Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 6/2006
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U 6/06

Urteil vom 15. März 2006
II. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiber
Flückiger

P.________, 1957, Beschwerdeführerin, vertreten durch S.________,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 23. November 2005)

Sachverhalt:

A.
Die 1957 geborene P.________ war seit Juni 2001 als Allrounderin in Betrieb
und Produktion bei der Q.________ AG angestellt und damit bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Berufs-
und Nichtberufsunfallfolgen versichert. Am frühen Abend des 7. November 2003
stürzte sie zu Hause beim Treppensteigen auf das rechte Knie. Dabei zog sich
die Versicherte gemäss Arztzeugnis UVG des am nächsten Tag aufgesuchten Dr.
med. K.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 13. Januar 2004 eine Kontusion
des rechten Kniegelenks mit Weichteilkontusion präpatellar (Bursa
präpatellaris) zu. In der Folge wurde die Arbeit ausgesetzt, und die
Arbeitgeberin kündigte schliesslich das Arbeitsverhältnis per 30. Juni 2004.
Die SUVA erbrachte Leistungen in Form von Heilbehandlung und Taggeldern. Sie
zog Berichte des Hausarztes Dr. med. W.________, Allgemeine Medizin FMH, vom
19. Dezember 2003, 14. Januar, 17. Mai und 2. Juli 2004, des Dr. med.
F.________, Orthopädie FMH, vom 19. und 30. Dezember 2003 (Operationsbericht,
diagnostische Arthroskopie) sowie 22. Januar 2004, des Spitals X.________ vom
18. März 2004 (Skelettszintigraphie), der RehaClinic Y.________ vom 21. April
2004 (über einen vom 26. Februar bis 24. März 2004 dauernden Aufenthalt), des
Dr. med. B.________, Neurologie FMH, vom 30. Juli 2004 sowie der Psychologin
lic. phil. A.________ vom 13. September 2004 bei. Am 15. September 2004 wurde
die Versicherte durch den Kreisarzt Dr. med. T.________ untersucht.
Anschliessend stellte die SUVA mit Verfügung vom 21. Oktober 2004 die
Taggeldleistungen und die Heilbehandlung (letztere mit Ausnahme der
unfallbedingt notwendigen Schmerzmedikation und Physiotherapie) per 30.
November 2004 ein und verneinte gleichzeitig einen Anspruch auf
Invalidenrente oder Integritätsentschädigung. Daran hielt die Anstalt mit
Einspracheentscheid vom 29. Dezember 2004 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern ab (Entscheid vom 23. November 2005). Während des
Rechtsmittelverfahrens waren Berichte und Stellungnahmen des Dr. med.
W.________ vom 25. Januar 2005, des Dr. med. M.________, Allgemeine Medizin
FMH, vom 11. Februar 2005, des Dr. med. G.________, Neurochirurgie FMH, vom
3. März 2005 und des Dr. med. T.________ vom 7. April 2005 zu den Akten
genommen worden.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt P.________ unter anderem die
Rechtsbegehren stellen, es sei die SUVA zu verpflichten, zusätzliche
medizinische Abklärungen zu treffen, es seien "die bisherigen Kosten und
Taggelder" rückwirkend zu entrichten und die SUVA sei - eventuell - zur
Ausrichtung einer Integritätsentschädigung und einer Rente zu verhalten. Mit
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurden Stellungnahmen des Dr. med.
O.________ (Vertretung von Dr. med. F.________) vom 21. Juli 2005, des Dr.
med. G.________ vom 9. Mai und 7. September 2005 sowie des Dr. med.
W.________ vom 22. August 2005 aufgelegt.
Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Mit ergänzender Eingabe vom 29. Januar 2006 lässt die Beschwerdeführerin
einen Bericht des Dr. med. G.________ vom 19. Januar 2006 nachreichen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss der Rechtsprechung zu Art. 108 Abs. 2 OG ist es im letztinstanzlichen
Verfahren grundsätzlich unzulässig, nach Ablauf der Beschwerdefrist neue
Beweismittel beizubringen, wenn, wie hier, kein zweiter Schriftenwechsel
(Art. 110 Abs. 4 OG) angeordnet wurde. Zu berücksichtigen sind in der Regel
nur Eingaben, welche dem Gericht innert der gesetzlichen Frist (Art. 106 Abs.
1 OG) vorliegen (BGE 127 V 357 Erw. 4a). Anders verhält es sich lediglich
dann, wenn zu einem späteren Zeitpunkt unaufgefordert eingereichte
Schriftstücke neue erhebliche Tatsachen oder schlüssige Beweismittel
enthalten, welche eine Revision im Sinne von Art. 137 lit. b OG zu
rechtfertigen vermöchten (BGE 127 V 357 Erw. 4b). Nur unter diesem
beschränkten Gesichtswinkel ist der mit der Eingabe vom 29. Januar 2006
nachgereichte Arztbericht zu berücksichtigen. Dem Antrag, es sei eine
Nachfrist zur Einreichung weiterer Dokumente anzusetzen, ist nicht zu
entsprechen (vgl. BGE 127 V 356 Erw. 3b).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den für die
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG)
in Form von Heilbehandlung (Art. 10 Abs. 1 UVG), Taggeldern (Art. 16 Abs. 1
UVG), einer Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) oder einer
Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1 UVG) vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und eingetretenem Schaden (BGE 129
V 181 Erw. 3.1 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.2 Wenn der Versicherer den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall und einer Gesundheitsschädigung einmal anerkannt hat und entsprechende
Leistungen erbringt, so trägt er die Beweislast für den Wegfall der
Kausalität (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 45, 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b). Dies
gilt jedoch nur für Verletzungen und Beschwerden, welche bei der
ursprünglichen Anspruchsbeurteilung zur Diskussion standen. Dagegen bedeutet
diese Rechtsprechung nicht, dass der Versicherer auch das Nichtbestehen einer
Unfallkausalität von gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu beweisen hätte,
welche ursprünglich nicht thematisiert worden waren (Urteil R. vom 27. April
2005, U 6/05, Erw. 3.2).

3.
3.1 Über den Hergang des Unfallereignisses vom 7. November 2003 ist den Akten
zu entnehmen, dass die Versicherte, nachdem sie die Wäsche in die Waschküche
gebracht hatte, relativ schnell eine Treppe hinauflief und dabei auf das
rechte Knie fiel. Weil die Schmerzen heftiger wurden, suchte sie am nächsten
Tag den Stellvertreter des Hausarztes auf. Wegen fortbestehender
Kniebeschwerden nahm der Orthopäde Dr. med. F.________ am 30. Dezember 2003
eine diagnostische Arthroskopie vor, welche laut Bericht vom 22. Januar 2004
nur minimale Befunde ergab. Diagnostiziert wurden eine Chondropathie und eine
leichtgradige Valgusgonarthrose; zusätzlich erwähnte der Arzt die Möglichkeit
eines Morbus Sudeck. Der Aufenthalt in der RehaClinic Y.________,
einschliesslich der dort und im Spital X.________ durchgeführten
Untersuchungen, führte zu keiner wesentlichen Verbesserung und lieferte keine
neuen Erkenntnisse. Auch die neurologische Untersuchung durch Dr. med.
B.________ ergab keine Erklärung für die chronischen Knieschmerzen und
Missempfindungen des Oberschenkels. Die Muskelatrophie am rechten Bein führte
der Arzt auf die extreme Schonhaltung zurück. Die Psychologin lic. phil.
A.________ stellte - entsprechend dem in den Berichten der RehaClinic
Y.________ und des Dr. med. B.________ geäusserten Verdacht - die Diagnose
einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nach dem Unfall vom 7. November
2003. Auf Grund dieser ärztlichen Stellungnahmen und einer eigenen
Untersuchung gelangte der Kreisarzt Dr. med. T.________ am 15. September 2004
zum Ergebnis, gewisse Restbeschwerden im Sinne von arthrotischen Beschwerden
seien möglicherweise bleibend, wobei Wetterfühligkeit oder bei extremen
Belastungen Schmerzen möglich seien. Ebenso bleibe wahrscheinlich eine etwas
verminderte Kraft. Grundsätzlich seien der Patientin dieselben Tätigkeiten
wie vor dem Unfall zumutbar, ausser solchen mit Schlägen und Vibrationen auf
das Knie. Zu vermeiden seien häufiges Bergabgehen und lange Gehperioden.
Ausserdem müssten Tätigkeiten mit häufigem In-die-Hocke-Gehen reduziert
werden, und beim Tragen von Lasten sei möglicherweise eine Einschränkung
gegeben, falls das Muskeldefizit bestehen bleibe.

3.2 Wenn die SUVA und ihr folgend das kantonale Gericht gestützt auf diese
medizinischen Akten zum Ergebnis gelangten, die objektivierbaren somatischen
Befunde im Bereich des rechten Knies erlaubten die Ausübung beinahe
sämtlicher Tätigkeiten und vermöchten keine anspruchsrelevante Arbeits- oder
Erwerbsunfähigkeit zu begründen, lässt sich dies nicht beanstanden. Gleiches
gilt für die Verneinung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall
und der durch die Psychologin lic. phil. A.________ diagnostizierten
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Denn das Ereignis vom 7. November
2003 ist im Rahmen der für die Belange der Adäquanzbeurteilung bei
psychischen Unfallfolgen vorzunehmenden Einteilung (BGE 115 V 139 Erw. 6) den
leichten Unfällen zuzuordnen, was zur Verneinung der Adäquanz führt (BGE 115
V 139 Erw. 6a).

3.3 Anlässlich der kreisärztlichen Abschlussuntersuchung vom 15. September
2004 wies die Versicherte darauf hin, dass sie "auch am Rücken etwas Probleme
bekommen" habe. Dr. med. W.________ überwies die Patientin in der Folge an
Dr. med. G.________. Dieser Arzt stellte am 3. März 2005 die Diagnosen eines
chronisch rezidivierenden invalidisierenden lumbovertebralen und
lumboradikulären Beschwerdebildes bei degenerativer Diskopathie L3/4,
erosiver Osteochondrose, Segmentkollaps und konzentrischer Spinalstenose,
sowie einer Chondrose L 4/5. Dr. med. T.________ nahm am 7. April 2004 zu
diesen Diagnosen Stellung. Er erklärte, es handle sich um Veränderungen
degenerativer Natur. Die Vorinstanz gelangte angesichts dieser Aktenlage mit
Recht zum Ergebnis, ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen der beim
Unfall vom 7. November 2003 erlittenen Knieverletzung und den
Rückenbeschwerden sei - ebenso wie die Hypothese, die Rückenproblematik habe
eine Genesung des Knies verhindert - nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 3b mit Hinweisen)
erstellt. Aus den mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgelegten
Unterlagen lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Dr. med. G.________
spricht in seinem Bericht vom 7. September 2005 ausdrücklich von einer
degenerativen Diskopathie L3/4. Aus der nachgereichten Stellungnahme
desselben Arztes vom 19. Januar 2006 wird deutlich, dass sich die Frage, ob
die Knieverletzung für die Rückenbeschwerden ursächlich war, nicht
zuverlässig beantworten lässt. Unter diesen Umständen versprechen auch
weitere medizinische Abklärungen keine zusätzlichen Erkenntnisse, und es muss
bei der Feststellung bleiben, dass der Wahrscheinlichkeitsbeweis nicht
erbracht ist. Da Rückenbeschwerden ursprünglich nicht zur Diskussion standen,
wirkt sich die entsprechende Beweislosigkeit zu Lasten der Beschwerdeführerin
aus (Erw. 2.2 hievor). Für eine Umkehr der Beweislast, wie sie in Betracht
fiele, wenn die Beschwerdeführerin den Beweis aus von der SUVA zu
verantwortenden Gründen nicht führen könnte (Urteile A. vom 27. Oktober 2005,
U 124/05, Erw. 2.3, und H. vom 18. Juli 2005, C 155/05, Erw. 2.3, je mit
Hinweisen), besteht keine Grundlage. Denn die Anstalt hatte bis zum
Einspracheentscheid keinen hinreichenden Anlass, der Frage nach einer
unfallkausalen Rückenproblematik nachzugehen.

4.
Mit dem Entscheid in der Hauptsache wird der Antrag, es sei die aufschiebende
Wirkung wiederherzustellen, gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.
Luzern, 15. März 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: