Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 583/2006
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U 583/06

Urteil vom 7. Februar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, General-Guisan-Strasse
40, 8400 Winterthur, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Zanotelli, Weinbergstrasse 43, 8006 Zürich,

gegen

F.________, 1948, Beschwerdegegner,
vertreten durch Fürsprecher Walter Krähenmann, Belpstrasse 3a, 3074 Muri b.
Bern.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern
vom 31. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1948 geborene F.________ war seit 1971 im Spital X.________ als
Etagenwart tätig und damit (zumindest seit 1987) bei der Winterthur
Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Winterthur) gegen
Unfall versichert. Zudem arbeitete er während 15 Stunden in der Woche für die
Y.________ AG und war über diese Arbeitgeberin bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Bei einem Autounfall im
Jahre 1974 zog er sich eine Femurfraktur rechts zu, welche operativ behandelt
wurde. Am 15. Januar 1987 glitt er beim Treppenreinigen aus und fiel auf das
rechte Knie. Dabei erlitt er eine mediale Meniskusläsion, die in der Folge
mehrere Operationen nach sich zog. Bei einem weiteren Unfallereignis vom
16. Dezember 1993 wurde das rechte Kniegelenk einem Hyperextensionstrauma
ausgesetzt. Zu diesem Unfallereignis machte F.________ am 7. Oktober 1998
einen Rückfall geltend. Zufolge eines Kompetenzkonfliktes zwischen den beiden
Versicherungsgesellschaften kamen diese am 26. April 2001 in einem Vergleich
überein, dass ein externer Gutachter mit der Abklärung der Unfallkausalität
der vom Versicherten geltend gemachten Kniebeschwerden beauftragt werde und
die SUVA einen Entwurf des diesem vorzulegenden Fragenkatalogs erstelle,
welcher den Parteien zur Stellungnahme zu unterbreiten sei. Die
Fallabwicklung wurde der Winterthur übertragen (vgl. Bestätigungsschreiben
des Bundesamtes für Sozialversicherungen an die beiden
Versicherungsgesellschaften vom 3. Mai 2001). In der Folge legte die
Winterthur die Akten ihrem beratenden Arzt Dr. med. G.________, Facharzt für
Chirurgie, vor. Dieser verneinte im Bericht vom 29. Juni 2001 sowohl die
Unfallkausalität wie auch die Notwendigkeit einer spezialärztlichen
Begutachtung. Mit Verfügung vom 24. Oktober 2001 wies die Winterthur den
Leistungsanspruch ab mit der Begründung, die ärztliche Behandlung der
Knieproblematik ab 1998 und die damit verbundene vorzeitige Pensionierung
stehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht in direktem Zusammenhang mit
einem ihr gemeldeten Unfall. Nach erfolgter Einsprache legte sie die Akten
ihrem beratenden Arzt Dr. med. H.________ vor, welcher laut Bericht vom
10. Februar 2005 die Auffassung des Dr. med. G.________ bestätigte. Gestützt
darauf hielt sie mit Einspracheentscheid vom 8. April 2005 an ihrer
ablehnenden Haltung fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 31. Oktober 2006 in dem Sinne gut, als es den
Einspracheentscheid vom 8. April 2005 aufhob und die Sache an die Winterthur
zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen weitere Abklärungen tätige
und über den Leistungsanspruch neu verfüge.

C.
Die Winterthur führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren,
der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und es sei festzustellen, dass sie
keine Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung zu erbringen
habe.

F. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Wie das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, sind massgebende
Ursachen (Art. 6 Abs. 1 UVG) im Rahmen des natürlichen Kausalzusammenhangs
alle Umstände, ohne deren Vorhandensein die gesundheitliche Beeinträchtigung
nicht oder nicht in gleicher Weise oder nicht zur gleichen Zeit eingetreten
wäre. Daher ist nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder
unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist, sondern reicht es aus,
dass das versicherte Ereignis zusammen mit anderen Faktoren für die
Schädigung verantwortlich ist (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181, 402 E. 4.3.1
S. 406 mit Hinweisen). Liegt ein Rückfall oder eine Spätfolge vor, so besteht
eine Leistungspflicht des Unfallversicherers nur dann, wenn zwischen den
erneut geltend gemachten Beschwerden und der seinerzeit beim versicherten
Unfall erlittenen Gesundheitsschädigung ein natürlicher und adäquater
Kausalzusammenhang besteht. Dabei kann der Unfallversicherer nicht auf die
Anerkennung des Kausalzusammenhangs beim Grundfall oder einem früheren
Rückfall behaftet werden (BGE 118 V 293 E. 2c S. 296). Richtig dargelegt hat
die Vorinstanz auch die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur
Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c in fine ATSG), welche das Gericht
verpflichten, die Beweise - ohne Bindung an förmliche Regeln - umfassend,
pflichtgemäss und objektiv zu würdigen und insbesondere die Gründe anzugeben,
warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt
(BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis), wie auch die Anforderungen an eine
beweistaugliche und beweiskräftige medizinische Expertise (BGE 122 V 157
E. 1c S. 160 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, laut Bericht des den Unfallversicherer
beratenden Dr. med. G.________ vom 29. Juni 2001 seien die nach den
Unfallereignissen in den Jahren 1987 und 1993 arthroskopisch vorgelegenen
Meniskusbefunde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht durch die
einzelnen Unfallereignisse hervorgerufen worden, sondern das Resultat einer
vorbestandenen Komplexinstabilität, wobei die Unfallereignisse lediglich zu
einer lokalisierten Irritation mit Reizknieerscheinungen geführt hätten. Bei
vorbestandener Komplexinstabilität habe die medialseitige Teilmeniskektomie
gemäss Facharzt zu einer weiteren Zunahme der Instabilität geführt, was
wiederum die schon angelaufene medialseitige Arthroseentwicklung beschleunigt
habe. Dieser gehe davon aus, dass aus diesem Grund relativ kurze Zeit später
die Valgisationskorrekturosteotomie erfolgt sei, wobei habe angenommen werden
müssen, dass der Patient nie mehr vollständig beschwerdefrei geworden sei,
sondern durch die Verlagerung des Belastungsschwerpunktes ins laterale
Kompartiment erneute degenerative Probleme programmiert gewesen seien, mit
einer nun schmerzhaften Trikompartimentengonarthrose. Dr. med. G.________
sage indessen nicht, ob die Beschwerden auch ohne Unfall zum fraglichen
Zeitpunkt noch bestehen würden. Insbesondere erwähne er nichts von einer
bloss zeitlich begrenzten Verschlimmerung oder dem Erreichen eines status quo
sine vel ante. Die am Anfang der von Dr. med. G.________ beschriebenen
Kausalkette stehende mediale Meniskusläsion werde im Bericht der
Personalärztin des Spitals X.________ vom 4. Dezember 1995 und jenem der
Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie vom 23. November 1998 als
Folge des Unfalles von 1993 angesehen, was - falls dies zutreffend sein
sollte - bedeuten würde, dass der Unfall von 1993 eine conditio sine qua non
für das bestehende Beschwerdebild darstellen würde. Darauf deute auch der
Hinweis des Dr. med. G.________, wonach ein nicht vorgeschädigtes Knie sich
nach den erlittenen Unfällen erwartungsgemäss vollständig erholt hätte. Der
Bericht des weiteren beratenden Arztes der Winterthur, Dr. med. H.________,
vom 10. Februar 2005 bringe diesbezüglich keine Klarheit, da er im
Wesentlichen lediglich die Beurteilung des Dr. med. G.________ bestätige.
Angesichtes der unklaren und damit unvollständigen Aktenlage wies die
Vorinstanz die Sache an die Beschwerdeführerin zurück, damit sie entsprechend
der mit der SUVA getroffenen Vereinbarung ein externes Gutachten einhole und
anschliessend neu verfüge, wobei auch die kausale Bedeutung des Unfalles im
Jahre 1974 (welcher möglicherweise zu Lasten der SUVA gehe) für die weiterhin
geklagten Beschwerden in die Beurteilung miteinzubeziehen sei. Zudem wies sie
den Unfallversicherer an, im Rahmen der Begutachtung insbesondere die in
Art. 44 ATSG garantierten Verfahrensrechte zu gewähren.

3.2 Der Unfallversicherer wendet ein, aufgrund der medizinischen Abklärungen
sei rechtsgenüglich erstellt, dass kein Rückfall und keine Spätfolgen der
beiden Unfälle von 1987 und 1993 vorliegen würden und demgemäss für die ab
1998 bestehenden Beschwerden keine Leistungen aus der Unfallversicherung
geschuldet seien, so dass kein zusätzliches Gutachten erforderlich sei.

4.
4.1 Verschlimmert der Unfall einen krankhaften Vorzustand oder lässt er ihn
überhaupt erst manifest werden, entfällt die Leistungspflicht des
Unfallversicherers erst, wenn der Unfall nicht mehr die natürliche (und
adäquate) Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn dieser also nur
noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann
zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor
dem Unfall bestanden hat (status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie
er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes
auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (status quo sine),
erreicht ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche
Kausalzusammenhang muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von
unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im
Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich
fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles genügt nicht. Da es sich
hierbei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt die Beweislast -
anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher
Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht bei der versicherten Person, sondern
beim Unfallversicherer, wobei diese Beweisgrundsätze sowohl im Grundfall als
auch bei Rückfällen und Spätfolgen gelten (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 326).

4.2 Selbst wenn eine Gesundheitsschädigung weitestgehend einem massiven
Vorzustand zuzuschreiben ist und einem leichten Unfall demgegenüber nur
untergeordnete Bedeutung zukommt, kann die Haftung des Unfallversicherers
nicht mit dieser Begründung ausgeschlossen werden. Ein versicherter Unfall
kann auch dann einen haftungsbegründenden Kausalfaktor für eine bestimmte
Gesundheitsschädigung darstellen, wenn er für deren Eintritt bloss zeitlich
bestimmend war (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181). Entscheidend ist, ob ein zuvor
latenter Vorzustand durch die unfallbedingte Aktivierung zum akuten geworden
ist, der Zeitpunkt der (früher oder später vielleicht ohnehin auftretenden)
Verschlechterung des Gesundheitszustandes somit durch das versicherte Trauma
bestimmt wurde. Diese Frage bedarf einer begründeten medizinischen Klärung,
welche insbesondere den Stellungnahmen von Dres. med. G.________ und
H.________ nicht zuverlässig entnommen werden kann. Der angefochtene
Entscheid besteht daher zu Recht.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. Februar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Hofer