Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Spezialdossiers, Aufsichtsanzeige 12T.2/2007
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12T_2/2007 /bru

Entscheid vom 16. Oktober 2007
Verwaltungskommission

Bundesrichter Aeschlimann, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Meyer,
Generalsekretär Tschümperlin.

X. _______,
Anzeiger, vertreten durch Klausfranz Rüst-Hehli,

gegen

Bundesverwaltungsgericht.

Aufsichtsanzeige nach Art. 1 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 71 VwVG betreffend
Verfahrensdauer vor der Asylrekurs- kommission und dem
Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren D-3350/2006.

Sachverhalt:

A.
X. _______ reichte am 17. Januar 2001 ein Asylgesuch ein. Das Bundesamt für
Flüchtlinge (BFF) lehnte dieses am 23. Juli 2001 ab. Die Asylrekurskommission
(ARK) hiess eine erste Beschwerde von X._______ am 14. Februar 2002 gut, hob
die Verfügung des BFF auf und wies das Verfahren zu neuem Entscheid ans BFF
zurück. Dieses lehnte das Asylgesuch am 14. April 2004 erneut ab.

B.
Am 17. Mai 2004 reichte X._______ wiederum Beschwerde bei der ARK ein. Diese
führte einen Schriftenwechsel durch. Der Anzeiger reichte am 5. August 2004
die Replik ein. Am 7. September 2005 stellte dieser der ARK zusätzliche
Beweismittel zu. Am 7. März 2006 reichte er weitere Beweismittel nach und
ersuchte sinngemäss um beförderliche Behandlung der Beschwerde.
Die ARK holte eine Zusatzvernehmlassung des Bundesamts für Migration (BFM)
ein, die am 1. Mai 2006 bei der ARK einging. Am 2. Mai 2006 setzte die ARK
dem Beschwerdeführer Frist für die Replik zur Zusatzvernehmlassung an. Diese
Replik wurde am 22. Mai 2006 erstattet.
Am 1. Januar 2007 ging das Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht über. Am
25. Januar 2007 ergänzte X._______ seine Beweismittel erneut und machte
Rechtsverzögerung geltend. Diesen Vorwurf erneuerte er am 27. April 2007 und
5. Juli 2007. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte eine prioritäre Behandlung
der Beschwerde am 4. Mai 2007 und 11. Juli 2007 ab.

C.
Am 20. Juli 2007 reichte X._______ beim Bundesgericht Aufsichtsanzeige ein.
Er macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe das Urteil nicht innert
angemessener Frist gemäss Art. 29 Abs. 1 BV gefällt, und ersucht um
aufsichtsrechtliche Beurteilung der Verfahrensleitung.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich am 14. September 2007 vernehmen lassen
und dem Bundesgericht die Verfahrensakten eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine Aufsichtsanzeige im Sinne
von Art. 1 Abs. 2 BGG und Art. 3 lit. f AufRBGer i.V.m. Art. 71 Abs. 1 VwVG.
Die Rechtsprechung ist gemäss Art. 2 Abs. 2 AufRBGer von der Aufsicht
ausgenommen. Entsprechend prüft das Bundesgericht im Rahmen der vorliegenden
Aufsichtsanzeige lediglich, ob der äussere Gang des Verfahrens vor der ARK
und seit dem 1. Januar 2007 vor dem Bundesverwaltungsgericht dem ordentlichen
Geschäftsablauf entspricht. Das Verfahren wird von Amtes wegen behördenintern
durchgeführt und begründet keinen Anspruch auf Parteirechte (Art. 71 Abs. 2
VwVG; Art. 9 Abs. 2 AufRBGer).

2.
2.1 Der Anzeiger beanstandet die lange Verfahrensdauer und macht
Rechtsverzögerung geltend. Das Bundesverwaltungsgericht begründe die lange
Verfahrensdauer von mehr als drei Jahren nicht mit besonderen
Verfahrensschwierigkeiten und habe keine Prioritätenordnung mitgeteilt.
Sinngemäss führt er zudem aus, als Musiker auf einen raschen Entscheid
angewiesen zu sein, da er als Asylsuchender in seiner beruflichen,
international ausgerichteten Tätigkeit aufs Intensivste eingeschränkt sei.

2.2 Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf die Stellungnahme des
Instruktionsrichters vom 11. Juli 2007. Darin ist dem Anzeiger mitgeteilt
worden, dass sein Beschwerdeverfahren nicht in die Kategorie prioritär zu
behandelnder Verfahren falle und gegenüber dringlicheren Verfahren
zurückzustehen habe. Die geltend gemachten psychischen Probleme sowie die
"Natur des Geschäfts" vermöchten keine prioritäre Behandlung zu
rechtfertigen; psychische Probleme würden in einer grossen und zunehmenden
Anzahl von Verfahren geltend gemacht und mit ärztlichen Berichten
dokumentiert. Sodann verweist das Bundesverwaltungsgericht auf den Umstand,
dass in der fraglichen Abteilung IV derzeit noch rund 450 Verfahren hängig
seien, die vor dem Jahre 2004 bei der ARK eingereicht worden seien. Diesen
Verfahren sei gegenüber den rund 290 im Jahre 2004 eingegangen, in der
Abteilung IV hängigen Verfahren grundsätzlich Priorität einzuräumen. Das am
18. Mai 2004 eingegangene Beschwerdeverfahren D-3350/2006 dürfte im
günstigsten Fall im ersten Halbjahr 2008 abgeschlossen werden.

3.
Für die Frage, ob die Dauer des Verfahrens einem ordentlichen Geschäftsablauf
entspricht, ist sinngemäss auf die zur Rechtsverzögerungsbeschwerde
entwickelten Kriterien abzustellen (Entscheid des Bundesgerichts vom 29. Mai
2007 12T_1/2007 E. 3).

3.1 Art. 29 Abs. 1 BV gewährleistet als Mindestanforderung an ein
rechtsstaatliches Verfahren den Erlass eines Entscheides innerhalb einer
angemessenen Frist. Denselben Anspruch gewährt Art. 6 Ziff. 1 EMRK, wonach
Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen innerhalb
angemessener Frist zu behandeln sind (BGE 1A. 169/2004 in Pra 2005 Nr. 58 S.
447; Lorenz Meyer, Das Rechtsverzögerungsverbot nach Art. 4 BV, Diss. Bern
1982, S. 7 und 34).

3.2 Nach den von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit ungerechtfertigten
Verfahrensverzögerungen zu Art. 4 Abs. 1 aBV entwickelten, unter der
Herrschaft der neuen Bundesverfassung unverändert anwendbaren Grundsätzen
(Art. 29 Abs. 1 BV) muss eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde jeden
Entscheid binnen einer Frist fassen, die nach der Natur der Sache und nach
den gesamten übrigen Umständen als angemessen erscheint. Die Angemessenheit
der Dauer bestimmt sich nicht absolut. Sie ist im Einzelfall unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände zu beurteilen und in ihrer Gesamtheit
zu würdigen. Dabei sind insbesondere die Natur sowie der Umfang und die
Komplexität der Sache, das Verhalten der betroffenen Privaten und der
Behörden, die Bedeutung für die Betroffenen sowie die für die Sache
spezifischen Entscheidungsabläufe zu berücksichtigen (BGE 1A. 169/2004 vom
18. Oktober 2004, in Pra 2005 Nr. 58 S. 447, BGE 124 I 139 E. 2c S. 142, ZBl
2002 S.411 E. 2d, mit Hinweisen; Urteil des Gerichtshofes i.S. Josef Müller
gegen Schweiz, Ziff. 31, VPB 2003 Nr. 139; Lorenz Meyer, a.a.O., S. 35 ff.,
auch zum Folgenden).

Für die Rechtsuchenden ist es unerheblich, auf welche Gründe eine übermässige
Verfahrensdauer zurückzuführen ist; entscheidend ist ausschliesslich, dass
die Behörde nicht oder nicht fristgerecht handelt. Bei der Feststellung einer
übermässigen Verfahrensdauer ist daher zu prüfen, ob sich die Umstände, die
zur Verlängerung des Verfahrens geführt haben, objektiv rechtfertigen lassen
(BGE 125 V 188 E. 2a, 117 Ia 193 E. 1c, 108 V 13 E. 4c; 107 Ib 160 E. 3b; 103
V 190 E. 3c; Georg Müller, in: Kommentar BV, Rz. 92 ff. zu Art. 4 BV; Jörg
Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. Bern 1999, S. 503 ff. und
Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, Ergänzungsband zur dritten
Auflage des gleichnamigen Werkes von Jörg Paul Müller, 2005, S. 282 ff.).

4.
Von der Einreichung des Asylgesuchs am 17. Januar 2001 bis zur Erhebung der
Aufsichtsanzeige am 20. Juli 2007 vergingen sechseinhalb Jahre (78 Monate).
Das sind 15 Monate mehr als im Fall 12T_1/2007, in welchem das Bundesgericht
eine Verfahrensverzögerung angenommen hat. Seit der Aufhebung des ersten
Asylentscheids des BFF durch die ARK am 14. Februar 2002 dauert das Verfahren
nun rund fünfeinhalb Jahre (67 Monate). Das vom Anzeiger gerügte zweite, am
17. Mai 2004 anhängig gemachte Verfahren vor der ARK - bzw. seit dem 1.
Januar 2007 vor dem Bundesverwaltungsgericht - dauert mittlerweile ebenfalls
schon 3 Jahre und 5 Monate oder 41 Monate, also zwei Monate mehr als im Fall
12T_1/2007.

4.1 Es fällt auf, dass das Verfahren anfänglich zügig geführt worden ist. Das
BFF wies das Asylgesuch im Jahre 2001 innert sechs Monaten ab. Die ARK
benötigte für das erste Rekursverfahren vom August 2001 bis Februar 2002 auch
nur fünfeinhalb Monate. Nach dem entsprechenden Entscheid der ARK vom 14.
Februar 2002 dauerte es bereits 26 Monate, bis das BFF am 14. April 2004 das
Asylgesuch ein zweites Mal abwies. Am 17. Mai 2004 gelangte der Anzeiger
erneut an die ARK. Diese instruierte das Verfahren zunächst wiederum zügig:
bis zum 5. August 2004 entschied sie über die unentgeltliche Rechtspflege und
führte mit Vernehmlassung und Replik einen Schriftenwechsel durch.
Anschliessend blieb sie längere Zeit untätig. Der Anzeiger meldete sich nach
gut einem Jahr (13 Monate) am 7. September 2005 mit zusätzlichen
Beweismitteln. Nach weiteren sechs Monaten reichte er am 7. März 2006 weitere
Beweismittel ein und ersuchte um beförderliche Behandlung. Zwischen dem 8.
März 2006 und dem 22. Mai 2006 führte die ARK einen Schriftenwechsel zu den
neuen Beweismitteln durch. Anschliessend geschah wieder nichts mehr. Der
Anzeiger wurde deshalb nach weiteren acht Monaten selber aktiv, indem er am
25. Januar 2007 dem Bundesverwaltungsgericht erneut ergänzende Beweismittel
einreichte und Rechtsverzögerung geltend machte.

4.2 Im Asyl- und Ausländerwesen ist über eine grosse Anzahl von Fällen zu
entscheiden. Dies gilt auch für die Beschwerdebehörde, die zwangsläufig
gewisse Prioritäten zu setzen hat (unpublizierter BGE 2A.17/2000 vom 21.
Februar 2000; Entscheid 12T_1/2007 E. 4.2). Dabei steht ihr naturgemäss ein
grosser Ermessensspielraum zu. Die Aufsichtsbehörde greift nur dann ein, wenn
der äussere Gang des Verfahrens dem ordentlichen Geschäftsablauf
offensichtlich nicht mehr entspricht.

4.3 Das Bundesverwaltungsgericht weist in seiner Vernehmlassung auf die
grosse Zahl hängiger Verfahren und die noch älteren Verfahren hin. Es
verstehe sich von selbst, dass der Behandlung dieser rund 450 vor 2004
eingereichten Verfahren grundsätzlich Priorität einzuräumen sei.
Im Sinne einer ersten generellen Regel für die Prioritätensetzung kann dem
Bundesverwaltungsgericht beigepflichtet werden: Soweit keine besonderen
Verhältnisse vorliegen, ist es sachgerecht, die Fälle grundsätzlich in der
Reihenfolge ihres Einganges zu behandeln. Diese generelle Regel entbindet
jedoch nicht von der Pflicht, die Prioritätenordnung gestützt auf die
konkreten Umstände des Einzelfalles zu überprüfen und gegebenenfalls
anzupassen. Soweit solche Umstände offensichtlich sind, sind die Prioritäten
von Amtes wegen zu berichtigen. Im Übrigen darf sich das
Bundesverwaltungsgericht auf die prozessuale Mitwirkungspflicht des
Beschwerdeführers verlassen. Letzterem obliegt es, die urteilende Behörde auf
solche Umstände aufmerksam zu machen, um ihr eine sachgerechte Reihenfolge in
der Behandlung der Geschäfte zu ermöglichen.
Genau dies hat der Anzeiger im vorliegenden Fall getan. Er hat sich mehrfach
an die ARK und das Bundesverwaltungsgericht gewandt und zumindest sinngemäss
auf die besonderen Umstände hingewiesen, die eine prioritäre Behandlung
rechtfertigen könnten. Mit einem Teil dieser Gründe, namentlich der
Berufsausübung als Musiker im Ausland, hat sich das Bundesverwaltungsgericht
zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.

4.4 Der Anzeiger reichte in mehreren Eingaben zusätzliche Unterlagen,
Dokumente und Informationen ein. Es kann ihm  deswegen aber nicht vorgeworfen
werden, eine übermässige Aktivität entwickelt zu haben, die sich wesentlich
auf die lange Verfahrensdauer ausgewirkt hätte (BGE 1A.169/2004 E. 2.2., in
Pra 2005 Nr. 58 S. 447). Ebenso wenig ist ihm übermässige Passivität
vorzuwerfen, hat er doch mehrfach schriftlich und telefonisch die lange
Verfahrensdauer gerügt.

4.5 Nebst der insgesamt langen Dauer des Asylverfahrens und des zweiten
Beschwerdeverfahrens, das am 17. Mai 2004 anhängig gemacht worden ist, fallen
die 19 Monate Untätigkeit der ARK zwischen dem 5. August 2004 und dem 8. März
2006 sowie die materielle Nichtweiterführung des Verfahrens durch die ARK und
das Bundesverwaltungsgericht seit dem 22. Mai 2006, also während nochmals 16
Monaten, besonders ins Gewicht. Dem Anzeiger wurde auf dessen Interventionen
hin lediglich mitgeteilt, dass sein Verfahren nicht prioritär sei, wobei auf
die Besonderheiten des Einzelfalles nur teilweise eingegangen wurde.
Ausserdem wurde dem Anzeiger in dieser zweiten Periode administrativ die
Verfahrensübernahme durch das Bundesverwaltungsgericht angezeigt. Effektiv
wurde das Verfahren indessen nicht mehr weitergeführt. Für diese beiden
Perioden der (materiellen) Untätigkeit ist kein objektiver Grund ersichtlich.
Eine besondere Komplexität oder einen bedeutenden Umfang des Falles macht das
Bundesverwaltungsgericht nicht geltend und ist aus den Akten auch nicht
ersichtlich.

4.6 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Dauer des Verfahrens vor der ARK -
bzw. seit dem 1. Januar 2007 vor dem Bundesverwaltungsgericht - angesichts
der vorliegenden Umstände unter objektiven Gesichtspunkten dem ordentlichen
Geschäftsablauf nicht entspricht.  Das Beschwerdeverfahren dauert unbesehen
allfälliger anderer ebenfalls überzeitiger Verfahren auf jeden Fall zu lang.
Das Bundesverwaltungsgericht ist daher aufzufordern, das Verfahren
beförderlich zu Ende zu führen und einen Entscheid zu fällen.

5.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63
Abs. 1 und 2 VwVG). Entschädigungen sind keine zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor der ehemaligen
Asylrekurskommission - bzw. seit dem 1. Januar 2007 vor dem
Bundesverwaltungsgericht - zu lange dauert.

2.
Das Bundesverwaltungsgericht wird aufgefordert, das Verfahren beförderlich
abzuschliessen und zügig einen Entscheid zu fällen.

3.
Es werden weder Kosten erhoben noch Entschädigungen zugesprochen.

4.
Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
Dem Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt.

Lausanne, 16. Oktober 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Verwaltungskommission

Der Bundesgerichtspräsident:   Der Generalsekretär: