Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 82/2006
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Prozess {T 7}
U 82/06

Urteil vom 7. Juni 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Widmer

R.________, 1965, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs
Burkhardt, Bahnhofstrasse 1, 8304 Wallisellen,

gegen

Allianz Versicherungen, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz

(Entscheid vom 6. Dezember 2005)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 21. Oktober 2004 stellte die Allianz Suisse Versicherungen
(nachfolgend: Allianz) die R.________ (geb. 1965) für die Folgen eines
Unfalles vom 23. März 2001 erbrachten Leistungen rückwirkend auf den 31. März
2004 ein, woran sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 6. Juli 2005
festhielt.

B.
Am 7. November 2005 liess R.________ gegen den Einspracheentscheid beim
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Beschwerde einreichen. Mit Schreiben
vom 9. November 2005 wies der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts den
Versicherten darauf hin, dass die Beschwerde nach dem massgebenden kantonalen
Recht verspätet erhoben worden sei, weshalb darauf nicht eingetreten werden
könne, und räumte ihm Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Mit Eingabe vom
15. November 2005 liess R.________ ein Gesuch um Wiederherstellung der
Beschwerdefrist einreichen. Mit Entscheid vom 6. Dezember 2005 trat das
Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt R.________ zur Hauptsache beantragen,
unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei das kantonale Gericht zu
verpflichten, auf die Beschwerde vom 7. November 2005 einzutreten. In
verfahrensrechtlicher Hinsicht lässt er das Rechtsbegehren stellen, es seien
die vorinstanzlichen Akten beizuziehen und es sei ein zweiter
Schriftenwechsel anzuordnen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und die Allianz schliessen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Der verfahrensrechtliche Antrag des Beschwerdeführers, es seien die Akten der
Vorinstanz beizuziehen, ist gegenstandslos, weil sowohl das kantonale Gericht
als auch die Allianz ihre Akten aufgelegt haben. Dem Antrag auf Durchführung
eines zweiten Schriftenwechsels ist nicht statt zu geben. Ein zweiter
Schriftenwechsel findet gemäss Art. 110 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 132 OG
nur ausnahmsweise statt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet einen
weiteren Schriftenwechsel, wenn in der Vernehmlassung der Gegenpartei oder
der Mitbeteiligten neue tatsächliche Behauptungen aufgestellt werden, deren
Richtigkeit nicht ohne weiteres aktenkundig ist und die für die Entscheidung
von wesentlicher Bedeutung sind (BGE 119 V 323 Erw. 1 mit Hinweisen). Der
schon in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellte Antrag auf Anordnung
eines zweiten Schriftenwechsels war verfrüht, da der Versicherte damals noch
gar nicht beurteilen konnte, ob aus seiner Sicht eine Stellungnahme zu den
Eingaben der Beschwerdegegnerin oder der Vorinstanz erforderlich sein würde
(URP 2005 S. 563 = Urteil des Bundesgerichts in Sachen R. vom 12. Juli 2005,
1A.276/2004). Nach Kenntnisnahme der Vernehmlassung hat der Beschwerdeführer
keine Stellungnahme eingereicht und auch nicht den Antrag auf Durchführung
eines formellen zweiten Schriftenwechsels erneuert. Nach Lage der Akten
besteht kein Anlass, ihm jetzt noch eine solche Gelegenheit einzuräumen.

3.
Die Vorinstanz hat die massgebenden bundesrechtlichen (Art. 60 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 38 Abs. 4 und Art. 82 Abs. 2 ATSG sowie Art. 106 UVG) und
kantonalrechtlichen Bestimmungen (§ 4 Abs. 1 der Verordnung über die
Verwaltungsrechtspflege des Kantons Schwyz [VRP] in Verbindung mit § 94
Abs. 1 und 2 der Gerichtsordnung des Kantons Schwyz [GO]) über die
Beschwerdefrist und den Fristenstillstand sowie die Rechtsprechung, laut
welcher der Fristenstillstand nach Art. 60 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 38
Abs. 4 ATSG auch bei mehrmonatigen Beschwerdefristen zu beachten ist, diese
Regelung jedoch während der fünfjährigen Übergangszeit gemäss Art. 82 Abs. 2
ATSG keine Anwendung findet, wenn das kantonale Recht für die nach Monaten
berechneten Fristen (noch) keinen Fristenstillstand vorsieht (BGE 131 V 314
und 325), zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

Gestützt auf diese Rechtsprechung hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass
für den Fristenstillstand das kantonale Recht massgebend ist, welches eine
Art. 38 Abs. 4 lit. b ATSG entsprechende Regelung - einen Stillstand der
Fristen vom 15. Juli bis 15. August - für das verwaltungsgerichtliche
Verfahren ausdrücklich ausschliesst, weshalb die am 7. November 2005
eingereichte Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 6. Juli 2005
verspätet war.

Die vom Beschwerdeführer an der Rechtsprechung geübte Kritik kann nicht dazu
führen, die geltende Praxis einer Überprüfung zu unterziehen. Da namentlich
die Voraussetzungen für eine Änderung der Rechtsprechung offensichtlich nicht
erfüllt sind, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragenen Argumenten.

4.
Zu prüfen bleibt, ob das kantonale Gericht zu Recht die Wiederherstellung der
versäumten Beschwerdefrist abgelehnt hat.

4.1 Die Vorinstanz hat die Frage, ob die versäumte Beschwerdefrist
wiederherzustellen sei, richtigerweise gestützt auf kantonales Recht
beurteilt, da Art. 41 Abs. 1 ATSG im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist
(Art. 82 Abs. 2 ATSG; Art. 60 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 41 ATSG; BGE
131 V 323 Erw. 5.2, 328 Erw. 4.4).

Das Eidgenössische Versicherungsgericht kann die Anwendung kantonalen
Verfahrensrechts nicht frei überprüfen. Art. 104 lit. a OG beschränkt die
Überprüfungsbefugnis auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens. Dabei fällt praktisch vor allem
eine Prüfung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte und Grundsätze,
namentlich des Willkürverbots, in Betracht (BGE 114 V 205 Erw. 1a; vgl. BGE
120 V 416 Erw. 4a).

Nach der Rechtsprechung ist eine Entscheidung willkürlich, wenn sie eine Norm
oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer
verletzt, sich mit sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten lässt oder
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkürliche
Rechtsanwendung liegt nicht schon vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu
ziehen oder sogar vorzuziehen wäre (BGE 131 I 61 Erw. 2, 129 I 9 Erw. 2.1, 58
Erw. 4, 127 I 41 Erw. 2a).

4.2 Nach § 129 Abs. 1 GO in Verbindung mit § 4 VRP des Kantons Schwyz kann
das Gericht auf Antrag der säumigen Partei eine Frist wiederherstellen, eine
Verhandlung neu ansetzen und einen Endentscheid aufheben, bei grobem
Verschulden der Partei oder ihres Vertreters aber nur mit Einwilligung der
Gegenpartei. Unter Hinweis auf seine seit jeher strenge Praxis zur
Wiederherstellung einer Frist führte das kantonale Gericht aus, eine Person,
die in Folge einer unzutreffenden Rechtsauffassung nicht fristgerecht
reagiert, trage grundsätzlich das Risiko der Fehlinterpretation. Daraus, dass
der Beschwerdeführer die Bestimmung von Art. 82 Abs. 2 ATSG, welche einen
Vorrang des abweichenden kantonalen Verfahrensrechts während der fünfjährigen
Übergangsfrist statuiert, übersehen hat, könne er nichts zu seinen Gunsten
ableiten. Im Übrigen verhalte es sich so, dass das hier massgebende Urteil
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 26. August 2005 (U 268/03 = BGE
131 V 314) bereits am 20. September 2005 und somit eindeutig noch vor dem
Ablauf der dreimonatigen Rechtsmittelfrist im Internet allgemein zugänglich
gemacht wurde.

4.3 Der angefochtene Entscheid hält einer Überprüfung auf die
Verfassungsmässigkeit stand und kann insbesondere nicht als willkürlich
bezeichnet werden. Den vorliegenden Rechtsirrtum hinsichtlich der Tragweite
von Art. 82 Abs. 2 ATSG hat die Vorinstanz zu Recht nicht als
Fristwiederherstellungsgrund anerkannt. Denn aus Rechtsunkenntnis kann
niemand Vorteile ableiten (BGE 124 V 220 Erw. 2b aa mit Hinweisen), wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht auch im Urteil H. vom 18. April 2006, U
435/05, betreffend einen Fall aus dem Kanton Zürich, welcher in § 199 Abs. 1
GVG eine analoge Regelung der Fristwiederherstellung kennt, entschieden hat.
Ebenso hat das Bundesgericht im Urteil C. vom 12. Mai 2005, 2A.116/2005,
festgehalten, dass die Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften keinen
Fristwiederherstellungsgrund bildet.

4.4 Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwendungen vermögen,
soweit erheblich, zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Ohne Belang ist
insbesondere, dass das Rubrum des angefochtenen Entscheides einen Verschrieb
("Wiedererwägungsbegehren" statt Wiederherstellungs- oder
Fristwiederherstellungsgesuch) enthält, da das Verwaltungsgericht das
Wiederherstellungsbegehren vom 15. November 2005 als solches und nicht als
Wiedererwägungsgesuch behandelt hat. Kantonales Prozessrecht wurde damit
nicht verletzt.

4.4.1 Die Berufung auf SVR 1998 UV Nr. 10 (U 162/96) hilft dem
Beschwerdeführer nicht, weil es in jenem Fall um eine Änderung des kantonalen
Rechts ging, während in vorliegender Streitsache das nach Art. 82 Abs. 2 ATSG
während einer Übergangszeit weiterhin anwendbare kantonale Recht zum
Fristenstillstand keine Änderung erfahren hat. Die Nichtbeachtung von Art. 82
Abs. 2 ATSG kommt sodann der Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften gleich
und berechtigt willkürfrei zur Annahme groben Verschuldens. Von einer
Ermessensüberschreitung der Vorinstanz in der Handhabung des kantonalen
Rechts kann nicht die Rede sein. Dass die Urteile des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 26. August 2005 (BGE 131 V 314 und 325) im
Zeitpunkt des Ablaufs der dreimonatigen Beschwerdefrist noch nicht in der
Amtlichen Sammlung publiziert waren, trifft zu. Indessen gehört es in einem
solchem Fall (neue bundesrechtliche Regelung ohne in der Amtlichen Sammlung
publizierte höchstrichterliche Präjudizien) zur Sorgfaltspflicht des Anwalts,
die neuste Rechtsprechung auch im Internet zu konsultieren, was bereits am
20. September 2005, somit vor Ablauf der Beschwerdefrist, möglich war.

4.4.2 Die Rüge der falschen Anwendung der übergangsrechtlichen Bestimmungen
des ATSG durch die Vorinstanz ist ebenfalls unbegründet. Das kantonale
Gericht hat BGE 131 V 314 und 325 richtig angewendet.

Schliesslich scheint der Beschwerdeführer zu übersehen, dass der Kanton
Schwyz in § 94 Abs. 2 GO in Verbindung mit § 4 VRP eine ausdrückliche
negative Regelung des Fristenstillstandes für die Sommergerichtsferien
(15. Juli bis 15. August) im verwaltungsgerichtlichen  Verfahren kennt. Die
Kritik an der Praxis bei fehlender kantonaler Regelung des
Fristenstillstandes geht damit an der Sache vorbei.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 7. Juni 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: