Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 455/2006
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U 455/06

Urteil vom 6. Dezember 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Lanz.

V. ________, 1952, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, Sonneggstrasse 55,
8006 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 22. August 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1952 geborene V.________, als Betriebsmitarbeiter in der Firma Q.________
AG tätig und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, erlitt am 11. November
2002 einen Verkehrsunfall. Ein BMW 528i fuhr von hinten auf den von ihm
gelenkten und vor einem Fussgängerstreifen angehaltenen BMW 320i auf. Im
gleichentags ambulant aufgesuchten Spital X.________ wurde eine Distorsion
der Halswirbelsäule (HWS) ohne ossäre Läsion diagnostiziert und eine
Arbeitsunfähigkeit ab dem Unfallzeitpunkt bestätigt. Die SUVA erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Am 14. Oktober 2003 wurden
Bandscheibenveränderungen auf Höhe C5/6 und C6/7, welche mit bildgebenden
Untersuchungen vom 20. Februar und 2. Juli 2003 festgestellt worden waren,
operativ behandelt. Nach Abklärungen zum Unfallhergang und zum medizinischen
Sachverhalt eröffnete die SUVA V.________ mit Verfügung vom 6. April 2004 die
sofortige Einstellung der Leistungen. Zugleich verneinte sie einen Anspruch
auf eine Invalidenrente und auf eine Integritätsentschädigung. Zur Begründung
wurde ausgeführt, die noch bestehenden Beschwerden seien auf unfallfremde
Faktoren zurückzuführen. Die hiegegen von verschiedenen anderen
Versicherungsträgern, worunter der obligatorische Krankenpflegeversicherer
des V.________, vorsorglich erhobenen Einsprachen wurden wieder
zurückgezogen. Die Einsprache des Versicherten wies die SUVA nach ergänzenden
medizinischen Abklärungen ab (Einspracheentscheid vom 6. Juli 2005).

B.
Beschwerdeweise beantragte V.________, die SUVA sei zu verpflichten,
weiterhin die gesetzlichen Leistungen zu erbringen und das Honorar des von
ihm beigezogenen medizinischen Privatgutachters zu tragen. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 22. August 2006 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt V.________ seine vorinstanzlichen
Rechtsbegehren erneuern.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Eingaben vom 20. und 23. November 2007 lässt V.________ ein von der
Invalidenversicherung eingeholtes MEDAS-Gutachten vom 5. Oktober 2007 mit den
entsprechenden konsiliarischen Teilexpertisen einreichen. Die SUVA äussert
sich unaufgefordert mit Eingabe vom 27. November 2007 zum MEDAS-Gutachten.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der
angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das
Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG;
BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung aus dem Unfall vom 11. November 2002 über den 6. April
2004 hinaus, wobei Auswirkungen des Ereignisses auf die Bandscheiben auf
Höhe C5/6 und C6/7 sowie ein unfallbedingtes Schleudertrauma der HWS zur
Diskussion stehen.
Die für die Beurteilung massgeblichen Rechtsgrundlagen sind im angefochtenen
Entscheid, auf welchen verwiesen wird, zutreffend dargelegt. Es betrifft dies
namentlich den für einen Leistungsanspruch vorausgesetzten natürlichen und
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) im Allgemeinen (BGE 129 V
177 E. 3.1 und 3.2 S. 181 je mit Hinweisen) sowie bei Diskushernien (RKUV
2000 Nr. U 363 S. 45 E. 3a, Nr. U 379 S. 192 E. 2a mit Hinweisen und
Nr. U 379 S. 190 E. 3) und bei Schleudertraumen der Halswirbelsäule (HWS)
ohne organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolgen (BGE 117 V 359) im
Besonderen. Richtig dargestellt sind auch die Anforderungen an einen
beweiswertigen Arztbericht (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis). An
diesen Grundsätzen hat sich mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Januar 2003
nichts geändert.

3.
3.1 Die Verfahrensbeteiligten sind sich, nach Lage der Akten zu Recht, darin
einig, dass die am 14. Oktober 2003 operativ behandelte
Bandscheibenproblematik auf Höhe C5/6 und C6/7 degenerativer Natur ist und
nicht durch den Unfall vom 11. November 2002 verursacht wurde.
Uneinigkeit besteht in der Beantwortung der Frage, ob das Unfallereignis, wie
vom Versicherten geltend gemacht, die vorbestandene Gesundheitsschädigung
richtunggebend verschlimmert hat.

3.2 Der Unfallversicherer hat jegliche kausale Bedeutung des Unfalles für
Beschwerden aus der erwähnten Bandscheibenproblematik verneint und sich dabei
namentlich auf die Stellungnahmen des Dr. med. M.________, Facharzt FMH für
Orthopädische Chirurgie, Abteilung Versicherungsmedizin der SUVA, vom
13. Oktober 2003, 30. März 2004, 29. Oktober 2004 und 30. Juni 2005 gestützt.
Das kantonale Gericht hat dies bestätigt.
Die vorinstanzliche Beurteilung beruht auf einer einlässlichen Darstellung
und sorgfältigen Würdigung der verschiedenen, inhaltlich teils divergierenden
ärztlichen Berichte im angefochtenen Entscheid. Das kantonale Gericht hat
insbesondere auch nachvollziehbar begründet, weshalb es die Aussagen des Dr.
med. M.________ für überzeugender hält als die des vom Versicherten
beigezogenen PD Dr. med. F.________, Spezialarzt FMH für Physikalische
Medizin und Rehabilitation, speziell Rheumaerkrankungen, im Privatgutachten
vom 8. Juli 2004 mit Ergänzung vom 21. April 2005.
Hervorzuheben ist vor allem, dass Dr. med. M.________, anders als PD Dr. med.
F.________, richtigerweise die Lokalisierung der initial nach dem Unfall und
im weiteren Verlauf aufgetretenen Beschwerden als entscheidenden
Gesichtspunkt in seine Beurteilung einbezogen hat. Anfänglich wurde nämlich
vom Hausarzt wiederholt eine eingeschränkte Rotation auf Höhe C2/3 bestätigt.
Schmerzen in diesem oberen Bereich der HWS bildeten auch den Anlass für die
CT-Untersuchung vom 20. Februar 2003, wogegen Beschwerden in den
Segmenten C5/6 und C6/7 keine Erwähnung fanden. Erst im März 2003 kam
linksseitig eine radikuläre Symptomatik - als typisches Anzeichen für eine
Bandscheibenproblematik - hinzu, welche mit der Protrusion im Segment C6/7
erklärt wurde. Diese Beschwerden wirkten sich zudem erst nach einiger Zeit
auch auf das funktionelle Leistungsvermögen aus, war doch von ärztlicher
Seite bereits ab 9. Dezember 2002 eine hälftige und vom 10. - 12. Juni 2003
gar eine volle Arbeitsfähigkeit bestätigt worden. Der dargestellte Verlauf
spricht klar dagegen, dass beim Unfall vom 11. November 2002 eine wesentliche
Krafteinwirkung auf den unteren HWS-Bereich stattgefunden hat und dieser - ob
nun in vorübergehender oder in richtunggebender Weise - geschädigt wurde.

3.3 Eine solche Schädigung kann auch aufgrund der übrigen Arztberichte und
der durchgeführten biomechanischen Kurzbeurteilung nicht als überwiegend
wahrscheinlich betrachtet werden. Soweit darin eine andere Auffassung
vertreten wird, gründet dies in einer den genannten Verlauf nicht
berücksichtigenden Betrachtungsweise. Es kann im Übrigen auf die zutreffenden
Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Darin wird auch
zutreffend erkannt, dass auf die inhaltlich schlüssigen Aussagen des Dr. med.
M.________ abgestellt werden kann, obschon dieser als versicherungsinterner
Arzt Stellung genommen hat (vgl. BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f. mit
Hinweis). Gleichermassen richtig ist, dass unter den gegebenen Umständen der
Beweiswert der Aussagen des Dr. med. M.________ nicht dadurch geschmälert
wird, dass der Facharzt sich seine Meinung anhand der Akten gebildet hat. Mit
dem kantonalen Gericht ist sodann in antizipierter Beweiswürdigung von
weiteren medizinischen Abklärungen abzusehen.

3.4 Versicherer und Vorinstanz haben einen Leistungsanspruch für die
Bandscheibenproblematik auf Höhe C5/6 und C6/7 somit zu Recht mangels eines
kausalen Zusammenhangs zum Unfall vom 11. November 2002 verneint.

4.
Zu beurteilen bleibt, ob sich eine weitere Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin aufgrund der als Unfallfolge
diagnostizierten HWS-Distorsion ergibt.

4.1 Gemäss den medizinischen Akten konnten keine - gegebenenfalls
unfallbedingten - organischen Schäden an der HWS nachgewiesen werden. Das
gilt auch in Bezug auf das vorerwähnte, von ärztlicher Seite als
vorübergehend in der Rotation eingeschränkt beschriebene Segment C2/3. Dieses
präsentierte sich bei den durchgeführten bildgebenden Untersuchungen
durchwegs als unauffällig.
Anders als bei klar ausgewiesenen organischen Unfallfolgen (BGE 127 V 102
E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen) ist der adäquate Kausalzusammenhang daher
spezifisch zu prüfen, was nach übereinstimmender Auffassung der Parteien und
der Vorinstanz nach der sog. Schleudertrauma-Praxis (BGE 117 V 359) zu
erfolgen hat. Dies ist insofern relevant, weil demnach, anders als im Falle
einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall (BGE 115 V 133), bei der
Prüfung der unfallbezogenen Adäquanzkriterien auf eine Differenzierung
zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird (BGE 117 V
359 E. 6a S. 367).

4.2 Entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung
ist die Adäquanzprüfung nicht als verfrüht zu betrachten. Spätestens im
Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides vom 6. Juli 2005 waren
sämtliche adäquanzrelevanten Faktoren zuverlässig beurteilbar.
Der Beschwerdeführer lässt in diesem Zusammenhang beanstanden, die Vorinstanz
habe sich im angefochtenen Entscheid nur indirekt mit seinen bereits im
kantonalen Verfahren vorgetragenen Ausführungen zum Zeitpunkt der
Adäquanzbeurteilung befasst. Selbst wenn darin eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs zu sehen wäre, wäre diese indessen als im
letztinstanzlichen, mit voller gerichtlicher Überprüfungsbefugnis
durchgeführten Verfahren geheilt zu betrachten.

4.3 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare)
Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 366 f.).
Das kantonale Gericht hat die Auffahrkollision vom 11. November 2002 bei den
mittleren Unfällen im Grenzbereich zu den leichten Unfällen eingeordnet. Dies
ist aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufes richtig und wird auch nicht
bestritten.
Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche
als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117
V 359 E. 6a S. 367), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise
oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 117
V 359 E. 6b S. 367 f.).
Das kantonale Gericht erachtet das Kriterium der Dauerbeschwerden als in
nicht besonders ausgeprägter Weise erfüllt. Gemäss der vom Versicherten
vertretenen Auffassung sind darüber hinaus die Kriterien der Schwere und
besonderen Art der erlittenen Verletzung, der ungewöhnlich langen Dauer der
ärztlichen Behandlung, des schwierigen Heilungsverlaufs und erheblicher
Komplikationen sowie des Grades und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit erfüllt.
Begründet wird dies indessen insbesondere mit den Begleitumständen und Folgen
der nach dem zuvor Gesagten nicht unfallkausalen Bandscheibenveränderungen
auf Höhe C5/6 und C6/7. Auch was weiter vorgebracht wird, rechtfertigt nicht,
unfallbezogene Kriterien in gehäufter oder besonders auffallender Weise als
erfüllt zu betrachten. Hieran vermöchte die beantragte Einholung eines
Berichtes des Hausarztes zu den durchgeführten Behandlungen nichts zu ändern.
Es kann im Übrigen auch hier auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen
Entscheid verwiesen werden.
Unfallversicherer und Vorinstanz haben somit einen weiteren Leistungsanspruch
aus dem Unfall vom 11. November 2002 mangels eines adäquaten
Kausalzusammenhangs der persistierenden Beschwerden zum Unfall zu Recht
verneint.

5.
Festzuhalten bleibt, dass das neu aufgelegte MEDAS-Gutachten vom 5. Oktober
2007 (mit den konsiliarischen Teilexpertisen) nur dann zu berücksichtigen
wäre, wenn es eine neue erhebliche Tatsache oder ein entscheidendes
Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG darstellen würde und somit eine
Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnte (BGE 127 V 353 ff.
insbesondere E. 3b in fine S. 356 und E. 4 S. 357). Das trifft nicht zu. Die
Aussagen der MEDAS-Fachärzte rechtfertigen keine abweichende
Kausalitätsbeurteilung. Es ergibt sich daraus namentlich und entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht der davor nicht gelungene
Nachweis eines unfallkausalen organischen Korrelates. Die nachträglich neu
aufgelegten Beweismittel erweisen sich somit als unzulässig. Gleiches gilt
für die begleitenden Eingaben vom 20. und 23. November 2007 und die
unaufgefordert eingereichte Stellungnahme der SUVA vom 27. November 2007.

6.
Zu prüfen bleibt, ob die SUVA für das Honorar des vom Versicherten
beigezogenen Privatgutachters aufzukommen hat. Dies ist mit der Vorinstanz zu
verneinen, da keine pflichtwidrig unterlassene Abklärung durch den
Versicherer Anlass für die Einholung des medizinischen Parteigutachtens vom
8. Juli 2004 (mit Ergänzung vom 21. April 2005) bot und die Aussagen des
Privatexperten weder relevante neue Erkenntnisse gebracht haben noch Grund
einer nachträglich zugesprochenen Leistung bilden (vgl. Art. 45 Abs. 1,
Art. 61 lit. g ATSG; RKUV 2005 Nr. U 547 S. 221, U 85/04, E. 2.1 mit
Hinweisen).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Dezember 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz