Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 550/2006
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U 550/06

Urteil vom 14. Dezember 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Weber Peter.

N. ________, 1967,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Schütz, Freiestrasse 13, 8610 Uster,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1967 geborene N.________ arbeitete seit 1. Mai 1999 als Facharbeiterin
bei der X.________ AG und war über diese bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs-
und Nichtberufsunfällen versichert. Am 4. Mai 2004 erlitt sie als Lenkerin
eines Personenwagens einen Verkehrsunfall, als auf dem Parkplatz der
Arbeitgeberin ein von links kommendes Auto vorne auf ihr Fahrzeug auffuhr und
dieses dadurch gegen einen auf der rechten Seite parkierten Wagen geschoben
wurde. Die am folgenden Tag aufgesuchte Hausärztin, Dr. med. C.________,
Fachärztin FMH für Innere Medizin, stellte keine neurologischen Ausfälle,
hingegen eine schmerzhafte Nackenmuskulatur und eine nach links seitlich
eingeschränkte Halsbeweglichkeit fest und diagnostizierte eine HWS-Distorsion
(Arztzeugnis UVG vom 21. Mai 2004). Die SUVA erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung und Taggelder). Dr. med. W.________, Facharzt FMH
Rheumatologie und Innere Medizin, stellte anlässlich seiner konsiliarischen
Beurteilung die Diagnose eines zervikovertebralen Schmerzsydroms nach
HWS-Distorsionstrauma (Bericht vom 1. Juni 2004). Aufgrund des
persistierenden zervikovertebralen Schmerzsydroms und der zunehmenden
depressiven Entwicklung veranlasste Dr. med. C._______ eine stationäre
Rehabilitation in der Rehaklinik Y.________ vom 24. August bis 21. September
2004, wo ergänzend eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver
Entwicklung diagnostiziert wurde (Austrittsbericht vom 26. Oktober 2004). Es
folgten weitere ambulante Behandlungen, u.a. seit 23. September 2004 im
Psychiatriezentrum M.________ (Bericht vom 8. Februar 2005) und eine erneute
rheumatologische Abklärung durch Dr. med. W.________ (Bericht vom 15.
Dezember 2004). Am 30. September 2004 erstellten die Spezialisten der
Arbeitsgruppe für Unfallmechanik eine biomechanische Kurzbeurteilung, welche
mit Schreiben vom 21. Februar 2005 vervollständigt wurde. Auf Empfehlung des
SUVA-Kreisarztes Dr. med. F.________ erfolgte alsdann am 10. Mai 2005 an der
Universitätsklinik A.________ eine ergänzende kernspintomographische
Untersuchung. Mit Verfügung vom 8. Juni 2005 stellte die SUVA ihre
Versicherungsleistungen per 13. Juni 2005 ein, da keine organischen
Unfallfolgen mehr vorlagen und die psychogenen Störungen nicht in einem
rechtserheblichen Zusammenhang zum Unfall vom 4. Mai 2005 stehen. Zudem
verneinte sie einen Anspruch auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung.
Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 22. August 2005 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 27. September 2006).

C.
Die Versicherte lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren auf Rückweisung der Sache an die SUVA zur Neubeurteilung und
Ausrichtung der gesetzlichen Leistungen.

Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Dieses Gesetz
ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des
Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn
auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der angefochtene Entscheid am 27.
September 2006 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31.
Dezember 2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Bundesrechtspflege
(OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf
Heilbehandlung (Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 UVG) sowie
die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE
129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die von der
Judikatur entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten
Kausalzusammenhanges im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181, 125 V 456
E. 5a S. 461) sowie bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V
133). Darauf wird verwiesen.

2.2 Zudem wird im angefochtenen Entscheid richtig dargelegt, dass die
Adäquanzbeurteilung nach HWS-Distorsionen ohne organisch nachweisbare
Funktionsausfälle grundsätzlich nach der in BGE 117 V 359 dargelegten
Rechtsprechung mit ihrer fehlenden Differenzierung zwischen körperlichen und
psychischen Beschwerden zu erfolgen hat (BGE 123 V 98 E. 2a S. 99). Von
diesem Grundsatz ist abzuweichen, wenn die zum typischen Beschwerdebild eines
HWS-Schleudertraumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben
sind, im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik aber unmittelbar
nach dem Unfall ganz in den Hintergrund treten oder die physischen
Beschwerden im Verlaufe der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum
Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt
haben: diesfalls ist die Prüfung der adäquaten Kausalität nach der für die
psychische Fehlentwicklung nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115 V
133) vorzunehmen (BGE 123 V 98 E. 2a S. 99; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437 [U
164/01]).

3.
Mit der Vorinstanz steht aufgrund der umfassenden medizinischen Aktenlage
fest und ist unbestritten, dass im vorliegenden Fall der für die
Leistungspflicht des Unfallversicherers zunächst vorausgesetzte natürliche
Kausalzusammenhang zwischen dem am 4. Mai 2004 erlittenen Unfall und den über
den 13. Juni 2005 hinaus geklagten Beschwerden der Versicherten mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest im Sinne einer Teilkausalität
gegeben ist (zum Genügen einer Teilursächlichkeit für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers: BGE 123 V 43 E. 2b S. 45 mit Hinweis, 121 V 326 E. 2
S. 329 mit Hinweisen). Streitig und zu prüfen bleibt mithin die Adäquanz des
Kausalzusammenhangs und damit die Frage, ob deren Beurteilung nach der für
Schleudertrauma oder schleudertraumaähnliche Verletzungen der HWS geltenden
Rechtsprechung (BGE 117 V 359) zu erfolgen hat, wie dies von
beschwerdeführerischer Seite gefordert wird, oder ob die für Unfälle mit
psychischen Folgeschäden aufgestellten Regeln (BGE 115 V 133) zur Anwendung
gelangen.

4.
4.1 Nach Lage der Akten hat die Vorinstanz zu Recht das Vorliegen relevanter
organischer Unfallrestfolgen ausgeschlossen. Insbesondere konnte auch auf den
am 10. Mai 2005 in der Universitätsklinik A.________ angefertigten
MRI-Bildern - abgesehen von einer leichten Fehlhaltung der HWS - keine
Pathologie festgestellt werden. Die geklagten Beschwerden sind mithin nicht
struktureller, sondern funktioneller Natur. Zudem hat das kantonale Gericht
richtig erkannt, dass schon kurze Zeit nach dem Unfallereignis vom 4. Mai
2004 psychische Auffälligkeiten zu verzeichnen waren. So sah sich die
Hausärztin Dr. med. C.________ bereits am 14. Juni 2004, also lediglich sechs
Wochen nach dem Unfall, veranlasst, eine antidepressive medikamentöse
Therapie einzuleiten. Am 26. Oktober 2004 bestätigten die Spezialisten der
Rehaklinik Y.________ die Diagnosen eines persistierenden zervikozephalen
Schmerzsyndroms sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung mit
depressiver Entwicklung. Sodann stellte Dr. med. W.________ am 15. Dezember
2004 fest, dass nunmehr klinisch das depressive Zustandsbild im Vordergrund
stehe. Die Ärzte des Psychiatriezentrums M.________, wo die
Beschwerdeführerin seit dem 23. September 2004 in ambulanter psychiatrischer
Behandlung stand, diagnostizierten eine Anpassungsstörung mit längerer
depressiver Reaktion (ICD-10 F 43.21) bei Status nach HWS-Distorsionstrauma
mit persistierendem zervikozephalem Schmerzsyndrom (Bericht vom 8. Februar
2005). Im Schreiben zuhanden des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin (vom
20. Oktober 2005) bestätigten sie diese Diagnose und äusserten den Verdacht
auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Sie führten aus, die Zunahme
der Schmerzsymptomatik, vor allem im Zusammenhang mit der Depression und den
beschriebenen negativen Ereignissen (Arbeitsstellenverlust, negativer
Entscheid der Unfallversicherung), sprächen dafür, dass sich hier eine
unabhängige Krankheit entwickelt habe, deren Symptome nicht mehr direkt in
Zusammenhang mit dem Unfallereignis gebracht werden könnten. Die Vorinstanz
hat mithin richtig erwogen, dass die zum typischen Beschwerdebild der
HWS-Distorsionsverletzung gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise
vorliegen, im Verlauf der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum
Beurteilungszeitpunkt gesamthaft aber nur eine sehr untergeordnete Rolle
gespielt haben und im Vergleich zur psychischen Problematik ganz in den
Hintergrund getreten sind. Damit ist im vorliegenden Fall zu Recht die
Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen gemäss BGE 115 V 133 ff. zur
Anwendung gelangt.

Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen erhobenen Einwendungen,
soweit nicht bereits im vorinstanzlichen Entscheid zutreffend entkräftet,
vermögen an dieser Betrachtungsweise nichts zu ändern. Insbesondere kann aus
dem Umstand, dass die Versicherte, wie geltend gemacht wird, vor dem Unfall
sowohl psychisch wie auch physisch unauffällig gewesen ist, nichts
Gegenteiliges abgeleitet werden, denn dies käme der - im
unfallversicherungsrechtlichen Bereich untauglichen - Formel "post hoc ergo
propter hoc" gleich, nach welcher eine gesundheitliche Schädigung schon dann
als durch den Unfall verursacht gilt, weil sie nach diesem aufgetreten ist
(BGE 119 V 335 E. 2b/bb S. 341; vgl. ferner Urteil U 254/06 vom 6. März 2007
E. 5.1).
4.2 Unbestrittenermassen steht fest, dass das Unfallereignis vom 4. Mai 2004
dem mittleren Bereich zuzuordnen ist. Streitig ist demgegenüber die
weitergehende Einteilung. Die Vorinstanz hat mit Verweis auf die
Rechtsprechung (Urteil H. vom 6. März 2006, U 219/05) erwogen, angesichts der
im Wesentlichen unbestritten gebliebenen unfallanalytischen Feststellungen,
wonach das Fahrzeug der Versicherten eine kollisionsbedingte
Geschwindigkeitsänderung von 9 bis 15 km/h (erster Aufprall) bzw. 5 bis 10
km/h (zweiter Aufprall) erfahren habe, sei von einem Unfall im mittleren
Bereich an der Grenze zu den leichten Fällen auszugehen. Demgegenüber
vertritt die Beschwerdeführerin den Standpunkt, dass eine weitergehende
Differenzierung aufgrund der Aktenlage und vor allem mit Blick auf die
neuesten biomechanischen Erkenntnisse, wonach es eine allgemein gültige
Harmlosigkeitsgrenze für Beschleunigungsverletzungen der Halswirbelsäule gar
nicht gebe, nicht vertretbar sei. Diese Frage braucht vorliegend jedoch nicht
beurteilt zu werden, denn selbst wenn der Unfall tatsächlich als mittelschwer
einzustufen wäre, ist mit der Vorinstanz die Unfalladäquanz der geltend
gemachten Beschwerden zu verneinen, da mit Ausnahme der praxisgemässen
Kriterien der Dauerschmerzen, der Dauer der Heilbehandlung und der
langdauernden Arbeitsunfähigkeit, welche ihren Grund in der psychischen
Einschränkung finden und mithin im Rahmen der hier anwendbaren Rechtsprechung
zu den psychischen Unfallfolgen ausgeklammert bleiben, keines der gemäss BGE
115 V 140 erforderlichen Kriterien gegeben ist. Es kann auf die Erwägungen im
angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Auch hieran vermögen die
Einwendungen der Beschwerdeführerin nichts zu ändern. Insbesondere kann von
einer ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich
verschlimmerte, im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden, selbst wenn das
längere Tragen eines Hals-Stützkragens, wie geltend gemacht wird, allenfalls
kontraindiziert war.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 14. Dezember 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Weber Peter