Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 520/2006
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U 520/06

Urteil vom 24. August 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Lanz.

I. ________, 1960, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Matthias
Horschik, Weinbergstrasse 29, 8006 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Schwyz vom 20. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1960 geborene, zu 80 % als Mitarbeiterin Belegverarbeitung bei der Firma
X.________ angestellte und dadurch bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versicherte I.________ erlitt am 5. Mai 2004 einen Verkehrsunfall. Der von
ihr gelenkte und wegen eines die Strasse überquerenden Eichhörnchens
abgebremste Personenwagen wurde durch einen Sattelschlepper, dessen Lenker
dies zu spät bemerkt hatte, von hinten angefahren. I.________ konnte ihr
Fahrzeug selbst verlassen. Die herbeigerufene Verkehrspolizei sah von der
Erstellung eines Rapports ab, da sich die Beteiligten gütlich einigen
konnten. I.________ suchte anderntags das Spital X.________ auf, wo eine
Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) diagnostiziert und eine
Arbeitsunfähigkeit bestätigt wurde. Am 23. Juni 2004 nahm die Versicherte die
Arbeit zu 50 % (bezogen auf die 80 %-Anstellung, real 40 %) wieder auf. Ein
höheres Arbeitspensum konnte in der Folge nicht realisiert werden. Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nach
Abklärungen zum Unfallhergang und zum medizinischen Sachverhalt eröffnete sie
der Versicherten mit Verfügung vom 11. Januar 2006 die Einstellung der
gesetzlichen Leistungen per 31. Januar 2006. Sie verneinte zudem einen
Anspruch auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung. Zur Begründung
wurde ausgeführt, die noch bestehenden Beschwerden stünden nicht in einem
adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall vom 5. Mai 2004. Daran hielt die SUVA
auf die von I.________ und deren obligatorischem Krankenpflegeversicherer
erhobenen Einsprachen hin fest (Einspracheentscheid vom 4. April 2006).

B.
Die von I.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz unter Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung ab (Entscheid vom 20. September 2006).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt I.________ beantragen, es sei der
kantonale Entscheid aufzuheben und die SUVA zu verpflichten, über den 31.
Januar 2006 hinaus Leistungen zu erbringen; eventuell sei der Versicherer zu
verpflichten, die Sache einer Neubeurteilung zu unterziehen. Weiter wird um
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das letztinstanzliche
Verfahren ersucht.
SUVA und Vorinstanz schliessen je auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

Mit Eingabe vom 15. März 2007 lässt I.________ nochmals Stellung nehmen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der
angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das
Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG;
BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung aus dem Unfall vom 5. Mai 2004 über den 31. Januar 2006
hinaus.

Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung sind im angefochtenen Entscheid
zutreffend dargelegt. Es betrifft dies zunächst den für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers nebst anderem vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (BGE 129
V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) mit den sich dabei stellenden
Beweisfragen. Richtig wiedergegeben ist auch die Rechtsprechung zum überdies
erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang im Allgemeinen (BGE 129 V 177
E. 3.2 S. 181 mit Hinweis) sowie bei klar ausgewiesenen organischen
Unfallfolgen (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen), bei psychischen
Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133), bei Schleudertraumen der
Halswirbelsäule (HWS) ohne organisch (hinreichend) nachweisbare Folgeschäden
(BGE 117 V 359), bei dem Schleudertrauma äquivalenten Verletzungen (SVR 1995
UV Nr. 23 S. 67 E. 2) und bei Schädel-Hirntraumen (vgl. BGE 117 V 369) im
Besonderen. Hervorzuheben ist, dass nach der so genannten
Schleudertraumapraxis, anders als im Falle einer psychischen Fehlentwicklung
nach Unfall, bei der Prüfung der unfallbezogenen Kriterien auf eine
Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet
wird, weil es hier nicht entscheidend ist, ob Beschwerden eher als
organischer und/oder psychischer Natur beurteilt werden (BGE 117 V 359 E. 6a
S. 367 und 369 E. 4b S. 382 f.).

3.
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Unfall vom 5. Mai 2004 zu einem
Distorsionstrauma der HWS geführt hat und zumindest teilweise natürlich
kausal ist (zum Genügen einer Teilursächlichkeit für die Bejahung des
Leistungsanspruchs: BGE 123 V 43 E. 2b S. 45 mit Hinweis, 121 V 326 E. 2 S.
329 mit Hinweisen) für das danach aufgetretene, für Schleudertraumen und
äquivalente Verletzungen der HWS typische Beschwerdebild.

Die SUVA hat eine weitergehende Leistungspflicht mit der Begründung verneint,
die persistierenden, organisch nicht (hinreichend) erklärbaren Beschwerden
stünden nicht in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall vom 5. Mai
2004. Die Adäquanz prüfte der Unfallversicherer nach den für Schleudertraumen
und äquivalente Verletzungen der HWS geltenden Grundsätzen.

Das kantonale Gericht ist davon insofern abgewichen, als es mit der
Begründung, die psychische Problematik habe schon rasch nach dem Unfall
dominiert, die Adäquanz in Anwendung von BGE 123 V 98 nach den für psychische
Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden Regeln geprüft hat. Es gelangte dabei
ebenfalls zum Ergebnis, dass der adäquate Kausalzusammenhang und damit ein
weiterer Leistungsanspruch nicht gegeben sei. Weiter erwog es, dass die
Adäquanz mit dem Unfallversicherer auch bei Anwendung der
Schleudertrauma-Praxis zu verneinen wäre.

4.
Dass sich die andauernden Beschwerden organisch nicht (hinreichend) erklären
lassen, trifft nach Lage der Akten zu und wird von der Versicherten nicht
bestritten. Die Einwendungen betreffen vielmehr den adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfall vom 5. Mai 2004.
Dabei wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht, die Adäquanz
sei nach BGE 117 V 359 zu prüfen und zu bejahen, wobei man aber auch in
Anwendung von BGE 115 V 133 zum gleichen Ergebnis gelange.

Mit Eingabe vom 15. März 2007 hat die Versicherte nochmals Stellung nehmen
lassen. Die Eingabe kann grundsätzlich nur soweit Beachtung finden, als die
Vernehmlassungen der Vorinstanz und der SUVA dazu Anlass gegeben haben (vgl.
BGE 132 I 42 ff., insbes. E. 3.3.2 S. 46). Diese äussern sich einzig zu dem
mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde neu aufgelegten psychiatrischen
Gutachten, welches der Sozialpsychiatrische Dienst des Kantons Schwyz am 25.
August 2006 zuhanden der Invalidenversicherung erstattet hat. Ansonsten
enthalten die Vernehmlassungen keine neuen Gesichtspunkte: Die Vorinstanz
wiederholt Erwägungen des angefochtenen Entscheids, und die SUVA äussert sich
nicht weiter. Soweit die Eingabe vom 15. März 2007 darüber hinaus gehende
Vorbringen enthält und namentlich auch, wie in ihr dargelegt, als ergänzende
Begründung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde verstanden werden soll, ist sie
daher unzulässig, zumal sie auch keine neuen erheblichen Tatsachen oder
entscheidenden Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG beschlägt, welche
gegebenenfalls eine Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnten (vgl.
BGE 127 V 353). Sodann vermag die in der Eingabe vom 15. März 2007 enthaltene
Kritik an der bundesgerichtlichen Praxis zur Adäquanzprüfung von organisch
nicht (hinreichend) nachweisbaren Beschwerden nach Unfall, soweit im Rahmen
der Rechtsanwendung von Amtes wegen zu beachten, den geltend gemachten
Leistungsanspruch nicht zu stützen.

5.
Ob der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 5. Mai 2004 und
den persistierenden, organisch nicht (hinreichend) erklärbaren Beschwerden
nach BGE 117 V 359 zu prüfen ist, wie dies im Einspracheentscheid vom 4.
April 2006 geschehen ist und von der Beschwerdeführerin als richtig erachtet
wird, oder aber nach BGE 115 V 133, wie von der Vorinstanz erwogen, kann
offen bleiben, wenn die Adäquanz nach beiden Vorgehensweisen zu verneinen
ist. Dies trifft hier zu.

5.1 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare)
Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 366 f., 115 V 133 E. 6
Ingress S. 139). Das kantonale Gericht hat die Kollision vom 19. Januar 2004
als mittelschweren Unfall nicht im Grenzbereich zu den schweren Unfällen
eingeordnet. Diese Beurteilung ist aufgrund des augenfälligen
Geschehensablaufs richtig.

Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche
als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117
V 359 E. 6a s. 367, 115 V 133 E. 6c/aa S. 140), müssten demnach für eine
Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in
besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender
Weise gegeben sein (BGE 117 V 359 E. 6b S. 367 f., 115 V 133 E. 6c/bb
S. 140).

5.2 Dem Unfall vom 5. Mai 2004 ist mit Blick darauf, dass ein Sattelschlepper
und damit ein deutlich schwereres Fahrzeug auf den Personenwagen der
Versicherten auffuhr, eine gewisse Eindrücklichkeit nicht abzusprechen. Er
hat sich jedoch weder unter besonders dramatischen Begleitumständen ereignet
noch war er - objektiv betrachtet (RKUV 1999 Nr. U 335 S. 209 E. 3b/cc; vgl.
auch RKUV 2000 Nr. U 394 S. 313 ff., U 248/98) - von besonderer
Eindrücklichkeit. Hieran ändert nichts, dass beim Aufprall Scheiben des von
der Beschwerdeführerin gelenkten Wagens zersplittert sind. Die Versicherte
hat sodann keine schweren oder besonders gearteten Verletzungen erlitten. Von
einer ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich
verschlimmert hat, kann ebenso wenig gesprochen werden wie von einem
schwierigen Heilungsverlauf und erheblichen Komplikationen. Nicht erfüllt ist
auch das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung.
Diese beschränkte sich im Wesentlichen auf eine gut einmonatige stationäre
Rehabilitation, auf - namentlich auch muskelaufbauende - Physiotherapie, auf
der Stabilisierung dienende Psychotherapie sowie auf Medikation und ging auch
in zeitlicher Hinsicht nicht über das hinaus, was bei Schleudertraumen oder
schleudertraumaähnlichen Verletzungen der HWS als üblich zu gelten hat (vgl.
RKUV 2005 Nr. 549 S. 238 f. E. 5.2.4 mit Hinweisen, U 380/04). Selbst wenn
sodann - ohne nähere Prüfung - die Kriterien der Dauerbeschwerden sowie des
Grades und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit bejaht würden, träfe dies
jedenfalls nicht in besonders ausgeprägter Weise zu. Unfallversicherer und
Vorinstanz haben daher die Unfalladäquanz der persistierenden Beschwerden und
somit einen weitergehenden Leistungsanspruch der Versicherten zu Recht
verneint.

6.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
kann der Beschwerdeführerin gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art.
135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die
Vertretung geboten war (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je
mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG
aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Matthias
Horschik, Zürich, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 24. August 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: