Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 412/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


{T 7}
U 412/06

Urteil vom 26. Januar 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Jancar.

1. P.________ GmbH,
2. Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesell-  schaft, Bundesgasse
35, 3011 Bern,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher Urs Pfister,
Speichergasse 5, 3011 Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern 6002 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Eidgenössischen
Rekurskommission für die Unfallversicherung vom 13. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die Firma P.________ GmbH (nachfolgend Firma), hat ihr Personal bei der
Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft (nachfolgend Mobiliar)
gegen Berufs- und Nichtberufsunfälle versichert. Gegen den
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom
15. April 2005 betreffend Unterstellung unter die SUVA erhoben die Firma und
die Mobiliar separate Beschwerden bei der Eidgenössischen Rekurskommission
für die Unfallversicherung (nachfolgend Rekurskommission, seit 1. Januar
2007: Bundesverwaltungsgericht). Sie beantragten die Aufhebung des
Einspracheentscheides. In formeller Hinsicht verlangten sie, die Beschwerde
sei als Sprungrekurs an das Eidgenössische Versicherungsgericht
weiterzuleiten; für den Fall der Weiterleitung sei der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zu erteilen. Mit Schreiben vom 31. Mai 2005
übermittelte die Rekurskommission die Beschwerden dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht, damit es über seine Zuständigkeit im Rahmen eines
Sprungrekurses befinde; sie sei der Ansicht, die Voraussetzungen für einen
Sprungrekurs seien nicht erfüllt.

Mit Urteilen vom 22. Juni 2005 trat das Eidgenössische Versicherungsgericht
auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerden nicht ein und überwies die Akten im
Sinne der Erwägungen der Rekurskommission. Es erwog, die Voraussetzungen für
einen Sprungrekurs seien nicht gegeben, da es an einer konkreten Weisung der
Rekurskommission an die SUVA, wie sie im vorliegenden Fall verfügen solle,
mangle.

B.
Mit Entscheid vom 13. Juli 2006 vereinigte die Rekurskommission die beiden
Verfahren und wies die Beschwerden - diejenige der Mobiliar, soweit sie
darauf eintrat - ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen die Firma und die Mobiliar die
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. Ferner stellen Sie den Antrag,
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
erklärt sich mit der Gewährung der aufschiebenden Wirkung einverstanden. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Verfügung vom 14. November 2006 wurde der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
die aufschiebende Wirkung erteilt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2).

2.
Die Beschwerdeführerinnen, deren Beschwerden vor Vorinstanz abgewiesen worden
sind, sind beschwerdelegitimiert (Art. 103 lit. a OG). Die Frage, ob die
Mobiliar vor Vorinstanz beschwerdelegitimiert war, und welche die Vorinstanz
offen gelassen hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen zur Unterstellung von Betrieben unter
die SUVA (Art. 66 Abs. 1 lit. e [Betriebe, die Metall, Holz, Kork,
Kunststoffe, Stein oder Glas maschinell berarbeiten sowie Giessereien] und
Abs. 2 lit. a-c UVG; Art. 88 UVV; vgl. auch Art. 58 UVG) sowie die Judikatur
zu den Begriffen der gegliederten und ungegliederten Betriebe richtig
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3.2 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der
Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach
seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zu
Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im
Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn
triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der
Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (BGE 131 II 31 Erw. 7.1, 131
III 35 Erw. 2, 131 V 93 Erw. 4.1, 128 Erw. 5.1, 130 V 232 Erw. 2.2, 295 Erw.
5.3.1, 428 Erw. 3.2, 475 Erw. 6.5.1, 484 Erw. 5.2, 129 V 284 Erw. 4.2, je mit
Hinweisen; Urteil S. vom 13. Juni 2006 Erw. 4.1, U 41/05).

4.
4.1 Bei der Beschwerdeführerin 1 handelt es sich um ein Optikergeschäft und
daher um einen ungegliederten Betrieb gemäss Art. 66 Abs. 1 UVG und der hiezu
ergangenen Rechtsprechung (BGE 113 V 333 Erw. 5b, 348 Erw. 3b; RKUV 2005 Nr.
U 534 S. 47 f. Erw. 5.1, 2004 Nr. U 498 S. 162 Erw. 4.2). In diesem Betrieb
werden Sehhilfen und optische Geräte verkauft sowie Brillengläser maschinell
bearbeitet. Die Unternehmung beschränkt sich auf einen einzigen
zusammenhängenden Tätigkeitsbereich und weist einen einheitlichen
Betriebscharakter auf. Insbesondere gehört die Verwendung von
Schleifmaschinen für das Zuschleifen von Brillengläsern und Einfassungen zum
üblichen Tätigkeitsbereich eines Optikergeschäftes. Diese Tätigkeit hebt sich
gerade nicht eindeutig von den üblichen Arbeiten, welche in einem
Optikergeschäft anfallen, ab.

Unter diesen Umständen fällt der Betrieb der Beschwerdeführerin 1 unter
Art. 66 Abs. 1 lit. e UVG. Ihre Arbeitnehmer sind daher obligatorisch bei der
SUVA versichert.

4.2 Die Beschwerdeführerinnen verlangen eine Änderung der Rechtsprechung
dahingehend, dass bei der Unterstellung nicht gegliederter Betriebe, d.h. bei
der Feststellung ihrer Branchenzugehörigkeit, zumindest mit Bezug auf Art. 66
Abs. 1 lit. e UVG dem Ausmass der unterstellungsrechtlich relevanten
Tätigkeiten Rechnung zu tragen sei. Massgeblich sei und bleibe der
Schwerpunkt der in einem Betrieb ausgeführten Tätigkeiten.

Von einer solchen Praxisänderung (zu deren allgemeinen Voraussetzungen vgl.
BGE 131 V 110 Erw. 3.1, 127 II 292 f. Erw. 3a, 126 I 129 Erw. 5, 125 II 162
f. Erw. 4c/aa, je mit Hinweisen) ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen in
RKUV 2004 Nr. U 498 S. 159 ff. (Urteil V. vom 16. Juli 2003, U 3/02)
abzusehen. In diesem Urteil wurde Folgendes erwogen (vgl. S. 163 f. Erw.
6.1): "Wie die Vorinstanz zu Recht festgehalten hat, kommt es nur für die
Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Tätigkeit für eine Betriebsart
allgemein branchenüblich ist und somit, ob überhaupt ein ungegliederter
Betrieb vorliegt, auf den überwiegenden Betriebscharakter des konkreten
Unternehmens an. Steht indessen einmal fest, dass ein ungegliederter Betrieb
gegeben ist, erfolgt die Unterstellung direkt aufgrund des einheitlichen oder
vorwiegenden Betriebscharakters, während bei einem gegliederten Betrieb
vorerst zu prüfen ist, ob die Betriebsteile zueinander im Verhältnis von
Haupt- und Hilfs- bzw. Nebenbetrieben stehen oder ob eine Mehrzahl von
Betriebseinheiten ohne sachlichen Zusammenhang untereinander vorliegt (BGE
113 V 336 Erw. 7a). Bei ungegliederten Betrieben spielt das Ausmass einzelner
für die Unterstellung nach Art. 66 UVG ausschlaggebender Tätigkeiten keine
Rolle, weil die verschiedenen Arbeitsgattungen in diesem Fall
begriffsnotwendig (vgl. BGE 113 V 333 Erw. 5b) nicht in verschiedenen
Betriebseinheiten - im Sinne von Hilfs- und Nebenbetrieben oder einer
Mehrzahl von Betriebseinheiten im Rahmen eines gemischten Betriebes -
getätigt werden, sondern eben im Rahmen der allgemeinen Betriebsorganisation
im Sinne eines einzigen, zusammenhängenden Tätigkeitsbereichs. Als für die
Vollendung des angebotenen Produktes unerlässliche und damit branchenübliche
Vorkehren bilden diese Bestandteil der typischen Betriebstätigkeit und werden
vom Begriff des Betriebscharakters mit erfasst (RKUV 1999 Nr. U 338 S. 287
Erw. 4; nicht veröffentlichtes Urteil M. vom 6. November 1998, U 44/97).
Massgebend für die Erfüllung des Unterstellungskriteriums ist bei einem
solchen Betrieb daher nur, dass dieser eine Tätigkeit im Sinne des Art. 66
Abs. 1 UVG ausübt, nicht jedoch, dass diese Tätigkeit den überwiegenden
Anteil an der Gesamttätigkeit ausmacht (RKUV 1987 Nr. U 16 S. 243 Erw. 4c;
nicht veröffentlichtes Urteil C. vom 29. Juli 1987, U 88/86)."

Die geltende Praxis, welche durch zahlreiche Urteile bestätigt worden ist,
widerspricht weder Wortlaut noch Sinn und Zweck von Art. 66 UVG.
Entscheidende Gründe für eine Auslegung dieser Norm im Sinne der
Beschwerdeführerinnen liegen nicht vor.

5.
Es wäre durchaus vorstellbar, Unternehmungen nur dann obligatorisch der SUVA
zu unterstellen, wenn die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer speziellen
Gefahren gemäss der Umschreibung von Art. 66 Abs. 1 UVG ausgesetzt wäre. Dies
sieht indessen die genannte Bestimmung gerade nicht vor. Es läge daher am
Gesetzgeber, eine derartige Änderung herbeizuführen.

6.
Sämtliche Einwendungen der Beschwerdeführerinnen vermögen zu keinem anderen
Ergebnis zu führen.

Irrelevant ist nach dem Gesagten insbesondere das Argument, die
Beschwerdeführerin 1 bearbeite zur Zeit nur in geringem Umfang Brillengläser
maschinell.

Offen gelassen werden kann die Frage, ob die SUVA-Unterstellung nach Art. 66
Abs. 1 lit. e UVG gegen die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV; BGE 131 I 339
Erw. 4 mit Hinweisen) verstösst. Denn das Massgeblichkeitsgebot (Art. 191 BV)
schliesst eine richterliche Gesetzeskorrektur bei festgestellter
Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes aus und verpflichtet das Gericht,
die betreffende bundesrechtliche Norm trotz Verstosses gegen übergeordnetes
Verfassungsrecht anzuwenden (vgl. BGE 126 V 156 Erw. 5b, 125 V 249 Erw. 3,
492 Erw. 4c/dd am Ende mit Hinweisen; Urteil B. vom 7. Juni 2006 Erw. 6.4, U
129/05).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6000.- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
mit Fr. 3000.- auferlegt. Sie werden mit den geleisteten Kostenvorschüssen
verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem
Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 26. Januar 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: