Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Spezialdossiers, Aufsichtsanzeige 12T.3/2007
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12T_3/2007 / Mot

Entscheid vom 11. Dezember 2007
Verwaltungskommission

Bundesrichter Aeschlimann, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Meyer,
Generalsekretär Tschümperlin.

X. ________,
Anzeigerin,
vertreten durch Herr Klausfranz Rüst-Hehli, Rechtsberatungsstelle für Asyl
Suchende,

gegen

Bundesverwaltungsgericht, Abteilung V, Postfach, 3000 Bern 14,
Verfahrensgegner.

Aufsichtsanzeige (BGG),

Aufsichtsanzeige nach Art. 1 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 71 VwVG betreffend
Verfahrensdauer vor der Asylrekurskommission und dem Bundesverwaltungsgericht
im Beschwerdeverfahren E-4412/2006.

Sachverhalt:
A.Die Anzeigerin reichte am 29. Januar 2003 ein Asylgesuch in der Schweiz
ein. Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) lehnte dieses am 24. Mai 2004 ab.
Gegen den ablehnenden Entscheid erhob die Anzeigerin am 24. Juni 2004 bei der
Asylrekurskommission (ARK) Beschwerde, wo sie am 28. Juni 2004 einging. Die
Beschwerde wurde am 2. September 2004 abgewiesen.

B. Am 4. November 2004 reichte die Anzeigerin bei der ARK gestützt auf ein
neues Gutachten ein Revisionsgesuch ein; dieses ging am 5. November 2004 bei
der ARK ein. Die ARK hiess das Revisionsgesuch am 5. Januar 2005 gut, hob das
Urteil der ARK vom 2. September 2004 auf und ordnete die Wiederaufnahme des
Verfahrens an. Am 8. Februar 2005 lud sie das Bundesamt für Migration (BFM;
ehemals BFF) zur Vernehmlassung ein; diese wurde am 23.3.2005 erstattet. Am
30. März 2005 setzte die ARK der Anzeigerin sodann eine Frist zur
Stellungnahme zur Vernehmlassung des BFM an. Die Anzeigerin nahm - nach
einmaliger Fristerstreckung von 14 Tagen - am 29. April 2005 Stellung; die
Stellungnahme ging bei der ARK am 2. Mai 2005 ein. Am 1. Januar 2007 ging das
Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht über, was den Parteien mit zwei
Schreiben vom November 2006 sowie vom 13. April 2007 mitgeteilt wurde.

C. Mit Faxschreiben vom 1. März 2005 ersuchte die Anzeigerin die ARK, die
Beschwerde vorrangig zu behandeln. Auf diese Eingabe erhielt sie soweit aus
den Akten ersichtlich keine Antwort. Am 5. Januar 2007 bat sie darum, das
Verfahren beförderlich abzuschliessen und zu entscheiden. Mit Schreiben vom
21. Juli 2007 wiederholte sie dieses Anliegen und machte sinngemäss
Rechtsverzögerung geltend. Mit Schreiben vom 21. August 2007 lehnte das
Bundesverwaltungsgericht eine prioritäre Behandlung der Beschwerde ab.

D. Mit Schreiben vom 31. August 2007 reichte die Anzeigerin beim
Bundesgericht Aufsichtsanzeige ein; diese ging beim Bundesgericht am
18. September 2007 ein. Sie macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe
das Urteil nicht innert angemessener Frist gemäss Art. 29 Abs. 1 und Art. 8
Abs. 1 BV gefällt, und ersucht um aufsichtsrechtliche Beurteilung der
Verfahrensleitung.

E. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich am 9. Oktober 2007 vernehmen lassen
und dem Bundesgericht die Verfahrensakten eingereicht.

Erwägung:

1.
Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine Aufsichtsanzeige im Sinne
von Art. 1 Abs. 2 BGG und Art. 3 lit. f AufRBGer i.V.m. Art. 71 Abs. 1 VwVG.
Die Rechtsprechung ist gemäss Art. 2 Abs. 2 AufRBGer von der Aufsicht
ausgenommen. Entsprechend prüft das Bundesgericht im Rahmen der vorliegenden
Aufsichtsanzeige lediglich, ob der äussere Gang des Verfahrens vor der ARK
und seit dem 1. Januar 2007 vor dem Bundesverwaltungsgericht dem ordentlichen
Geschäftsablauf entspricht. Das Verfahren wird von Amtes wegen behördenintern
durchgeführt und begründet keinen Anspruch auf Parteirechte (Art. 71 Abs. 2
VwVG; Art. 9 Abs. 2 AufRBGer).

2.
2.1 Die Anzeigerin beanstandet die lange Verfahrensdauer und macht
Rechtsverzögerung geltend. Das Bundesverwaltungsgericht habe seit circa 30
Monaten weder ersichtliche weitere Instruktionshandlungen vorgenommen noch
zum Ausdruck gebracht, dass solche nötig seien. Es habe die lange
Verfahrensdauer weder mit besonderen Schwierigkeiten begründet noch eine
Prioritätenordnung mitgeteilt.

2.2 Das Bundesverwaltungsgericht verweist in seiner Stellungnahme zunächst
auf das Schreiben der Instruktionsrichterin vom 21. August 2007. Darin war
der Anzeigerin mitgeteilt worden, dass ihr Beschwerdeverfahren im Rahmen der
gesetzten Prioritäten behandelt werde und dass über den Urteilszeitpunkt
keine Angaben gemacht werden könnten. Sodann weist es in der Stellungnahme
darauf hin, dass in der Abteilung V des Bundesverwaltungsgerichts derzeit
noch rund 360 Verfahren hängig seien, welche vor dem Jahr 2004 bei der ARK
eingereicht worden seien. Diesen Verfahren sei gegenüber den rund 270 im Jahr
2004 eingegangenen, in der Abteilung V hängigen Verfahren grundsätzlich
Priorität einzuräumen. Das vorliegende Beschwerdeverfahren dürfte daher im
ersten Halbjahr 2008 abgeschlossen werden.

3.
3.1 Für die Frage, ob die Dauer des Verfahrens einem ordentlichen
Geschäftsablauf entspricht, sind sinngemäss die zur
Rechtsverzögerungsbeschwerde entwickelten Kriterien heranzuziehen (Entscheide
des Bundesgerichts vom 16. Oktober 2007 12T_2/2007 E. 3 sowie vom 29. Mai
2007 12T_1/2007 E. 3).

3.2 Als Minimalanforderung an ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet
Art. 29 Abs. 1 BV den Erlass eines Entscheides innerhalb einer angemessenen
Frist. Nach den von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit ungerechtfertigten
Verfahrensverzögerungen zu Art. 4 Abs. 1 aBV entwickelten, unter der
Herrschaft der neuen Bundesverfassung unverändert anwendbaren Grundsätzen
(Art. 29 Abs. 1 BV) muss eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde jeden
Entscheid binnen einer Frist fassen, die nach der Natur der Sache und nach
den gesamten übrigen Umständen als angemessen erscheint. Die Angemessenheit
der Dauer bestimmt sich nicht absolut. Sie ist im Einzelfall unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände zu beurteilen und in ihrer Gesamtheit
zu würdigen. Dabei sind insbesondere die Natur sowie der Umfang und die
Komplexität der Sache, das Verhalten der betroffenen Privaten und der
Behörden, die Bedeutung für die Betroffenen sowie die für die Sache
spezifischen Entscheidungsabläufe zu berücksichtigen (BGE 1A. 169/2004 vom
18. Oktober 2004, in Pra 2005 Nr. 58 S. 447, BGE 124 I 139 E. 2c S. 142, ZBl
2002 S. 411 E. 2d, mit Hinweisen; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte i.S. Josef Müller gegen Schweiz, Ziff. 31, VPB 2003 Nr. 139;
Lorenz Meyer, Das Rechtsverzögerungsverbot nach Art. 4 BV, Dissertation Bern
1982, S. 35 ff., auch zum Folgenden).

Für die Rechtsuchenden ist es unerheblich, auf welche Gründe eine übermässige
Verfahrensdauer zurückzuführen ist; entscheidend ist ausschliesslich, dass
die Behörde nicht oder nicht fristgerecht handelt. Bei der Feststellung einer
übermässigen Verfahrensdauer ist daher zu prüfen, ob sich die Umstände, die
zur Verlängerung des Verfahrens geführt haben, objektiv rechtfertigen lassen
(BGE 125 V 188 E. 2a, 117 Ia 193 E. 1c, 108 V 13 E. 4c; 107 Ib 160 E. 3b; 103
V 190 E. 3c; Georg Müller, in: Kommentar BV, Rz. 92 ff. zu Art. 4 BV; Jörg
Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. Bern 1999, S. 503 ff. und
Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, Ergänzungsband zur dritten
Auflage des gleichnamigen Werkes von Jörg Paul Müller, 2005, S. 282 ff.).

4.
4.1 Vorliegend vergingen von der Einreichung des Asylgesuchs am 29. Januar
2003 bis zur Erhebung der Aufsichtsanzeige am 31. August 2007 rund
viereinhalb Jahre (56 Monate). Das von der Anzeigerin gerügte
Beschwerdeverfahren vor der ARK bzw. dem Bundesverwaltungsgericht dauerte von
seiner Anhängigmachung am 28. Juni 2004 bis zur Erhebung der Aufsichtsanzeige
38 Monate (drei Jahre und zwei Monate) bzw. seit der Anhängigmachung des
Revisionsgesuches am 5. November 2004 34 Monate (zwei Jahre und zehn Monate).

4.2 Es fällt auf, dass das gerügte Beschwerdeverfahren vor der ARK zunächst
zügig, nämlich in nur knapp mehr als zwei Monaten behandelt worden war. Auch
das zwei Monate später anhängig gemachte Revisionsverfahren wurde innert
lediglich zwei Monaten entschieden. Anschliessend verstrich allerdings
zunächst ein Monat bis die ARK die Vorinstanz zur Vernehmlassung einlud. Eine
Woche nach deren Eingang lud die ARK auch die Anzeigerin zur Stellungnahme
ein, welche am 2. Mai 2005 einging. Seither unternahm die angezeigte Instanz
- mit Ausnahme der Anzeige der Verfahrensübernahme durch das
Bundesverwaltungsgericht - nichts mehr. Das Verfahren ruhte also bis zur
Erhebung der Aufsichtsbeschwerde bereits zwei Jahre und vier Monate (28
Monate) und wird, sofern es wie in der Vernehmlassung des
Bundesverwaltungsgerichtes angekündigt in der ersten Hälfte des Jahres 2008
entschieden werden wird, rund drei Jahre spruchreif geruht haben.

4.3 Im Asyl- und Ausländerwesen ist über eine grosse Anzahl von Fällen zu
entscheiden. Dies gilt auch für die Beschwerdebehörde, die zwangsläufig
gewisse Prioritäten zu setzen hat (unpublizierter BGE 2A.17/2000 vom 21.
Februar 2000; Entscheid 12T_1/2007 E. 4.2). Dabei steht ihr naturgemäss ein
grosser Ermessensspielraum zu. Die Aufsichtsbehörde greift nur dann ein, wenn
der äussere Gang des Verfahrens dem ordentlichen Geschäftsablauf
offensichtlich nicht mehr entspricht.

4.4 Das Bundesverwaltungsgericht weist in seiner Vernehmlassung darauf hin,
dass in der zuständigen Abteilung derzeit noch rund 360 vor dem Jahr 2004
eingegangene Verfahren hängig seien. Es verstehe sich von selbst, dass der
Behandlung dieser Verfahren gegenüber der rund 270 im Jahr 2004
eingegangenen, noch hängigen Verfahren grundsätzlich Priorität einzuräumen
sei.
Soweit keine besonderen Verhältnisse vorliegen, ist es im Sinne einer
generellen Regel für die Prioritätensetzung sachgerecht, die Fälle
grundsätzlich in der Reihenfolge ihres Einganges zu behandeln. Diese
generelle Regel entbindet jedoch nicht von der Pflicht, die
Prioritätenordnung gestützt auf die konkreten Umstände des Einzelfalles zu
überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Soweit solche Umstände
offensichtlich sind, sind die Prioritäten von Amtes wegen zu berichtigen. Im
Übrigen darf sich das Bundesverwaltungsgericht auf die prozessuale
Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers verlassen. Letzterem obliegt es, die
urteilende Behörde auf solche Umstände aufmerksam zu machen, um ihr eine
sachgerechte Reihenfolge in der Behandlung der Geschäfte zu ermöglichen.
Vorliegend hat die Anzeigerin sich mehrfach an die ARK und das
Bundesverwaltungsgericht gewandt und auf die besonderen Umstände hingewiesen,
die eine prioritäre Behandlung rechtfertigen könnten. Mit diesen Gründen,
namentlich den speziellen gesundheitlichen Umständen der Anzeigerin, hat sich
das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.

4.5 Nebst der langen Dauer sowohl des Asylverfahrens als auch des
Beschwerdeverfahrens, welches aufgrund des Revisionsentscheides vom 5. Januar
2005 wieder aufgenommen wurde, fällt vorliegend vor allem ins Gewicht, dass
das Bundesverwaltungsgericht - abgesehen von den administrativen Mitteilungen
der Verfahrensübernahme durch das Bundesverwaltungsgericht - seit dem Eingang
der Stellungnahme der Anzeigerin am 2. Mai 2005 untätig geblieben ist. Das
Verfahren wurde somit seit 28 Monaten (zwei Jahre und vier Monate) nicht
aktiv weitergeführt. Der Anzeigerin wurde auf deren Interventionen hin
lediglich mitgeteilt, dass ihr Verfahren "im Rahmen der gesetzten
Prioritäten" behandelt werde, wobei weder auf die Besonderheiten des
Einzelfalles eingegangen noch ein Urteilszeitpunkt in Aussicht gestellt
wurde. Für diese lange Periode der (materiellen) Untätigkeit ist kein
objektiver Grund ersichtlich. Eine besondere Komplexität oder einen
bedeutenden Umfang des Falles macht das Bundesverwaltungsgericht nicht
geltend und ist aus den Akten auch nicht ersichtlich. Die Anzeigerin hat
zudem weder übermässige Aktivität entwickelt, noch ist ihr übermässige
Passivität vorzuwerfen, hat sie doch mehrfach schriftlich die lange
Verfahrensdauer gerügt.

4.6 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Dauer des Verfahrens vor der ARK -
bzw. seit dem 1. Januar 2007 vor dem Bundesverwaltungsgericht - angesichts
der vorliegenden Umstände unter objektiven Gesichtspunkten dem ordentlichen
Geschäftsablauf nicht entspricht. Das Beschwerdeverfahren dauert unbesehen
allfälliger anderer ebenfalls überzeitiger Verfahren auf jeden Fall zu lang.
Das Bundesverwaltungsgericht ist daher aufzufordern, das Verfahren
beförderlich zu Ende zu führen und einen Entscheid zu fällen.

5.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63
Abs. 1 und 2 VwVG). Entschädigungen sind keine zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor der ehemaligen
Asylrekurskommission - bzw. seit dem 1. Januar 2007 vor dem
Bundesverwaltungsgericht - zu lange dauert.

2.
Das Bundesverwaltungsgericht wird aufgefordert, das Verfahren beförderlich
abzuschliessen und zügig einen Entscheid zu fällen.

3.
Es werden weder Kosten erhoben noch Entschädigungen zugesprochen.

4.
Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
Der Anzeigerin wird eine Orientierungskopie zugestellt.

Lausanne, 11. Dezember 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Verwaltungskommission

Der Bundesgerichtspräsident: Der Generalsekretär: