Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.124/2007
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1B_124/2007 /ggs

Urteil vom 12. Juli 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Greiner,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026
Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter,
Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Haftentlassung,

Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 5. Juni 2007.
Sachverhalt:

A.
X. ________ befindet sich seit dem 26. Januar 2007 in Untersuchungshaft. Es
wird ihm zur Last gelegt, in der Nacht vom 31. August auf den 1. September
2006 Y.________ unter Anwendung von brutaler Gewalt zum Beischlaf gezwungen
zu haben. Am 1. Juni 2007 stellte X.________ ein Haftentlassungsgesuch,
welches der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 5. Juni
2007 wegen Fluchtgefahr abwies und die Fortdauer der Haft bis zum 26. Juli
2007 bestätigte.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Verfügung des
Haftrichters vom 5. Juni 2007 sei aufzuheben, und er sei unverzüglich aus der
Haft zu entlassen. Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren.

C.
Der Haftrichter verzichtet auf Vernehmlassung. Der zuständige Staatsanwalt
der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich beantragt Beschwerdeabweisung.
Der Beschwerdeführer hat repliziert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging später. Gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG ist daher
das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

1.2 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der
die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf
Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in
Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in
Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den
angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist nach
Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen
Freiheit. Er macht geltend, es würden nicht genügend Anhaltspunkte zur
Annahme von Fluchtgefahr vorliegen. Die Aufrechterhaltung der
Untersuchungshaft sei daher unverhältnismässig.

2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes des Kantons Zürich betreffend den
Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) ist die Anordnung und Fortdauer der
Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder
Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ernsthaft befürchtet werden
muss, er werde sich der Strafverfolgung oder der zu erwartenden Strafe durch
Flucht entziehen. Die Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu
ersetzen, sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§
58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO/ZH).

2.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Grundrecht der
persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit.
c EMRK) braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse
Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre,
der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde.
Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet
werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen.
Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere
die gesamten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen
werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen).

2.4 Bei Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der
persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches
erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des
Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts
frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der
Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn
die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz offensichtlich
unrichtig sind (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.5 Gemäss der angefochtenen Haftverfügung ist aufgrund der Lebensumstände
des Beschwerdeführers - namentlich seines Verhaltens während des
Asylverfahrens, der Angabe einer falschen Identität, seiner nicht stabilen
Bindung zu seiner Ehefrau, der zusätzlichen Belastung der Ehe wegen der
mutmasslich begangenen Vergewaltigung, der nach wie vor bestehenden
Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat, seiner fehlenden
Erwerbstätigkeit, der Vorstrafe sowie der zu erwartenden langjährigen
Freiheitsstrafe - von Fluchtgefahr auszugehen.

Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers deuten die genannten Umstände
in ihrer Gesamtheit zweifelsohne auf Fluchtgefahr hin. Ausschlaggebend ist in
erster Linie, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Verurteilung wegen
Vergewaltigung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen hätte.
Ausserdem wurde er vom Bezirksgericht Hinwil am 12. April 2005 wegen Hehlerei
und mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer
bedingt vollziehbaren fünfmonatigen Gefängnisstrafe unter Ansetzung einer
zweijährigen Probezeit verurteilt. Im Falle einer erneuten Verurteilung wegen
Vergewaltigung müsste mit der Vollstreckbarkeit der ausgesprochenen Strafe
gerechnet werden.

Ins Gewicht fällt des Weitern das Verhalten des Beschwerdeführers während des
Asylverfahrens. Unbestrittenermassen reiste dieser unter Angabe einer
falschen Identität in die Schweiz ein und hielt den Schein der falschen
Identität während mehreren Jahren aufrecht. Es ist daher nicht zu
beanstanden, dass der Haftrichter mit einem ähnlichen Vorgehen des
Beschwerdeführers zwecks Absetzung ins Ausland rechnet. Selbst wenn der
Beschwerdeführer keine Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat Guinea-Bissau
haben sollte, dürfte der Haftrichter dieses Verhalten des Beschwerdeführers
als ein auf Fluchtgefahr hindeutendes Indiz werten. Das Vorbringen des
Beschwerdeführers, jeder Ausländer habe Familienangehörige im Ausland,
weshalb sich daraus keine Anhaltspunkte für Fluchtgefahr ableiten liessen,
ist unter den gegebenen Umständen unbehelflich.

Auch durfte der Haftrichter aufgrund der Angaben der Ehefrau des
Beschwerdeführers (Einvernahme durch die Kantonspolizei Zürich vom 27. Januar
2007, S. 3) willkürfrei feststellen, dass der Beschwerdeführer bis zur
Verhaftung keiner Erwerbstätigkeit nachging, sondern lediglich vom Sozialamt
eine Arbeit auf einer Baustelle erhielt und ansonsten von der Sozialhilfe
resp. dem Einkommen seiner Ehefrau lebte. Bei einer Freilassung wäre der
Beschwerdeführer demzufolge nicht von einem sozial geregelten Netz am
Arbeitsort getragen. Entgegen seiner Behauptung kann der Beschwerdeführer aus
dem Bundesgerichtsentscheid 1P.625/2006 vom 12. Oktober 2006 diesbezüglich
nichts zu seinen Gunsten ableiten, da diesem Urteil andere tatsächliche
Umstände zugrunde lagen.

Schliesslich ist die Schlussfolgerung des Haftrichters, dass es mit der Ehe
des Beschwerdeführers nicht zum Besten steht, nicht zu beanstanden. Die
gegenteiligen Behauptungen des Beschwerdeführers lassen die tatsächlichen
Feststellungen des Haftrichters jedenfalls nicht als willkürlich erscheinen.
So sagte die Ehefrau des Beschwerdeführers in der Befragung durch die
Kantonspolizei am 27. Januar 2007 aus, dass der Beschwerdeführer jedes
Wochenende in den Ausgang gegangen sei und es deswegen Streit gegeben habe
(Einvernahmeprotokoll, S. 4). Bedeutsam ist auch der Umstand, dass der
Beschwerdeführer im Rahmen des vorliegenden Strafverfahrens wegen
Vergewaltigung zugab, ausserehelichen Sexualkontakt gehabt zu haben (vgl. den
Haftverlängerungsantrag vom 1. Juni 2007, S. 2). Aufgrund dieses Verhaltens
kann ohne weiteres angenommen werden, dass die ehelichen Beziehungen des
Beschwerdeführers nicht so intakt sind, wie er es darzustellen versucht. Die
nicht intakten ehelichen Beziehungen sind ein weiterer gewichtiger
Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer versucht sein könnte, sich im
Falle einer Freilassung ins Ausland abzusetzen.

In Anbetracht der zu erwartenden empfindlichen Freiheitsstrafe und der
dargestellten Lebensverhältnisse ist der Haftgrund der Fluchtgefahr somit
gegeben. Mildere Massnahmen anstelle der Untersuchungshaft, wie
Schriftensperre und Kaution, kommen aufgrund des bisherigen Verhaltens des
Beschwerdeführers sowie seiner prekären finanziellen Verhältnisse nicht in
Betracht. Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verstösst demzufolge
nicht gegen das Grundrecht der persönlichen Freiheit.

3.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
demzufolge abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann
entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege erteilt:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Werner Greiner wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. Juli 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: