Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 438/2006
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U 438/06

Urteil vom 14. März 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Heine.

P. ________, 1956,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Oskar Müller, Wengistrasse 7, 8004 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn
vom 19. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene P.________ war seit 8. Januar 1996 in der Genossenschaft
X.________ als Lagerist angestellt und bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 3. März 1997 erlitt er bei einem Autounfall ein stumpfes
Thoraxtrauma mit einer Sternumläsion; er übte danach seine Tätigkeit ab 21.
April 1997 wieder zu 100 % aus. Am 10. April 2001 verletzte sich P.________
bei einem Auffahrunfall an der linken Nackenseite; in der Folge war er
arbeitsunfähig. Am 28. März 2002 war P.________ als Beifahrer in einen
Verkehrsunfall verwickelt und zog sich eine konsekutive HWS-Distorsion zu.
Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggelder).
Nach einer Begutachtung durch Dr. med. B.________, Spezialarzt FMH für
Neurologie, vom 14. Februar 2003 und einer psychiatrischen Begutachtung bei
Dr. med. M.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 19.
September 2003 verneinte die SUVA mit Verfügung vom 9. März 2004 ab dem
31. März 2004 eine weitere Leistungspflicht. Daran hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 30. März 2005 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn ab (Entscheid vom 19. Juli 2006).

C.
P.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren
stellen, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids und des
Einspracheentscheids sei die Streitsache zwecks Abklärung des
rechtserheblichen Sachverhalts und Neubeurteilung der Versicherungsansprüche
an die SUVA zurückzuweisen, oder an die Vorinstanz zur Einholung eines
Gerichtsgutachtens; eventualiter sei die SUVA zu verpflichten die
obligatorischen Versicherungsleistungen (Taggeld, Rente,
Integritätsentschädigung, etc.) im Rahmen der seit 10. April 2001 bestehenden
100%igen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das
Bundesamt für Gesundheit auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden
das Eidg. Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu einem
einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt (Seiler/von
Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz. 75) und es
wurde die Organisation und das Verfahren des obersten Gerichts umfassend neu
geregelt. Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten
Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch
nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Entscheid am
19. Juli 2006 und somit vor dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich
das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen
Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16.
Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Heilbehandlung
(Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die
Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE
119 V 335 E. 1 S. 337, 118 V 286 E. 1b S. 289, je mit Hinweisen).
Entsprechendes gilt für die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zum
Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im Allgemeinen (BGE 125 V 456
E. 5a S. 461 mit Hinweisen) sowie bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen
(BGE 115 V 133), zur Bemessung der Integritätsentschädigung (BGE 116 V 156 E.
3a S. 157) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 122 V
157 E. 1c S. 160; vgl. auch BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff. mit Hinweisen).
Darauf wird verwiesen.

2.2 Die Adäquanzbeurteilung nach HWS-Distorsionen (ohne organisch
nachweisbare Unfallfolgeschäden) hat grundsätzlich nach der in BGE 117 V 359
E. 6a S. 366 und 117 V 369 E. 4b S. 382 dargelegten Rechtsprechung mit ihrer
fehlenden Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden
zu erfolgen (zum Ganzen BGE 123 V 98 E. 2a S. 99, 119 V 335, BGE 117 V 359 E.
6a S. 366 und 117 V 369 E. 4b S. 382). Von diesem Grundsatz ist abzuweichen,
wenn die zum typischen Beschwerdebild eines HWS-Schleudertraumas gehörenden
Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur ausgeprägten
psychischen Problematik aber unmittelbar nach dem Unfall ganz in den
Hintergrund treten oder die physischen Beschwerden im Verlaufe der ganzen
Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr
untergeordnete Rolle gespielt haben: diesfalls ist die Prüfung der adäquaten
Kausalität praxisgemäss unter dem Gesichtspunkt einer psychischen
Fehlentwicklung nach Unfall gemäss BGE 115 V 133 ff. vorzunehmen (BGE 123
V 98 E. 2a S. 99).

3.
Mit Blick auf die Aktenlage und die Parteivorbringen besteht kein Anlass, den
vorinstanzlich in einlässlicher Würdigung der medizinischen Unterlagen in
Erwägung gezogenen (teilweisen) natürlichen Kausalzusammenhang zwischen den
Unfällen vom 3. März 1997, 10. April 2001 sowie dem 28. März 2003 und den
über den 21. April 1997 hinaus fortdauernden, die Leistungsfähigkeit
einschränkenden psychischen Beschwerden des Versicherten letztinstanzlich
erneut der richterlichen Überprüfung zu unterziehen (BGE 110 V 48 E. 4b S.
53). Zu beurteilen bleibt die - einzig - umstrittene Adäquanz des
Kausalzusammenhangs.

3.1 Dr. med. M.________ hält im psychiatrischen Gutachten vom 19. September
2003 ein mittelschweres depressives bzw. dysthymes Zustandsbild und eine in
hohem Masse aggravierende Visualisierung des Invalidenstatus fest. Dabei
seien die geklagten psychischen Beschwerden keine Folgen von
HWS-Distorsionen, sondern eher auf eine depressive Entwicklung und ungünstige
psychosoziale Faktoren zurückzuführen. Anlässlich der Untersuchung des
Versicherten am 8. Januar 2003 diagnostiziert der Neurologe Dr. med.
B.________ in seinem Gutachten vom 14. Februar 2003 ein chronisches,
teilweise Analgetica induziertes craniocervikales Schmerzsyndrom sowie eine
chronisch depressive Entwicklung mit multiplen funktionellen
Organbeschwerden; eine organische Ursache sei nicht bekannt, die
radiologischen und klinischen Untersuchungen ergäben unauffällige Befunde, so
dass eine pathologische Schmerzverarbeitungsstörung in Betracht zu ziehen
sei. Beide Ärzte schliessen leichte HWS-Distorsionen nicht aus, hingegen
seien die geklagten psychischen Beschwerden nicht die Folge einer
HWS-Distorsion (Dr. med. M.________), sondern stammten von einer erheblichen
psychogenen Ausweitung auf der Basis einer chronisch depressiven Entwicklung
(Dr. med. B.________). Auch Dr. med. C.________ diagnostizierte in der
ärztlichen Abschlussuntersuchung vom 19. März 2002 keine HWS-Distorsion. Er
zählte die Befunde der Rehabilitationsklinik D.________ auf, führt jedoch
unter HWS Folgendes aus: "Die Beweglichkeit ist nicht eingeschränkt. Der
Patient lässt die Bewegungsprüfung schlecht zu resp. berichtet relativ rasch
über starke Bewegungsschmerzen. Eine periphere Neuropathologie kann nicht
festgestellt werden." Selbst wenn im Sinne der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zumindest teilweise die für ein HWS-Distorsionstrauma typische Symptomatik
(dazu vgl. BGE V 117 359 E. 4b S. 360 [diffuse Kopfschmerzen, Schwindel,
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Übelkeit, Depression,
Wesensveränderung, usw.]) bejaht wird, ist auf Grund der medizinischen
Aktenlage, inbesondere dem psychiatrischen Gutachten unter Berücksichtigung
der ganzen Entwicklung von den Unfällen bis zum Beurteilungszeitpunkt von
einer sehr untergeordneten Rolle der physischen Anteile auszugehen, so dass
die Adäquanz gemäss BGE 115 V 140 zu prüfen ist (E. 2.2).
3.2 Hinsichtlich der Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen
den versicherten Unfällen und dem psychischen Gesundheitsschaden kann auf die
Erwägungen des kantonalen Gerichts verwiesen werden. Dieses hat in Anwendung
der unfallbezogenen Kriterien gemäss BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140 mit
überzeugender Begründung festgehalten, dass die als mittelschwer
einzustufenden Ereignisse vom 3. März 1997, 10. April 2001 und vom 28. März
2003 erfahrungsgemäss nicht geeignet sind, eine psychische Fehlentwicklung zu
verursachen. Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen eingewendet
wird, ist unbehelflich. Der Unfallhergang aller drei Kollisionen kann nicht
als besonders eindrücklich bezeichnet werden und ist objektiv nicht in
besonderer Weise geeignet, eine psychische Beeinträchtigung auszulösen
(Urteil U 424/04 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 5. Oktober
2005). So kann auch entgegen den Vorbringen des Versicherten nicht von
körperlichen Dauerschmerzen gesprochen werden, jedenfalls nicht in
ausgeprägter Weise. Bereits nach dem zweiten Unfall stellte der Psychiater
Dr. K.________ von der Rehaklinik D.________ ein leichtes depressives Syndrom
fest - dabei ist festzuhalten, dass der Versicherte nach dem ersten Unfall
wieder zu 100 % arbeitete -, und nach dem dritten Bagatellunfall war eine
Verschlechterung bzw. Destabilisierung der Psyche des Versicherten gegeben.
Auch ein schwieriger Heilungsverlauf ist auszuschliessen, zumal die
radiologischen wie auch klinischen Untersuchungen keine somatischen Befunde
ergaben. Das Kriterium der Dauer und Schwere der physisch bedingten
Arbeitsunfähigkeit ist demnach nicht ausgeprägt erfüllt. Für die nach dem
Unfall aufgetretene psychische Fehlentwicklung ist daher mit der Vorinstanz
der adäquate Kausalzusammenhang zu verneinen.

4.
Der Einspracheentscheid der SUVA, mit welchem Heilbehandlungen und
Taggeldleistungen per 31. März 2004 eingestellt wurden, besteht mithin zu
Recht, was zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt. Mangels
einer Unfallkausalität der bestehenden Beeinträchtigungen erweisen sich auch
die Begehren um Zusprechung einer Rente sowie einer Integritätsentschädigung
als unbegründet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 14. März 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: