Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 398/2006
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Prozess {T 7}
U 398/06

Urteil vom 21. November 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Arnold

Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft, Place de Milan, 1007
Lausanne, Beschwerdeführerin,

gegen

1. S.________, 1959, vertreten durch Fürsprecher
Beat Gerber, Rötistrasse 22, 4500 Solothurn,
2. Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht,
Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf,
Beschwerdegegner

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 17. August 2006)

Sachverhalt:

A.
Mit - gleich lautenden - Verfügungen vom 25. und 30. November 2005, bestätigt
durch Einspracheentscheid vom 24. Januar 2006, lehnte die Vaudoise Allgemeine
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Vaudoise) gegenüber S.________, geb.
1959, ihre Leistungspflicht hinsichtlich der laut "Unfallmeldung UVG" (vom
21. Oktober 2005) während des Tennisspielens am 6. Oktober 2005 erlittenen
Achillessehnenruptur ab. Sie begründete ihren Standpunkt damit, es liege
weder ein Unfall noch eine unfallähnliche Körperschädigung vor.

B.
In Gutheissung der von S.________ und der Helsana Versicherungen AG (im
Folgenden: Helsana) dagegen eingereichten - mit prozessleitender Verfügung
vom 9. Mai 2006 vereinigten - Beschwerden bejahte das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn eine unfallähnliche Körperschädigung und wies die
Vaudoise an, vorbehältlich der übrigen Leistungsvoraussetzungen, die
gesetzlichen Leistungen für die am 6. Oktober 2005 erlittene
Achillessehnenruptur zu erbringen (Entscheid vom 17. August 2006).

C.
Die Vaudoise führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechts-begehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

S. ________ und die Helsana lassen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Die Vorinstanz äussert sich in
gleicher Weise, während sich das Bundesamt für Gesundheit, Kranken- und
Unfallversicherung, einer Stellungnahme enthält.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Streit dreht sich um die Frage, ob die Beschwerdeführerin für die Folgen
des Ereignisses vom 6. Oktober 2005 unter dem Rechtstitel einer
unfallähnlichen Körperschädigung leistungspflichtig ist. Das kantonale
Gericht hat die hiefür einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen über den
Begriff der Körperschädigungen, die auch ohne ungewöhnliche äussere
Einwirkung Unfällen gleichgestellt sind (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 2 UVV [in der seit 1. Januar 1998 gültigen Fassung]), ebenso
dargelegt wie die in BGE 129 V 466 mit Hinweisen bestätigte und präzisierte
Rechtsprechung, wonach am Erfordernis des äusseren Faktors gemäss BGE 123 V
43 und RKUV 2001 Nr. U 435 S. 332 festzuhalten ist. Darauf wird verwiesen.

2.
Nach dieser Rechtsprechung ist tatbestandsmässig ein ausserhalb des Körpers
liegender, objektiv feststellbarer, sinnfälliger, eben unfallähnlicher
Vorfall erforderlich. Wo ein solches Ereignis mit Einwirkung auf den Körper
nicht stattgefunden hat, und sei es auch nur als Auslöser eines in Art. 9
Abs. 2 lit. a-h UVV aufgezählten Gesundheitsschadens, ist eine eindeutig
krankheits- oder degenerativ bedingte Gesundheitsschädigung gegeben. Kein
unfallähnliches Ereignis liegt in all jenen Fällen vor, in denen der äussere
Faktor mit dem (erstmaligen) Auftreten der für eine der in Art. 9 Abs. 2
lit. a-h UVV enthaltenen Gesundheitsschäden typischen Schmerzen gleichgesetzt
wird. Auch nicht erfüllt ist das Erfordernis des äusseren schädigenden
Faktors, wenn das (erstmalige) Auftreten von Schmerzen mit einer blossen
Lebensverrichtung einhergeht, welche die versicherte Person zu beschreiben in
der Lage ist; denn für die Bejahung eines äusseren, auf den menschlichen
Körper schädigend einwirkenden Faktors ist stets ein Geschehen verlangt, dem
ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Das ist zu bejahen,
wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im Rahmen einer
allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies etwa für viele
sportliche Betätigungen zutreffen kann. Wer hingegen beim Aufstehen,
Absitzen, Abliegen, der Bewegung im Raum, Handreichungen usw. einen
einschiessenden Schmerz erleidet, welcher sich als Symptom einer Schädigung
nach Art. 9 Abs. 2 UVV herausstellt, kann sich nicht auf das Vorliegen einer
unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Erfüllt ist demgegenüber das
Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors bei Änderungen der Körperlage,
die nach unfallmedizinischer Erfahrung häufig zu körpereigenen Traumen führen
können, wie das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die heftige und/oder
belastende Bewegung und die durch äussere Einflüsse unkontrollierbare
Änderung der Körperlage (BGE 129 V 467 ff. Erw. 2.2 und 4.2). Erforderlich
und hinreichend für die Bejahung eines äusseren Faktors ist, dass diesem ein
gesteigertes Schädigungspotenzial zukommt, sei es zufolge einer allgemein
gesteigerten Gefahrenlage, sei es durch Hinzutreten eines zur
Unkontrollierbarkeit der Vornahme der alltäglichen Lebensverrichtung
führenden Faktors (BGE 129 V 471 Erw. 4.3). Der Auslösungsfaktor kann dabei
alltäglich und diskret sein. Es muss sich indessen um ein plötzliches
Ereignis handeln, wie eine heftige Bewegung oder das plötzliche Aufstehen aus
der Hocke. Dabei kommt es beim Begriffsmerkmal der Plötzlichkeit im Rahmen
der unfallähnlichen Körperschädigungen nicht in erster Linie auf die Dauer
der schädigenden Einwirkung an als vielmehr auf deren Einmaligkeit. Keine
unfallähnliche Körperschädigung liegt demgemäss vor, wenn eine Verletzung im
Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a-h UVV ausschliesslich auf wiederholte, im
täglichen Leben laufend auftretende Mikrotraumata zurückzuführen ist, welche
eine allmähliche Abnützung bewirken und schliesslich zu einem
behandlungsbedürftigen Gesundheitsschaden führen (Urteil A. vom 27. Oktober
2005, U 223/05, Erw. 4.2 mit Hinweisen auf BGE 116 V 148 Erw. 2c und Alfred
Bühler, Die unfallähnliche Körperschädigung, in: SZS 1996 S. 88).

3.
3.1 Laut "Unfallmeldung UVG" (vom 21. Oktober 2005) trat die
Achillessehnenruptur beim Tennisspielen auf. Im "Fragebogen Unfallbegriff"
der Vaudoise vom 4. November 2005 verneinte der Versicherte die Frage, ob die
Verletzung auf etwas Ausserordentliches, wie einen Schlag, einen Sturz, ein
Ausrutschen etc., zurückzuführen sei. Er spiele seit Jahren Tennis und habe
im Anschluss an den Service einen einschiessenden Schmerz verspürt. In der
Einsprache führte der Versicherte aus, er habe nach dem Service versucht, ans
Netz zu eilen und dabei einen akuten Schlag in der Ferse verspürt.
Letztinstanzlich steht ausser Frage, dass der Versicherte dabei keine
unkoordinierte Bewegung in dem Sinne machte, dass sein Bewegungsablauf durch
etwas Programmwidriges oder Sinnfälliges, wie ein Ausgleiten, ein Stolpern
oder ein reflexartiges Abwehren eines Sturzes etc., gestört wurde, was zur
Bejahung des für das Vorliegen eines Unfalles im Rechtssinne erforderlichen
Merkmals eines ungewöhnlichen äusseren Faktors führen würde.

3.2
3.2.1 Beim "Serve-and-Volley-Spiel" rückt der Spieler unmittelbar im Anschluss
an den Aufschlag ("Service") ans Netz vor, um den Rückschlag ("Return") des
Gegners aus möglichst kurzer Distanz und ohne dass der Ball im eigenen Feld
aufspringt, mit einem Flugball ("Volley") wieder im Feld des Partners zu
platzieren und damit möglichst rasch den Ballwechsel für sich zu entscheiden.
Der eben beschriebenen, gleichermassen offensiven wie sportlichen Spielweise
wohnt ein gesteigertes Gefährdungspotenzial inne, indem eine Vielzahl von
nicht alltäglichen Bewegungen (wie Springen, Strecken, Drehen, Abknicken,
Rennen etc.), die den gesamten Körper, namentlich die Ferse, in mannigfacher
Weise belasten, in möglichst rascher und kraftvoller Weise ausgeführt werden.
Dieses Gefahrenpotenzial realisierte sich hier, indem - darin stimmen die am
Verfahren Beteiligten überein - beim die Ferse besonders belastenden,
fliessenden Übergang von der Aufschlag- hin zur Spurtbewegung eine Ruptur der
Achillessehne eintrat. Das durch die Judikatur näher umschriebene Erfordernis
des äusseren schädigenden Faktors bei Änderungen der Körperlage (Erw. 2
hievor) ist damit erfüllt und insgesamt auf ein unfallähnliches Ereignis zu
erkennen. Am Ergebnis änderte sich auch nichts, wenn der Beurteilung ein
wörtliches Verständnis der Unfallschilderung durch den Beschwerdegegner
unterlegt würde, wonach er "beim Startversuch um ans Netz zu eilen", den
Schlag verspürt habe. So besehen handelt es sich, wie die Beschwerdeführerin
insoweit mit Recht vorbringt, nicht um eine Kombination von Springen,
Strecken, Drehen, Abknicken, Rennen, sondern einzig um den Versuch, vom Stand
in die Laufbewegung überzugehen, also um das, was passiert, wenn jemand (auch
ausserhalb eines Serve-and-Volley-Spiels) plötzlich losrennt (Start zu einem
Laufwettkampf; Losrennen, um den Zug noch zu erreichen oder um jemandem zu
Hilfe zu kommen). Das alles genügt bereits für eine unfallähnliche
Körperschädigung.

3.2.2 Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, dringt nicht durch.
Gemäss dem Urteil B. vom 21. Dezember 2005, U 368/05, ist die
Unfallversicherung - vorbehältlich des noch ausstehenden rechtsgenüglichen
Beweises eines Meniskusrisses nach Art. 9 Abs. 2 lit. c UVV -
leistungspflichtig, wenn die Verletzung beim Tennisspiel als Folge einer
gleichermassen heftigen wie belastenden Bewegung (Rückschlag mit
vorangehendem Spurt und Ausfallschritt samt "Rutschen" hin zum Ball)
auftritt. Daraus kann, entgegen der offenbaren Auffassung der
Beschwerdeführerin, nicht geschlossen werden, dass das Vorliegen einer
unfallähnlichen Körperschädigung im Zusammenhang mit dem Tennisspiel zwingend
eine so genannte "Rutschbewegung" zum Ball hin oder gar einen eigentlichen
Fehltritt voraussetzen würde. Die zu Verletzungen führenden Geschehensabläufe
sind unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse gesondert daraufhin zu
beurteilen, ob sie das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors bei
Änderungen der Körperlage erfüllen. Bei einem eigentlichen Fehltritt im Sinne
eines Abknicken des Knöchels wäre schliesslich, da dies einer
Programmwidrigkeit gleichkäme, von einem Unfall im Rechtssinne auszugehen.

4.
Dem Prozessausgang entsprechend hat der Versicherte Anspruch auf Ersatz der
durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten (Art. 159 Abs. 1 und 2
in Verbindung mit Art. 135 OG). Der ebenfalls obsiegenden Helsana steht keine
Parteientschädigung zu, weil sie als Krankenversicherer eine
öffentlich-rechtliche Aufgabe im Sinne von Art. 159 Abs. 2 OG wahrnimmt und
die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zusprechung einer Entschädigung
nicht erfüllt sind (BGE 123 V 309 Erw. 10, 119 V 456 Erw. 6b).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Die Beschwerdeführerin hat S.________ für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Der Helsana Versicherungen AG wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 21. November 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: