Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 361/2006
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U 361/06

Urteil vom 1. Juni 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön,
Gerichtsschreiber Flückiger.

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

E.________, 1967, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokat Markus Schmid,
Lange Gasse 90, 4052 Basel.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 3. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1967 geborene E.________ erlitt am 25. Februar 1997 einen Verkehrsunfall.
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als obligatorischer
Unfallversicherer richtete Taggelder aus und kam für die Kosten der
Heilbehandlung auf. Die Abklärungen zogen sich in der Folge unter anderem auf
Grund eines Rechtsmittelverfahrens, welches mit Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts vom 8. April 2002 (U 173/01) seinen Abschluss fand, in
die Länge.

Am 21. Februar 2005 entschied die SUVA auf ausdrücklichen Wunsch der
Versicherten in Form einer Verfügung über deren Antrag auf Herausgabe
bestimmter Akten. Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 18. Oktober 2005
nicht ein, weil die Verfügung, sofern es sich überhaupt um eine solche
handle, nicht geeignet sei, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu
bewirken. Das Gericht erwog, die laufenden Abklärungen der SUVA würden in
eine Verfügung über deren Leistungspflicht münden. Falls die SUVA Leistungen
auf Grund vertraulicher Informationen verweigern wolle, werde sie gehalten
sein, diese in dem Masse offenzulegen, dass das rechtliche Gehör der
Beschwerdeführerin sichergestellt sei.

Mit Schreiben vom 9. November 2005 teilte der Vertreter der Versicherten der
SUVA mit, er werde den Gerichtsentscheid nicht weiterziehen und "erwarte nun
innert den nächsten Tagen die Verfügung über die Leistungspflicht". Am 26.
Januar 2006 wandte er sich erneut an die Anstalt und erklärte, er erwarte bis
spätestens Ende Februar 2006 die Verfügung über die Leistungspflicht.
Anschliessend werde sich das Gericht einmal mehr mit einer
Rechtsverzögerungsbeschwerde befassen müssen, sofern die Anstalt ihm nicht
plausibel darlege, warum sie nicht verfügen wolle. Die SUVA reagierte auf
dieses Schreiben zunächst nicht.

B.
Am 2. März 2006 liess die Versicherte beim Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt Beschwerde betreffend Rechtsverweigerung erheben. Sie stellte den
Antrag, die SUVA sei "zu verpflichten, innert 30 Tagen nach Eintritt der
Rechtskraft des vorliegenden Entscheides verfügungsweise über die Leistungen
der Beschwerdeführerin zufolge des Unfallereignisses vom 25. Februar 1997 zu
befinden". Eventuell sei die Anstalt "zu verpflichten, innert 30 Tagen seit
Eintritt der Rechtskraft des Entscheides im vorliegenden Verfahren bekannt zu
geben, welche allenfalls notwendigen weiteren Abklärungsmassnahmen aus
Anstaltssicht angezeigt sind."

In ihrer Beschwerdeantwort vom 7. April 2006 wies die SUVA darauf hin, dass
sie am Vortag die verlangte Verfügung erlassen habe.

Mit Verfügung vom 3. Juli 2006 schrieb das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt das Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit der
Rechtsverweigerungsbeschwerde ab (Dispositiv-Ziffer 1). Es erhob keine
Verfahrenskosten und verpflichtete die SUVA, der Versicherten eine
Parteientschädigung von Fr. 2800.- (inkl. Auslagen) zuzüglich Mehrwertsteuer
von Fr. 212.80 zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 3).

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren,
Dispositiv-Ziffer 3 der vorinstanzlichen Verfügung vom 3. Juli 2006 sei
aufzuheben, es sei festzustellen, dass die Rechtsverweigerungsbeschwerde vom
2. März 2006 materiell unbegründet sei und die Vorinstanz sei anzuweisen, der
Beschwerdegegnerin Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während E.________ deren Abweisung beantragt,
soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf
eine Vernehmlassung. Im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels halten die
Parteien an ihrem jeweiligen Standpunkt fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden
das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern und das Bundesgericht in
Lausanne zu einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten)
zusammengefügt (Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern
2007, S. 10 Rz 75). Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten
eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein
Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid
nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da
der kantonale Gerichtsentscheid am 3. Juli 2006 und somit vor dem 1. Januar
2007 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember
2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S.
395).

2.
Da es sich beim Streit um Parteientschädigung und Verfahrenskosten nicht um
die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat
das Bundesgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht
verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Streitig und zu prüfen ist zunächst, ob das kantonale Gericht der
Beschwerdegegnerin zu Recht eine Parteientschädigung von Fr. 2800.- zuzüglich
Mehrwertsteuer zugesprochen hat.

3.1 Bei Gegenstandslosigkeit des kantonalen Beschwerdeverfahrens besteht ein
bundesrechtlich begründeter (Art. 61 lit. g ATSG) Entschädigungsanspruch der
Beschwerde führenden Partei, wenn es die Prozessaussichten rechtfertigen, wie
sie sich vor Eintritt der Gegenstandslosigkeit darboten (SVR 2004 ALV Nr. 8
S. 22 E. 3.1, C 56/03). Entscheidend ist demzufolge, ob die am 2. März 2006
erhobene Rechtsverweigerungsbeschwerde gutzuheissen gewesen wäre.

3.2 Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV - sowie gegebenenfalls von Art. 6
Ziff. 1 EMRK (BGE 130 I 174 E. 2.2 S. 178 mit Hinweisen) - liegt nach der
Rechtsprechung unter anderem dann vor, wenn eine Gerichts- oder
Verwaltungsbehörde ein Gesuch, dessen Erledigung in ihre Kompetenz fällt,
nicht an die Hand nimmt und behandelt. Ein solches Verhalten einer Behörde
wird als formelle Rechtsverweigerung bezeichnet. Art. 29 Abs. 1 BV ist aber
auch verletzt, wenn die zuständige Behörde sich zwar bereit zeigt, einen
Entscheid zu treffen, diesen aber nicht binnen der Frist fasst, welche nach
der Natur der Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als
angemessen erscheint (so genannte Rechtsverzögerung). Für die Rechtsuchenden
ist es unerheblich, auf welche Gründe die Rechtsverweigerung oder
Rechtsverzögerung zurückzuführen ist; entscheidend ist ausschliesslich, dass
die Behörde nicht oder nicht fristgerecht handelt (RKUV 2004 Nr. U 506 S. 255
E. 3, U 217/02; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 5/05 vom 17. Juli
2006, E. 3.3, mit weiteren Hinweisen).

3.3 Eine unzulässige Rechtsverzögerung liegt vor, wenn die Behörde ihren
Entscheid in objektiv nicht gerechtfertigter Weise hinauszögert. Ob dies
zutrifft, beurteilt sich auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls.
Massgebend sind in diesem Zusammenhang namentlich die besondere Bedeutung und
die Art des Verfahrens, die Komplexität und Schwierigkeit der Sache sowie das
prozessuale Verhalten der Beteiligten (BGE 125 V 188 E. 2a S. 191 f.). Diese
Rechtsprechung lässt nicht zu, dass das Gericht in abstrakter und
verbindlicher Form ein für allemal festlegen könnte, innerhalb welcher
Zeitspanne eine Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde einen Entscheid zu fällen
hat, ohne sich dem Vorwurf einer Rechtsverzögerung auszusetzen. Die
betroffene Behörde oder Organisation hat Anspruch darauf, dass gegen sie
erhobene Vorwürfe in jedem einzelnen Fall anhand der konkreten Umstände
geprüft werden (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 434/06 vom 6.
Dezember 2006, E. 2.2 mit Hinweisen).

3.4 Gemäss den Ausführungen des kantonalen Gerichts in der Vernehmlassung vom
19. September 2006 war für die Auferlegung einer Parteientschädigung
insbesondere die Überlegung entscheidend, die SUVA habe auf die beiden
Schreiben vom 9. November 2005 und 26. Januar 2006 nicht reagiert und damit
die Rechtsverweigerungsbeschwerde ausgelöst. Die Beschwerdegegnerin macht
geltend, sie habe auf Grund dieses Verhaltens der SUVA davon ausgehen müssen,
die Anstalt sei nicht gewillt, sich mit dem Fall zu befassen.

3.5 Nach dem Unfall vom 25. Februar 1997 erbrachte die SUVA zunächst
Leistungen in Form von Taggeldern und Heilbehandlung. Eine erhebliche
Verzögerung ergab sich in der Folge durch das bereits erwähnte, mit dem
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 8. April 2002 (U 173/01)
abgeschlossene Rechtsmittelverfahren. Dieses hatte seinen Ursprung in der
ungerechtfertigten Weigerung der Versicherten, sich einer kreisärztlichen
Untersuchung zu unterziehen. Später verzögerte sich der Entscheid über die
Leistungspflicht erneut, weil die Versicherte zunächst den Erlass einer
Verfügung über die Aktenherausgabe verlangte und anschliessend dagegen
Beschwerde erheben liess, auf welche das kantonale Gericht mit seinem
Entscheid vom 18. Oktober 2005 (versandt am 28. Oktober 2005) nicht eintrat.
Unter diesen Umständen hatte die Versicherte, deren Verhalten massgeblich zur
überlangen Dauer des Verfahrens beigetragen hatte, keine Veranlassung, der
SUVA (quasi um die verlorene Zeit "aufzuholen") bereits am 9. November 2005,
wenige Tage nach der Eröffnung des kantonalen Gerichtsentscheids,
mitzuteilen, man erwarte "innert den nächsten Tagen die Verfügung über die
Leistungspflicht". Es verstand sich von selbst, dass die entsprechenden
Vorbereitungsarbeiten nicht innert weniger Tage würden erledigt werden
können. Ebenso wenig war es - gerade mit Blick auf die Vorgeschichte -
gerechtfertigt, der Anstalt am 26. Januar 2006, knapp drei Monate nach der
Eröffnung des vorinstanzlichen Entscheids am 28. Oktober 2005, für den
Abschluss des Verfahrens eine kurze Frist anzusetzen. Wenn in der
Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeführt wird, der
Rechtsvertreter der Versicherten hätte sich als Antwort auf seinen Brief vom
26. Januar 2006 mit einem "Zweizeiler" begnügt, stimmt dies nicht mit dem
Inhalt des Schreibens überein. Darin hatte der Vertreter erklärt, er erwarte,
dass ihm die SUVA plausibel darlege, "warum Sie nicht verfügen wollen".
Davon, dass die Anstalt nicht verfügen wolle, war jedoch nie die Rede, und es
bestand auch keinerlei Anlass für eine derartige Vermutung. Im Gegenteil sind
über die langjährige Dauer des Verfahrens hinweg kontinuierliche Bemühungen
der Anstalt zur Abklärung der für die Anspruchsbeurteilung möglicherweise
relevanten Sachverhaltselemente dokumentiert. Ob eine Erklärung als
"plausibel" gewertet worden wäre, hätte sich zudem nicht zuverlässig
abschätzen lassen. Der Inhalt des Briefs vom 26. Januar 2006 hatte unter
diesen Umständen provozierenden Charakter. Es lässt sich deshalb nicht
beanstanden, dass die SUVA das Schreiben zunächst unbeantwortet liess, zumal
sie zwischenzeitlich nicht untätig geblieben war, sondern im Hinblick auf den
Verfügungserlass weitere Abklärungen durchgeführt hatte. Da somit keine
Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung vorlag, wäre die Beschwerde vom 2.
März 2006 abzuweisen gewesen. Die Zusprechung einer Parteientschädigung an
die Versicherte durch das kantonale Gericht erweist sich daher mit Blick auf
Art. 61 lit. g ATSG als bundesrechtswidrig. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist diesbezüglich gutzuheissen.

4.
Die SUVA beantragt des Weiteren, es seien der Versicherten für das kantonale
Verfahren Gerichtskosten aufzuerlegen. Dies setzt nach der gesetzlichen
Regelung (Art. 61 lit. a zweiter Satzteil ATSG) voraus, dass sich eine Partei
mutwillig oder leichtsinnig verhält. Mutwilligkeit liegt insbesondere dann
vor, wenn eine Partei einen Prozess führt, dessen Aussichtslosigkeit sie ohne
weiteres hätte erkennen können (BGE 128 V 323 E. 1b S. 324; SVR 2004 EL Nr. 2
S. 6 E. 3, P 23/03). Eine derartige Konstellation ist hier nicht gegeben. In
diesem Punkt lässt sich der kantonale Entscheid somit nicht beanstanden.

5.
Das Verfahren hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand und ist daher kostenpflichtig
(Umkehrschluss aus Art. 134 Satz 1 OG in der vom 1. Juli bis 31. Dezember
2006 gültig gewesenen Fassung). Die Gerichtskosten sind der im Hauptpunkt
unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Anspruch auf eine
Parteientschädigung haben weder (mit Blick auf den Prozessausgang) die
Beschwerdegegnerin noch (auf Grund ihrer Eigenschaft als mit
öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute Organisation) die SUVA (Art. 159 Abs.
2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen.
Dispositiv-Ziffer 3 des Entscheids des Sozialversicherungsgerichts
Basel-Stadt vom 3. Juli 2006 wird aufgehoben, soweit er die
Parteientschädigung betrifft.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 1. Juni 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: