seeland stellt Antrag auf Abweisung der
Beschwerde und weist zusätzlich auf den inzwischen ergangenen Beschluss der
Anklagekammer hin.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig und der Beschwerdeführer nach
Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Nach Art. 248 StrV/BE hat in Haftfällen die Hauptverhandlung in Verfahren vor
dem Einzelgericht innert zwei Monaten, in Verfahren vor dem Kreisgericht
innert vier Monaten seit der Überweisung zu beginnen. Diese Frist kann durch
die Anklagekammer erstreckt werden; andernfalls ist die angeschuldigte Person
aus der Haft zu entlassen. Präzisierend sieht das Kreisschreiben Nr. 8 der
Anklagekammer des Kantons Bern in der Fassung vom 26. November 2003 vor, dass
massgebend für den Beginn des Fristenlaufs im Falle eines sich bereits vor
der Überweisung in Untersuchungshaft befindenden Angeschuldigten das Datum
der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zum Überweisungsantrag der
Untersuchungsbehörde ist.

2.1 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die fristauslösende
Zustimmung der Staatsanwaltschaft gleichentags mit dem Überweisungsantrag des
Untersuchungsrichters am 13. April 2007 erfolgt ist; die zweimonatige Frist
ist mithin am 13. Juni 2007 abgelaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde keine
Hauptverhandlung durchgeführt, auch nicht begonnen. Zudem hat es der
Gerichtspräsident unterlassen, rechtzeitig bei der Anklagekammer ein
Verlängerungsgesuch zu stellen. Zu Recht hält denn der Haftrichter im
angefochtenen Entscheid auch fest, dass die Haft des Beschwerdeführers seit
dem 14. Juni 2007 rechtswidrig war und Art. 31 BV, Art. 5 EMRK sowie Art. 278
StrV/BE verletzte.

2.2 Die Konsequenz, welche der Haftrichter aus dieser Feststellung zieht, ist
indes verfassungs- und konventionsrechtlich nicht haltbar. Er stellt sich auf
den Standpunkt, Art. 278 StrV/BE sage nichts über den Fall aus, in welchem
das Fristerstreckungsgesuch zwar gestellt, aber von der Anklagekammer noch
nicht entschieden worden sei. Durch sinngemässe Auslegung müsse die
Bestimmung dahingehend verstanden werden, dass der Angeschuldigte erst aus
der Haft zu entlassen sei, wenn feststehe, dass die Frist nicht erstreckt
werde oder dass kein Fristerstreckungsgesuch gestellt werde. Zwar sei das
Gesuch nicht innert der zweimonatigen Frist gestellt worden, dies führe
jedoch nicht zur automatischen Freilassung des Beschwerdeführers. Massgeblich
für den Entscheid über die Freilassung sei, ob die Haft an sich materiell
gerechtfertigt sei, also ob ein Haftgrund weiterhin gegeben sei oder nicht.
Dass die dem ersten Haftentscheid vom 10. Mai 2007 zugrunde liegenden
Haftgründe sich seither verändert hätten oder weggefallen wären, mache der
Beschwerdeführer nicht geltend, womit eine Entlassung auch nicht ernsthaft
zur Diskussion stehe.

2.3 Diese Auslegung steht in Widerspruch zum unmissverständlichen Wortlaut
von Art. 278 StrV/BE. Die Norm würde ihres Inhalts entleert, wenn der
Gerichtspräsident mit der Stellung des Verlängerungsgesuchs beliebig zuwarten
könnte. Er hat dies innerhalb der zweimonatigen Frist zu tun. Auch im
Kreisschreiben Nr. 8 der Anklagekammer wird (optisch) deutlich hervorgehoben,
dass immer ein Fristverlängerungsgesuch gemäss Art. 278 StrV/BE zu stellen
sei, wenn die Beurteilungsfrist von 2 Monaten seit der Überweisung nicht
eingehalten werden könne. Dabei handelt es sich nicht um eine Ordnungsfrist,
sondern um eine gesetzliche Frist für die Aufrechterhaltung der Haft. Die
Rechtsfolge bei deren Nichtbeachtung - die Entlassung aus der Haft - ist denn
auch klar formuliert. Die vom Haftrichter in diesem Zusammenhang zitierten
Bundesgerichtsentscheide sind nicht einschlägig, zumal es bei diesen in
erster Linie um Verletzungen des rechtlichen Gehörs bei der Haftanordnung
sowie im Haftprüfungs- und Haftverlängerungsverfahren ging. Daraus ergibt
sich, dass sich der Beschwerdeführer ab dem 14. Juni 2007 formell
rechtswidrig in Haft befand. Daran ändert nichts, dass der Haftrichter im
angefochtenen Entscheid anführt, die materiellen Haftgründe würden
unverändert bestehen. Der Beschwerdeführer war ab dem genannten Datum ohne
gültigen Haftbefehl inhaftiert (siehe dazu das Urteil 1P.432/1998 des
Bundesgerichts vom 17. September 1998, E. 3b).

3.
Der angefochtene Entscheid erweist sich somit als verfassungs- und
konventionswidrig und ist demzufolge aufzuheben. Indes hat die Anklagekammer
inzwischen am 4. Juli 2007 dem Fristverlängerungsgesuch für die Durchführung
der Hauptverhandlung (diese ist auf den 10. August 2007 angesetzt)
entsprochen. Die Anklagekammer beschränkt sich aber bei der Beurteilung eines
Verlängerungsgesuches auf die Überprüfung der Verhältnismässigkeit der Haft
(siehe auch Thomas Maurer, Das bernische Strafverfahren, 2. Auflage, Bern
2003, S. 434). Ob eine weitere Haft materiell gerechtfertigt ist, d.h. ob die
gesetzlichen Haftgründe gegeben sind, wurde seit dem
Fristverlängerungsbeschluss auf kantonaler Ebene nicht geprüft und bildet
deshalb nicht Streitgegenstand des vorliegenden bundesgerichtlichen
Verfahrens. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, erstinstanzlich darüber
- und damit über eine allfällige Haftentlassung - zu entscheiden. Deswegen
rechtfertigt es sich, in Beachtung des Beschleunigungsgebots vor Ablauf der
Replikfrist über die Beschwerde zu befinden, damit die kantonalen Behörden
unverzüglich prüfen können, ob eine materielle Rechtsgrundlage für eine
weitere Inhaftierung bis zur Hauptverhandlung besteht.

4.
Die Beschwerde ist demnach im Sinne der Erwägungen gutzuheissen und der
angefochtene Entscheid aufzuheben. Kosten sind keine zu erheben. Der Kanton
Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen
zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der Entscheid
des Gerichtskreises II Biel-Nidau, Haftrichter 5, vom 26. Juni 2007
aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I Berner
Jura-Seeland, Prokurator 2, und dem Gerichtskreis II Biel-Nidau, Haftrichter
5, sowie dem a.o. Gerichtspräsident des Gerichtskreises III
Aarberg-Büren-Erlach schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Juli 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: