Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 527/2006
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U 527/06

Urteil vom 24. September 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

N. ________, 1950, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 14. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene N.________ war vom 1. Juli 2001 bis 31. Juli 2004 als
Montagearbeiter bei der Firma C.________ AG angestellt und dadurch bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von
Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Nachdem
sich vermehrt Beschwerden im rechten Schulterbereich eingestellt hatten und
er seiner Arbeit ab 10. Januar 2004 gesundheitsbedingt fern geblieben war,
erfolgte am 9. Februar 2004 eine Meldung der Arbeitgeberin an den
Unfallversicherer. Gestützt auf u.a. in medizinischer Hinsicht vorgenommene
Abklärungen lehnte dieser eine Leistungspflicht ab, da weder eine
Berufskrankheit noch ein Unfallereignis im Sinne des Art. 4 ATSG noch eine
unfallähnliche Körperschädigung ausgewiesen seien (Schreiben vom 15. April
2004). Am 8. Februar 2005 liess N.________ um Erlass einer anfechtbaren
Verfügung ersuchen, woran er, auf - zufolge Rechtskraft des
Ablehnungsschreibens vom 15. April 2004 - abschlägigen Bescheid der SUVA vom
21. Februar 2005 hin, mit Eingabe vom 22. Februar 2005 festhielt. Die SUVA
nahm letzteres Schreiben als Gesuch um Wiedererwägung bzw. prozessuale
Revision entgegen, trat darauf mit Verfügung vom 11. März 2005 indessen nicht
ein bzw. sah die Revisionsvoraussetzungen als nicht erfüllt an. Die dagegen
erhobene Einsprache wurde, soweit der Unfallversicherer darauf eintrat,
abgewiesen (Einspracheentscheid vom 7. September 2005).

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 14. September 2006 ab, soweit es darauf
eintrat.

C.
N.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in
Aufhebung des Einspracheentscheides sei der Unfallversicherer zu
verpflichten, den Fall unter Ausrichtung von Taggeld- und
Heilkostenleistungen materiell zu prüfen; eventualiter sei die Rentenfrage
und die Frage einer angemessenen Integritätsentschädigung zu prüfen. Ferner
ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig und zu prüfen ist letztinstanzlich vorab, ob die Beschwerdegegnerin
über ihre mit Schreiben vom 15. April 2004 eröffnete Leistungsablehnung
formell zu verfügen hat.
Vorinstanz und Unfallversicherer lehnen dies im Wesentlichen mit der
Begründung ab, dass der Mitteilung vom 15. April 2004, mit welcher die SUVA
ihre Leistungspflicht verneint hatte, materiell Verfügungscharakter zukomme.
Auf dieses Schreiben habe der Beschwerdeführer erst über neun Monate später -
durch Ersuchen seines Rechtsvertreters um Erlass einer einsprachefähigen
Verfügung vom 8. Februar 2005 - reagiert. Eine solch lange Dauer des
Zuwartens könne praxisgemäss nicht mehr anders interpretiert werden, als dass
sich der Versicherte zwischenzeitlich mit der getroffenen Regelung abgefunden
gehabt habe. Namentlich sei die nach den Umständen angemessene Überlegungs-
und Prüfungsfrist längst abgelaufen gewesen.

3.
3.1 Das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 15. April 2004 entspricht
unbestrittenermassen weder den Anforderungen an eine formelle Verfügung im
Sinne von Art. 49 Abs. 1 ATSG (fehlende Rechtsmittelbelehrung) noch jenen des
formlosen Verfahrens gemäss Art. 51 ATSG (fehlender Hinweis auf die
Möglichkeit, eine formelle Verfügung zu verlangen). Ob der Unfallversicherer
die Leistungsablehnung nach Massgabe des Art. 49 Abs. 1 ATSG nicht hätte
formell verfügen müssen (wohl eher zu bejahen: vgl. dazu BGE 132 V 412, in
welchem der Aussagegehalt des Urteils des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts U 316/05 vom 23. Mai 2006, wonach der Unfallversicherer
auch unter der Herrschaft des ATSG über eine Leistungsablehnung im formlosen
Verfahren entscheiden könne [E. 3.1], jedenfalls bezüglich des
Fallabschlusses [Einstellung vorübergehender Leistungen im Sinne von Taggeld
und Heilbehandlung] relativiert wurde [BGE 132 V 412 E. 4 S. 417]), braucht,
wie die nachstehenden Erwägungen zeigen, nicht abschliessend beantwortet zu
werden.

3.2 Der rechtsunkundige Beschwerdeführer hat erst am 8. Februar 2005 -
nunmehr durch einen Rechtsbeistand vertreten -, also knapp zehn Monate nach
Erhalt des Schreibens vom 15. April 2004, der Leistungsablehnung opponiert,
indem er um Erlass einer einsprachefähigen Verfügung ersuchen liess. Im
Lichte der bisherigen Rechtsprechung erscheint fraglich, ob eine so lange
Frist noch als "angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist" (BGE 129 V 110
E. 1.2.2 [mit Hinweisen] S. 111 f.) betrachtet werden kann.

3.2.1 Gemäss Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts C 7/02 vom
14. Juli 2003, publ. in SVR 2004 ALV Nr. 1 S. 1, soll diese Frist maximal
drei Mal so lang sein wie die ordentliche Rechtsmittelfrist, was auch dann
gelten soll, wenn die formlose Eröffnung in Verletzung von Rechtsvorschriften
erfolgt ist (E. 3.2). Der Beschwerdeführer hätte somit (Art. 1 Abs. 1 UVG in
Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 ATSG) innert drei Monaten auf den formlos
ergangenen Ablehnungsentscheid reagieren müssen. Selbst wenn die in
Abweichung von Art. 60 ATSG in Art. 106 UVG festgelegte besondere
Beschwerdefrist bei Einspracheentscheiden über Versicherungsleistungen von
drei Monaten als massgeblich angenommen würde, wäre das Dreifache (knapp)
überschritten. In älteren Entscheiden sind aber teilweise längere Fristen als
zulässig erachtet worden (vierzehn Monate: RKUV 1986 Nr. K 690 S. 391 f.
E. 3c; ein Jahr: RSKV 1979 Nr. 379 S. 200 f. E. 3; elf Monate: RKUV 1988
Nr. K 783 S. 395 ff. E. 3; neuneinhalb Monate: Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts U 237/05 vom 9. Mai 2006, E. 3.3; neun Monate:
RSKV 1981 Nr. 461 S. 207 E. 1b; achteinhalb Monate: BGE 132 V 412 E. 5 S. 417
f. [sowie insbesondere auch dessen in SVR 2007 UV Nr. 6 S. 20 f. publizierte
E. 6]); dies jeweils im Wesentlichen mit der Begründung, die betroffene
Person sei nicht rechtskundig vertreten gewesen.

3.2.2 Nach dem Gesagten ist zum Schluss zu kommen, dass der - bei Erhalt des
leistungsablehnenden Schreibens des Unfallversicherers unstreitig (noch)
nicht rechtskundig vertretene - Beschwerdeführer mit der Eingabe seines
Rechtsvertreters vom 8. Februar 2005 noch innert tauglicher Frist reagiert
hat. Ob der Versicherte dabei - sich auf das ihm durch Art. 49 Abs. 3 ATSG
eingeräumte Anrecht berufend - die SUVA aufforderte, eine in der
vorgeschriebenen Form ausgefertigte Leistungsablehnung zu erlassen, um dann
seinen Leistungsanspruch in dem gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren
überprüfen lassen zu können (vgl. die in BGE 132 V 412 nicht publizierte E. 6
des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 62/06 vom
7. September 2006 [veröffentlicht in SVR 2007 UV Nr. 6 S. 20 f.]), oder die
Beschwerdegegnerin berechtigt war, zunächst formlos über die
Leistungsablehnung zu entscheiden und der Versicherte gehalten war, sich
dagegen innert angemessener Prüfungs- und Überlegungsfrist zu verwahren, kann
bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben. Es steht im Übrigen auch nicht im
Widerspruch zu den Urteilen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
U 316/05 vom 23. Mai 2006 (Frist von knapp sechs Monaten) und U 103/03 vom
2. September 2003 (Frist von mehr als drei Jahren), war der Versicherte im
ersten Fall doch bereits weniger als dreissig Tage nach Erhalt der formlos
eröffneten Mitteilung des Unfallversicherers, er schliesse den Fall ab, durch
einen Anwalt vertreten und hatte sich folglich dessen Fachwissen anzurechnen
und betrug die Zeitspanne zwischen faktischer Verfügung der SUVA und
Intervention durch den Rechtsvertreter des Versicherten im zweitgenannten
Fall über drei Jahre, weshalb die angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist
im Lichte der zitierten Rechtsprechung klarerweise als überschritten zu
gelten hatte.
Der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid der SUVA sind daher
aufzuheben und die Beschwerdegegnerin wird angewiesen, nach Rückweisung der
Sache über das Leistungsbegehren des Versicherten formell zu verfügen.

4.
Der Prozess ist kostenfrei (Art. 134 OG [in der vom 1. Juli bis 31. Dezember
2006 gültig gewesenen, hier massgeblichen Fassung]; E. 1 hievor; vgl. auch
Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 337/06 vom 14. Juli 2006,
E. 1, publ. in: SVR 2007 IV Nr. 11 S. 40). Dem Ausgang des letztinstanzlichen
Verfahrens entsprechend steht dem Versicherten eine aufwandgemässe
Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG); damit
erweist sich sein Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung als
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom
14. September 2006 und der Einspracheentscheid vom 7. September 2005
aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt zurückgewiesen wird, damit sie über den
Leistungsanspruch des Beschwerdeführers verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat dem Beschwerdeführer für
das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 750.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 24. September 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
i.V.