Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 472/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


U 472/06

Urteil vom 1. Mai 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Heine.

H. ________, 1973,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Roland Ilg, Rämistrasse 5, 8024 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau vom 16. August 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1973 geborene H.________ arbeitete vom 1. Juli 1991 bis 31. Oktober 2003
in der Firma X.________ AG als Betriebsarbeiter und war bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Am 6. Februar 2003 zog er sich nach einem
Sturz auf einer vereisten Treppe ein axiales Trauma der Wirbelsäule zu. Die
SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggelder). Nach
einem Austrittsbericht der Rehaklinik Y.________ vom 8. Oktober 2003
reduzierte die SUVA mit Verfügung vom 11. Dezember 2003 die Geldleistungen ab
1. November 2003 auf 50 %. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 7.
März 2005 fest. Am 8. Dezember 2003 erlitt der Versicherte bei einem
Auffahrunfall ein Schleudertrauma der HWS. Nachdem die SUVA die gesetzlichen
Leistungen erbrachte, wies sie, gestützt auf die kreisärztliche
Abschlussuntersuchung des Dr. med. C.________ vom 10. Januar 2005, mit
Verfügung vom 24. März 2005 sämtliche Versicherungsansprüche für beide
Unfälle ab dem 31. März 2005 ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom
21. Juni 2005 fest.

B.
Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab (Entscheid vom 16. August 2006).

C.
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren
stellen, die SUVA sei, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids, zu
verpflichten, die vollen Taggelder für eine Arbeitsunfähigkeit von 100 %
auszurichten, ferner sei der Beschwerdeführer von unabhängigen Ärzten
betreffend den somatischen und psychiatrischen Unfallfolgen abzuklären;
eventualiter sei eine Rente und Integritätsentschädigung zu prüfen und ihm
die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren.
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das
Bundesamt für Gesundheit auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden
das Eidg. Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu einem
einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt (Seiler/von
Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz. 75) und es
wurde die Organisation und das Verfahren des obersten Gerichts umfassend neu
geregelt. Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten
Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch
nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Entscheid am
16. August 2006 und somit vor dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich
das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen
Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16.
Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Heilbehandlung
(Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die
Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE
119 V 335 E. 1 S. 337). Entsprechendes gilt für die von der Judikatur
entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im
Allgemeinen (BGE 125 V 456 E. 5a S. 461) sowie bei psychischen Unfallfolgen
im Besonderen (BGE 115 V 133), zur Bemessung der Integritätsentschädigung
(BGE 116 V 156 E. 3a S. 157) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 122 V 157 E. 1c S. 160). Darauf wird verwiesen.

2.2 Die Adäquanzbeurteilung nach HWS-Distorsionen (ohne organisch
nachweisbare Unfallfolgeschäden) hat grundsätzlich nach der in BGE 117 V 359
E. 6a S. 366 und 369 E. 4b S. 382 dargelegten Rechtsprechung mit ihrer
fehlenden Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden
zu erfolgen (zum Ganzen BGE 123 V 98 E. 2a S. 99, 119 V 335). Von diesem
Grundsatz ist abzuweichen, wenn die zum typischen Beschwerdebild eines
HWS-Schleudertraumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben
sind, im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik aber unmittelbar
nach dem Unfall ganz in den Hintergrund treten oder die physischen
Beschwerden im Verlaufe der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum
Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt
haben: diesfalls ist die Prüfung der adäquaten Kausalität praxisgemäss unter
dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall gemäss BGE
115 V 133 vorzunehmen (BGE 123 V 98 E. 2a S. 99; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437
[Urteil U 164/01 vom 18. Juni 2002]).

3.
Entgegen den Bestreitungen und Behauptungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind - abgesehen von den seit 1993 bestehenden
Rückenbeschwerden - keine organischen Unfallfolgen ausgewiesen
(kreisärztliche Untersuchung vom 10. Januar 2005). Weitere Untersuchungen,
wie beantragt, vermöchten hieran in Anbetracht fehlender
abklärungsbedürftiger somatischer Befunde nichts zu ändern, weshalb darauf in
antizipierter Beweiswürdigung (BGE 122 V 162 E. 1d S. 162) zu verzichten ist.
Der Beschwerdeführer leidet vielmehr offensichtlich an einer psychischen
Fehlverarbeitung der Unfallerlebnisse. Ob diese durch die Unfälle natürlich
kausal verursacht sind, kann aus den nachfolgenden Gründen offen bleiben.

3.1 Dr. phil. T.________, Fachpsychologe für klinische Psychologie und
Psychotherapie FSP, und Dr. med. K.________, Leitender Arzt FMH Psychiatrie
und Psychotherapie, halten im psychiatrischen Konsilium vom 13. August 2003
der Rehaklinik Y.________ ein maladaptives Überzeugungs- und
Bewältigungsmuster im Rahmen einer Symptomausweitung mit zusätzlicher
Somatisierungstendenz fest, schliessen jedoch eine psychische Störung mit
Krankheitswert aus. In den weiteren ärztlichen Berichten wird lediglich auf
eine deutliche Selbstlimitierung (Ergonomiebericht vom 8. Oktober 2003) und
erschwerte Krankheitsbewältigung mit Katastrophisierungstendenz (Bericht des
Dr. med. Schnyder, Neurologische Praxis, vom 28. Januar 2004) hingewiesen. Zu
keinem Zeitpunkt haben die Mediziner, wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptet wird, eine Commotio cerebri
diagnostiziert, weshalb die Adäquanz der geltend gemachten psychischen
Beschwerden nach BGE 115 V 140 zu beurteilen ist (E. 2.2).
3.2 Hinsichtlich der Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen
dem versicherten Unfall und dem psychischen Gesundheitsschaden kann auf die
Erwägungen des kantonalen Gerichts verwiesen werden. Dieses hat in Anwendung
der unfallbezogenen Kriterien gemäss BGE 115 V 140 E. 6c/aa mit überzeugender
Begründung festgehalten, dass die als mittelschwer einzustufenden Ereignisse
vom 6. Februar 2003 und 8. Dezember 2003 erfahrungsgemäss nicht geeignet
sind, eine psychische Fehlentwicklung zu verursachen. Dies wird in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch nicht bestritten. Der Unfallhergang kann
nicht als besonders eindrücklich bezeichnet werden und ist objektiv nicht in
besonderer Weise geeignet, eine psychische Beeinträchtigung auszulösen. So
kann auch nicht von körperlichen Dauerschmerzen gesprochen werden, jedenfalls
nicht in ausgeprägter Weise. Auch ein schwieriger Heilungsverlauf ist
auszuschliessen, zumal objektiv ein sehr zufriedenstellendes Resultat erzielt
wurde. Das Kriterium der Dauer und Schwere der physisch bedingten
Arbeitsunfähigkeit ist nicht ausgeprägt erfüllt. Für die nach dem Unfall
aufgetretene psychische Fehlentwicklung ist daher mit der Vorinstanz der
adäquate Kausalzusammenhang zu verneinen.

4.
Der Einspracheentscheid der SUVA, mit welchem die Taggelder für den Unfall
vom 6. Februar 2003 ab dem 1. November 2003 auf 50 % reduziert wurden, sowie
der Einspracheentscheid, mit welchem die Heilkosten- und Taggeldleistungen
per 31. März 2005 eingestellt wurden, bestehen mithin zu Recht, was zur
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt. Mangels einer
Unfallkausalität der bestehenden Beeinträchtigungen erweisen sich auch die
Begehren um Zusprechung einer Invalidenrente sowie einer
Integritätsentschädigung als unbegründet.

5.
5.1 Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos.

5.2 Nach Gesetz (Art. 152 OG) und Praxis sind in der Regel die
Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und
Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die
Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch
geboten ist (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Nachdem die Vorinstanz in ihrem
Entscheid die Sachverhalts- und Rechtslage einlässlich darlegte und
begründete und in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen nichts
Erhebliches vorgebracht wird, war diese von vornherein aussichtslos. Dem
Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist darum nicht
stattzugeben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 1. Mai 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: