Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 44/2006
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U 44/06

Urteil vom 1. Juni 2006
III. Kammer

Bundesrichter Meyer, Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber Flückiger

B.________, 1939, Beschwerdeführer,

gegen

Aargauisches Versicherungsamt (AVA), Bleichemattstrasse 12/14, 5001 Aarau,
Beschwerdegegner

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 21. Dezember 2005)

Sachverhalt:

A.
Der 1939 geborene B.________ war auf Grund einer seit 1969 bestehenden
Anstellung als Primarlehrer in der Gemeinde X.________ beim Aargauischen
Versicherungsamt (AVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 24. Mai 1999 schlug er den durch einen
Helm geschützten Kopf am Stahlträger eines Velounterstandes an. Dabei erlitt
er gemäss Arztzeugnis UVG des Dr. med. W.________, Innere Medizin FMH, vom
29. September 1999 eine Kontusion/Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) mit
commotio spinalis. Mit Verfügung vom 2. Dezember 2004 sprach ihm das AVA auf
Grund dieses Unfalls eine Integritätsentschädigung von Fr. 19'440.-,
entsprechend einer Integritätseinbusse von 20 %, zu. Daran wurde mit
Einspracheentscheid vom 16. Februar 2005 festgehalten.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab, soweit darauf eingetreten wurde (Entscheid vom 21. Dezember 2005).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt B.________ unter anderem sinngemäss
den Antrag, der kantonale Gerichtsentscheid und der Einspracheentscheid seien
aufzuheben und die Sache sei an das AVA zurückzuweisen, damit es eine
ergänzende psychiatrische Untersuchung veranlasse.

Das Versicherungsamt - unter Verweis auf die angefochtenen Entscheide - und
das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 20. März 2006 reicht B.________ ein
weiteres Dokument ein, hält an seinem Rechtsstandpunkt fest und stellt
zusätzliche Anträge zum Verfahren.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Den materiellrechtlichen Anfechtungsgegenstand des kantonalen
Gerichtsentscheids und damit auch des letztinstanzlichen Verfahrens bildet
der durch die Verfügung vom 2. Dezember 2004 und den diese ersetzenden (vgl.
RKUV 2005 Nr. U 560 S. 399 Erw. 2.2) Einspracheentscheid vom 16. Februar 2005
beurteilte Anspruch auf Integritätsentschädigung. Soweit der Beschwerdeführer
anderweitige Anträge stellt, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
einzutreten. Die verschiedenen Beweisanträge des Beschwerdeführers beziehen
sich nicht auf das Prozessthema und sind deshalb abzuweisen.

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf
Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1 UVG und Art. 36 Abs. 1 UVV [beide
Normen haben auf den 1. Januar 2004 eine redaktionelle Änderung erfahren,
welche jedoch die Anspruchsbeurteilung nicht beeinflusst]), deren Abstufung
nach der Schwere des Integritätsschadens (Art. 25 Abs. 1 UVG; Art. 25 Abs. 2
UVG in Verbindung mit Art. 36 Abs. 2 UVV und Anhang 3 zur UVV) und die
Bedeutung der von der medizinischen Abteilung der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) erarbeiteten weiteren Bemessungsgrundlagen
in tabellarischer Form (sog. Feinraster; BGE 124 V 32 Erw. 1c) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Gestützt auf die Stellungnahme der Neurologischen Klinik des
Kantonsspitals Y.________ vom 14. Oktober 2003 hat das kantonale Gericht dem
Beschwerdeführer für die Wirbelsäulenaffektion in Anwendung der SUVA-Tabelle
7 eine Integritätsentschädigung von 10 % zugesprochen. Dies lässt sich mit
Blick auf die Aktenlage in keiner Weise beanstanden. Gleiches gilt für die
psychischen Folgen einer Hirnverletzung, wie sie der Neuropsychologe lic.
phil. H.________ in seiner Beurteilung vom 11. Oktober 2004 (mit ergänzenden
Erläuterungen vom 25. Januar 2005) beschrieben hat. Auch diesbezüglich wird
nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass und warum in Anwendung von
Tabelle 8 eine Integritätseinbusse von 10 % anzunehmen ist. Insbesondere hat
die Vorinstanz mit Recht das Argument verworfen, der Beschwerdeführer habe
sich anlässlich der jeweiligen Untersuchung besonders gut gefühlt, sodass die
Resultate in nicht repräsentativer Weise günstig ausgefallen seien.

3.2 Der Beschwerdeführer macht ausserdem geltend, gemäss den ärztlichen
Unterlagen sei es zu einem psychophysischen Erschöpfungssyndrom und einer
reaktiven depressiven Entwicklung gekommen. Dieses selbstständige psychische
Krankheitsbild habe bei der Bemessung der Integritätsentschädigung keine
Berücksichtigung gefunden. Diesbezüglich sei eine ergänzende psychiatrische
Begutachtung erforderlich.

3.2.1 Grundsätzlich kann ein Anspruch auf Integritätsentschädigung auch bei
Beeinträchtigungen der psychischen Integrität bestehen. Voraussetzung ist
allerdings eine eindeutige individuelle Langzeitprognose, welche für das
ganze Leben eine Änderung durch Heilung oder Besserung des Schadens praktisch
ausschliesst (vgl. Art. 36 Abs. 1 UVV). Für die Beurteilung der
Dauerhaftigkeit ist diesfalls - in Anlehnung an die entsprechende Praxis zur
Beurteilung der Adäquanz des Kausalzusammenhangs (BGE 115 V 133 ff.) - an das
Unfallereignis anzuknüpfen: Bei banalen oder leichten Unfällen besteht
regelmässig kein Anspruch auf Integritätsentschädigung (selbst wenn die
Adäquanz der psychischen Unfallfolgen ausnahmsweise bejaht wird). Auch bei
Unfällen im mittleren Bereich lässt sich die Dauerhaftigkeit des
Integritätsschadens in der Regel verneinen, ohne dass in jedem Einzelfall
eine nähere Abklärung durch ein psychiatrisches Gutachten vorzunehmen wäre.
Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise, namentlich im Grenzbereich zu den
schweren Unfällen, wenn aufgrund der Akten erhebliche Anhaltspunkte für eine
besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der psychischen Integrität
bestehen, die einer Besserung nicht mehr zugänglich zu sein scheint. Bei
schweren Unfällen schliesslich ist die Dauerhaftigkeit des
Integritätsschadens stets zu prüfen und nötigenfalls durch ein
psychiatrisches Gutachten abzuklären, sofern sie nicht bereits auf Grund der
Akten als eindeutig erscheint (vgl. BGE 124 V 44 f. Erw. 5c/bb mit
Hinweisen).

3.2.2 Über den Hergang des Unfalls vom 24. Mai 1999 ist den Akten zu
entnehmen, dass der Beschwerdeführer den helmgeschützten Kopf am vorstehenden
Stahl-Dachträger eines Fahrradunterstandes anschlug. Werden neben dem
augenfälligen Geschehensablauf auch die dabei erlittenen Verletzungen
mitberücksichtigt, hat dieses Ereignis zwar nicht als banal oder leicht zu
gelten; es ist aber innerhalb der mittelschweren Unfälle dem leichteren
Bereich zuzuordnen. Die Anwendung der zitierten Grundsätze führt daher zur
Verneinung eines zusätzlichen Anspruchs auf Integritätsentschädigung, ohne
dass die Beurteilung dieser Frage eine psychiatrische Begutachtung erfordern
würde. Der vorinstanzliche Entscheid ist dementsprechend zu bestätigen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 1. Juni 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: