Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 601/2006
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U 601/06

Urteil vom 31. Oktober 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

B. ________, 1981, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Urs
Bertschinger, Anwaltskanzlei, Rhyner & Lippuner, St. Gallerstrasse 5, 9471
Buchs,

gegen

Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, Generaldirektion,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin, vertreten
durch Rechtsanwalt Dr. Hans Schraner, Weinbergstrasse 43, 8006 Zürich.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1981 geborene B.________ war als Kassierin bei der Firma X.________ AG
tätig und in dieser Eigenschaft bei den Winterthur Versicherungen (im
Folgenden: Winterthur) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 24. Januar 2004 erlitt sie auf der
Autobahn einen Selbstunfall und zog sich dabei multiple Kontusionen (am
Sternum, Becken und der HWS) und eine Distorsion des oberen Sprunggelenkes
(OSG) rechts zu. Die Winterthur richtete Taggelder aus und kam für die
Heilbehandlung auf. Am 3. März 2004 bestand wieder eine volle
Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit.

Am 19. März 2004 rutschte B.________ auf einer Treppe aus und zog sich dabei
erneut eine Distorsion am rechten oberen Sprunggelenk zu. Die Winterthur
erbrachte wiederum Versicherungsleistungen. Wegen persistierenden Schmerzen
bei einem radiologisch unauffälligen OSG wurde am 10. Juni 2004 eine
Arthroskopie mit einem Shaving einer Knorpelläsion und einer Gelenkspülung
durchgeführt. Ein MRI vom 2. Juli 2004 zeigte neben einer Verdickung der
medialen Kollateralbänder einen deutlichen Gelenkserguss im OSG und USG. Der
weitere Befund war unauffällig. Die Unfallversicherung liess B.________ am
26. November 2004 durch Dr. med. S.________, Facharzt für orthopädische
Chirurgie FMH, begutachten. Auf Grund der Erkenntnisse in der Expertise vom
1. Dezember 2005 stellte sie ihre Leistungen mit Verfügung vom 11. März 2005
rückwirkend per 30. November 2004 mit der Begründung ein, es mangle an der
Kausalität der geklagten Beschwerden mit den versicherten Unfällen. Daran
hielt sie auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 18. Oktober 2005).

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen
eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 31. Oktober 2006 ab.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und in erster Linie
beantragen, die Sache sei in Aufhebung des kantonalen Entscheides zur
Durchführung eines psychiatrischen Gutachtens an die Vorinstanz oder die
Unfallversicherung zurückzuweisen. Eventuell sei letztere zu verpflichten,
die gesetzlichen Leistungen ab 1. Dezember 2004 weiterhin zu erbringen. Im
Weiteren lässt sie um Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung im
letztinstanzlichen Verfahren ersuchen.
Die Winterthur schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene
Entscheid vor dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren
noch nach dem bis zum 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz vom
16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 131
Abs. 1 und Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Strittig ist der von der Beschwerdegegnerin verfügte und vorinstanzlich
bestätigte Fallabschluss (Einstellung sämtlicher Leistungen aus den
Ereignissen vom 24. Januar und vom 19. März 2004) per 30. November 2004 und
die Frage, ob der Sachverhalt, namentlich in Bezug auf mögliche psychische
Unfallfolgen, genügend abgeklärt sei. Die Winterthur und das kantonale
Gericht verneinen hinsichtlich der über den genannten Zeitpunkt hinaus von
der Versicherten geklagten Beschwerden den natürlichen und den adäquaten
Kausalzusammenhang mit den Unfällen.

2.2 Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz setzt die grundsätzliche
Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6 Abs. 1 UVG voraus, dass
zwischen Unfallereignis und eingetretenem Gesundheitsschaden (Krankheit,
Invalidität, Tod) ein natürlicher (BGE 129 V 181 E. 3.1 mit Hinweisen) und
adäquater (BGE 129 V 181 E. 3.2 mit Hinweisen) Kausalzusammenhang besteht.
Dabei wird im kantonalen Entscheid die Rechtsprechung zur Adäquanz bei
Vorliegen eines invalidisierenden psychischen Gesundheitsschadens (BGE 115 V
139 E. 6) angeführt. Darauf wird verwiesen. Hinsichtlich der bei der
Würdigung medizinischer Berichte allgemein geltenden Grundsätze und ihres
beweisrechtlichen Stellenwertes kann ebenfalls auf die Erwägungen im
angefochtenen Entscheid verwiesen werden (BGE 125 V 352 E. 3a). Das Gleiche
gilt für die vorinstanzlichen Ausführungen zum massgebenden Beweisgrad (BGE
129 V 181 E. 3.1, 126 V 360 E. 5b, je mit Hinweisen) und zur Beweislast
insbesondere im Fall einer nachträglichen Einstellung der
Versicherungsleistungen (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46 E. 2, 1994 Nr. U 206 S.
328 E. 3b). Schliesslich führt das kantonale Gericht auch zu Recht an, dass
der Beweis des Wegfalls des natürlichen Kausalzusammenhanges nicht durch den
Nachweis unfallfremder Ursachen erbracht werden muss. Ebenso wenig geht es
darum, vom Unfallversicherer den negativen Beweis zu verlangen, dass kein
Gesundheitsschaden mehr vorliegt oder dass die versicherte Person nun bei
voller Gesundheit ist. Entscheidend ist allein, ob unfallbedingte Ursachen
eines Gesundheitsschadens ihre kausale Bedeutung verloren haben, also
dahingefallen sind oder nicht (Urteil F. vom 23. November 2005, U 173/05, E.
2.2 mit Hinweisen).

3.
3.1 Beim Unfall vom 24. Januar 2004 zog sich die Beschwerdeführerin neben
einer Distorsion (Verstauchung) des rechten oberen Sprunggelenkes
verschiedene Kontusionen (Prellung/Quetschung) am Brustbein, Becken und der
Halswirbelsäule zu. Im Spital Y.________ ordnete man lediglich die Abgabe von
Schmerzmitteln und eine Überwachung der Patientin an. Das rechte Sprunggelenk
wurde ruhiggestellt. Die Behandlung war am 2. März 2004 beendet. Ab 3. März
bestand wieder eine volle Arbeitsfähigkeit. Anlässlich des Unfalls vom 19.
März 2004 verstauchte sich die Beschwerdeführerin wiederum das rechte obere
Sprunggelenk. Sie wurde mittels Salbenverband, Schmerzmitteln und
Stockentlastung therapiert. Am 10. Juni 2004 wurde arthroskopisch ein Shaving
einer Knorpelläsion und eine Spülung vorgenommen, wobei unmittelbar nach dem
Eingriff wieder eine Vollbelastung des Gelenkes möglich war. In der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, die Versicherte leide als
Folge des Unfalls vom 24. Januar 2004 an einer psychischen Beeinträchtigung.
Konkret stellte der sie seit dem 30. August 2005 behandelnde Dr. med.
R.________, Psychiatrie/Psychotherapie FMH, die Diagnose einer
posttraumatischen Belastungsstörung, welche neben einer massiven Adipositas
die wohl wichtigste Ursache der Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführer
darstelle.

3.2 Die Beschwerdeführerin beantragt in ihrem primären Rechtsbegehren, der
natürliche Kausalzusammenhang zwischen ihrer posttraumatischen
Belastungsstörung und insbesondere dem Unfalls vom 24. Januar 2004 sei
mittels fachärztlichem Gutachten abzuklären. Davon kann indessen abgesehen
werden. Aus der Stellungnahme des Dr. med. R.________ vom 5. Dezember 2006
zum vorinstanzlichen Entscheid geht klar hervor, dass dieser die Ursache des
psychischen Beschwerdebildes in einem anhaltenden schweren emotionalen,
körperlichen und sexuellen Missbrauch sieht, den die Beschwerdeführerin von
dem im Unfallauto mitfahrenden Mann habe erleiden müssen. Damit wäre aber
gerade nicht der Verkehrsunfall an sich - und nur für dessen Folgen hat die
Unfallversicherung Leistungen zu erbringen - Ursache für die psychische
Beeinträchtigung.

Indessen kann offen bleiben, ob die Missbrauchserfahrung oder der Unfall an
sich die diagnostizierten Beeinträchtigungen ausgelöst hat. Gestützt auf die
zur Verfügung stehenden medizinischen Akten kann die Frage, ob es sich bei
den heute bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen um eine natürliche
Folge des versicherten Unfalles handelt, nicht mit dem im
Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 119 V 9 E. 3c/aa mit Hinweisen) beantwortet werden.
Eine Rückweisung der Sache zwecks Einholung eines weiteren Gutachtens
erübrigt sich aber, wenn aufgrund zusätzlicher Abklärungen der natürliche
Kausalzusammenhang zu bejahen wäre, es indessen - wie die nachstehenden
Erwägungen zeigen - an der Adäquanz des Kausalzusammenhangs fehlt.

3.3 Die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem
versicherten Unfall und dem psychischen Gesundheitsschaden hat für jeden
Unfall je einzeln zu erfolgen. Da nach keinem der versicherten Ereignisse
eine Distorsionsverletzung der Halswirbelsäule oder eine äquivalente
Verletzung diagnostiziert wurde, hat diese in Anwendung der unfallbezogenen
Kriterien gemäss BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140 zu erfolgen. Das Ausrutschen
auf einer Treppe mit der Folge einer leichten Verstauchung des rechten oberen
Sprunggelenks ist als banales Ereignis zu qualifizieren, welches
grundsätzlich nicht geeignet ist, eine psychische Fehlentwicklung nach sich
zu ziehen. Dem Verkehrsunfall vom 24. Januar 2004, bei dem die
Beschwerdeführerin auf schneebedeckter Fahrbahn die Herrschaft über ihr
Fahrzeug verlor und nach mehrmaligem Überschlagen hinter der Mittelleitplanke
auf den Rädern zum Stehen kam, ist zwar eine gewisse Eindrücklichkeit nicht
abzusprechen. Indessen kann nicht von körperlichen Dauerschmerzen gesprochen
werden, nachdem die Beschwerdeführerin diese gegenüber dem orthopädischen
Gutachter am 26. November 2004 noch als belastungsabhängige Restbeschwerden
schilderte. Damit ist auch ein schwieriger Heilungsverlauf auszuschliessen.
Das Kriterium der Dauer und Schwere der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit
ist nicht erfüllt. Für die nach dem Unfall aufgetretene psychische
Fehlentwicklung ist der adäquate Kausalzusammenhang daher zu verneinen, auch
wenn ein natürlicher Kausalzusammenhang bestehen würde, womit die
Leistungspflicht der Winterthur entfällt.

4.
4.1 Die unentgeltliche Verbeiständung kann antragsgemäss gewährt werden, da
die hiefür nach Gesetz (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) und Praxis
(BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen)
erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Es wird indessen ausdrücklich
auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande
ist.

4.2 Mit Kostennote vom 12. Januar 2007 macht der Rechtsvertreter der
Beschwerdeführerin ein Honorar von Fr. 2'320.- zuzüglich Auslagen von Fr.
190.80 und Mehrwertsteuer von Fr. 190.80 geltend. Indessen handelt es sich
bei der vorliegenden Streitsache nicht um eine überaus komplizierte
Angelegenheit, welche ein Abweichen von dem sich auf Fr. 2'500.- (Auslagen
und Mehrwertsteuer inbegriffen) belaufenden Ansatz, den das Bundesgericht im
Bereich des Sozialversicherungsrechts einem anwaltlich vertretenen
Versicherten im Normalfall zuspricht, rechtfertigen würde (vgl. RKUV 1996 Nr.
U 259 S. 261).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Urs
Bertschinger, Buchs, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 31. Oktober 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: