Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 365/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


{T 7}
U 365/06

Urteil vom 26. Januar 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Ferrari und Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

M.________, 1951,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt
Daniel Altermatt, Neuarlesheimerstrasse 15,
4143 Dornach,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn vom

5. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1951 geborene M.________ arbeitete ab 13. März 1984 als Maurer in der
Firma Y.________ AG, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
unterstellten Betrieb. Am 8. Juli 2003 verletzte er sich bei der Arbeit auf
einer Baustelle an der rechten Schulter. Am 15. September 2003 wurde ein
Arthro-MRI und am 8. Dezember 2003 eine Arthroskopie mit offener
Supraspinatussehnennaht der Schulter rechts durchgeführt. Die medizinische
Behand-lung umfasste zudem Infiltrationen sowie Physiotherapie. Am 3. Mai und
27. November 2004 wurde der Versicherte kreisärztlich untersucht. Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Schliesslich
sprach sie mit Verfügung vom 22. Februar 2005 M.________ ab 1. März 2005 eine
Invalidenrente von monatlich Fr. 1155.- (Erwerbsunfähigkeit: 24 %) sowie eine
Integritätsentschädigung von Fr. 10'680.- (Integritätseinbusse: 10 %) zu. Mit
Einspracheentscheid vom 5. August 2005 bestätigte der Unfallversicherer die
verfügten Leistungen.

B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des M.________ verpflichtete das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die SUVA zur Ausrichtung einer
Invalidenrente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 26 %. Im
Übrigen wies es das Rechtsmittel ab (Entscheid vom 5. Juli 2006).

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren,
der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei ihm mit Wirkung ab
1. März 2005 eine UVG-Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von
65 % zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die SUVA zur Vornahme
weiterer medizinischer Abklärungen zurückzuweisen.
Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110])
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Umfang des Anspruchs auf eine Invalidenrente
der Unfallversicherung bei einem unbestrittenen Leistungsbeginn am 1. März
2005. In Bezug auf die Integritätsentschädigung ist der kantonale Entscheid
nicht angefochten und somit in formelle Rechtskraft erwachsen (vgl. BGE 125 V
414 und RKUV 1999 Nr. U 323 S. 98).

3.
Das kantonale Gericht hat zur Ermittlung des Invaliditätsgrades einen
Einkommensvergleich durchgeführt (vgl. Art. 16 ATSG und alt Art. 18 Abs. 2
UVG sowie BGE 128 V 30 Erw. 1 und BGE 130 V 343). Das Valideneinkommen hat es
auf Fr. 71'110.- (13 x Fr. 5470.-), das Invalideneinkommen auf der Grundlage
der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2002 des Bundesamtes für Statistik
(LSE 02; vgl. dazu BGE 126 V 77 Erw. 3b/bb, 124 V 321) auf Fr. 52'361.-
festgesetzt. Dies ergab einen Invaliditätsgrad von 26 % (zum Runden BGE 130 V
121). Für die Festlegung der trotz der gesundheitlichen Folgen des Unfalles
vom 8. Juli 2003 zumutbaren Arbeitsfähigkeit im Besonderen hat die Vorinstanz
auf die Beurteilung im kreisärztlichen Bericht vom 22. November 2004
abgestellt.

In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in erster Linie die Schlüssigkeit
der kreisärztlichen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit bestritten. Weiter wird
vorgebracht, das kantonale Gericht bejahe ohne jegliche Begründung die
Zumutbarkeit eines Stellenwechsels. Ein solcher falle jedoch u.a. in
Anbetracht des Alters des Beschwerdeführers, der verbleibenden Arbeitsdauer
im angestammten Bereich als Maurer von fünf Jahren bis zur
(Früh-)Pensionierung und der beruflichen Karriere ausser Betracht. Vielmehr
sei der Invaliditätsgrad bezogen auf die konkrete beruflich-erwerbliche
Situation zu ermitteln, insbesondere das Invalideneinkommen dem tatsächlich
erzielten Verdienst gleichzusetzen. Daraus ergebe sich eine
Erwerbsunfähigkeit von 65 % ([Fr. 71'110.- - Fr. 24'852.-]/Fr. 71'110.- x
100 %). Jedenfalls aber betrage der Invaliditätsgrad mindestens 44 %.

4.
4.1 Nach der Rechtsprechung ist es dem Sozialversicherungsgericht nicht
verwehrt, gestützt auf im Wesentlichen oder ausschliesslich aus von dem am
Recht stehenden Versicherungsträger intern eingeholten medizinischen
Unterlagen zu entscheiden. In solchen Fällen sind an die Beweiswürdigung
jedoch strenge Anforderungen zu stellen in dem Sinne, dass bei auch nur
geringen Zweifeln an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der ärztlichen
Feststellungen ergänzende Abklärungen vorzunehmen sind (BGE 122 V 162 Erw.
1d; RKUV 1999 Nr. U 332 S. 194 Erw. 2a/bb, 1997 Nr. U 281 S. 282 Erw. 1a;
vgl. auch BGE 125 V 353 f. Erw. 3b/ee). Allerdings genügt die Tatsache
allein, dass eine abweichende (fach-)ärztliche Meinung besteht, nicht, um im
dargelegten Sinne die Aussagekraft und damit den Beweiswert eines
medizinischen Berichts in Frage zu stellen (Urteil M. vom 17. März 2006
[U 332/05] Erw. 2.1 mit Hinweis).

4.1.1 In seiner versicherungsmedizinischen Beurteilung vom 22. November 2004
hielt Kreisarzt Dr. med. S.________ fest: «Der Versicherte ist im
angestammten Betrieb soweit wieder eingegliedert, eine weitere Steigerung der
Arbeitsleistung ist hier nicht mehr zu erwarten. Alternativ wären leichte
wechselbelastende Tätigkeiten unterhalb der Horizontalen zumutbar. Nicht mehr
zumutbar sind Überkopfarbeiten sowie Tätigkeiten in Zwangshaltung des
Oberkörpers. Repetitive monotone Bewegungen mit dem rechten Arm sowie
Vibrations- und Schlagbelastungen für den rechten Arm sollten vermieden
werden. In Frage kämen hier Kontroll- und Überwachungsfunktionen, leichte
industrielle Produktions- oder Montagetätigkeiten auf Tischhöhe, hausinterne
Botengänge, Portierdienste, Tätigkeiten in einem Kleinteilersatzteillager
sowie administrative Tätigkeiten. Für die oben genannten Tätigkeiten wäre ein
ganztägiger Arbeitseinsatz zumutbar.»
4.1.2 Aufgrund der Untersuchung vom 3. Mai 2004 hatte Dr. med. S.________ eine
Arbeitsfähigkeit im angestammten Bereich als Maurer verneint und in seiner
internen Beurteilung vom 9. Juli 2004 leichte wechselbelastende Tätigkeiten
unterhalb der Horizontalen, mit Gewichtsbelastungen vereinzelt bis 10 kg,
nicht repetitiv mehr als 7,5 kg, ohne Arbeiten auf Leitern vorerst während
eines halben Tages als zumutbar bezeichnet. Dieser Einschätzung schloss sich
Dr. med. K.________, der für die Verlaufskontrolle verantwortliche Oberarzt
der Klinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des
Bewegungsapparates des Kantonsspitals X.________, an (Berichte vom 23. August
und 2. November 2004). Die aufgrund der kreisärztlichen Beurteilungen
deutlich verbesserte Arbeitsfähigkeit korreliert jedoch nicht genügend mit
den am 3. Mai und 22. November 2004 erhobenen Befunden, wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht vorgebracht wird, selbst wenn
berücksichtigt wird, dass sich die erste kreisärztliche Beurteilung auf den
Arbeitsplatz im Betrieb und die zweite allgemein auf eine
Verweisungstätigkeit bezog. Mit Bezug auf den Lokalstatus der Schulter rechts
und die Gelenksfunktion im Besonderen bestanden insofern Unterschiede, als
bei der Untersuchung im November das AC-Gelenk nicht mehr druckdolent war,
die Abduktion 120° und nicht bloss 105° betrug und der Nackengriff gut und
nicht nur knapp möglich war. Sodann wurde eine um 2 kp stärkere rohe Kraft
beim Faustschluss rechts von 31 kp gemessen. Dieser insoweit bessere Befund
vermag aber die gemäss Kreisarzt hinsichtlich Art und Umfang erfolgte
Steigerung der Arbeitsfähigkeit im Zeitraum Mai bis November 2004 nicht
hinreichend zu erklären, zumal sie praktisch eine Verdoppelung des
Leistungsvermögens bedeutet, die sich mit den zwischenzeitlich applizierten
Therapien (namentlich Infiltration vom 18. Mai 2004) nicht abschliessend
erklären lässt. Dies gilt umso mehr, als Überkopfarbeiten und Tätigkeiten in
Zwangshaltung des Oberkörpers sowie repetitive monotone Bewegungen mit dem
rechten Arm sowohl im angestammten Beruf als Maurer, als auch in jeder
anderen in Betracht fallenden Beschäftigung zu vermeiden sind.

Es bestehen somit erhebliche Zweifel an der kreisärztlichen Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit vom 22. November 2004, welche eine versicherungsexterne
medizinische Zumutbarkeitsbeurteilung notwendig machen.

4.2 Art und Umfang der trotz der Folgen des Unfalles vom 8. Juli 2003
zumutbaren Arbeitsfähigkeit sind auch von Bedeutung für die ebenfalls
streitige Frage des anwendbaren Verfahrens zur Ermittlung des
Invaliditätsgrades durch Einkommensvergleich. Nach der Rechtsprechung ist bei
Versicherten, welche auch nach Eintritt der (unfallbedingten)
gesundheitlichen Beeinträchtigung erwerbstätig sind, der tatsächlich erzielte
Verdienst dem Invalideneinkommen gleichzusetzen, wenn besonders stabile
Arbeitsverhältnisse gegeben sind, die verbliebene Arbeitsfähigkeit in
zumutbarer Weise voll ausgeschöpft wird und die Entlöhnung der Leistung
angemessen ist (BGE 129 V 475 Erw. 4.2.1, 126 V 76 Erw. 3b/aa mit Hinweisen).
Ob diese Bedingungen gegeben sind - der Beschwerdeführer arbeitete bei Erlass
des den Prüfungszeitraum begrenzenden Einspracheentscheides vom 5. August
2005 (BGE 131 V 354 Erw. 2) nach wie vor im Betrieb seines langjährigen
Arbeitgebers als Maurer halbtags mit reduzierter Leistung -, kann ohne
schlüssige Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht gesagt werden. Damit lässt
sich aber auch die vom kantonalen Gericht bejahte Frage nach der Zumutbarkeit
eines Stellenwechsels nicht abschliessend beantworten. Ob dem
Beschwerdeführer im Rahmen der Pflicht zur Selbsteingliederung (BGE 113 V 28
Erw. 4a; AHI 1997 S. 39 Erw. 4a; vgl. auch BGE 130 V 99 Erw. 3.2) die Aufgabe
der aktuellen und die Ausübung einer anderen erwerblichen Beschäftigung
zuzumuten ist, beurteilt sich im Übrigen nicht einzig nach der von der
Vorinstanz und auch der SUVA zumindest bezweifelten Stabilität und Qualität
des Arbeitsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt der Eingliederung im
Betrieb, den Aussichten im konkreten Beruf als Maurer sowie Art und Schwere
der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Vielmehr sind die gesamten objektiven
und subjektiven Umstände in Betracht zu ziehen, insbesondere auch Alter,
Ausbildung und berufliche Karriere sowie die noch zu erwartende Arbeitsdauer
(AHI 2001 S. 283 Erw. 5a/bb [I 11/00], 1997 S. 39 Erw. 4a). In Anschlag zu
bringen ist aber auch die familiäre Situation der versicherten Person (vgl.
ZAK 1983 S. 257 Erw. 1, 1968 S. 475 Erw. 4a). Bei der Beurteilung der
Zumutbarkeit eines Berufswechsels ist schliesslich zu berücksichtigen, ob
Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art, insbesondere eine Umschulung zu
Lasten der Invalidenversicherung in Betracht fallen (AHI 2001 S. 284 oben).
Im Rahmen der Pflicht zur Selbsteingliederung ist bei neuen Betätigungen
indessen nicht von realitätsfremden Einsatzmöglichkeiten auszugehen (ZAK 1991
S. 320 Erw. 3b, 1989 S. 321 Erw. 4a; Urteil Z. vom 6. Juni 2005 [I 499/04]
Erw. 3.2.2).

Über alle diese für die Ermittlung des Invaliditätsgrades erheblichen Aspekte
kann erst auf der Grundlage eines medizinischen Administrativgutachtens
zuverlässig entschieden werden. Damit sind die angeordneten Abklärungen auch
für die Zumutbarkeit eines Stellenwechsels von Bedeutung. In Betracht fällt
bei den gegebenen Verhältnissen auch eine vergleichsweise Festlegung des
Invaliditätsgrades (Art. 50 ATSG).

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer Anspruch auf
Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 5. Juli 2006,
soweit angefochten, und der Einspracheentscheid vom 5. August 2005 im
Rentenpunkt aufgehoben und die Sache wird an die SUVA zurückgewiesen, damit
sie im Sinne von Erw. 4.2 verfahre.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hat die Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses festzusetzen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 26. Januar 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: