Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 406/2006
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U 406/06

Urteil vom 22. Oktober 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Holzer.

B. ________, 1980,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, 9410 Heiden,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1980 geborene B.________ war in der Grafiker-Lehre über ihre
Arbeitgeberin, der Firma X.________, bei der Elvia Schweizerische
Versicherungs-Gesellschaft (nachstehend: Elvia; ab 3. Januar 2002 firmierend
als Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, nachstehend: Allianz) gegen
die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 26. September 2001 mit ihrem
Auto von der Strasse Z.________ in V.________ zum Geschäft Y.________
abbiegen wollte. Ein nachfolgendes Auto bremste nicht rechtzeitig und stiess
mit dem Heck des Fahrzeuges der Versicherten zusammen. Diese begab sich am
28. September 2001 in ärztliche Behandlung zu Dr. med. H.________ und
beklagte sich über Nackenschmerzen und Schwindel. Der Arzt diagnostizierte
eine HWS-Distorsion, worauf die Versicherte das Ereignis mit dem Formular
"Bagatellunfall-Meldung UVG" vom 8. November 2001 der Elvia meldete. Diese
erbrachte daraufhin die gesetzlichen Leistungen. Trotz des Ereignisses vom
26. September 2001 blieb die Versicherte zunächst voll arbeits- und
leistungsfähig. Ab 16. Dezember 2002 attestierte ihr der sie seit September
2002 behandelnde Neurologe Dr. med. M.________ eine Arbeitsunfähigkeit von
50 %. Die Allianz zahlte zunächst ein Taggeld aus, stellte diese Leistung
indessen per 4. März 2003 formlos ein. Am 15. Juli 2003 einigten sich die
Versicherte und die Allianz telefonisch darauf, dass die Taggeldzahlungen
wieder aufgenommen würden, dies jedoch ohne Präjudiz erfolge, da der Fall
noch in Bearbeitung sei und das Taggeld daher eventuell später
zurückgefordert werden müsse. Nach einem stationären Aufenthalt der
Versicherten in der Klinik F.________ vom 21. Oktober bis 2. Dezember 2003
stellte die Allianz mit Schreiben vom 4. Juni 2004 sämtliche Leistungen
rückwirkend per 2. Dezember 2003 ein, da der Status quo sine zu diesem
Zeitpunkt erreicht worden sei. An dieser rückwirkenden Leistungseinstellung
hielt die Allianz mit Verfügung vom 4. November 2004 fest und forderte die
über den 2. Dezember 2003 hinaus erbrachten Leistungen zurück. Die Allianz
bestätigte diese Verfügung mit Einspracheentscheid vom 1. Juni 2005.

B.
Die von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 6. Juli 2006
ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________, die Allianz sei unter
Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu
verpflichten, für die Folgen des Unfalles vom 26. September 2001 über den 2.
Dezember 2003 hinaus weiterhin die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.

Während die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

D.
In ihren weiteren Stellungnahmen vom 8. Dezember 2006 und 4. Januar 2007
halten die Parteien an ihren jeweiligen Standpunkten fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden
das Eidgenössische Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu
einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt
(Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz
75) und es wurde die Organisation und das Verfahren des obersten Gerichts
umfassend neu geregelt. Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten
eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein
Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid
nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da
der kantonale Gerichtsentscheid am 6. Juli 2006 und somit vor dem 1. Januar
2007 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember
2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S.
395).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf
Leistungen der Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1 UVG) ebenso
zutreffend dargelegt wie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang
zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität,
Tod; BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen), zur vorausgesetzten Adäquanz
des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181 mit
Hinweisen), bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133 ff.) und Folgen eines
Unfalles nach Schleudertrauma der HWS (BGE 117 V 359 ff.) ohne organisch
nachweisbare Funktionsausfälle im Besonderen. Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass bei einem leichten Unfall die Prüfung der Adäquanz
ausnahmsweise dann nach den von der Rechtsprechung zu den mittelschweren
Unfällen entwickelten Kriterien zu erfolgen hat, wenn sich aus dem als leicht
zu qualifizierenden Unfall unmittelbare Folgen (z. B. Komplikationen durch
die besondere Art der erlittenen Verletzung, verzögerter Heilverlauf,
langdauernde Arbeitunfähigkeit) ergeben haben, welche die weitere
Fehlentwicklung nicht mehr als offensichtlich unfallunabhängig erscheinen
lassen (RKUV 1998 Nr. U 297 S. 243 E. 3b S. 244 [U 16/97]).

3.
Streitig und zu prüfen ist zunächst, ob die Beschwerdeführerin über den von
der Vorinstanz bestätigten Fallabschluss per 2. Dezember 2003 hinaus an einem
Gesundheitsschaden leidet, welcher in einem anspruchsbegründenden natürlichen
und adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 26. September 2001 steht.

3.1 Dem Bericht der Klinik F.________ vom 14. Januar 2004 ist zu entnehmen,
dass sich der Gesundheitszustand der Versicherten zum 2. Dezember 2003
stabilisiert hat. Diese Feststellung steht auch im Einklang mit den übrigen
medizinischen Akten. Insbesondere ist zu beachten, dass auch der Neurologe
Dr. med. R.________ in dem von der Beschwerdeführerin mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ins Recht gelegten Bericht vom 23. August 2006
davon ausgeht, bei der Versicherten sei der Endzustand erreicht bzw. eine
wesentliche Besserung nicht mehr zu erwarten. Dieser Arzt, welcher die
Beschwerdeführerin lediglich im März 2002 und im August 2006 untersuchte,
äusserte sich jedoch nicht zum Zeitpunkt des Erreichens des Endzustandes.
Somit ist auf die Ansicht der behandelnden Ärzte der Klinik abzustellen,
welche die Versicherte aufforderten, sich für die Zeit nach dem
Klinikaufenthalt ab dem 2. Dezember 2003 eine 100%ige Arbeitsstelle als
Grafikerin oder in einem verwandten Bereich zu suchen. Gemäss den Angaben von
Dr. med. M.________ vom 30. Januar 2004 meldete sich die Beschwerdeführerin
in der Folge auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle als Grafikerin beim
zuständigen regionalen Arbeitsvermittlungszentrum an.

3.2 Die Vorinstanz hat das Ereignis vom 26. September 2001 zu Recht als
leichten Unfall qualifiziert (vgl. dazu RKUV 2003 Nr. U 489 S. 357 E. 4.2 S.
360 [U 193/01] mit weiteren Hinweisen; Urteil U 206/06 vom 17. Juli 2006, E.
2.1). Die Beteiligten zogen die Polizei nicht an den Unfallort bei. Die
Versicherte hat im Beisein ihres Rechtsvertreters gegenüber der
Schadeninspektorin der Allianz bestätigt, dass die beiden beteiligten
Fahrzeuge keine Beschädigungen aufwiesen. Laut der durch die
Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin in Auftrag gegebenen
Unfallanalyse betrug die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung
(Delta-v) am Auto der Beschwerdeführerin zwischen etwas mehr als null und
maximal rund neun Kilometer pro Stunde. Zudem sind unmittelbar nach dem
Unfall nur geringe Beeinträchtigungen aufgetreten (lediglich
Nackenbeschwerden und Schwindel ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit).
Schliesslich bleibt anzumerken, dass die Versicherte ihren Hausarzt Dr. med.
H.________ am 28. September 2001 nicht in erster Linie wegen des
Auffahrunfalls, sondern wegen eines anderen gesundheitlichen Problems
aufgesucht hat.

3.3 Gemäss der in Erwägung 2 erwähnten Rechtsprechung ist der
Kausalzusammenhang zwischen einem leichten Unfall und organisch nicht
nachweisbaren Gesundheitsstörungen, welche zum typischen Beschwerdebild eines
HWS-Traumas gehören, regelmässig zu verneinen. Anders wäre lediglich zu
entscheiden, wenn der Unfall unmittelbare Folgen von einer gewissen Schwere
verursacht hätte. Solche sind vorliegend nicht ersichtlich. Es ist
insbesondere festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin erstmals ab dem
16. Dezember 2002 - mithin mehr als ein Jahr nach dem Unfall - eine
Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Tritt eine solche erst mehr als zwölf
Monate nach dem Unfallereignis auf, so kann sie nicht mehr als unmittelbare
Folge des Ereignisses betrachtet werden. Es braucht daher vorliegend nicht
geprüft zu werden, ob das Erfordernis der langen Dauer der Arbeitsunfähigkeit
erfüllt wäre.

3.4 Soweit die Versicherte nach dem 2. Dezember 2003 noch an gesundheitlichen
Beschwerden litt, waren diese nicht adäquat kausal durch das Ereignis vom 26.
September 2001 verursacht. Somit entfällt eine Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin, wobei offen bleiben kann, inwieweit zwischen dem Ereignis
und den Beschwerden ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht (vgl. SVR 1995
UV Nr. 23 E. 3c [U 183/93]).

3.5 Damit ist nicht zu beanstanden, dass die Allianz mit Verfügung vom 4.
November 2004 ihre Leistungen rückwirkend per 2. Dezember 2003 eingestellt
hat (vgl. auch BGE 133 V 57).

4.
4.1 Die Allianz hat in ihrer Verfügung weiter im Grundsatz festgehalten, dass
die über den 2. Dezember 2003 erbrachten Leistungen zurückgefordert würden.
Gemäss Rechtsprechung steht einer Rückforderung von Leistungen, welche über
ein rückwirkend festgelegtes Einstellungsdatum hinaus geleistet wurden, unter
Umständen der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes entgegen (BGE 133 V 57 E.
6.8, S. 65). Vorliegend hat die Allianz ihre Leistungen unzulässigerweise
(BGE 132 V 412 E. 4 S. 417) formlos per 4. März 2003 eingestellt. Aufgrund
eines Telefonates mit der Versicherten am 15. Juli 2003 hat sie jedoch ihre
Zahlungen wieder aufgenommen und in der Folge nicht länger am
Einstellungsdatum vom 4. März 2003 festgehalten. Die Beschwerdeführerin
musste daher bis zum Schreiben vom 4. Juni 2004, von welchem sie spätestens
am 21. Juni 2004 Kenntnis hatte, nicht damit rechnen, dass ihre Leistungen
rückwirkend per 2. Dezember 2003 eingestellt würden. Aus diesem Grund dürfen
vorliegend lediglich diejenigen Leistungen zurückgefordert werden, die über
den 21. Juni 2004 hinaus erbracht wurden.

4.2 Die Leistungseinstellung per 2. Dezember 2003 ist nicht zu beanstanden.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist jedoch insoweit gutzuheissen, als der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. Juli 2006
und der Einspracheentscheid der Allianz vom 1. Juni 2005 dahingehend
abgeändert werden, dass die Beschwerdegegnerin lediglich diejenigen
Leistungen zurückfordern kann, welche sie über den 21. Juni 2004 hinaus
erbracht hat.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Aufgrund ihres teilweisen
Obsiegens hat die Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht
Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 und 3 in
Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. Juli 2006 und der
Einspracheentscheid der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft vom
1. Juni 2005 werden insoweit abgeändert, als lediglich diejenigen Leistungen
zurückgefordert werden, die über den 21. Juni 2004 hinaus erbracht worden
sind. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. 500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 22. Oktober 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: