Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 419/2006
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U 419/06

Urteil vom 3. Juli 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Lanz.

M.________, 1952, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Silvan Meier Rhein, Obergasse 20,
8400 Winterthur,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn
vom 26. Juni 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1952 geborene M.________ ist seit September 2001 als Schuhnäherin, später
als Schuhputzerin in der Firma Q.________ AG tätig und dadurch bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen
Unfallfolgen versichert. Nachdem sie bereits im Jahr 1992 eine
Auffahrkollision erlitten hatte, für welche ein anderer Unfallversicherer
zuständig war, wurde M.________ am 19. Januar 2004 erneut in einen
Verkehrsunfall verwickelt. Der Peugeot 206, in welchem sie als Beifahrerin
sass und der vor einem Rotlicht stillstand, wurde durch einen von hinten
kommenden Personenwagen gerammt und in ein davor stehendes Fahrzeug
geschoben. Die Versicherte suchte die Notfallstation des Spitals X.________
auf, wo eine HWS-Distorsion diagnostiziert wurde. Die SUVA erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Nach verschiedenen
Abklärungen zum medizinischen Sachverhalt und zum Unfallhergang eröffnete die
SUVA der Versicherten mit Verfügung vom 22. Oktober 2004, die gesetzlichen
Leistungen würden am 31. Oktober 2004 eingestellt. Zur Begründung wurde
ausgeführt, die noch geklagten Beschwerden seien organisch als Folge des
Unfalles vom 19. Januar 2004 nicht mehr erklärbar, sondern auf eine
psychische Problematik zurückzuführen, welche nicht in einem adäquaten
Kausalzusammenhang zum versicherten Ereignis stehe. Zudem verneinte der
Versicherer mangels unfallbedingter Erwerbsunfähigkeit und
Integritätseinbusse einen Anspruch auf eine Invalidenrente und auf eine
Integritätsentschädigung. Daran hielt die SUVA auf Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 20. April 2005).

B.
M.________ führte Beschwerde auf Zusprechung der ihr zustehenden
Versicherungsleistungen. Replikweise beantragte sie zudem die Einholung eines
polydisziplinären Gutachtens, wofür die Sache eventuell an den
Unfallversicherer zurückzuweisen sei. Das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn wies die Beschwerde mit Entscheid vom 26. Juni 2006 ab.

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, in
Aufhebung des vorinstanzlichen und des Einspracheentscheides sei die Sache zu
weiteren Abklärungen an den Unfallversicherer zurückzuweisen.
Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne sich
weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der
angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das
Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG;
BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung aus dem Unfall vom 19. Januar 2004 über den 31. Oktober
2004 hinaus.
Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung sind im angefochtenen Entscheid
zutreffend dargelegt. Es betrifft dies zunächst den für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers nebst anderem vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (BGE 129
V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) mit den sich dabei stellenden
Beweisfragen. Nicht zu beanstanden sind auch die Erwägungen zu dem überdies
erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang im Allgemeinen (BGE 129 V 177
E. 3.2 S. 181 mit Hinweis) und bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall
(BGE 115 V 133), bei Schleudertraumen der Halswirbelsäule (HWS) ohne
organisch (hinreichend) nachweisbare Folgeschäden (BGE 117 V 359), bei dem
Schleudertrauma äquivalenten Verletzungen (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2)
sowie bei Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369) im Besonderen. Diese
Unterscheidung ist insofern relevant, als nach der so genannten
Schleudertraumapraxis, anders als im Falle einer psychischen Fehlentwicklung
nach Unfall, bei der Prüfung der unfallbezogenen Kriterien auf eine
Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet
wird, weil es hier nicht entscheidend ist, ob Beschwerden eher als
organischer und/oder psychischer Natur beurteilt werden (BGE 117 V 359 E. 6a
S. 367 und 369 E. 4b S. 382 f.).

3.
Nach der soweit übereinstimmenden und nach Lage der Akten nicht zu
beanstandenden Auffassung beider Parteien und der Vorinstanz hat sich die
Beschwerdeführerin beim Unfall vom 19. Januar 2004 ein HWS-Distorsionstrauma
zugezogen.
Aufgrund der zahlreichen medizinischen Berichte ist sodann ein
unfallbedingtes, organisch nachweisbares Korrelat, welches die danach
geklagten Beschwerden (hinreichend) zu erklären vermöchte, zuverlässig
auszuschliessen. Von ergänzenden Abklärungen hiezu sind mit der Vorinstanz
keine entscheidrelevanten neuen Erkenntnisse zu erwarten. Hieran ändert auch
der Bericht des von der Beschwerdeführerin beigezogenen Neurologen vom
15. März 2005 nichts. Dieser Arzt empfiehlt zwar weitere bildgebende
Abklärungen. Er stützt sich dabei aber nicht etwa auf eine persönliche
Exploration der Versicherten, sondern einzig auf die Akten, welche ihm
überdies nicht einmal vollständig vorgelegen haben. Namentlich verfügte er
nicht über die bereits vorhanden gewesenen und von den übrigen
berichterstattenden Ärzten in deren Beurteilung einbezogenen Röntgenbilder.

4.
4.1 Die Vorinstanz hat im Weiteren erwogen, nach dem Unfall vom 19. Januar
2004 habe das typische Beschwerdebild nach einem Schleudertrauma der HWS
zumindest teilweise vorgelegen. Somit sei auch bezüglich der festgestellten
psychischen Beeinträchtigungen zumindest eine - für die Bejahung des
natürlichen Kausalzusammenhanges genügende - Teilursächlichkeit dieser
Auffahrkollision nicht auszuschliessen. Von weiteren Abklärungen hiezu könne
aber ebenfalls abgesehen werden, da jedenfalls der adäquate
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den bestehenden Beschwerden zu
verneinen sei. Die Adäquanz prüfte das kantonale Gericht mit der Begründung,
das Beschwerdebild sei bei vorbestehender psychischer Problematik bereits
kurz nach dem Unfall vom 19. Januar 2004 funktionell stark überlagert
gewesen, gemäss den für psychische Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden
Regeln.

4.2 Dass die Vorinstanz von der abschliessenden Beantwortung der Frage der
natürlichen Kausalität der organisch nicht (hinreichend) erklärbaren
Beschwerden abgesehen und direkt die Adäquanzfrage geprüft hat, ist nach
SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 3c nicht zu beanstanden. Im Weiteren trifft nach
Lage der Akten zu, dass unmittelbar oder zumindest schon sehr bald nach dem
Unfall vom 19. Januar 2004 die somatischen Beschwerden in erheblicher Weise
psychisch überlagert waren. Dies rechtfertigt die Anwendung der
Rechtsprechung für psychische Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 123 V 98;
RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437, U 164/01).
Die Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen zu keinem
anderen Ergebnis. Was im Besonderen die vorbestandene psychische Problematik
betrifft, ergibt sich aus den Akten, dass schon vor dem Unfall vom 19. Januar
2004 eine Angststörung mit Panikattacken und agoraphoben Zügen vorlag. Nach
der Auffahrkollision vom 19. Januar 2004 wurden im Wesentlichen die selben
psychiatrischen Diagnosen gestellt, wobei erwähnt wurde, die Symptome seien
nach dem Unfall verstärkt aufgetreten. Damit kann nun aber nicht gesagt
werden, der Unfall vom 19. Januar 2004 habe zu einer als Teil des typischen
Beschwerdebildes nach Schleudertraumen und äquivalenten Verletzungen der HWS
zu verstehenden psychischen Problematik geführt, was gegebenenfalls die
Anwendung der Schleudertrauma-Praxis zu begründen vermocht hätte. Vielmehr
liegt eine Verschlimmerung der in den diagnostischen Grundlagen gleich
gebliebenen psychischen Problematik vor. Die Anwendung der Regeln gemäss BGE
115 V 133 ist dadurch nicht in Frage gestellt (vgl. RKUV 2000 Nr. U 397
S. 327, U 273/99, E. 2c und 2d). Darin liegt entgegen der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch keine Ungleichbehandlung der Versicherten
mit vorbestandenen psychischen Leiden. Für die letztinstanzlich erneut
beantragten psychiatrischen oder polydisziplinären medizinischen Abklärungen
besteht mangels davon zu erwartender neuer Erkenntnisse kein Anlass. Es kann
im Übrigen auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.

4.3 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare)
Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 115 V 133 E. 6 Ingress S. 139). Das kantonale
Gericht hat die Kollision vom 19. Januar 2004 als mittelschwer an der Grenze
zu den leichten Unfällen eingeordnet. Diese Beurteilung ist aufgrund des
augenfälligen Geschehensablaufs richtig und auch nicht umstritten.
Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche
als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 115
V 133 E. 6c/aa S. 140), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise
oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE
115 V 133 E. 6c/bb S. 140). Dies trifft, wie das kantonale Gericht
einlässlich erwogen hat und nicht bestritten wird, nicht zu. Der angefochtene
Entscheid ist somit in allen Teilen rechtens.

5.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 3. Juli 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: