Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 309/2006
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Prozess {T 7}
U 309/06

Urteil vom 16. November 2006
IV. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin
Hofer

A.________, 1956, Beschwerdeführer, vertreten durch Dr. Heiner Schärrer,
Advokat, Aeschenvorstadt 67, 4051 Basel, substituiert durch Madeleine
Galgiani, Aeschenvorstadt 67, 4054 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 25. April 2006)

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene spanische Staatsangehörige A.________ arbeitete seit 10.
April 2002 als Bauarbeiter in der Firma B.________, und war in dieser
Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen
die Folgen von Unfällen versichert. Am 28. Mai 2003 wurde er bei einem
Arbeitsunfall von herunterfallenden Schalelementen an den Beinen getroffen.
Dabei zog er sich Frakturen am rechten Bein und Kontusionen am linken
Unterschenkel und Fuss zu. Er musste deswegen im Spital C.________ mehrmals
operiert werden. Zudem stellte sich eine Wundinfektion der rechten Hüfte ein.
Der Verlauf der stationären Mobilisation im Spital D.________, erwies sich
gemäss Bericht vom 5. September 2003 aufgrund der mit Analgetika nicht
beeinflussbaren Schmerzen als protrahiert. Zudem bestand der Verdacht auf
einen Morbus Sudeck. Der nachbehandelnde Orthopäde Dr. med. S.________, fand
gemäss Bericht vom 2. Oktober 2003 stark eingeschränkte Sprunggelenke
beidseits und eine verminderte Rotation des rechten Hüftgelenks. Im Bericht
vom 25. Dezember 2003 attestierte er eine seit dem Unfall bestehende 100%ige
Arbeitsunfähigkeit. Vom 8. März bis 2. April 2004 weilte der Versicherte
erneut im Spital C.________, wo er zweimal am rechten Oberschenkel operiert
wurde (Bericht vom 1. April 2004). Anschliessend hielt er sich bis am 12. Mai
2004 zur Rehabilitation im Spital D.________ auf. Laut Austrittsbericht vom
19. Mai 2004 konnten bezüglich Kniemobilität und Gangbild deutliche
Fortschritte erzielt werden, doch blieb der Versicherte auf zwei
Amerikanerstöcke angewiesen. Bei der Nachkontrolle im Spital C.________
fanden sich gemäss Bericht vom 11. Juni 2004 aufgrund überschiessender
Weichteilnarbenbildungen erhebliche artikuläre Funktionseinbussen. Der
Versicherte war zufolge einer massiven Gangunsicherheit nicht fähig, einzelne
Schritte ohne Gehstöcke zurückzulegen. Am 19. August 2004 führte
SUVA-Kreisarzt Dr. med. W.________ eine Untersuchung durch und beurteilte den
Integritätsschaden. Gestützt darauf teilte die SUVA, welche bislang für die
Heilbehandlung aufgekommen war und Taggelder ausgerichtet hatte, dem
Versicherten mit Schreiben vom 9. September 2004 mit, dass sie diese
Leistungen auf den 31. Oktober 2004 einstellen werde. Mit Verfügung vom 16.
November 2004 sprach sie A.________ mit Wirkung ab 1. November 2004 eine
Invalidenrente aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 22 % sowie eine
Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 50 % zu.
Daran hielt sie, unter Mitberücksichtigung des Schreibens des
Dr. med. E.________, vom 24. Juni 2005, mit Einspracheentscheid vom 11. Juli
2005 fest.

B.
In teilweiser Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde sprach das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt A.________ mit Entscheid vom 25. April
2006 eine Rente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 25 % zu.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ beantragen, es sei ihm
eine Invalidenrente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von mindestens 40
% zuzusprechen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Begriff der
Invalidität (Art. 8 ATSG), den Anspruch auf eine Rente der Unfallversicherung
(Art. 18 Abs. 1 UVG) und den Beginn des Rentenanspruchs (Art. 19 Abs. 1 UVG)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Gleiches gilt hinsichtlich der
Erwägungen zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin bei der
Invaliditätsbemessung und zur Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der
Invaliditätsschätzung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen) sowie zum
Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a).

2.
2.1 SUVA und Vorinstanz stützten sich bei der Beurteilung des
Gesundheitszustandes und der verbleibenden Arbeitsfähigkeit im Wesentlichen
auf den Bericht der kreisärztlichen Untersuchung des Dr. med. W.________ vom
19. August 2004. Dieser diagnostizierte eine partielle Hüftsteife rechts nach
proximaler Femurosteosynthese, eine schmerzhafte postdystrophische und
posttraumatische Kniesteife rechts, postdystrophische Beschwerden in den
rechten Sprunggelenken und im rechten Vorfuss, neurale Restbeschwerden im
linken Unterschenkel und Fuss nach Logenspaltung, vorbestandene
Zehengrundgelenkarthrosen beidseits, statische Insuffizienz der
Lendenwirbelsäule und Adipositas. Nach Ansicht des Kreisarztes sind die
geltend gemachten Beschwerden absolut nachvollziehbar und konsistent. Die
unteren Extremitäten hätten sehr viel von ihrer Funktionalität eingebüsst.
Dazu kämen noch erhebliche Schmerzen. Weiter hält er fest, der Versicherte
benötige weiterhin medikamentöse Analgesie und einmal pro Woche physikalische
Erhaltungstherapie. Die Unfallkausalität sei weiterhin gegeben. Der Befund
erlaube ganztags leichte sitzende Tätigkeiten, wobei der Versicherte wegen
des Flexionsdefizits in der rechten Hüfte auf einen speziellen
Coxarthrosestuhl mit teilbarer Sitzfläche angewiesen sei. Tätigkeiten im
Stehen und Gehen sowie die Beförderung von Traglasten seien nicht möglich.
Insofern sei er arbeitsfähig zur Wiedereingliederung.

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, der kreisärztliche Bericht erfülle die
nach der Rechtsprechung für den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten
geltenden Anforderungen und vermöge in den Schlussfolgerungen zu überzeugen.
Die äusserst knappe Darlegung des Dr. med. E.________ im Schreiben vom 24.
Juni 2005 lasse demgegenüber mangels näherer Begründung keine Überprüfung
seiner Einschätzungen zu, weshalb darauf nicht abgestellt werden könne. Die
Vorinstanz ging daher von der Zumutbarkeit einer ganztägigen leichten, im
Sitzen zu verrichtenden Tätigkeit aus.

3.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dem entgegen gehalten, der
Versicherte leide an einem schweren multiplen Polytrauma, das in eine
Depression münde. Entgegen der vom SUVA-Kreisarzt vertretenen Auffassung
könne er nicht mehr uneingeschränkt ganztags arbeiten. Insbesondere sei es
ihm nicht möglich, acht Stunden pro Tag auf einem Spezialstuhl zu sitzen.
Bereits nach einer halben Stunde würden die Beine stark anschwellen und zu
unerträglichen Schmerzen führen. Er müsse daher immer wieder Pausen einlegen,
hin und her gehen oder die Beine hoch lagern. Zudem sei er ohne Stöcke nicht
gehfähig. Die unfallbedingte Unbeweglichkeit habe überdies zu einer starken
Gewichtszunahme geführt. Unter den gegebenen Umständen sei auch eine
leidensangepasste Tätigkeit nur in zeitlich reduziertem Ausmass möglich.

4.
4.1 In den Beurteilungen des Spitals D.________ vom 19. Mai 2004 und des
Spitals C.________ vom 11. Juni 2004 ist davon die Rede, dass einzelne
Schritte ohne Gehstöcke nicht möglich seien, wobei dafür weniger ein
Kraftproblem als vielmehr eine massive Gangunsicherheit verantwortlich
gemacht wurde. Dr. med. W.________ hält im Rahmen der Anamnese fest, der
linke Unterschenkel und die rechte Knöchelgegend würden bei längerer
Belastung anschwellen. Der Versicherte könne die Grosszehen nur unter
Schmerzen bewegen. In Ruhe bestehe eine Art Verletzungsschmerz in der linken
Fussohle. Zu Hause könne er sich nur entlang der Wände und Möbel stockfrei
bewegen. Auf der Strasse sei er wegen Rückenbeschwerden und einer allgemeinen
Unsicherheit auf die Stöcke angewiesen. Die Gehdauer betrage rund 10 Minuten.
In der ärztlichen Beurteilung äussert sich Dr. med. W.________ nicht dazu, ob
der Versicherte aus medizinischer Sicht objektiv betrachtet ohne Stöcke
gehfähig ist. Obwohl der Beschwerdeführer bereits im Einspracheverfahren
glaubwürdig darauf hingewiesen hat, dass er nicht ohne Pausen während acht
Stunden pro Tag auf einem Spezialstuhl sitzen kann, haben sich weder SUVA
noch Vorinstanz mit diesem Einwand auseinandergesetzt. Unklar ist
diesbezüglich auch die Stellungnahme des Dr. med. W.________, welcher die
Arbeitsfähigkeit nicht in Prozenten angab und auch nicht präzisierte, ob eine
ganztägige Erwerbstätigkeit ohne zeitliche Einschränkung zufolge allenfalls
notwendiger Pausen, Wechselbelastungen und Hochlangern der Beine möglich ist.
Was er mit "arbeitsfähig zur Wiedereingliederung" meint, ist ebenfalls nicht
ohne weiteres nachvollziehbar. Der Hausarzt Dr. med. E.________ nimmt im
Schreiben an die SUVA vom 24. Juni 2005 nur zur Unfallkausalität der geltend
gemachten Beschwerden Stellung, ohne sich zur Arbeitsfähigkeit zu äussern.
Psychische Probleme werden in den neueren ärztlichen Stellungnahmen nicht
erwähnt. Lediglich dem Bericht des Dr. med. S.________ vom 2. Oktober 2003
ist zu entnehmen, dass der Versicherte psychologisch betreut wurde und
Psychopharmaka verabreicht bekam. Dies lässt vermuten, dass im für die
Beurteilung massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheids vom
11. Juli 2005 (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) keine unfallkausale
psychische Problematik (mehr) bestand. Es ist jedoch auch möglich, dass einer
solchen angesichts der im Vordergrund stehenden somatischen Beschwerden nicht
die notwendige Beachtung geschenkt wurde.

4.2 Der medizinische Sachverhalt erweist sich somit als für die Beurteilung
der verbleibenden unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht hinreichend
geklärt und bedarf weiterer Erhebungen. Die Sache ist zu diesem Zweck und zu
neuer Verfügung über den Rentenanspruch an die SUVA zurückzuweisen.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem obsiegenden Beschwerdeführer
steht eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1
und 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 25. April 2006 und
der Einspracheentscheid vom 11. Juli 2005 aufgehoben werden und die Sache an
die SUVA zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne
der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 16. November 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: