Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 35/2006
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Prozess {T 7}
U 35/06

Urteil vom 4. September 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Weber
Peter

F.________, 1960, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin Franziska Abt
Lindner, Aeschengraben 13, 4051 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 19. Oktober 2005)

Sachverhalt:

A.
A.a Der 1960 geborene portugiesische Staatsangehörige F.________ war seit
1987 als Eisenleger bei der Firma A.________ AG tätig, und damit bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von
Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 22. Mai 1992 zog er sich bei
einem Sturz auf einer Baustelle u.a. beidseitige Radiusfrakturen zu. Die SUVA
gewährte Versicherungsleistungen und sprach F.________ mit Verfügung vom
24. Mai 1993 eine Integritätsentschädigung auf Grund einer
Integritätseinbusse von 5 % und mit Verfügung vom 2. Februar 1994 eine
Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 20 % zu.

A.b Ab 3. Juli 2000 arbeitete F.________ wiederum als Eisenleger bei der
B.________ AG. Anlässlich eines erneuten Sturzes am 4. Juli 2001 zog er sich
diffuse Kontusionen und eine Jochbeinfraktur sowie eine dislozierte,
instabile, distale Radiusschaftfraktur links zu. Auch für diesen Unfall
erbrachte die SUVA Versicherungsleistungen. Vom 21. August bis 30. Oktober
2002 weilte der Versicherte zur stationären Handrehabilitation und
beruflichen Abklärung/Umorientierung in der Rehaklinik X.________. Gestützt
auf den Austrittsbericht vom 19. November 2002 schätzte Kreisarzt Dr. med.
S.________ den Integritätsschaden auf insgesamt 10 %, wovon 5 % auf den
zweiten Unfall zurückzuführen seien. Die erwerblichen Verhältnisse wurden
nach der Metallentfernung vom 4. März 2003 ebenfalls auf Grund der in der
Rehaklinik X.________ gewonnenen Erkenntnisse ermittelt. Demnach könnte
F.________ für eine leichte Tätigkeit, bei welcher die linke Hand als
Zudienhand eingesetzt werden kann, mit gelegentlichem beidhändigem Heben vom
Boden bis 10 kg und ohne Arbeiten auf Leitern sowie unter Berücksichtigung
einer zusätzlichen 5-Minuten Pause pro Stunde, noch ein Erwerbseinkommen von
Fr. 43'958.- erzielen, was verglichen mit dem mutmasslichen Valideneinkommen
einen Invaliditätsgrad von 31 % ergibt. Mit Verfügung vom 17. November 2003
wurde dem Versicherten eröffnet, dass er Anspruch auf eine entsprechende
Invalidenrente ab 1. Mai 2003 und eine zusätzliche Integritätsentschädigung
von 5 % habe. Daran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 29. Juni 2004
fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt mit Entscheid vom 19. Oktober 2005 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt F.________ beantragen, in Aufhebung
des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung
der Arbeitsfähigkeit, des Invaliditätsgrades und der Integritätsentschädigung
an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell seien ergänzende spezialärztliche
Gutachten einzuholen. Zudem wird um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ersucht.
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe vom 9. Mai 2006 teilte die Rechtsvertreterin des
Beschwerdeführers mit, die gemäss SUVA-Akte bislang nicht mehr auffindbaren
Röntgenbilder und die Computertomografie hätten beim Spital Z.________
zwischenzeitlich erhältlich gemacht werden können und reichte sie nach. In
der Folge nahm die SUVA am 9. Juni und 3. August 2006 unter Verweis auf die
ärztliche Beurteilung des Kreisarztes Dr. med. V.________ (vom 30. Mai 2006
ergänzt am 25. Juli 2006) dazu Stellung. Der Beschwerdeführer erhielt
Gelegenheit, sich dazu zu äussern.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und prüfen ist auf Grund des Hauptantrages in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde primär, ob der Sachverhalt zur Bestimmung des
Invaliditätsgrades und des Integritätsschadens genügend abgeklärt ist.

2.
Im Einspracheentscheid vom 29. Juni 2004 werden die hier massgebenden
gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine
Invalidenrente gegenüber der Unfallversicherung (Art. 18 Abs. 1 UVG in
Verbindung mit Art. 8 ATSG) sowie über die Invaliditätsbemessung bei
Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG),
einschliesslich der dazu zwar noch unter der Herrschaft der bis 31. Dezember
2002 gültig gewesenen Art. 28 Abs. 2 IVG und Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG
ergangenen, nach dem Inkrafttreten des ATSG indessen weiterhin massgeblichen
Rechtsprechung (vgl. BGE 130 V 348 f. Erw. 3.4 mit Hinweisen, BGE 114 V 313
Erw. 3a), zutreffend dargelegt. Gleiches gilt mit Bezug auf den Anspruch auf
Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1 UVG und Art. 36 Abs. 1 UVV), deren
Abstufung nach der Schwere des Integritätsschadens (Art. 25 Abs. 1 UVG und
Anhang 3 zur UVV gestützt auf Art. 36 Abs. 2 UVV) und zur Bedeutung der von
der medizinischen Abteilung der SUVA erarbeiteten weiteren
Bemessungsgrundlagen in tabellarischer Form (sog. Feinraster; BGE 124 V 32
Erw. 1c) sowie hinsichtlich der anwendbaren Beweisgrundsätze (vgl. auch BGE
126 V 360 Erw. 5b, 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) und der für den
Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten geltenden Regeln (BGE 125 V 352
Erw. 3a, 122 V 160 Erw. 1c). Darauf wird verwiesen.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, sowohl die Unfallversicherung wie auch das
kantonale Gericht hätten ihre Pflicht zur richtigen und vollständigen
Sachverhaltsabklärung missachtet, indem sie die vor beiden Instanzen geltend
gemachten Schulterbeschwerden nicht medizinisch abgeklärt hätten.
Die Erstbehandlung nach dem Unfall vom 4. Juli 2001 erfolgte am Spital
Y.________. Dort stellte man ausschliesslich eine Radius- und eine
Jochbeinfraktur fest. Nach der Radius-Operation vom 6. Juli 2001 wurden vom
Patienten anlässlich der Kontrollen an der Chirurgischen Poliklinik vom
17. August und 28. September 2001 einzig Handgelenksbeschwerden bei Belastung
angegeben. Schulterbeschwerden wurde keine beklagt. Mithin erweist sich die
Sachverhaltsdarstellung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wo eine direkte
Schulterverletzung durch den Unfall postuliert wird, als wenig
wahrscheinlich. Erstmals werden Schulterbeschwerden am 9. November 2001
vermerkt, als der Beschwerdeführer von immobilisierenden Schmerzen bei
Kraftanwendung im Faustschluss radialseitig in den 1. und 2. Strahl
ausstrahlend, "teilweise elektrisierend bis in das Schultergelenk"
berichtete. Auch in der Schmerzsprechstunde des Spitals Y.________ vom
13. Dezember 2001 wird über vom Handgelenk bis in die Schulter ausstrahlende
Schmerzen geklagt, welche unter Behandlung aber wieder verschwanden (Berichte
des Spitals Y.________ vom 16. Januar und 27. Februar 2002 sowie
kreisärztliche Untersuchung vom 15. Juli 2002). Anlässlich der Besprechung
auf der Kreisagentur vom 14. Februar 2002 wurden keine Schulterbeschwerden
erwähnt. In der Rehaklinik X.________ gab der Beschwerdeführer an, die
anfangs ständig vorhandenen Ausstrahlungen in Ellbogen und Schulter links
seien unter Einnahme von Neurontin seit mehreren Monaten nicht mehr bzw. nur
noch sehr selten vorhanden. Auch während der dortigen Berufserprobung vom 2.
bis 30. Oktober 2002 klagte er nicht über Schulterbeschwerden.
Zusammenfassend werden im Austrittsbericht der Rehaklinik X.________ vom
19. November 2002 zwar Schulterschmerzen beschrieben und als muskuläre
Dysbalance bei zusätzlich deutlicher Haltungsinsuffizienz identifiziert. Die
Ärzte äussern sich hingegen nicht dahingehend, dass diese auf den Unfall vom
4. Juli 2001 zurückzuführen seien. Für die Frage der Arbeitsunfähigkeit und
die Ermittlung des Invaliditätsgrades ist entscheidend, dass einzig die
Handgelenksschmerzen als Behinderung und Fähigkeitsstörung erwähnt werden.
Allfällige, zum Teil vorhandene, aber offenbar durch Medikamente gut
kontrollierbare Schulterbeschwerden spielen bei der Bemessung der
Erwerbsfähigkeit damit keine Rolle. Unter diesen Umständen besteht mit der
Vorinstanz kein Anlass für weitere Abklärungen.

4.
Hinsichtlich der ärztlichen Schätzung des Integritätsschadens beanstandet der
Beschwerdeführer, dass dem Kreisarzt nach dessen eigenen Angaben die während
des Aufenthaltes in der Rehaklinik X.________ gemachten Röntgenaufnahmen des
linken Handgelenks sowie eine CT-Aufnahme nicht zur Verfügung gestanden
haben. Die Sache sei deshalb zur Vornahme eines neuen Röntgenbefundes und
neuer Festsetzung des Integritätsschadens zurückzuweisen.

4.1 Im vorliegenden Fall wurden die Röntgenbefunde im Austrittsbericht der
Rehaklinik X.________ vom 19. November 2002 ausführlich beschrieben. Der
Kreisarzt sah sich deshalb in der Lage, auf Grund dieser Beschreibung ohne
neue Aufnahmen seine Beurteilung des Integritätsschadens abzugeben. Ob dies
als Beurteilungsgrundlage tatsächlich genügt, braucht nicht weiter geprüft zu
werden. Nachdem zwischenzeitlich die vermissten Röntgenbilder und die
CT-Aufnahme wieder aufgetaucht sind, besteht kein Grund für eine
entsprechende Rückweisung. Vielmehr gilt es zu klären, ob die nunmehr
vorhandenen Röntgenbilder Änderungen hinsichtlich der vom Kreisarzt
ausschliesslich auf Grund der Beschreibung der Röntgenbefunde (vom
19. November 2002) abgegebenen Beurteilung des Integritätsschadens nach sich
ziehen. Wie sich aus den Stellungnahmen des Kreisarztes Dr. med. V.________
vom 30. Mai und 25. Juli 2006 ergibt, lässt sich die Integritätsschätzung
auch in Kenntnis der Röntgenbilder bestätigen. So führt er aus, dass die
Schätzung des Integritätsschadens den Schaden der Integrität in Bezug auf
eine Arthrose des Unfalls vom 22. Mai 1992 unter Berücksichtigung der
Verschlechterung durch den Unfall vom 4. Juli 2001 würdigt und ein
Nervenneurom, welches mit dem Unfall vom 4. Juli 2001 möglicherweise in
Zusammenhang stehe, ein nicht erheblicher Befund sei, da kein Ausfall eines
Nervs vorliege. Es ist kein Grund ersichtlich, nicht auf diese Beurteilung
abzustellen. Mithin besteht auch im Hinblick auf die Festsetzung der
Integritätsentschädigung kein Anlass für weitere Abklärungen.

4.2 Gestützt auf Art. 25 Abs. 2 UVG und Art. 36 Abs. 2 UVV hat der Bundesrat
im Anhang 3 zur UVV Richtwerte für die Bemessung häufig vorkommender
Integritätsschäden aufgestellt. In Weiterentwicklung der bundesrätlichen
Skala hat die SUVA Feinraster in tabellarischer Form erarbeitet. Soweit sie
lediglich Richtwerte enthalten, mit denen die Gleichbehandlung der
Versicherten gewährleistet werden soll, sind sie mit Anhang 3 zur UVV
vereinbar (BGE 124 V 32 Erw. 1c mit Hinweisen; RKUV 2004 Nr. U 514 S. 416
Erw. 5.1 [Urteil T. vom 12. Januar 2004, U 134/03]). Auf der Grundlage der
Beschreibung der funktionellen Einbussen im Bericht der Rehaklinik X.________
vom 19. November 2002, wovon abzuweichen auf Grund der wiederaufgetauchten
Röntgenbilder kein Anlass besteht (vgl. Erw. 4.1 hievor), ist die Bemessung
der Integritätsentschädigung des Kreisarztes vom 18. Dezember 2002 mit der
Vorinstanz nicht zu beanstanden. Es kann auf die zutreffenden Erwägungen im
angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Die linke Hand ist nicht
unbrauchbar, sondern eingeschränkt (als Zudienhand) verwendbar. Dies
entspricht einer Einschränkung auf Grund einer mässigen Handgelenksarthrose,
wofür gemäss SUVA-Tabelle 5.2 ein Wert von 5 % bis 10 % vorgesehen ist. Da
bereits am 24. Mai 1993 eine Integritätsentschädigung für die
Beeinträchtigung des linken Handgelenks ausgerichet wurde, ist die
zusätzliche Verfügung einer solchen von 5 % insgesamt nicht zu beanstanden.
Die Einwendungen des Beschwerdeführers vermögen daran nichts zu ändern.
Insbesondere besteht für eine voraussehbare Verschlimmerung, welcher im Sinne
von Art. 36 Abs. 4 UVV bei der Integritätsbemessung Rechnung zu tragen wäre,
wie geltend gemacht wird, beispielsweise eine schwere Handgelenksarthrose
(Richtwert 10 % bis 25 %), auf Grund der medizinischen Akten kein
Anhaltspunkt. Weder ist dem Austrittsbericht der Rehaklinik X.________ noch
dem aktuellen Bericht des Spitals Y.________ (vom 13. März 2003) betreffend
die Osteosynthesematerialentfernung vom 4. März 2003 etwas Entsprechendes zu
entnehmen.

5.
Nicht zu beanstanden ist schliesslich der im angefochtenen Entscheid
bestätigte Invaliditätsgrad von 31 %. Der Beschwerdeführer bringt nichts
dagegen vor noch finden sich Anhaltspunkte in den Akten, die zu einer
abweichenden Beurteilung führen könnten, womit sich Weiterungen diesbezüglich
erübrigen (BGE 110 V 53).

6.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
(Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) kann gewährt werden, da die
Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202
Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf
Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande
ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Advokatin Franziska
Abt Lindner, Basel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 4. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: