Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 256/2006
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Prozess {T 7}
U 256/06

Urteil vom 24. Oktober 2006
II. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und nebenamtlicher Richter
Weber; Gerichtsschreiber Schmutz

Z.________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 7. April 2006)

Sachverhalt:

A.
Z. ________, geboren 1966, war als Möbelschreiner/Lackierer angestellt und
bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen
von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 11. Januar 1992 erlitt er
in Deutschland einen Verkehrsunfall. Im deutschen Kreiskrankenhaus X.________
diagnostizierte man eine zweitgradig offene Kniegelenksfraktur rechts mit
Patella-Trümmerfraktur mit zum Teil knöchernem Verlust und Ausriss der
Eminentia intercondylaris, eine Abscherung des Femurkondylus, eine
Aussenbandruptur am linken Sprunggelenk, eine Fraktur des Processus
styloideus ulnae links sowie multiple Schürf- und Schnittwunden an beiden
Händen (Arztzeugnis UVG vom 23. Januar 1992). Die SUVA erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Mit Verfügung vom
29. Dezember 1995 sprach sie Z.________ rückwirkend ab 1. Oktober 1995 eine
Rente auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 15 % sowie eine
Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 7,5 %
zu. Gestützt auf Berichte des Kreisarztes Dr. med. M.________, Spezialarzt
FMH für Chirurgie, vom 12./13. Juni 2003, verfügte die SUVA am 14. Mai 2004
revisionsweise die Erhöhung der Rente (Invaliditätsgrad neu 28 %) und der
Integritätsentschädigung (Integritätseinbusse nun 15 %) ab 1. Juni 2004. Die
dagegen erhobene Einsprache mit dem Antrag auf Zusprechung einer Rente bei
einem Invaliditätsgrad von mindestens 70 % und einer Integritätsentschädigung
basierend auf einem Integritätsschaden von 30 % wies sie mit Entscheid vom 1.
September 2004 ab.

B.
Die hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern mit Entscheid vom 7. April 2006 teilweise gut; es wies die Sache an
die SUVA zurück, damit sie über die Integritätsentschädigung neu verfüge.

C.
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es sei
ihm eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 70 %
auszurichten; eventualiter sei die Sache zur ergänzenden Abklärung und
Neubeurteilung an die SUVA zurückzuweisen; zudem sei ihm die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
Vorinstanz und SUVA schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen, Grundsätze und die Rechtsprechung
über die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6 UVG, zu dem für
die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität; BGE
129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je
mit Hinweisen) sowie die Revision von Invalidenrenten (Art. 22 UVG, Art. 41
IVG, Art 17 ATSG; BGE 130 V 349 Erw. 3.5) und die Invaliditätsbemessung (Art.
18 Abs. 2 UVG, Art. 16 ATSG; BGE 130 V 348 Erw. 3.4) zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist, ob eine revisionsbegründende Änderung des Invaliditätsgrades
eingetreten ist. Wie im kantonalen Entscheid richtig festgehalten, beurteilt
sich dies durch Vergleich des Sachverhalts im Zeitpunkt der ursprünglichen
Rentenverfügung vom 29. Dezember 1995 (mit welcher dem Beschwerdeführer eine
Rente auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 15 % sowie eine
Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 7,5 %
zugesprochen wurde) mit dem Sachverhalt im Zeitpunkt des Einspracheentscheids
vom 1. September 2004 (BGE 130 V 446 Erw. 1.2, 125 V 369 Erw. 2; Urteil K.
vom 16. März 2005, I 502/04).

3.
3.1 Was die Beschwerden im linken Fuss betrifft, ist vorauszuschicken, dass
der Einspracheentscheid der Unfallversicherung am 1. September 2004 erst mehr
als ein Jahr nach dem Bericht des SUVA-Kreisarztes Dr. med. M.________ vom
13. Juni 2003 gefällt worden ist. Dort war festgehalten worden, limitierend
seien die Beschwerden am rechten Knie und anteilmässig diskret auch die
Einschränkungen am linken Sprunggelenk. Nicht kniebelastende Tätigkeiten in
Wechselpositionen, sitzend mit im Intervall kurzstreckigem Gehen, seien
ganztags zumutbar. Ungünstig seien vor allem ein Besteigen von Treppen und
Leitern, Arbeiten in Zwangsstellungen und in der Hocke mit Heben von
schwereren Gewichten und Tragen von solchen Lasten. Der vom Beschwerdeführer
konsultierte Dr. med. S.________, Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie
hielt jedoch am 24. November 2004 fest, die MRI-Untersuchung des linken
unteren Sprunggelenkes habe als Hauptpunkt eine Osteochondrosis im Bereiche
des medialen Talus an der Rolle ergeben. Es handle sich um ein
Instabilitätsproblem zusammen mit einer Osteochondrosis dissecans. Ideal wäre
wohl eine operative Bandstabilisierung des linken Rückfusses mit Behandlung
der Osteochondrosis. Prof. Dr. med. H.________, leitender Arzt Orthopädie am
Universitätsspital Y.________, führte in seinem Bericht vom 6. Dezember 2004
aus, es bestehe ein schon lang dauernder Instabilitätszustand oder zumindest
Schmerzzustand und im MRT zeige sich eine Osteochondrosis dissecans. Dabei
sei nicht ganz klar, wie weit dieser Befund symptomatisch sei, respektive der
Untersuchte nach Belastungen unter Blockierungsgefühlen oder einem
Spannungsschmerz leide. Er rate zu einer Bandrekonstruktion mit
Mosaikplastik, wobei letzteres erst bei offenem Gelenk zu entscheiden sei.

3.2 Die Stellungnahmen von Dr. med. S.________ vom 24. November 2004 und
Prof. Dr. med. H.________ vom 6. Dezember 2004 erfolgten zwar nach dem
Einspracheentscheid vom 1. September 2004. Es ist jedoch nicht davon
auszugehen, dass die von ihnen ermittelten Befunde des linken Sprunggelenks
erst nach dem letztgenannten Datum aufgetreten sind. Die Charakterisierung
von Kreisarzt Dr. med. M.________ vom 13. Juni 2003 der subjektiven Angaben
und objektiven Befunde beim linken Sprunggelenk als "diskret" wird durch die
Erhebungen von Dr. med. S.________ und Prof. Dr. med. H.________ somit nicht
bestätigt. Ohne dass sich dafür in den Akten eine Grundlage finden lässt, hat
die Vorinstanz aber darauf geschlossen, dass in der kreisärztlichen
Einschätzung auch eine gewisse Einschränkung des linken Fusses berücksichtigt
sei. Dies ist jedoch bei Würdigung der vorliegenden Akten nicht zulässig.
Auch eine antizipierte Beweiswürdigung in dem Sinne, dass die Beschwerden des
linken Sprunggelenks ohnehin keine Auswirkungen auf die zumutbaren
Tätigkeiten haben dürften, ist nicht statthaft. Vielmehr kann nicht
ausgeschlossen werden, dass die Beeinträchtigung im linken Fuss zusätzlich
einschränkend ist. Davon ging im Übrigen das kantonale Gericht bei der
Beurteilung des Integritätsschadens selber aus, wenn es auf Rückweisung zur
weiteren Abklärung an die SUVA entschied. Der Beschwerdeführer brachte in der
Einsprache auch vor, längeres Stehen und/oder Gehen führe zu Rückenschmerzen.
Auf Grund der Offizialmaxime wäre hier abzuklären gewesen, ob ein
Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 11. Januar 1991 bestand und
zusätzlich Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit gegeben waren.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerdesache an die Verwaltung zurückzuweisen.
Sie wird unter Einbezug auch der Beschwerden im linken Fuss und im Bereich
des Rückens festzulegen haben, unter welchen Voraussetzungen der
Beschwerdeführer einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann und welche
Integritätseinbusse resultiert. Basierend darauf wird sie den
Invaliditätsgrad neu bestimmen und über den Anspruch auf Rente und
Integritätsentschädigung noch einmal befinden.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der
Beschwerdegegnerin (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der unentgeltlichen
Verbeiständung, ist somit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 7. April 2006 und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom
1. September 2004 aufgehoben, und es wird die Sache an die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch
des Beschwerdeführers auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung neu
verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren
entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 24. Oktober 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: