Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 79/2006
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Prozess {T 7}
U 79/06

Urteil vom 19. September 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Fessler

B.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Markus Schmid,
Steinenschanze 6, 4051 Basel,

gegen

Generali Allgemeine Versicherungen,
Rue de la Fontaine 1, 1204 Genf, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Advokat Hans-Ulrich Zumbühl, Steinentorstrasse 35, 4051 Basel

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 6. Dezember 2005)

Sachverhalt:

A.
Die 1964 geborene B.________ erlitt am 5. Februar 1996 einen Verkehrsunfall.
Zu dem Zeitpunkt arbeitete sie teilzeitlich als Sekretärin in der
Anwaltskanzlei X.________. Die «Schweizer Union» Allgemeine
Versicherungs-Gesellschaft (heute: Generali Allgemeine Versicherungen
[nachfolgend: Generali]), bei welcher sie obligatorisch unfallversichert war,
kam für die Heilbehandlung auf und richtete Taggelder aus. Mit Verfügung vom
12. März 2004 sprach die Generali B.________ u.a. ab 1. Januar 2004 aufgrund
eines Invaliditätsgrades von 15 % und einem massgebenden Verdienst von
Fr. 45'837.- eine Invalidenrente von Fr. 459.- im Monat zu. Mit
Einspracheentscheid vom 21. September 2004 setzte die Generali den
massgebenden Verdienst auf Fr. 46'255.40 (Fr. 42'050.35.- [Versicherter
Verdienst 1996] + Fr. 3977.- [Lohnindexierung 10 %]) fest, was eine Rente von
monatlich Fr. 462.55 ergab.

B.
Die Beschwerde der B.________ wies das Sozialversicherungs-gericht des
Kantons Basel-Stadt nach zweifachem Schriftenwechsel und Durchführung einer
Verhandlung mit Entscheid vom 6. Dezember 2005 ab.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Generali sei zu
verpflichten, der Rentenberechnung einen versicherten Jahresverdienst von
Fr. 51'870.- zugrunde zu legen.
Die Generali beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In Bezug auf die Streitgegenstand bildende Invalidenrente der
Unfallversicherung sind die Anspruchsberechtigung, der Invaliditätsgrad sowie
der Leistungsbeginn (1. Januar 2004) unbestritten. Es besteht kein Anlass zu
einer näheren Prüfung von Amtes wegen (BGE 125 V 415 Erw. 1b und 417 oben,
110 V 53 Erw. 4a). Im Weitern steht ausser Frage, dass sich der versicherte
Verdienst als Grundlage für die Bemessung der Rente nicht nach dem innerhalb
eines Jahres vor dem Unfall vom 5. Februar 1996 bezogenen Lohn
(Fr. 42'050.35) gemäss Art. 15 Abs. 2 UVG und Art. 22 Abs. 4 UVV bestimmt,
sondern nach dem vom Bundesrat gestützt auf Art. 15 Abs. 3 lit. a UVG
erlassenen Art. 24 Abs. 2 UVV (RKUV 2005 Nr. U 541 [U 384/01] S. 139
Erw. 2.1) festzusetzen ist. Umstritten ist hingegen, ob bei der Anwendung
dieser Vorschrift im konkreten Fall die allgemeine statistische
Nominallohnentwicklung ab 1996 im angestammten Tätigkeitsbereich oder die
allgemeine und insofern individuelle Lohnentwicklung in der Anwaltskanzlei
des damaligen Arbeitgebers zu berücksichtigen ist.

2.
Art. 24 Abs. 2 UVV lautet wie folgt: Beginnt die Rente mehr als fünf Jahre
nach dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit, so ist der Lohn
massgebend, den der Versicherte ohne den Unfall oder die Berufskrankheit im
Jahre vor dem Rentenbeginn bezogen hätte, sofern er höher ist als der letzte
vor dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit erzielte Lohn. Nach der
Rechtsprechung bezweckt diese Vorschrift die Anpassung des versicherten
Verdienstes, d.h. des innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogenen Lohnes
nach Art. 15 Abs. 2 UVG an die allgemeine Lohnentwicklung resp. die normale
Lohnentwicklung im angestammten Tätigkeitsbereich. Andere Änderungen in den
erwerblichen Verhältnissen (Karriereschritte, Stellenwechsel etc.) seit dem
Unfall haben unberücksichtigt zu bleiben (BGE 127 V 171 ff. Erw. 3b, 118 V
303 unten; RKUV 2005 Nr. U 540 [U 282/03] S. 127 Erw. 3.3, Nr. U 556
[U 396/04] S. 331 ff. Erw. 2.2 und Erw. 3.2 in fine).

3.
Vorliegend haben das kantonale Gericht und der Unfallversicherer den
innerhalb des Jahres vor dem Unfall vom 5. Februar 1996 bezogenen Lohn von
Fr. 42'050.35 an die Lohnentwicklung 1996-2003 im Arbeitsbereich Büro und
Technik gemäss Tabelle T1.93 des vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen
«Schweizerischer Lohnindex 2003» angepasst, was einen versicherten Verdienst
von Fr. 46'255.40 ergibt. Demgegenüber ist nach Auffassung der
Beschwerdeführerin auf die hypothetische Lohnentwicklung in der
Anwaltskanzlei, wo sie bis Ende Februar 1998 tätig gewesen sei, abzustellen.
Dies ergebe einen versicherten Verdienst von Fr. 51'870.- (13 x Fr. 3990.-).
Zur Begründung wird vorgebracht, die Lohnerhöhungen in der Anwaltskanzlei
seit 1996 seien nicht auf Karrieresprünge oder sonstige betriebliche
Veränderungen zurückzuführen. Die überdurchschnittliche Lohnzunahme sei
einzig und allein von der Leistungsfähigkeit, der Leistungsbereitschaft und
der Entwicklung des Betriebes gekennzeichnet. Der Arbeitgeber habe «seine
Mitarbeiter ganz einfach am Erfolg seiner Kanzlei durch entsprechende
Gestaltung der Löhne (...) teilhaben lassen». Abgesehen davon spreche auch
der Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 UVV dafür, den versicherten Verdienst nach
Massgabe der konkreten Verhältnisse festzusetzen.

4.
4.1 Der Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 UVV sagt nicht hinreichend klar, ob bei
einem Beginn der Rente mehr als fünf Jahre nach dem Unfall bei der Bemessung
des versicherten Verdienstes auf die allgemeine statistische Lohnentwicklung
oder aber auf die allgemeine Lohnentwicklung im Betrieb des damaligen
Arbeitgebers abzustellen ist. Die Gerichtspraxis ist nicht ganz einheitlich.
Es gibt Urteile, in denen die «normale Lohnentwicklung im angestammten
Tätigkeitsbereich» im Sinne der betrieblichen Lohnentwicklung verstanden und
angewendet wird (vgl. RKUV 2000 Nr. U 400 [U 297/99] S. 381 ff. Ew. 2, 1999
Nr. U 327 S. 112 Erw. 3d; Urteil F. vom 8. März 2002 [U 286/01] Erw. 3c; in
RKUV 1999 Nr. U 340 S. 404 nicht publizierte Erw. 2 des Urteils S. vom
9. Februar 1999 [U 303/97]).

4.2
4.2.1 Art. 24 Abs. 2 UVV will einzig allfällige Nachteile als Folge der
Verzögerung in der Rentenfestsetzung ausgleichen (BGE 127 V 173 Erw. 3b).
Dagegen sollen die Versicherten nicht so gestellt werden, wie wenn sich der
Unfall unmittelbar vor diesem Zeitpunkt ereignet hätte (RKUV 1999 Nr. U 327
S. 112 Erw. 3d am Anfang). Darauf liefe jedoch im Ergebnis die
Berücksichtigung der betrieblichen Lohnentwicklung bei den bei Rentenbeginn
nach wie vor im selben Betrieb arbeitenden Versicherten hinaus. In diesem
Zusammenhang wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde widersprüchlich
argumentiert, wenn zwar Lohnerhöhungen aufgrund der positiven
wirtschaftlichen Entwicklung der Kanzlei bei der Bemessung des versicherten
Verdienstes zu berücksichtigen sind, der ab 2001 jeweils nach Massgabe des
Geschäftsverlaufs ausbezahlte 14. Monatslohn aber ausser Acht zu bleiben hat,
weil es sich dabei um eine erst nach dem Unfall hinzugekommene Lohnkomponente
handle. Ein allfälliges 14. Monatsgehalt stellt nichts anderes als eine
Beteiligung des oder der Mitarbeiter am geschäftlichen Erfolg dar. Im Übrigen
kann die betriebliche Lohnentwicklung aus in der Regel von der versicherten
Person nicht beeinflussbaren oder zu vertretenden Gründen auch unter der
allgemeinen statistischen Lohnentwicklung im betreffenden Bereich verlaufen.
In einem solchen Fall müsste konsequenterweise darauf abgestellt werden, was
unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zumindest fraglich erschiene.

4.2.2 Im Weitern ist zu beachten, dass bis zur Entstehung des Anspruchs auf
eine Invalidenrente im Umfang der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Anspruch
auf Taggeld besteht (Art. 16, Art. 17 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 UVG). Dabei
gilt als versicherter Verdienst für die Bemessung der Taggelder grundsätzlich
der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn resp. 80 Prozent davon (Art. 15
Abs. 2 und 17 Abs. 1 UVG), einschliesslich noch nicht ausbezahlter
Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht (Art. 22 Abs. 3 UVV).
Hat die Heilbehandlung wenigstens drei Monate gedauert und wäre der Lohn des
Versicherten in dieser Zeit um mindestens 10 Prozent erhöht worden, so wird
der massgebende Lohn für die Zukunft neu bestimmt (Art. 23 Abs. 7 UVV). Diese
Sondervorschrift kann allenfalls auch bei Erhöhungen der Arbeitszeit zur
Anwendung gelangen (RKUV 1994 Nr. U 195 S. 211 Erw. 5b). Vorliegend betrug
gemäss Verfügung vom 12. März 2004 der versicherte Verdienst für die
Bemessung der Taggelder für die Zeit vom 1. August 2000 bis 31. Dezember 2003
Fr. 52'999.-, somit bedeutend mehr als der im Jahr vor dem Unfall vom
5. Februar 1996 erzielte Lohn von Fr. 42'050.35. Der Umfang des
Rentenanspruchs bemisst sich nach dem Invaliditätsgrad (Art. 16 ATSG in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 UVG und Art. 2 ATSG), die Höhe der Rente nach
dem versicherten Verdienst, d.h. dem innerhalb eines Jahres vor dem Unfall
bezogenen Lohn resp. 80 Prozent davon (Art. 15 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1
UVG). Taggeld und Invalidenrente werden somit auf im Wesentlichen gleichen
Bemessungsgrundlagen festgesetzt (in plädoyer 1/1998 S. 56 auszugsweise
wiedergegebenes Urteil A. vom 27. Dezember 1995 [U 163/94] Erw. 2 mit Hinweis
auf die Botschaft vom 18. August 1976 über die Unfallversicherung [BBl 1976
III 141 ff.] S. 168 und 189). Es kommt dazu, dass bei gleichem
Gesundheitsschaden der Grad der Arbeitsunfähigkeit mindestens so hoch wie
oder häufig sogar höher als der Grad der Erwerbsunfähigkeit (Invalidität)
ist. Verzögert sich also der Heilungsverlauf, was sich regelmässig in einer
entsprechend langsameren Verbesserung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
niederschlägt, und beginnt die Rente entsprechend später zu laufen, gelangen
länger höhere Taggelder zur Ausrichtung. Dies relativiert die Bedeutung des
Zeitpunktes des Rentenbeginns (innert fünf Jahren nach dem Unfall oder
später) in Bezug auf die Bemessungsgrundlage des versicherten Verdienstes.

4.2.3 Sinn und Zweck des Art. 24 Abs. 2 UVV sowie die Taggeldordnung, aber
auch Gründe der Praktikabilität sprechen dafür, bei mehr als fünf Jahre nach
dem Unfall beginnenden Renten bei der Bemessung des versicherten Verdienstes
auf die allgemeine statistische Nominallohnentwicklung im angestammten
Tätigkeitsbereich und nicht auf die Lohnentwicklung beim konkreten
Arbeitgeber abzustellen. In diesem Sinne ist die Rechtsprechung zu
präzisieren.

4.3 Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens.

5.
Der Antrag auf Zusprechung einer Parteientschädigung an die obsiegende
anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin ist praxisgemäss (BGE 112 V 44)
abzulehnen.

6.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 19. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: