Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 513/2006
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U 513/06

Urteil vom 9. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Grunder.

L. ________, 1951, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Alexander
Feuz, Spitalgasse 30, 3011 Bern,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst Personen,
Laupenstrasse 27, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern vom 7. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1951 geborene L.________, gelernte Verkäuferin, arbeitete seit 1997
während zirka zwei Stunden täglich beim Verband X.________ und war dadurch
bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Bern, obligatorisch gegen
die Folgen von Unfällen versichert. Am 6. November 2000 missachtete eine aus
einer vortrittsbelasteten Seitenstrasse nach links einbiegende
Fahrzeuglenkerin das Vortrittsrecht der von links auf der Hauptstrasse
herannahenden Versicherten, wodurch es lenkerseitig zu einer Frontalkollision
der beiden Personenwagen kam. Im Spital Y.________ welches die Versicherte
gleichentags aufsuchte, wurde eine Diskushernie mit Spinalkanalstenose C 5/6
diagnostiziert ("Zusatzfragebogen bei HWS-Verletzung" vom 23. Februar 2001).
Die Allianz erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld).
Mit Verfügung vom 26. Mai 2003 legte sie die Taggeldleistungen per 1. Juni
2003 gestützt auf eine Arbeitsfähigkeit von 50 % fest, weil der Versicherten
in diesem Umfang leichtere wechselbelastende Tätigkeiten nunmehr zumutbar
seien. Auf Einsprache hin räumte sie eine Anpassungsfrist von drei Monaten
ein, weshalb sie die Taggeldleistungen erst ab 1. August 2003 herabsetzte
(Einspracheentscheid vom 23. Januar 2004). Eine hiegegen eingereichte
Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit unangefochten in
Rechtskraft erwachsenem Entscheid vom 24. September 2004 ab.

Die Allianz holte in Absprache mit dem Rechtsvertreter der Versicherten ein
polydisziplinäres Gutachten des Zentrums Z.________ vom 27. Mai 2005 ein und
stellte in Bestätigung einer Verfügung vom 12. Januar 2006 mit
Einspracheentscheid vom 14. März 2006 die Leistungen per 30. Juni 2005
mangels gegebenen adäquaten Kausalzusammenhangs der geklagten Beschwerden mit
dem Unfall vom 6. November 2000 ein.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern, nach Beizug der Akten der Invalidenversicherung, ab (Entscheid vom 7.
September 2006).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L.________ beantragen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids "sei keine Leistungskürzung
zuhanden der Beschwerdeführerin vorzunehmen; die eingestellten
Versicherungsleistungen seien rückwirkend ab 30.6.2005 wieder vollständig
auszurichten."

Die Allianz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Mit diesem
Gesetz ist die bisherige organisatorische Selbstständigkeit des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts aufgehoben und dieses mit dem
Bundesgericht fusioniert worden (Seiler in: Seiler/von Werdt/Güngerich,
Kommentar zum BGG, Art. 1 N 4 und Art. 132 N 15). Das vorliegende Urteil wird
daher durch das Bundesgericht gefällt. Weil der angefochtene Entscheid jedoch
vor dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem
bis zum 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz vom 16. Dezember
1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 131 Abs. 1 und
132 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 132 V 392 E. 1.2 S. 395).

2.
Prozessthema bildet die Frage, ob die Beschwerdeführerin über den 30. Juni
2005 hinaus Anspruch auf gesetzliche Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung hat.

3.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den für die
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG)
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und
eingetretenem Schaden (BGE 119 V 335 E. 1 S. 337; vgl. auch BGE 129 V 177 E.
3.1 S. 181 mit Hinweisen) sowie den Beweiswert und die Würdigung
medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.)
zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die vorinstanzlichen Erwägungen zur
ausserdem erforderlichen Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE
129 V 177 E. 3.2 S. 181, 402 E. 2.2 S. 405, 125 V 456 E. 5a S. 461 f. mit
Hinweisen) sowie insbesondere bei Folgen eines Unfalles mit Schleudertrauma
der HWS (BGE 117 V 359) oder einer äquivalenten Verletzung (Urteil U 183/93
vom 12. September 1993 E. 2, publ. in: SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67). Darauf wird
verwiesen.

4.
4.1 Das kantonale Gericht kam in einlässlicher Würdigung der umfangreichen
medizinischen Akten zum Schluss, dass sich der Gesundheitszustand und die
Arbeitsfähigkeit bis zu dem für die gerichtliche Überprüfung des Sachverhalts
massgeblichen Zeitpunkt bei Erlass des Einspracheentscheids zuverlässig
beurteilen lässt. Es stellte fest, dass die nach konstanter Rechtsprechung
erforderlichen Voraussetzungen für die Annahme einer unfallbedingten
Diskushernie hier nicht vorliegen. Der Frage, inwieweit die gesundheitlichen
Beeinträchtigungen Folge der unfallfremden Diskushernie auf Höhe der
Halswirbelkörper C 5/6 oder aber der am 6. November 2000 erlittenen
HWS-Distorsion sind, ging die Vorinstanz nicht weiter nach, da der adäquate
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den geklagten Beschwerden zu
verneinen war. Sie erwog, dass die Frontalkollision im Rahmen der Einteilung,
wie sie für die Belange der Adäquanzbeurteilung vorzunehmen ist, aufgrund des
augenfälligen Geschehensablaufs und der erlittenen Verletzungen als
mittelschwer an der Grenze zu den leichten Unfällen einzuordnen sei. Von den
weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in Zusammenhang
stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche als
massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind, lag weder
ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise, noch mehrere in gehäufter oder
auffallender Weise vor. Der angefochtene Einspracheentscheid war daher nicht
zu beanstanden.

4.2
4.2.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zunächst vorgebracht, es sei
ein medizinisches Obergutachten einzuholen, zumal auch die Vorinstanz
festgestellt habe, dass die Expertise des Zentrums Z.________ widersprüchlich
sei. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass sich diese Feststellung einzig
auf die im Gutachten des Zentrums Z.________ vorgenommene Aufschlüsselung
nach unfallbedingten und unfallfremden Faktoren bezieht, was hier für die
Belange der Adäquanzbeurteilung nicht von entscheidender Bedeutung ist.

4.2.2 Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, das Ereignis vom 6.
November 2000 sei zumindest als mittelschwerer Unfall zu qualifizieren. Die
im angefochtenen Entscheid angesprochene Kasuistik (vgl. Urteil U 193/01 vom
24. Juni 2003 E. 4.2, publ. in: RKUV Nr. U 489 S. 360) betrifft im
Wesentlichen Heckauffahrkollisionen auf Personenwagen, die vor einem
Fussgängerstreifen oder einer Rotlichtsignalanlage stillstehen. Solche
Unfälle beurteilt das Bundesgericht regelmässig als mittelschwere, im
Grenzbereich zu den leichten Unfällen liegende oder gar als banale
Ereignisse. Hier liegt indessen eine Frontalkollision von zwei bewegten
Fahrzeugen mit einer Drehung im Gegenuhrzeigersinn des von der Versicherten
gelenkten Personenwagens vor (vgl. unfallanalytisches Gutachten vom 27.
Februar 2004), weshalb die zitierte Kasuistik nicht ohne weiteres zur
Beurteilung der Frage, welchem Schwerebereich der Unfall vom 6. November 2000
zuzuordnen ist, herangezogen werden kann. Unter den gegebenen Umständen,
sowie mit Blick auf die eher hohe Geschwindigkeitsänderung (Delta-v = 26 bis
32 km/h), welcher der Körper der Versicherten ausgesetzt war, ist die
Kollision vom 6. November 2000 als mittelschwerer Unfall zu qualifizieren.

4.2.3 Das Kriterium der besonderen Schwere oder Art der Verletzung hat im
Bereich der Schleudertraumapraxis als erfüllt zu gelten, wenn die
Unfallverletzung in besonderer Weise geeignet ist, eine intensive, dem so
genannten typischen Beschwerdebild (BGE 119 V 335 E. 1 S. 338, 117 V 359 E.
4b S. 360) entsprechende Symptomatik zu bewirken (vgl. BGE 117 V 359 E. 7b S.
369 oben). So können pathologische Zustände nach HWS-Verletzungen bei
erneuter Traumatisierung ausserordentlich stark exacerbieren (vgl. Urteil U
39/04 vom 26. April 2006 E. 3.4.2, publ. in: SVR 2007 UV Nr. 1 S. 1). Art und
Schwere eines HWS-Schleudertraumas können aber auch durch die Körperhaltung
im Zeitpunkt der mechanischen Einwirkung beeinflusst werden (vgl. Urteil U
16/97 vom 16. Januar 1998 E. 3c, publ. in: RKUV 1998 Nr. U 297 S. 245; vgl.
auch Urteil U 193/01 vom 24. Juni 2003 E. 4.3 mit weiteren Hinweisen, publ.
in: RKUV 2003 Nr. U 489 S. 357). Solche Umstände werden hier jedoch nicht
geltend gemacht und sind aufgrund der Akten auch nicht ersichtlich.

4.2.4 Hinsichtlich des Kriteriums der geltend gemachten ungewöhnlichen Dauer
der ärztlichen Heilbehandlung ergibt sich aus den Vorbringen der
Beschwerdeführerin einzig, dass sie vorwiegend medikamentöse Behandlung in
Anspruch nahm, was für sich allein, als auch im Gesamtzusammenhang betrachtet
keine auf eine spezifische Verbesserung des Gesundheitszustandes gerichtete
ärztliche Behandlung zu betrachten ist. Daraus kann jedenfalls nicht der
Schluss gezogen werden, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zumindest
implizit vorgebracht wird, es läge eine ärztliche Fehlbehandlung vor, welche
die unmittelbaren Unfallfolgen erheblich verschlimmerte.  Der geltend
gemachte schwierige Heilverlauf mit erheblichen Komplikationen betrifft
einzig die nicht als unfallbedingt zu betrachtende Diskushernie auf Höhe der
Halswirbelkörper 5/6, welche am 25. Januar 2001 einem, wie die Vorinstanz
zutreffend festgestellt hat, erfolgreich verlaufenem chirurgischen Eingriff
unterzogen wurde. Was schliesslich den Grad und die Dauer der
Arbeitsunfähigkeit anbelangt, ist auf die Praxis hinzuweisen, wonach bei der
Beurteilung dieses Kriteriums grundsätzlich vom Teilzeitpensum auszugehen
ist, welches unmittelbar vor dem Unfall ausgeübt worden ist (Urteil U 478/05
vom 6. Februar 2006 E. 8.6.1). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie
hätte ohne den Unfall und dessen Folgen ihr davor ausgeübtes Teilzeitpensum
ausgeweitet, wird nicht substanziiert begründet, und es ergeben sich aus den
Akten auch keine Anhaltspunkte dafür. Insgesamt betrachtet ist die
vorinstanzliche Adäquanzbeurteilung jedenfalls nicht zu beanstanden.

5.
Der Beschwerdeführerin kann die unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden
(Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig,
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist
und die Vertretung geboten war (BGE 124 V 301 E. 6 S. 309). Die Höhe der
Entschädigung richtet sich nach dem Aufwand, welcher nicht hoch war, da die
Beschwerde ans Bundesgericht mit derjenigen an die Vorinstanz in weiten
Teilen identisch ist. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG
aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist (Art. 152 Abs. 3 OG;
BGE 124 V 301 E. 6 S. 309).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der
unentgeltlichen Verbeiständung gewährt.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Fürsprecher Alexander Feuz, Bern, wird als unentgeltlicher Anwalt der
Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-
ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der IV-Stelle Bern und dem Bundesamt
für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Leuzinger Grunder