Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 280/2006
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{T 7}
U 280/06

Urteil vom 5. April 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

G. ________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Gerhard
Lanz, Schwanengasse 8, 3011 Bern,

gegen

Zürich Versicherungsgesellschaft, Rechtsdienst, Generaldirektion Schweiz,
8085 Zürich, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich
Friedli, Stationsstrasse 66a, 8907 Wettswil.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Freiburg vom 17. März 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene G.________ erlitt am 4. Februar 1995 bei einem Sturz
schwere Verletzungen. Die Invalidenversicherung ermittelte einen
Invaliditätsgrad von 85 % und sprach dem Versicherten ab 1. Mai 1996 eine
Rente für ihn, seine Ehefrau und die vier Kinder zu. Mit Verfügung vom 26.
November 1999 gewährte die "Zürich" Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend
Zürich) als obligatorische Unfallversicherung ab dem 1. August 1999 eine
monatliche Komplementärrente. Die Invalidenversicherung änderte die
zugesprochene Rente mit Verfügungen vom 28. September 2001, 21. und 28.
November 2003. Nachdem die Zürich von diesen Verfügungen Kenntnis erhalten
hatte, passte sie die Komplementärrenten rückwirkend an diese Veränderungen
an. Sie teilte G.________ mit Verfügung vom 20. August 2004 mit, es seien ihm
Fr. 28'494.- zu viel ausgerichtet worden, was mit dem künftigen
Rentenanspruch verrechnet werde. G.________ erhob gegen die Verfügung
Einsprache und stellte gleichzeitig ein Erlassgesuch. Mit Einspracheentscheid
vom 16. März 2005 wies die Zürich das Gesuch um Erlass der Rückforderung ab,
reduzierte aber den Rückforderungsbetrag auf Fr. 27'035.-.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Freiburg mit Entscheid vom 17. März 2006 teilweise gut, indem es den
geschuldeten Rückerstattungsbetrag auf Fr. 27'418.- festsetzte und davon den
Betrag von Fr. 4316.- erliess.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ den vollumfänglichen
Erlass des geschuldeten Rückerstattungsbetrages in der Höhe von Fr. 27'418.-,
eventualiter den Erlass des Betrages von Fr. 9816.- beantragen.

Die Zürich lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Nicht mehr streitig und aufgrund der Aktenlage nicht zu beanstanden sind der
geschuldete Rückerstattungsbetrag von Fr. 27'418.- sowie der Erlass des
Teilbetrages von Fr. 4316.-. Streitig und zu prüfen ist jedoch, ob der
gesamte Rückforderungsbetrag, eventualiter der Teilbetrag von Fr. 9816.- zu
erlassen ist.

3.
3.1 Weil es im Verfahren um den Erlass der Rückerstattung zu Unrecht bezogener
Leistungen praxisgemäss nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen geht (BGE 122 V 221 E. 2 S. 223 und 134 E. 1 S. 136,
je mit Hinweisen) gilt die eingeschränkte Kognition mit der Folge, dass das
Bundesgericht lediglich zu prüfen hat, ob das kantonale Gericht als
Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.2 Die Vorinstanz hat hinsichtlich des mit Einspracheentscheid vom 16. März
2005 abgelehnten Erlassgesuches Art. 25 Abs. 1 des auf den 1. Januar 2003 in
Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts (ATSG) angewendet. Ob dies mit Blick darauf,
dass die Gutgläubigkeit während des Leistungsbezugs ab August 1999 bis August
2004 - und damit ein Sachverhalt, der sich zum grösseren Teil in einer vor
dem Inkrafttreten des ATSG liegenden Zeitspanne verwirklicht hat - zur
Diskussion steht, einer näheren Überprüfung stand hält, oder ob der bis Ende
2002 Grundlage für den Erlass einer UV-Rückerstattungsschuld bildende Art. 52
Abs. 1 UVG (in seiner bis dahin geltenden Fassung) zum Zuge kommt, braucht
vorliegend nicht abschliessend beurteilt zu werden. Ebenso wenig wie im Falle
der Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen Leistungen (vgl. BGE 130 V 318 E.
5.1 und 5.2 S. 319) kommt im Zusammenhang mit der Erlassvoraussetzung der
Gutgläubigkeit der Frage ausschlaggebende Bedeutung zu, ob Art. 25 ATSG (oder
altes Recht) anzuwenden ist, wenn der Einspracheentscheid nach dem
Inkrafttreten des ATSG ergangen, der Erlass aber auch in Bezug auf vor dem 1.
Januar 2003 gewährte Leistungen zu prüfen ist. Denn die nach dem ATSG
diesbezüglich massgeblichen Grundsätze sind aus der früheren Regelung und den
von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Beurteilung der für einen
Erlass unter anderem vorausgesetzten Gutgläubigkeit des Leistungsbezügers
(BGE 122 V 221 E. 3 S. 223) hervorgegangen (Urteil G. vom 6. Juni 2005 E.
2.2, P 62/04; vgl. auch Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, Rz 23 zu
Art. 25).

3.3 Das kantonale Gericht hat die für den Erlass der Rückerstattungsschuld
geltenden Voraussetzungen (Art. 25 Abs. 1 ATSG; Art. 4 f. ATSV) und
insbesondere die bei der Beurteilung der Erlassvoraussetzung des guten
Glaubens zu beachtenden Kriterien (vgl. auch BGE 122 V 221 E. 3 S. 223; AHI
2003 S. 161 f. E. 3a, I 553/01, mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf
kann verwiesen werden.

4.
Streitig und zu prüfen ist, ob der gute Glaube des Beschwerdeführers bejaht
werden kann, obwohl er die für die Komplementärrente der Unfallversicherung
massgebenden Änderungen der IV-Rente nicht gemeldet und deshalb den
zurückgeforderten Betrag zu Unrecht bezogen hat.

4.1 Der gute Glaube als Erlassvoraussetzung ist nicht schon mit der
Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben. Vielmehr darf sich der
Leistungsempfänger nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner
Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Daraus erhellt, dass der gute Glaube
von vornherein entfällt, wenn die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung
auf eine arglistige oder grobfahrlässige Melde- oder
Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist. Anderseits kann sich der
Rückerstattungspflichtige auf den guten Glauben berufen, wenn sein
fehlerhaftes Verhalten nur eine leichte Fahrlässigkeit darstellt (BGE 112 V
97 E. 2c S. 103).

4.2 Praxisgemäss ist zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als
fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den
gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob er bei
zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen.
Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist
daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG von der Vorinstanz
verbindlich beantwortet wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der gebotenen
Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht,
festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen
Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 221 E. 3 S. 223;
AHI 2003 S. 161 f. E. 3a, I 553/01, mit Hinweisen).

4.3 Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG
verbindlich festgestellt, dass der Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der
Neufestsetzung der Invalidenrenten am 28. September 2001 gutgläubig war,
nicht jedoch im Zeitpunkt der Nachzahlung der Leistungen. Diesbezüglich hat
es sein Bewenden.

4.4 Im Weiteren hat das kantonale Gericht ausführlich und überzeugend
dargelegt, dass der Beschwerdeführer in der Verfügung vom 26. November 1999
aufgefordert worden war, der Unfallversicherung Änderungen in der IV-Rente
umgehend mitzuteilen, diese Meldung jedoch unterlassen hat, weshalb er sich
nicht auf den guten Glauben berufen könne. Darauf kann verwiesen werden.

Die grösstenteils bereits im kantonalen Verfahren vorgebrachten Einwendungen
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen an diesem Ergebnis nichts zu
ändern. Soweit der Versicherte wiederum geltend macht, er habe darauf
vertraut, dass die Behörden untereinander kommunizieren, kann er sich darauf
nicht stützen, nachdem er ausdrücklich zur eigenen Meldung aufgefordert
worden war. Der sinngemässe Hinweis auf Hilflosigkeit und Überforderung
sodann ist ebenfalls nicht stichhaltig, zumal der Beschwerdeführer
rechtskundig vertreten war und die entsprechenden Verfügungen dem Anwalt
eröffnet worden waren. Gerade wenn sich der Versicherte nicht in der Lage
gesehen hätte, die Zusammenhänge zwischen Komplementär- und Invalidenrente zu
verstehen, wäre er gehalten gewesen, sich danach zu erkundigen. In diesem
Sinne hat er es an der unter den genannten Umständen gebotenen minimalen
Aufmerksamkeit mangeln lassen. Deshalb verletzt der kantonale Entscheid kein
Bundesrecht und ist nicht zu beanstanden.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig, da es nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (Art. 134 Satz 1 OG e
contrario; E. 3.1 hievor). Der unterliegende Beschwerdeführer hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1700.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 5. April 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: