Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 70/2006
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{T 7}
U 70/06

Urteil vom 4. Januar 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Borella, Vorsitzender,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Kernen,
Gerichtsschreiber Schmutz.

V. ________, 1969, Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von
Appenzell Ausserrhoden vom 26. Oktober 2005.

Sachverhalt:

A.
V. ________, geboren 1969, war als Eisenleger-Hilfsarbeiter in der Firma
B.________ AG, angestellt und bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 19. Februar 1998 zog er sich bei einem
Arbeitsunfall eine Tibiaschaftfraktur und eine Calcaneusfraktur am linken
Fuss zu. In der Folge musste das Fussgelenk versteift werden. Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Taggeld, Heilbehandlung). Mit
Verfügung vom 5. Juli 2000 stellte sie diese ein, da der Versicherte in der
Lage sei, eine Arbeitsfähigkeit von mindestens 75 % zu erreichen. Die dagegen
erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 28. September 2000
rechtskräftig ab. Mit Verfügung vom 10. Juli 2002 sprach die SUVA V.________
für die aus dem Unfall vom 19. Februar 1998 verbliebene Beeinträchtigung bei
einer Integritätseinbusse von 15 % eine Integritätsentschädigung zu. Diese
Verfügung erwuchs ebenfalls in Rechtskraft.

Im Rahmen der Eingliederung war V.________ als Hilfsarbeiter in der Firma
F.________ AG, tätig und weiterhin bei der SUVA unfallversichert. Am 5.
November 2001 stürzte er von einer Leiter und erlitt eine
Radiusköpfchenfraktur am linken Arm und eine Basisfraktur am linken Fuss. Im
Bericht über die kreisärztliche Untersuchung vom 11. Juni 2002 hielt
Kreisarzt Dr. med. C.________, fest, aus medizinischer Sicht müsse eine
leichte körperliche Tätigkeit empfohlen werden, wechselbelastend zwischen
Sitzen, Gehen und Stehen, schwergewichtig sitzend. Unter dieser Vorbedingung
könne die volle Präsenz zumutbarerweise eingehalten werden. Ungünstig seien
das Bewältigen von Treppen und von grösseren Strecken, vor allem bei
gleichzeitiger Belastung durch Gewichte. Ebenfalls ungünstig und zu meiden
seien Arbeiten auf unebenem Gelände und auf Leitern. Mit Schreiben vom 22.
Oktober 2002 stellte die SUVA die erbrachten Leistungen auf den 31. Oktober
2002 ein. Der Kreisarzt Dr. med. C.________ legte die Integritätseinbusse als
Folge des Unfalles vom 5. November 2001 in der Beurteilung des
Integritätsschadens am 14. November 2002 auf 5 % fest. Dabei führte er aus,
der gesamte Integritätsschaden für den linken Fuss betrage jetzt 20 %, im
Quervergleich handle es sich dabei um 2/3 eines Fussverlustes. Mit Verfügung
vom 20. Dezember 2002 sprach die SUVA V.________ auf Grund der verbliebenen
Beeinträchtigungen beider Unfälle ab 1. November 2002 eine Rente (basierend
auf einer Erwerbsunfähigkeit von 14 %) und als Folge des zweiten Unfalles
(bei einer zusätzlichen Integritätseinbusse von 5 %) eine weitere
Integritätsentschädigung zu. Sie bestätigte die Ausrichtung dieser Leistungen
mit Einspracheentscheid vom 23. Dezember 2004.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden mit Entscheid vom 26. Oktober 2005 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt V.________, der Invaliditätsgrad
sei neu zu bemessen und auf mindestens 50 % festzusetzen; die
Integritätsentschädigung sei basierend auf einer Integritätseinbusse von
mindestens 30 % zuzusprechen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Vorinstanz und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2).

2.
Streitig und zu prüfen ist die Höhe des Anspruches auf Invalidenrente und
Integritätsentschädigung. Das kantonale Gericht hat in formell-, materiell-
und beweisrechtlicher Hinsicht die für die Beurteilung dieser Fragen
massgeblichen Grundlagen zutreffend dargelegt. Es wird auf die Erwägungen 3
(Ingress), 4 (erster Absatz) und 5 (erster Absatz) im angefochtenen Entscheid
verwiesen (Art. 36a Abs. 3 zweiter Satz OG). Zu Erwägung 2 ist ergänzend
darauf hinzuweisen, dass mit dem Inkrafttreten am 1. Januar 2003 des
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6.
Oktober 2000 (ATSG) u.a. auch im Unfallversicherungsrecht verschiedene
materiellrechtliche Bestimmungen geändert worden sind. Übergangsrechtlich
sind Leistungsansprüche in zeitlicher Hinsicht nach denjenigen Rechtssätzen
zu beurteilen, die bei der Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden
Sachverhaltes in Kraft waren (BGE 130 V 446 f. Erw. 1.2.1 mit Hinweisen),
somit für die Zeit bis 31. Dezember 2002 nach den bis dahin gültigen und ab
diesem Zeitpunkt - anders als von der Vorinstanz erwogen - nach den neuen
Normen des ATSG. Da Art. 6 Abs. 1 UVG mit dem Inkrafttreten des ATSG keine
Änderung erfahren hat (Urteil C. vom 5. November 2004, U 106/04, Erw. 2 mit
Hinweisen), kommt den dargelegten intertemporalrechtlichen Überlegungen
insofern nur beschränkte Tragweite zu.

3.
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Gerichts nicht auf
die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch
des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die
Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an
die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten
hinausgehen (Art. 132 OG).

4.
Für die Beurteilung des Renten- und des Entschädigungsanspruches ist der bis
zum Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides (23. Dezember 2004)
eingetretene Sachverhalt massgebend (BGE 131 V 11 Erw. 1 mit Hinweis).
Verwaltung und kantonales Gericht berücksichtigten bei ihren Entscheiden
ausschliesslich den zu jenem Zeitpunkt schon zweieinhalb Jahre alten Bericht
des Kreisarztes Dr. med. C.________ vom 11. Juni 2002. Stellungnahmen aus der
Zeit unmittelbar vor Erlass des Einspracheentscheides des Hausarztes Dr. med.
I.________ vom 8. Juli 2004 und des Orthopäden Dr. med. K.________, Leitender
Arzt Spital X.________, vom 22. September 2004 beurteilte die Vorinstanz als
zu wenig präzise oder mangels Begründung als nicht nachvollziehbar. Nun ist
alleine aus dem Berichtszusammenhang nicht zu erkennen, was Dr. med.
K.________ veranlasste, die auf die Beschwerden im linken Bein
zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers drei Monate vor dem
Einspracheentscheid auf 50 % festzusetzen. Auch ist nicht begründet, warum
der Hausarzt die Arbeitsfähigkeit theoretisch auf 50 % schätzte. Anderseits
bildete aber der kreisärztliche Untersuchungsbericht noch eine medizinische
Situation ab, die sich in der Zwischenzeit stark verändert hatte, weil nach
dessen Erstellung im rechten Knie des Beschwerdeführers massive Probleme
auftraten. Auf Grund einer beginnenden Drittkompartimentär-Gonarthrose wurde
am 27. September 2004 im Kantonalen Spital X.________ eine Arthroskopie,
Gelenktoilette mit medialer und lateraler Teilmeniskektomie, Knorpel- und
Synovialisshaving sowie Notchplastik durchgeführt. Mittelfristig wird nach
dem Operationsbericht die Implantation einer Knie-Teilprothese wahrscheinlich
unumgänglich sein. Soweit aus den Akten ersichtlich, beurteilte man die
Kniebeschwerden nicht als durch die Unfallereignisse von 1998 und 2002
verursacht. Die Vorinstanz erwog, sie seien für die Beurteilung der
Leistungspflicht des Unfallversicherers nicht relevant, und hielt darum die
vom Beschwerdeführer wie schon in der Einsprache beantragte aktuelle
spezialärztliche Untersuchung nicht für erforderlich. Darin ist ihr nicht zu
folgen. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich seit der gut zweieinhalb
Jahre zurückliegenden kreisärztlichen Untersuchung auch der
Gesundheitszustand des linken Beines verschlechtert hatte, da die akut
gewordenen Probleme des rechten Knies möglicherweise zu einer
Verschlechterung der Situation im linken Fuss beigetragen haben, so etwa,
weil dieser dadurch zusätzlich oder anders als zuvor belastet wurde. Dies
kann jedoch auf Grund der Akten nicht mit der notwendigen Sicherheit
beurteilt werden. Da im kreisärztlichen Untersuchungsbericht vom 11. Juni
2002 die später operierte Drittkompartimentär-Gonarthrose im rechten Knie
noch nicht berücksichtigt werden konnte, erfüllte dieser Bericht im Zeitraum
des Einspracheentscheides drei Monate nach der Operation die von der
Rechtsprechung hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
aufgestellten Anforderungen (BGE 125 V 352 Erw. 3a) nicht mehr vollständig.
In der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen
Situation kann es schon deshalb nicht einleuchten, weil die Beschwerden im
rechten Knie und allfällige Folgen hinsichtlich des Zustandes des linken
Fusses nicht mit einbezogen waren. Es erscheint fraglich, ob die Auswirkungen
der auf die Unfälle von 1998 und 2002 zurückzuführenden Beschwerden im linken
Fuss auf die Arbeitsfähigkeit und die noch zumutbaren Tätigkeiten losgelöst
von den nach dem kreisärztlichen Untersuchungsbericht eingetretenen massiven
Problemen im rechten Knie eingeschätzt werden können. Zumindest müssen hier
die durch die veränderte Gesamtsituation in den unteren Extremitäten
erforderlichen medizinischen Abgrenzungen getroffen werden, damit
eingeschätzt werden kann, in welchem Ausmass der Beschwerdeführer
unfallbedingt in seiner Erwerbsfähigkeit und Integrität eingeschränkt ist.
Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobene Rüge einer mangelhaften
Abklärung des medizinischen Sachverhaltes durch Verwaltung und Vorinstanz ist
somit berechtigt. Da auf Grund der Akten abschätzbar ist, dass der
Beschwerdeführer im Zeitraum des Einspracheentscheides vom 23. Dezember 2004
als Folge der 1998 und 2002 erlitteten Unfälle in seiner Arbeitsfähigkeit
eingeschränkt war, aber nicht eruiert werden kann, inwiefern und inwieweit
dies der Fall war, ist die Sache zu zusätzlichen Sachverhaltsabklärungen
sowie zur Einholung eines Gutachtens an die Verwaltung zurückzuweisen. Sie
wird dann erneut über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers befinden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 26. Oktober
2005 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 23. Dezember 2004 aufgehoben werden und
die Sache an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 4. Januar 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Vorsitzende: Der Gerichtsschreiber: